Die Deutsche Burschenschaft: Wegbereiterin des Antisemitismus an deutschen Hochschulen?


Seminararbeit, 2000

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. Ursachen des studentischen Antisemitismus im Kaiserreich und in der Weimarer Republik
2. Antisemitismus im Kaiserreich
3. Antisemitismus in der Weimarer Republik

III. Schlussbemerkung

IV. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Diese Arbeit hat die Formen und Ausprägungen des Antisemitismus in der Deutