Migration als Ressource - Bildungswege von jungen Menschen mit Migrationshintergrund

Eine qualitative Fallstudie


Diplomarbeit, 2007

124 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Einleitung

3. MigrantInnen im deutschen Bildungssystem

4. Methodische Grundlagen
4.1 Interviewdesign
4.2 Das biographisch-narrative Interview

5. Fallstudie – Sibel
5.1 Ein biographisches Portrait
5.2 Verlaufsprotokoll „Sibel“: Zusammenfassung von formaler Struktur und thematischem Verlauf
5.3 Analyse der Kernstellen (Wissensanalyse) - Sibel

6. Fallstudie – Riza
6.1 Ein biographisches Portrait
6.2 Verlaufsprotokoll „Riza“: Zusammenfassung von formaler Struktur und thematischem Verlauf
6.3 Analyse der Kernstellen (Wissensanalyse) - Riza

7. Migration als Bildungsressource
7.1 Ressourcenaspekte in der Biographie von Sibel - Zusammenfassung der wesentlichen Befunde unter besonderer Berücksichtigung des Forschungsschwerpunktes „Migration als Bildungsressource“
7.2 Ressourcenaspekte in der Biographie von Riza – Zusammenfassung der wesentlichen Befunde unter besonderer Berücksichtigung des Forschungsschwerpunktes „Migration als Bildungsressource“
7.3 Fazit – Vergleich der Biographien „Sibel“ und „Riza“

8. Ausblick

9. Literaturverzeichnis

Anhang
Steckbrief „Sibel“
Transkriptionsregeln
Steckbrief „Riza“
Transkriptionsregeln

1. Vorwort

Wer fremde Sprachen nicht spricht, weiß nichts von seiner eigenen.

Johann Wolfgang von Goethe

Ohne die Bereitschaft und Offenheit, mit der die beiden Informanten mir ihre Lebensgeschichte erzählt haben, wäre diese Forschungsarbeit nicht möglich gewesen. Deshalb gilt ein herzlicher Dank Riza und Sibel.

Wenngleich meine Lebensgeschichte eine ganz andere ist und mit denen von Sibel und Riza nicht zu vergleichen ist, habe ich mich doch in ihren wieder finden können. Selten, viel zu selten entsteht die Möglichkeit, so „nah“ Einblick in das Leben eines fremden Menschen zu gewinnen. Neben der fachlichen Bereicherung bin ich dankbar für diese persönliche Erfahrung.

Mein besonderer Dank gilt der fachlichen Betreuung von Herrn Prof. Dr. Michael Schumann, der seinen Studierenden mit aufrichtigem, persönlichem Interesse entgegentritt.

Außerdem möchte ich allen Teilnehmern des Forschungskolloquiums danken, durch die ich fachliche Unterstützung und Anregungen für meine Arbeit erfahren habe. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei Julia Waldmann, deren Gesprächsbereitschaft, klugen Verstand und Kreativität in der gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Forschungsthema ich als bereichernd erlebt habe.

2. Einleitung

Die vorliegende Forschungsarbeit mit dem Forschungsschwerpunkt „Migration als Bildungsressource“ ist der qualitativen erziehungswissenschaftlichen Migrationsforschung zuzuordnen und geht der Frage nach, in welcher Weise junge Menschen mit Migrationshintergrund besondere Ressourcen im Hinblick auf eine erfolgreiche Bildungskarriere im deutschen Bildungssystem entwickeln. Ziel ist es, das unentdeckte (Bildungs-)Potential innerhalb solcher Migrationsbiographien sichtbar zu machen.

„Migration, Integration, Interkulturalität und die Begegnung von Mehrheiten und Minderheiten waren in der Vergangenheit, sind in der Gegenwart und bleiben in der absehbaren Zukunft zentrale Problembereiche und Gestaltungsaufgaben gesellschaftlichen Zusammenlebens“(IMIS 2007).

In der Migrationsforschung sind die psychosozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Migration hinreichend bekannt. Die frühen Untersuchungen aus den 70er Jahren legen den Fokus auf die Belastungen durch Migrationserfahrung und reproduzieren Defizithypothesen, aufgrund deren Migranten als benachteiligt gelten. Neuere Studien jedoch thematisieren Migration auch als Chance und Ressource. Migranten erfahren im Migrationsprozess Veränderungen im sozialen Raum, die ihnen den Erwerb neuer Handlungs- und Orientierungsmuster abverlangen. Genau darin liegen die Risiken aber auch Entwicklungschancen.

In der erziehungswissenschaftlichen Migrationsforschung gibt es bereits Studien, deren Interesse den Bildungsprozessen von Menschen mit Migrationserfahrung oder –hintergrund gilt. Dazu gehören unter anderen die Studien von Apitzsch (1990, 1991), Karakasoglu (2000), Gutierrez Rodriguez (1999), Pott (2002), Nohl und Schittenhelm (2006).

Im Folgenden möchte ich den Aufbau der Diplomarbeit beschreiben.

Zunächst beziehe ich mich auf die aktuelle Bildungsdebatte zur Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem, für deren Entfachung in erster Linie die PISA-Studie (Stanat et al. 2000) verantwortlich ist. In diesem Zusammenhang gebe ich einen Überblick über die Ergebnisse und Entwicklungen zum Thema „Migranten im deutschen Bildungssystem“. Diese kurze Einführung in die Thematik erscheint mir wichtig, um dem Leser einen fachkundigen Blick hinsichtlich der Analyse der beiden folgenden Fallstudien zu ermöglichen.

Im folgenden Kapitel geht es um die Darstellung der methodischen Vorgehensweise der Forschungsarbeit. Dazu gehören die Erläuterungen zum Forschungsdesign, also Erklärungen zur Wahl der Informanten und zur Vorgehensweise im Forschungsprozess. Darüber hinaus beschreibe ich die qualitative Forschungsmethode des narrativen biographischen Interviews nach Schütze (vgl. 1983).

Das Kernstück dieser Arbeit bilden die beiden Fallstudien, deren Analyse im nächsten Kapitel erfolgt. Um einen Überblick über die Biographie zu erlangen, werde ich zunächst in einem kurzen Portrait die Lebensgeschichte in chronologischer Abfolge vorstellen. Danach erfolgt die Analyse der Fallstudie, wobei markante Passagen der Lebensgeschichte zu einer genaueren Analyse herausgegriffen werden.

In einem letzten Kapitel greife ich die Forschungsfrage auf, in welcher Weise in den beiden analysierten Biographien besondere Ressourcen hinsichtlich einer erfolgreichen Bildungskarriere im deutschen Bildungssystem offensichtlich werden. Dazu fasse ich, unter besonderer Berücksichtigung der Ressourcenaspekte, die Ergebnisse der Analyse der beiden Fallstudien zusammen. In einem Fazit erfolgen im Hinblick auf den Ressourcenaspekt der Vergleich der Biographien und der Versuch, in der Ablösung vom Einzelfall theoretische Hypothesen hinsichtlich der Forschungsfrage zu erörtern.

3. MigrantInnen im deutschen Bildungssystem

Trotz einer abduktiven Forschungslogik (vgl. Jakob 1997, S. 454f) ist ein Kontextwissen erstens für den Prozess der Theoriebildung und zweitens für die Plausibilisierung der Auswahl der Untersuchungsfälle wichtig. Thematisches Vorwissen ist notwendig, um die theoretische Sensibilität zu schärfen. Deshalb möchte ich im Folgenden einen Überblick über die aktuellen Erkenntnisse und Fakten zum Thema „Migranten im deutschen Bildungssystem“ geben. Hierbei stütze ich mich insbesondere auf die Ergebnisse der PISA-Studie (vgl. Stanat et al. 2000).

Bildung ist die zentrale Ressource für die Teilnahme am ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben. Besonders in Zeiten eines gesättigten Arbeitsmarktes und Stellenknappheit ist eine erfolgreiche Bildungskarriere der Schlüssel zu einem ökonomisch gesicherten, aber auch persönlich befriedigenden Leben, wobei dies nur als eine Variable betrachtet werden kann. Denn neben bildungsbezogenen Aspekten sind auch Familie, soziale Herkunft und das geerbte kulturelle Kapital wichtige Ressourcen für Lebenschancen (vgl. Geißler 2002, S. 342ff).

Spätestens seit PISA ist es amtlich - trotz formaler Gleichstellung der Mehrzahl der MigrantInnen mit Deutschen, besteht beim Zugang zu Bildungseinrichtungen in der Realität jedoch ein beträchtliches Gefälle zwischen Kindern und Jugendlichen deutscher und nichtdeutscher Herkunft. Neben PISA haben auch andere Schulleistungsstudien Unterschiede in den kognitiven Kompetenzen, den Übergangsempfehlungen und der besuchten Sekundarschulart aufgedeckt. Neben Belgien, Ungarn und der Schweiz hat insbesondere Deutschland in punkto Chancengleichheit im Bildungssystem am schlechtesten abgeschnitten (vgl. Bildungsbericht 2006. S. 137f)

Bildungssysteme basieren auf dem meritokratischen Prinzip, d.h. wer leistungsfähig ist, setzt sich durch – sollte man meinen. Doch wie oben schon erwähnt, spielen leistungsunabhängige soziale Kriterien bei der schulischen Auslese eine gewichtige Rolle. Zu diesen leistungsunabhängigen Kriterien gehören neben anderen zum einen der schichttypische Bildungswille in den Familien, d.h. Kinder aus bildungsschwachen Familien werden tendenziell unabhängig von ihrer schulischen Leistung eher auf die Haupt- oder Gesamtschule geschickt. Zum anderen spielt die (unbewusste) soziale Auslese in der Schule, sprich die institutionalisierte Diskriminierung eine große Rolle.

Trotz dieser Auslese, oder besser gerade aufgrund dieser Auslese liegen die Leistungen der besten deutschen Schüler im internationalen Vergleich nur im Durchschnitt. Denn Chancengleichheit bedeutet nicht Verlust des Leistungsprinzips (vgl. Geißler 2005, S. 72ff).

Betrachtet man die Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, so muss man feststellen, dass diese überproportional häufig in Vorklassen, Schulkindergärten, Sonderschulen (LB), Haupt- und Gesamtschulen und in den Einrichtungen des zweiten Bildungsweges vertreten sind. Außerdem sind die Bildungslaufbahnen von Schülern mit Migrationshintergrund häufig durch mehrfache Schulwechsel geprägt.

Ausländische Schüler sind doppelt so häufig ohne Hauptschulabschluss als deutsche und etwa die Hälfte kann keinen Ausbildungsabschluss nachweisen (vgl. Karakasoglu-Aydin 2001, S. 281ff).

Schüler mit Migrationshintergrund sind eine heterogene Gruppe und um sich eine Vorstellung davon machen zu können, um wen es genau geht, möchte ich kurz auf die Zusammensetzung dieser Gruppen eingehen.

Man unterscheidet Jugendliche mit einem im Ausland geborenen Elternteil. Sie erreichen in der PISA-Studie etwa das Kompetenzniveau der Gesamtstichprobe. In Ländern mit gesteuerter Einwanderungspolitik (Kanada, Australien, Neuselland, USA und Österreich) sogar leicht höhere Werte.

Die Eltern von Kindern und Jugendlichen der zweiten Generation sind beide im Ausland geboren. Außer in Australien und Kanada erreichen diese Schüler deutlich niedrigere Werte, in Deutschland im Besonderen. Der Schüleranteil dieser Gruppe beträgt in Deutschland etwa 7%, davon sind ungefähr 63% türkischer Abstammung.

Eine weitere Gruppe bilden zugewanderte Familien. Außer in Kanada, Australien und Neuseeland (gesteuerte Einwanderungspolitik) zeigen Schüler dieser Gruppe in allen anderen Ländern die höchsten signifikanten Unterschiede zur Gesamtstichprobe. Interessanterweise bildet Deutschland hier eine Ausnahme. Die beiden größten Gruppen von Schülern mit Migrationshintergrund in Deutschland sind Jugendliche türkischer Herkunft innerhalb der zweiten Generation und die zugewanderten Jugendlichen aus der ehemaligen Sowjetunion. Jugendliche türkischer Herkunft weisen geringere Kompetenzen auf (eher vertreten auf Hauptschulen und Gesamtschulen) als Jugendliche aus der ehemaligen Sowjetunion (eher vertreten auf Realschulen und Gymnasien). Diese Kompetenzunterschiede lassen sich durch Unterschiede im sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund erklären, denn der elterliche Bildungshintergrund variiert stark in Abhängigkeit von ihrer Staatsangehörigkeit. Fast zwei Drittel der Eltern aus Anwerbestaaten (Arbeitsmigranten) haben maximal einen Hauptschulabschluss. Eltern aus „anderen“ Ländern haben zu drei Viertel die Hochschulreife und in mehr als jedem zweiten Elternhaus hat wenigstens ein Elternteil studiert (Quote 10% höher als bei Deutschen) (vgl. Ramm et al. 2004, S. 256ff).

„Mit dem Mikrozensus 2005 liegen erstmals für die gesamte Bevölkerung Deutschlands repräsentative Daten zu folgenden Merkmalen vor:

- Staatsangehörigkeit,
- Geburtsort in Deutschland oder außerhalb,
- Zuzugsjahr,
- Einbürgerung,
- Staatsangehörigkeit, Einbürgerung und Geburtsort beider Eltern sowie
- für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die mit ihren Eltern in einem gemeinsamen Haushalt leben, analoge Angaben zu den Großeltern.

Mit dem Mikrozensus 2005 kann damit zum ersten Mal sowohl die Differenzierung der Zuwanderungskonstellationen nach der individuellen und familialen Migrationserfahrung (1. oder 2. bzw. 3. Generation) sowie dem rechtlichen Status (deutsch vs. nichtdeutsch) vorgenommen werden (Tab. H2-1)“ (Bildungsbericht 2006, S. 139).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 (Quelle: http://www.bildungsbericht.de/daten/h_web.pdf, S. 140)

Die obere Tabelle zeigt eine genaue Aufstellung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund und ihre kulturelle Zugehörigkeit. „Für das Bildungssystem ist insbesondere die Altersgruppe der unter 25-Jährigen von Bedeutung. Mehr als ein Viertel (27,2%) – dies entspricht ca. 6 Mio. Personen – haben einen Migrationshintergrund“ (Bildungsbericht 2006, S. 142).

Die nächste Tabelle zeigt diese für das Bildungssystem relevante Altergruppe in ihrer genauen Zusammensetzung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 (Quelle: http://www.bildungsbericht.de/daten/h_web.pdf, S. 142)

„Von der jungen Bevölkerung mit Migrationshintergrund gehören knapp 1,9 Mio. Personen der so genannten 1. Zuwanderergeneration an, d. h. sie sind selbst zugewandert. Das entspricht einem Drittel der jungen Migrationsbevölkerung. (…) Nur jede bzw. jeder Siebente mit türkischem Migrationshintergrund wurde im Ausland, der Großteil der jungen Bevölkerung mit türkischem Migrationshintergrund jedoch in Deutschland geboren (87%). Der Anteil der 2. Generation ist bei anderen Migrantengruppen deutlich niedriger. Bei den jungen (Spät-)Aussiedlern wurden erst knapp zwei Fünftel in Deutschland geboren“

(Bildungsbericht 2006, S. 144).

Die folgende Tabelle zeigt den Bildungsstand der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund.

„Insbesondere die Migranten der 2. und 3. Generation, haben deutsche Bildungseinrichtungen besucht und hier allgemeine und berufliche Bildungsabschlüsse erworben. Wie zu erwarten, haben jüngere Personen (25 bis 45 Jahre) sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund einen deutlich besseren Bildungsstand als ältere (45 bis 65 Jahre), und in beiden Altersgruppen ist das Bildungsniveau in der einheimischen Bevölkerung höher als bei denjenigen mit Migrationshintergrund (Abb. H2-6)“ (Bildungsbericht 2006, S. 145f).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 (Quelle: http://www.bildungsbericht.de/daten/h_web.pdf, S. 146)

In den nächsten Tabellen finden wir eine Aufschlüsselung der Bevölkerung im Alter von 25 bis 35 Jahren nach Migrationshintergrund, Herkunftsregionen und ausgewählten Bildungsabschlüssen und Schulform.

„(…) Migranten aus den ehemaligen Anwerbestaaten, insbesondere aus der Türkei, (verfügen) über das niedrigste Qualifikationsniveau (…) (Abb. H2-9). Diese Migranten wurden früher angeworben, um in Deutschland gering qualifizierte Arbeiten auszuführen. Es fällt auf, dass Personen aus sonstigen Staaten bei der Hochschulreife und den Hochschulabschlüssen sogar besser abschneiden als Deutsche ohne Migrationshintergrund. Migranten der 2. und 3. Generation sind in Deutschland aufgewachsen und haben hier ihre Bildungskarriere absolviert. Gleichwohl zeigt sich, dass das erreichte Bildungsniveau im Vergleich zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund sehr unterschiedlich ist. Auf der einen Seite haben die Migranten der 2. und 3. Generation etwa ebenso häufig die Hochschulreife erhalten wie Deutsche ohne Migrationshintergrund. Auf der anderen Seite ist der Anteil der 25- bis unter 65-jährigen Migranten der 2. und 3. Generation, die keinen beruflichen Abschluss erworben haben, mit 32% zwei Mal so hoch wie bei Deutschen ohne Migrationshintergrund (16%) (…). Dem deutschen Bildungssystem gelingt es also, die qualifizierten Migranten zu fördern, nicht jedoch die Bildungshemmnisse bei den Problemgruppen auszugleichen“ (Bildungsbericht 2006, S. 147f).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4 (Quelle: http://www.bildungsbericht.de/daten/h_web.pdf, S. 148)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5 (Quelle: http://www.bildungsbericht.de/daten/h_web.pdf, S. 152)

Bildungschancen sind abhängig von schicht-, geschlechts-, ethnie- und familienspezifischen Determinanten.

In den letzten Jahrzehnten sind zwar allgemein die Bildungschancen gestiegen, jedoch ist eine schichtunabhängige Chancengleichheit bisher nicht erreicht worden. „Jugendliche, deren Eltern über gute soziale und finanzielle Ressourcen verfügen, haben gegenüber schlechter gestellten günstigere Voraussetzungen im deutschen Bildungssystem“ (Ramm et al. 2004, S. 265).

Anders sieht es bei den geschlechtsspezifischen Bildungschancen aus. Hier haben die Mädchen die Jungen in den letzten Jahrzehnten bildungsmäßig überholt, was einem weitgehenden, schichtübergreifenden Wandel geschlechtstypischer Ungleichheiten zugrunde liegt. Frauen sind jedoch in der beruflichen Ausbildung immer noch benachteiligter, was häufig an der Bevorzugung männlicher Bewerber und an den schlechter bezahlten typischen Frauenberufen liegt (vgl. Geißler 2005, S. 80ff).

Im Hinblick auf das Forschungsthema dieser Diplomarbeit sind die ethniespezifischen Bildungschancen von besonderer Bedeutung. Denn Bildung ist eine zentrale Ressource für Lebenschancen und ganz besonders im Hinblick auf das Leben von Migranten eine Chance der Integration. Der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund an allgemeinbildenden Schulen beträgt durchschnittlich um 10%. Die Bildungschancen dieser Schüler haben sich zwar verbessert, stagnieren aber fast. Besondere Probleme treten beim Übergang in die Berufsausbildung auf. Hier liegt der Anteil der Auszubildenden mit Migrationshintergrund bei nur 6,5%.

Studierende mit Migrationshintergrund und einer Bildungskarriere im deutschen Schulsystem machen nur 3,6% aller Studierenden aus, davon ist die größte Gruppe türkischer Herkunft. Wie bereits oben erwähnt, bestehen große Chancenunterschiede zwischen den verschiedenen Migrantengruppen. Die Analyse der Ursachen für diese ethniespezifische Chancenungleichheit gestaltet sich schwierig, da es sich um eine heterogene Gruppe handelt. Auswirkungen auf deutsche Sprachkenntnisse hat der Besuch eines Kindergartens, die Umgangssprachen innerhalb der Familien und die segregativen Tendenzen im Familienmilieu (vgl. Geißler 2005, S. 88ff). Erklärungsversuche bieten verschiedene soziologische Ansätze, z.B.:

- Die Kulturdifferenzhypothese erklärt die Chancenungleichheit durch mangelnde kulturelle Eingliederung aufgrund kultureller Distanz, sprich fehlender Anpassung an die Gesellschaft
- Der Sozialökologischer Ansatz sieht dagegen die Mängel im deutschen Bildungssystem. Darüber hinaus wird Chancenungleichheit in diesem Ansatz weniger durch die ethnische, sondern eher durch die soziale Herkunft erklärt (vgl. Karakasoglu-Aydin 2001, S. 291f).

Auch der familiäre Hintergrund gehört zu den Determinanten von Bildungschancen.

Je höher die Bildung der Eltern, desto bessere Chancen haben die Kinder im Bildungssystem. Trotz dessen können in Migrantenfamilien Eltern ihre Kinder bezüglich schulischer Angelegenheiten oft nicht hinreichend unterstützen, da sie selbst der deutschen Sprache vielleicht nicht mächtig sind und ihren Kindern nicht bei den Hausaufgaben helfen oder ihre Interessen nicht ausreichend vertreten können (z.B. auf dem Elternabend). Außerdem fehlt häufig prinzipiell das Wissen über das Bildungssystem mit all seinen Abläufen und Möglichkeiten (vgl. Kristen 2003, S. 31).

Neben den schicht-, geschlechts-, ethnie- und familienspezifischen Determinanten hat auch die institutionelle Diskriminierung Auswirkungen auf die Bildungschancen von Schülern mit Migrationshintergrund.

Institutionelle Diskriminierung meint Diskriminierung im organisatorischen Handeln in zentralen gesellschaftlichen Institutionen. Mechanismen der institutionellen Diskriminierung sind institutionelle Barrieren, Programme, Strukturen und Arbeitsweisen der Schule und schulpolitische Strategien. Diese Mechanismen institutioneller Diskriminierung kommen an drei Stellen zustande: bei der Einschulung, der Umschulung auf eine Sonderschule und beim Übergang in die Sekundarstufe. Institutionelle Diskriminierung wirkt sich insofern aus, dass z.B. Schüler mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich häufig Förderklassen zugeordnet oder zurückgestellt werden (hier zeigt sich die Präferenz für homogene Schulklassen im deutschen Bildungssystem), auf Sonderschulen für Lernbehinderte verwiesen werden, weil fehlende Deutschkenntnisse als kognitives Defizit interpretiert werden, so dass diese Kinder und Jugendlichen letztendlich als Problemfall stigmatisiert werden (vgl. Gomolla 2003, S. 97ff).

4. Methodische Grundlagen

4.1 Interviewdesign

Die vorliegende Fallstudie ist der qualitativen erziehungswissenschaftlichen Migrationsforschung zuzuordnen.

Als methodologisches Rahmenkonzept dient die Grounded Theory von Glaser und Strauss (vgl. 1979). Die Grounded Theory oder auch die Gegenstandsverankerte Theoriebildung bezeichnet einen sozialwissenschaftlichen Ansatz zur systematischen Auswertung vor allem qualitativer Daten (Interviewtranskripte, Beobachtungsprotokolle) mit dem Ziel der Theoriegenerierung. Grounded Theory stellt dabei keine einzelne Methode dar, sondern eine Reihe von ineinandergreifenden Verfahren, aber vielmehr noch handelt es sich dabei eher um einen Forschungsstil oder ein Paradigma. Im Sinne der Grounded Theory werden Hypothesen und Theorien aus der Analyse des empirischen Materials entwickelt. Diese Forschungslogik steht folglich nicht für ein theorieüberprüfendes, sondern für ein abduktives Vorgehen (vgl. Glaser/Strauss 1979, S. 91f).

Das Untersuchungsdesign stellt die Situation von Migrantinnen und Migranten in den Vordergrund, die zur Gruppe der hochqualifizierten Bildungsinländer gehören. Es geht also um junge Erwachsene mit Migrationshintergrund, die ihre Schul- und Berufsausbildung ausschließlich im deutschen Bildungssystem absolviert haben und eine erfolgreiche Bildungskarriere vorweisen können.

Aufgrund der Ergebnisse der PISA-Studie, in der überraschenderweise insbesondere Migrantenkinder und -jugendliche der 2. Generation aus den ehemaligen Anwerberstaaten (wie u.a. der Türkei, Griechenland, Spanien) von der Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem betroffen waren, erscheint mir diese Gruppe als besonders interessant im Hinblick auf eine erfolgreiche Bildungslaufbahn, zumal sie zu den beiden größten Gruppen von Schülern mit Migrationshintergrund in Deutschland zählt.

Die Kompetenzunterschiede zwischen Schülern türkischer Herkunft und Schülern anderer Herkunft lassen sich durch Unterschiede im sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund erklären, denn der elterliche Bildungshintergrund variiert stark in Abhängigkeit von ihrer Staatsangehörigkeit. So kommen Kinder und Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund häufiger aus Elternhäusern mit niedrigem Bildungsabschluss und die Elterngeneration war hierzulande in der Regel im ungelernten Sektor tätig (vgl. Ramm et al. 2004, S. 256ff).

Da es in der vorliegenden Fallstudie um die Nutzung kultureller Ressourcen im Zuge der Lebensgeschichte geht, ist die Methode des narrativen Interviews (vgl. Schütze 1983) besonders geeignet. Die MigrantInnen werden gebeten, nach einer erzählgenerierenden Eingangsfragestellung im Hinblick auf ihre Rolle als junge Erwachsene mit Migrationshintergrund ihr Leben in aller Ausführlichkeit zu erzählen. Es erfolgt ausdrücklich keine Erwähnung, dass das Forschungsinteresse auf die Bildungskarriere bezogen ist, um ein umfassendes biographisches Forschungsmaterial zu erhalten. Anschließende exmanente Nachfragen konzentrieren sich dann vor allem auf die forschungsrelevanten Themenbereiche, wie z.B. Fragen nach Erinnerungen an die Schulzeit oder Fragen zur Erschließung des Sozialraums. Zur genauen Beschreibung der Methode des biographisch-narrativen Interviews komme ich später.

Forschungsgegenstand dieser Arbeit sind zwei Fallstudien, die einen Eckfall und einen Ergänzungsfall, bzw. kontrastive Fälle bilden. Neben den Variablen des Geschlechts und der Position in der Geschwisterkonstellation, bilden die Altersgruppe (20-30 Jahre) und die ethnische Herkunft (Türkei) die Konstanten der beiden Fallstudien.

Als Eckfall dient das Interview mit einer 27-jährigen jungen Studentin türkischer Herkunft. Die aus dieser Biographie generierten Hypothesen bestimmen die Auswahl, bzw. die forschungsrelevanten Fragen für die Durchführung des Ergänzungsinterviews. „Der Prozess der Theoriegenerierung setzt bereits mit der Datenerhebung und der Auswertung erster Interviews ein. Als Ergebnis der strukturellen Beschreibung werden vorläufige Kategorien und Hypothesen, die die Beziehung zwischen den Kategorien und ihren Merkmalen bezeichnen, entwickelt. Die Auswahl und die Auswertung weiterer Interviews dient der Überprüfung der erarbeiteten Kategorien“ (Jakob 1997, S. 455). Nach der Auswertung des Eckfalls erschienen in dieser Fallstudie insbesondere Fragen nach Erinnerungen an die Schulzeit, nach der eigenen Erziehung und dem sozialen Umfeld von Bedeutung zu sein.

Zusammenfassend lassen sich folgende Kriterien für die Auswahl der Informanten festhalten:

- Die Eltern der Informanten sind türkischer Herkunft und als Arbeitsmigranten nach Deutschland migriert.
- Die Informanten sind im Alter zwischen 20 und 30 Jahren und in Deutschland geboren.
- Die Informanten sind Bildungsinländer und können auf eine erfolgreiche Bildungskarriere verweisen.

4.2 Das biographisch-narrative Interview

Die Methodologie des narrativen Interviews wurde von Fritz Schütze entwickelt und ist von der Phänomenologischen Soziologie (Alfred Schütz) und der Chicagoer Schule (G. H. Mead) beeinflusst worden. Das narrative Interview steht vor allen Dingen im Zusammenhang mit der Biographieanalyse. Als Forschungsmethode für die Biographieanalyse ermöglicht es die Analyse der Sprache des Interviewten und einen unverfälschten Blick auf den biographischen Inhalt. Schütze spricht in diesem Zusammenhang von der Erzähl- und Biographietheorie (vgl. Bohnsack 1993, S. 106f). Die Erzähltheorie bezieht sich auf die Entschlüsselung der Erzählstruktur (unabhängig von ihrem Inhalt), dagegen die Biographietheorie vermittelt „uns einen Zugang zum formalen Aufbau biographisch relevanter Alltagserfahrung, zu den ‘Prozessstrukturen des Lebenslaufs’ (Schütze 1981) und der daraus resultierenden Identitätsbildung bzw. Habitusformation des Erzählers“ (Bohnsack 1993, S. 107). Das narrative Interview ist eine rekonstruktive Forschungsmethode, da der Forscher mit einem „unwissenden Blick“ die Daten erhebt und ohne ein Hypothesenkonstrukt die Daten analysiert (vgl. Bohnsack 1993, S. 107).

Erzähltheoretische Grundlagen:

Erzähltheoretische Grundlage ist eine erzählgenerierende Eingangsfrage (z.B.: „Erzähle mir deine Lebensgeschichte“) zu Beginn des Interviews, die den Informanten ermuntern soll, absolut frei zu erzählen und die außerdem eine Beeinflussung durch den Interviewer (weitgehend) ausschließt (vgl. Bohnsack 1993, S. 108). Schütze geht davon aus, dass auf diese Weise ermöglicht wird, „dass der Erzähler seine Lebensgeschichte so reproduziert, wie er sie erfahren hat, also die lebensgeschichtliche Erfahrung in jener Aufschichtung, in jenen Relevanzen und Focussierungen reproduziert, wie sie für seine Identität konstitutiv und somit auch handlungsrelevant für ihn ist.“ (Bohnsack 1993, S. 108) In der Stegreiferzählung wird die Selbstdarstellung des Interviewten zum Selbstläufer, d.h. er gibt kein bewusst willkürliches Bild seines Selbst ab. Dadurch werden tiefere Ebenen der Biographieerfahrung sichtbar. Diesen Effekt hat man bei anderen Interviewformen nicht. Selbst wenn der Interviewte versucht, aus seiner „wahren Lebensgeschichte“ auszubrechen, wird dies später bei der genauen Analyse des Interviews in Unstimmigkeiten des Textaufbaus sichtbar (vgl. Bohnsack 1993, S. 108).

Auf den Erzählimpuls folgt der autobiographische Haupterzählteil, bei dem der Interviewte möglichst nicht unterbrochen werden sollte, denn er selbst bestimmt den Abschluss seiner Erzählung, der meist durch eine Erzählkoda (z.B.: „das war’s) gekennzeichnet ist.

Im Anschluss an die Haupterzählung folgt der immanente Nachfrageteil, d.h. der Interviewer kann nun noch offene Fragen stellen, die sich jedoch direkt aus der Erzählung des Hauptteils ergeben, also textimmanent sind.

Erst danach kann der Interviewer in einem exmanenten Nachfrageteil frei und gemäß seines Forschungsinteresses dem Informanten Fragen stellen (vgl. Schütze 1983, S. 285f).

Stegreiferzählungen sind intuitive und unreflektierte Erzählungen, die eine Eigendynamik entwickeln. Unstimmigkeiten werden durch den Bruch bestimmter „Regeln des formalen Aufbaus von Stegreiferzählungen“ sichtbar. Kallmeyer/Schütze bezeichnen diese Regeln als „Zugzwänge des Erzählens“ (Bohnsack 1993, S. 109):

a) Gestaltschließungszwang: wir haben in einer Erzählung das grundlegende Bedürfnis, sie schlüssig erscheinen zu lassen.
b) Relevanzfestlegungs- und Kondensierungszwang: man beschränkt seine Erzählung aufgrund begrenzter Zeit auf das Wesentliche
c) Detaillierungszwang: durch Detaillierungen versucht der Erzählende dem Zuhörenden lebensgeschichtliche Ereignisse verständlich und erklärbar zu machen. „… gerade dadurch (werden) Handlungs-, Entscheidungs- und Verlaufsmuster sichtbar…“(Bohnsack 1993, S. 109).

Textanalyse:

Man unterscheidet in der Textanalyse zwischen den narrativen (erzählenden) Sequenzen und argumentativen (erklärenden) Textpassagen. In der Erhebungssituation geht es darum, den Erzählenden nicht unter einen Argumentationsdruck zu bringen, sondern den Erzählfluss zu fördern. Dies erreicht der Interviewer am ehesten durch absolute Zurückhaltung in der Interviewsituation (vgl. Bohnsack 1993, S. 110).

In einem ersten Schritt, der formalen Textanalyse, werden die oben genannten narrativen von den argumentativen Textpassagen getrennt. Nur die narrativen Textpassagen werden daraufhin in einzelne Sinnsegmente unterteilt, die dann in einem zweiten Schritt inhaltlich herausgearbeitet werden. Man bezeichnet diesen Schritt als strukturelle inhaltliche Beschreibung.

Im folgenden Analyseschritt, der analytischen Abstraktion, werden die einzelnen inhaltlichen Beschreibungen aus dem konkreten Zusammenhang gelöst und bezogen auf eine „biographische Gesamtformung“ analysiert (vgl. Schütze 1983, S. 286f).

Durch eine Wissensanalyse wird die Biographie „systematisch auf ihre Orientierungs-, Verarbeitung-, Deutungs-, Selbstdefinitions-, Legitimations-, Ausblendungs- und Verdrängungsfunktionen hin“ (Schütze 1983, S. 287) interpretiert. Schütze spricht in diesem Zusammenhang vom „Verlaufskurfenkonzept“. Das Verlaufskurfenkonzept beschreibt den eigenen „biographischen Entwurf“ des Erzählenden, also das, was er selber über seine Biographie weiß. Erst nach dem Herausarbeiten, der Analyse eines solchen biographischen Entwurfs, geht man zum nächsten Schritt, der „komparativen Analyse“, in der minimale (Übereinstimmungen, Ähnlichkeiten) und maximale (Unterschiede) Kontraste im Vergleich zu anderen Biographien (zur gleichen Forschungsfrage) heraus gearbeitet werden (vgl. Bohnsack 1993, S. 111). In einem letzten Analyseschritt kommt es zur Konstruktion eines theoretischen Modells (vgl. Schütze 1983, S. 288).

Aufgrund der geringen Anzahl der Fallstudien in dieser Diplomarbeit, entfallen die beiden letzten Analyseschritte, also der kontrastive Vergleich und die Konstruktion eines theoretischen Modells, wobei ich auf eine theoretische Schlussbetrachtung nicht verzichten möchte.

Da das Analyseverfahren nach Schütze sehr aufwendig ist, nutzt man zunehmend ein abkürzendes Auswertungsverfahren. Auch ich werde in dieser Forschungsarbeit ein abkürzendes Analyseverfahren anwenden.

„Für den Einzelfall bedeutet dies, dass zuerst ein biographisches Portrait erstellt wird. Dieses dient zur Erfassung wesentlicher Merkmale der Biographie und zur Präsentation der Person in ihren jeweiligen Besonderheiten. Als nächster Schritt wird von dem transkribierten Interview ein so genanntes Verlaufsprotokoll erstellt. Dieses besteht aus einer kombinierten Zusammenfassung von formaler Struktur und thematischem Verlauf des Interviews. Es ermöglicht einen systematischen Zugang auf das Interview und zugleich forschungsökonomisch den Verzicht auf die gesamte Sequenzierung der Interviews. Auf der Grundlage dieses Verlaufsprotokolls werden so genannte Kernstellen zur intensiven line-by-line Interpretation ausgewählt. Kernstellen sind grundlegende und zentrale Passagen in einem Interview, in denen quasi verdichtet die wichtigsten Entwicklungsprozesse und Veränderungen der Wahrnehmungs- und Deutungsmuster erfasst werden können. Kernstellen werden daher nicht willkürlich ausgewählt, neben biographischen Aspekten ist ebenfalls die Fragestellung des Projektes ausschlaggebend für die Selektion“ (Menz 2007).

5. Fallstudie – Sibel

5.1 Ein biographisches Portrait

In dem folgenden biographischen Portrait, werde ich Sibels Lebensgeschichte in einer kurzen, chronologischen Abfolge darstellen, um zunächst einen groben Überblick über ihre Biographie zu verschaffen.

Sibel ist 27 Jahre alt und wurde in A-Stadt in Deutschland geboren. Ihre Eltern sind verheiratet, ihr Vater ist 62 Jahre und arbeitet in A-Stadt bei den Stahlwerken, ihre Mutter ist 51 Jahre alt, Hausfrau und arbeitet gelegentlich als Reinigungsfachkraft. Sibel hat zwei ältere Brüder, die 31 und 29 Jahre alt sind. Sie arbeiten als Beamter beim Zoll und als Groß- und Auslandskaufmann. Beide wohnen nicht mehr bei den Eltern, Sibel dagegen schon. Neben einer Oma in der Türkei leben Sibels nähere Verwandte ebenfalls in Deutschland. Die meisten ihrer Cousins und Cousinen studieren, bzw. haben studiert oder haben einen eigenen Betrieb, wie z.B. einen Imbiss. Mit ihren Verwandten steht Sibel in engem Kontakt, da die Familie für sie sehr wichtig ist.

Sibels Eltern sind in einem dörflichen Umfeld aufgewachsen. Sie lebten im engen Familienbund und waren nach Sibels Aussage sehr in ihre Familien „integriert“ (Zeile 21)[1].

Sibels Vater kam vor ca. 35 Jahren als Arbeitsmigrant nach Deutschland, mit dem Ziel, nach ein paar Jahren wieder in die Türkei zurückzukehren. Bevor Sibels Vater nach Deutschland kam, verlobte er sich mit Sibels Mutter, die dann später nachkam, da Sibels Vater mit einer baldigen Rückkehr in die Türkei nicht mehr rechnete.

Sibel wuchs mit ihrer Familie in A-Stadt in einer gut situierten Wohngegend mit einem geringen Ausländeranteil auf. An ihre Kindergartenzeit kann sie sich nicht mehr erinnern.

Ihre Grundschulzeit beschreibt sie als eine schöne Zeit. Sie erzählt, dass sie sich in der Schule integriert und nie als „Ausländerin“ (Zeile 23) gefühlt hat. Dies zeigt sich auch durch ihre Rolle als „Ansprechpartnerin“ (Zeile 30) im Klassenverband. Ihre Akzeptanz unter den Mitschülern wurde wohl auch in ihren Schulzeugnissen hervorgehoben. Sibel beschreibt sich als damals schon sozial engagiert, mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, der dazu führte, dass sie bei Streitigkeiten im Klassenverband häufiger als Vermittlerin fungierte.

In der Realschule war Sibel eine gute Schülerin, jedenfalls habe sie nie größere schulische Probleme gehabt. Auch mit der deutschen Sprache hatte sie in der Schule keine Schwierigkeiten. Sie beherrscht die deutsche Sprache besser als ihre Muttersprache Türkisch. Überhaupt war diese Zeit sehr von der deutschen Kultur geprägt. Sibel bewegte sich in einem ausschließlich deutschen Freundeskreis, sprach außer mit ihren Eltern ausschließlich Deutsch, sogar mit ihren Brüdern spricht sie nur Deutsch. Sprachlich ist sie bis heute von der deutschen Sprache geprägt, was sich auch dadurch zeigt, dass sie auch in Deutsch denkt.

Gerade das Heranwachsen in einem deutschen Freundeskreis führte manchmal zu Komplikationen mit ihren Eltern. Im Vergleich zu anderen türkischen Mädchen erlebt sich Sibel als relativ frei erzogen. Sie konnte an Sportaktivitäten und Klassenausflügen in der Schule teilnehmen, und auch in ihrer Freizeit ließen ihr ihre Eltern Freiheiten. Diese Freiheiten konnte und kann sie jedoch häufig nur durch die Unterstützung ihrer Brüder genießen, was die Allianz zwischen den Geschwistern verdeutlicht. Auch wenn es Sibel schwer fällt, so sieht sie jedoch keine Alternative, ihre Freiheiten notgedrungen auch mit Lügen durchzusetzen. Sie beschreibt sich in diesem Zusammenhang gegenüber ihren Eltern als eine „gute“ Schauspielerin. Mit zunehmendem Alter setzte sich Sibel den Beschränkungen durch die Eltern zur wehr, was viele Auseinandersetzungen zur Folge hatte.

Seit Sibel sechzehn ist, hat sie immer einen Nebenjob gehabt, um sich eigenes Geld zu verdienen und von ihren Eltern unabhängiger zu sein.

Nach der Realschule besuchte Sibel drei Jahre lang die Berufsschule für Wirtschaft und Verwaltung in A-Stadt und machte schließlich dort ihr Fachabitur. Es begann für sie ein neuer Lebensabschnitt. Zu ihren „alten“ Freunden verlor sie zunehmend den Kontakt, dafür fand sie an der Berufsschule neue Freunde, türkische Freunde.

Nachdem Sibel ihr Fachabitur gemacht hatte, war es ihr Wunsch, eine Ausbildung zur Bürokauffrau oder Industriekauffrau zu beginnen. Die Ausbildungssuche gestaltete sich jedoch schwierig. Sibel sieht den Grund dafür auch in ihrer Herkunft. Sie spricht in diesem Zusammenhang von einer anderen Wahrnehmung ihrer Person im Vergleich zu deutschen Ausbildungssuchenden aufgrund ihrer türkischen Herkunft.

Nach vergeblicher Suche nach einem Ausbildungsplatz machte sie ein einjähriges Praktikum als Industriekauffrau bei einer Firma in A-Stadt. Dort fühlte sie sich sehr wohl, was sie mit dem hohen Anteil ausländischer Mitarbeiter und dem dadurch guten Arbeitsklima begründet. Obwohl diese Firma Sibel übernehmen wollte, entschied sie sich für ein Studium.

Sibel studierte an der Universität in A-Stadt zunächst BWL, wechselte aber dann die Studienrichtung und studiert bis heute Wirtschaftsrecht. Eigentlich hatte sie geplant, nach ein, zwei Semestern in A-Stadt nach Bochum zu ziehen, um dort gemeinsam mit ihrer Cousine zu studieren.

Neben dem Studium arbeitet sie zurzeit als Aushilfe in einem großen Modehaus in A-Stadt.

Mit Beginn des Studiums lernte sie an der Uni überwiegend türkische junge Leute kennen, die sich zu einem großen Freundeskreis für Sibel entwickelten. Insbesondere fünf türkische Kommilitoninnen wurden zu einem wichtigen Bestandteil ihres Lebens. Sibel beschreibt sie als „Kämpfernaturen“, fühlt sich mit ihnen verbunden und von ihnen unterstützt. Sie beneidet die eigenständige Wohnsituation ihrer Freundinnen und wünscht sich manchmal auch ihren eigenen Freiraum. Doch für ein türkisches Mädchen komme es nicht in Frage von zuhause auszuziehen, wenn kein bestimmter Grund, wie z.B. die Gründung einer eigenen Familie oder ein notwendiger Wechsel des Wohnortes zwecks eines Studiums, wie bei ihren Freundinnen, vorliege. Sie beschreibt sich jedoch als „familiengebunden“ (Zeile 373) und leidet deswegen nicht wirklich unter dieser Situation, zumal sich ihre Eltern vor zwei Jahren eine Eigentumswohnung in der Türkei gekauft haben und in Zukunft, wenn ihr Vater in einem Jahr in Rente geht, die Hälfte des Jahres dort verbringen werden.

An der Universität in A-Stadt lernte Sibel ihren Freund kennen, mit dem sie eine sechsjährige Beziehung führte. Vor kurzem haben sich die beiden getrennt.

Sibel beschreibt die Beziehung zu ihrem Freund als nicht einfach, zumal ihre Eltern von dieser Beziehung nichts wissen durften. Unterstützung erfuhr sie auch hier wieder von ihren Brüdern. Diese Beziehung scheint aus zweierlei Gründen schwierig gewesen zu sein: Hätte Sibel ihren Eltern von dieser Beziehung erzählt, sei es aus traditionellen Gründen der Wunsch der Eltern gewesen, dass sie diesen Mann spätestens nach einem Jahr nach ihrem „Kennenlernen“ hätte heiraten müssen. Es wäre nicht möglich gewesen, eine jahrelange Beziehung zu führen, ohne zu heiraten. Für Sibel schien die Option Heirat nicht abwegig, im Gegenteil, aber sie hält eine längere „Probezeit“ in einer Beziehung für notwendig und wichtig, um sich richtig kennen zu lernen. Die „zweite Hürde“ ihrer Beziehung hatte religiöse Gründe, da Sibel Allevitin und ihr Freund Sunnit ist. Das Angehören dieser verschiedenen, häufig verfeindeten Glaubensrichtungen kann Probleme verursachen. Kurz vor der Trennung von ihrem Freund erzählte Sibel ihrer Mutter von ihrer Beziehung zu einem Sunnit, für die eine Welt zusammenbrach und diese Beziehung offensichtlich nicht akzeptieren will. Warum diese Beziehung letztendlich scheiterte, bleibt offen.

Sibel hat rückblickend betrachtet in ihrer Studienzeit an Lebenserfahrung gewonnen, die scheinbar nicht immer positiv gewesen sind. Überhaupt scheinen die letzten Jahre für sie nicht immer einfach gewesen zu sein. Bezeichnend dafür ist ihr Lebensmotto der letzten Zeit: „Das Leben ist scheiße“ (Zeile 957). Sibel litt unter Depressionen, auch heute noch, jedoch hat sie gelernt damit umzugehen. Dabei erfährt sie Unterstützung von ihren Freundinnen. Im Vergleich zu ihrer Studienzeit beschreibt sich Sibel in ihrer Kindheit und Jugend als eine Person mit positiver Ausstrahlung. Im Gegensatz dazu sieht sie sich heute als einen zurückhaltenden, schüchternen Menschen.

Schon früh wurden Sibel und ihre Brüder zur Selbständigkeit und Verantwortung erzogen. Sie glaubt, dass ihre Eltern, rückblickend betrachtet, das Gefühl haben, in der Erziehung ihrer Kinder Fehler gemacht zu haben, sich nicht genügend um sie gekümmert zu haben, so dass ihre Kinder aus diesem Grund der türkischen Kultur wenig zugewandt sind. Im Gegensatz zu ihren Brüdern, die die türkische Kultur offenbar völlig „abgelegt“ haben, ist es Sibel wichtig, die türkische Kultur zu pflegen, allerdings teilt sie nicht den Glauben ihrer Eltern, denn sie bezeichnet sich als Atheistin.

5.2 Verlaufsprotokoll „Sibel“: Zusammenfassung von formaler Struktur und
thematischem Verlauf

Das Verlaufsprotokoll soll einen Überblick über formale Struktur und den thematischen Verlauf der Biographie ermöglichen. Dieses abkürzende Auswertungsverfahren entspricht der strukturellen Beschreibung nach Schütze (siehe Kapitel 4.2).

Zeile 4-10 Erzählimpuls

Das Interview beginnt mit einer erzählgenerierenden Eingangsfrage, in der Sibel informiert wird, dass sich die Interviewerin für Biographien von jungen Menschen mit Migrationshintergrund interessiert und sie nun aufgefordert ist, ihre Lebensgeschichte zu erzählen.

Zeile 12-20 Biographische Erzählung der Statuspassagen

Sibel beginnt ihre Kernerzählung mit der Nennung einiger persönlicher Eckdaten.

Zeile 20-74 Makrosegment: Schule und Ausbildung

In diesem Segment schildert Sibel in chronologischer Abfolge ihre Schullaufbahn und ihren Ausbildungsweg.

Zeile 20-25 Mikrosegment: Grundschule

Dieses kurze Segment beginnt mit der Weiterführung der Kernerzählung. Auffällig ist, dass Sibel, ohne weitere Einzelheiten ihrer Grundschulzeit zu nennen, direkt im Anschluss erwähnt, dass sie sich in der Grundschule integriert und nie als „Ausländerin“ gefühlt hat.

Zeile 24-49 Mikrosegment: Realschule

Ebenso beginnt das folgende Segment mit einem Kernerzählsatz, der den Leser über ihren Besuch der Realschule informiert.

Sibel erzählt, dass sie eine gute Schülerin ohne größere schulische Probleme gewesen ist und dass sie im Klassenverband anerkannt war und die Rolle der „Ansprechpartnerin“ innehatte.

Weiterhin geht sie auf ihre sprachlichen Fähigkeiten ein. In der Schule hatte sie keine Probleme mit der deutschen Sprache. Überhaupt spricht sie außer mit ihren Eltern überwiegend Deutsch, auch mit ihren Brüdern, so dass sie die deutsche Sprache besser als die türkische beherrscht.

Zeile 50-74 Mikrosegment: Ausbildung

Der Leser wird zu Beginn dieses Segments wieder in der fortlaufenden Kernerzählung über ihre weitere schulische Karriere in Kenntnis gesetzt.

Sibel besuchte nach der Realschule für drei Jahre die Berufsschule für Wirtschaft und Verwaltung und machte dort ihr Fachabitur. Danach war es ihr Wunsch, eine Ausbildung zur Bürokauffrau oder Industriekauffrau zu machen, was jedoch daran scheiterte, dass sie keine Ausbildungsstelle bekam. Sie erzählt im Folgenden über ihre Schwierigkeiten, als „Ausländerin“ einen Ausbildungsplatz zu finden und äußert ihren Unmut darüber.

An diese Textpassage schließt die Kernerzählung wieder an. Sibel machte ein einjähriges Praktikum als Industriekauffrau und im Anschluss daran begann sie BWL zu studieren, wechselte dann aber zu Wirtschaftsrecht.

Zeile 74-80 kurzes Makrosegment: Freunde I

In diesem kurzen Segment erzählt Sibel von ihrem multikulturellen Freundeskreis.

Zeile 80-305 Makrosegment: Familie

In diesem großen Segment erfährt man etwas über Sibels Familie, ihre Kindheit, Jugend und Erziehung.

Zeile 80-97 Mikrosegment: Familie in Deutschland

Sibel erzählt dem Leser zu Beginn dieses Segments in der Kernerzählung etwas über ihre in Deutschland lebende Familie. Im Anschluss erklärt sie kurz, was Familie in der türkischen Gesellschaft bedeutet.

Zeile 97-142 Mikrosegment: Die eigene Erziehung

Im folgenden Segment schildert sie ihre „relativ freie“ Erziehung durch ihre Eltern und setzt diese in Vergleich zur Erziehung anderer türkischer Mädchen. Sie macht also durch einige Hintergrundinformationen (Zeile 110-120) ihre Erziehung deutlich und für den Leser verständlich und einschätzbar. Das zentrale inhaltliche Moment scheint in diesem Segment die Allianz mit ihren beiden älteren Brüdern (Zeile 131-137) zu sein, ohne die sie wahrscheinlich wesentlich „beengter“ aufgewachsen wäre.

Zeile 142-214 Mikrosegment: „man darfs ihnen nicht übel nehmen, weil…“

Der Satz „Ich mein, wobei man das den .. de/… unsere Genera/alten Generation, jetzt meine Eltern und so, auch nicht übel nehmen darf, weil sie kennen’s ja nicht anders“ leitet die folgende argumentative Textpassage ein, in der Sibel ihre Erziehung plausibel macht. Dies tut sie dadurch, dass sie dem Leser einige Hintergrundinformationen zur türkischen Kultur gibt (Zeile 152-159) und die Lebensumstände, unter denen ihre Eltern aufgewachsen sind, erläutert. Sie reflektiert in dieser Textpassage das Verhalten ihrer Eltern.

Sibel erzählt weiterhin, dass sie sich gegen die Einschränkungen durch ihre Eltern zur Wehr setzt, was sie u.a. durch eine Belegerzählung (Zeile 180-190) unterstreicht.

Zeile 215-291 Mikrosegment: Der Freund

Der Leser erfährt zu Beginn in einem Kernerzählsatz von ihrer langen Beziehung zu ihrem Freund. Sie schildert ihre schwierige Situation, dass sie den Eltern nicht von dieser Beziehung erzählen wollte und konnte, denn ihre Eltern hatten generell etwas dagegen, dass ihre Tochter einen Freund hat. Nicht zuletzt war diese Beziehung aus religiösen Gründen schwierig, was Sibel durch eine Hintergrundinformation (Zeile 249-282) erläutert.

Zeile 291-304 Mikrosegment: Mädchen in der türkischen Gesellschaft

In diesem Segment fasst sie zum Ende des Makrosegments „Familie“ und in Bezug auf dieses ihre Situation auf einer Metaebene zusammen, indem sie allgemein über die Rolle von Mädchen in der türkischen Gesellschaft spricht.

Zeile 307-327 kurzes Makrosegment: Sprachenmix

In diesem kurzen Segment spricht Sibel über die Vermischung von deutscher und türkischer Sprache in ihrem Alltag, was auf sprachlicher Ebene Ausdruck dafür ist, dass sie zwischen zwei Kulturen lebt.

Zeile 328-393 Makrosegment: Freiraum

Mit Beginn des Studiums lernte Sibel viele junge Leute kennen, die für sie zu einem Freundeskreis wurden. In diesem Segment wird offensichtlich, dass Sibel ihre Kommilitoninnen, bzw. Freundinnen, um ihr eigenständiges Leben beneidet, da diese, nicht wie Sibel, für ihr Studium von zuhause ausgezogen sind. Sie beschreibt auch die Schwierigkeiten der türkischen Freundinnen, die sie bei ihrem Auszug aus dem Elternhaus hatten. Sibel erläutert dies durch eine Belegerzählung (Zeile 349-361). Ebenso wird durch Hintergrundinformationen (z.B. Zeile 367) deutlich, dass türkische Mädchen für gewöhnlich nicht zuhause ausziehen, nur weil ein gewisses Alter erreicht ist.

Zeile 393-403 kurzes Makrosegment: Ausländerfeindlichkeit I

In diesem kurzen Zwischensegment spricht Sibel über ihre Erfahrungen mit Ausländerfeindlichkeit, die sie später im immanenten Nachfrageteil im Zusammenhang mit der Ausbildungssuche nochmals aufgreift.

Zeile 403-405 Bilanz

Gegen Ende des Erzählteils zieht sie kurz Bilanz in Bezug auf ihr bisheriges Leben. Diese Bilanzierung deutet auf das Ende des Erzählteils hin.

Ab Zeile 416: Immanenter Nachfrageteil

Zeile 417-420 Erste Interviewfrage: Schwierige Ausbildungssuche

Die Interviewerin greift Sibels Erläuterungen zur Ausbildungssuche auf.

Zeile 421-568 Makrosegment: Ausländerin in der deutschen Gesellschaft

Sibel schildert ihre Schwierigkeiten bei der Ausbildungssuche und geht in diesem Zusammenhang auf ihre Erfahrungen mit Ausländerfeindlichkeit ein.

Zeile 421-469 Mikrosegment: Ausbildungssuche I

Sibel erzählt von ihrer Ausbildungssuche und schildert ihre negativen und auch positiven Erfahrungen dem Leser anschaulich durch mehrere Belegerzählungen (z.B. Zeile 446-454; 454-457; 461-464).

Zeile 469-554 Mikrosegment: Ausländerfeindlichkeit II (Zwischensegment)

Sie erwähnt im vorhergehenden Segment die ihr gegenüber vermuteten Vorurteile bei der Ausbildungssuche und beschreibt daraufhin ihre Erfahrungen als „Ausländerin“. Das Thema ist offensichtlich von großer Bedeutung für sie, was durch die besonders ausführlichen und dichten Belegerzählungen (Zeile 470-488; 490-523) deutlich wird. Im Anschluss nimmt Sibel in einem Kommentar (Zeile 527-538) dazu Stellung, in dem sie Intoleranz ablehnt und ein humanes Menschenbild vertritt, unabhängig von Nationalität oder Herkunft.

Zeile 554-568 Mikrosegment: Ausbildungssuche II

Sibel schließt das Makrosegment „Ausländerin in der deutschen Gesellschaft“, indem sie auf die Interviewfrage wieder Bezug nimmt.

Zeile 569-571 Zweite Interviewfrage: Ansprechpartnerin

Die Interviewerin greift Sibels Position als Ansprechpartnerin in der Schule auf.

Zeile 572-741 Makrosegment: Die „soziale Ader“

Zentrales Thema dieses Segments ist die „Vermittlung zwischen den Kulturen“.

Zeile 572-651 Mikrosegment: Die „Ansprechpartnerin“

Sibel stellt der Interviewfrage entsprechend eine Eigentheorie auf. Sie sucht die Gründe für ihre „soziale Ader“, ihre „vermittelnde Art“ und tut dies auch in ihrer „türkischen“ Erziehung und verdeutlicht dies durch eine Belegerzählung (Zeile 611-634).

Zeile 651-699 Mikrosegment: Meine Werte

Dieses Segment ist eine Weiterführung des vorangegangenen, in dem sie ihre eigenen sozialen und persönlichen Werte vertritt. Besonders deutlich wird dies in einem Kommentar (Zeile 655-663), in dem sie für Toleranz eintritt. Auch in ihrem Tonfall dieser Textpassage verspürt man ihre Aufregung. In diesem Kommentar nimmt Sibel Bezug auf ihre Eltern. Ihre eigenen Werte prallen gegen jene der Eltern. Die Textpassage ist Ausdruck dafür, dass Sibel zwischen den Kulturen steht aber trotz dessen ihren eigenen Weg geht und ihre eigenen humanen Werte vertritt.

Zeile 699-741 Mikrosegment

In diesem Segment spricht Sibel über die negative Seite ihrer „sozialen Ader“, dass sie insbesondere an der Universität, an der sie viele Leute kennen gelernt hat, einige schlechte Erfahrungen gemacht hat, ausgenutzt wurde, aber daraus viel gelernt hat.

Außerdem spricht Sibel in diesem Segment über türkische Studierende an der Uni, von deren Werten sie sich klar abgrenzt.

Zeile 742-745 Dritte Interviewfrage: Freundeskreis

Die Interviewerin schließt mit ihrer nächsten Frage an das vorherige Segment an und erkundigt sich näher nach Sibels Freundeskreis und nach Veränderungen in ihrem Freundeskreis.

Zeile 746-804 Makrosegment: Freunde II

In diesem Segment berichtet Sibel von den Veränderungen ihrer Freundschaften im Laufe ihres Lebens. In ihrer Schulzeit hatte Sibel überwiegend oder sogar ausschließlich Freunde deutscher Herkunft. Sie begründet dies dadurch, dass sie in der Schule und auch in ihrer Wohngegend selten mit türkischen Kindern in Berührung kam. Mit ihrem Wechsel auf die Berufsschule ließ der Kontakt zu ihren „alten“ Freunden nach und sie lernte türkische, bzw. Mitschüler verschiedener Herkunft kennen. An der Universität bewegt sie sich in einem überwiegend türkischen Freundeskreis. Zum Ende dieses Segments hat man das Gefühl, als rechtfertige sie ihre Freundschaft zu den überwiegend türkischen Freunden, indem sie ihre Offenheit gegenüber deutschen Studierenden betont.

Sibel erzählt vom Wandel ihrer Freundschaften in chronologischer Reihenfolge, die durch Kernerzählsätze markiert ist.

Zeile 805-809 Vierte Interviewfrage: Integration

Zu Beginn des Interviews sagt Sibel, dass sie sich in der Schule immer integriert gefühlt hat. Die Interviewerin geht auf diese Aussage ein, nimmt jedoch praktisch eine Antwort schon vorweg.

Zeile 810-919 Makrosegment: Integration

Zeile 810-836 Mikrosegment: Integration

Da die Interviewerin sich ihre Frage sozusagen selbst beantwortet, bzw. vorweg eigene Vermutungen anstellt, gerät Sibel in diesem Segment unter Argumentationsdruck, was sich auch in ihrer Sprache widerspiegelt. Betrachtet man allerdings einen Kommentar (Zeile 769-773) in dem vorangegangenen Makrosegment „Freunde“, so stellt man fest, dass Sibel hier schon indirekt auf die „Integrationsfrage“ eingeht. Sie spricht über ihre Brüder und zieht den Schluss, dass diese sich durch ihr „deutsches Umfeld“ in eine bestimmte Richtung entwickelt hätten und deswegen in hohem Maße in die deutsche Kultur integriert seien.

Ab Zeile 836 („Also ich finde…“) scheint sich Sibel von der „vorgegeben“ Antwort der Interviewerin zu lösen und zieht im nächsten Segment eigene Schlüsse zu der Frage, warum sie sich in der Schule so integriert gefühlt hat.

Zeile 836-911 Mikrosegment: Erziehung

In diesem Segment sucht Sibel eigene Erklärungen in ihrer Erziehung und scheint sie auch zu finden. Ihre Eltern haben sie und ihre Geschwister zu Selbständigkeit und Verantwortung erzogen, was sie durch mehrere Belegerzählungen (Zeile 837-841; 848-850) plausibel macht. Sie vertieft sich im Thema Erziehung und gibt dem Leser Hintergrundinformation (Zeile 861-870; 873-875) zur Kindererziehung in der türkischen Gesellschaft und vertritt ihre eigene Meinung zur Kindererziehung in nachfolgenden Kommentaren (Zeile 876-885; 895-911).

Zeile 911-919 Mikrosegment: Brüder

Zum Ende des Makrosegments „Integration“ geht sie in einem Kommentar noch mal auf die Vermutungen der Interviewerin ein und sagt, dass ihre Integration in der Schule mit ihrem damals „deutschen Umfeld“ in Verbindung stehe. Darüber hinaus betont sie die unterstützende Rolle ihrer Brüder, die ihr den (uneingeschränkten) Kontakt in ihrem deutschen Freundeskreis möglich gemacht haben.

Ab Zeile 921 Exmanenter Nachfrageteil

Zeile 922 Interviewfrage: Charakterliche Stärken

Im exmanenten Nachfrageteil fragt die Interviewerin Sibel nach ihren persönlichen Stärken.

[...]


[1] Anmerkung zur Zitierweise: Zeilenangaben beziehen sich auf das jeweilige Interviewtranskript im Anhang

Ende der Leseprobe aus 124 Seiten

Details

Titel
Migration als Ressource - Bildungswege von jungen Menschen mit Migrationshintergrund
Untertitel
Eine qualitative Fallstudie
Hochschule
Universität Siegen
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
124
Katalognummer
V78324
ISBN (eBook)
9783638832922
ISBN (Buch)
9783638854122
Dateigröße
1110 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Migration, Ressource, Bildungswege, Menschen, Migrationshintergrund
Arbeit zitieren
Dipl.-Päd, Dipl.-Soz-Päd Cathrin Walbergs (Autor:in), 2007, Migration als Ressource - Bildungswege von jungen Menschen mit Migrationshintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78324

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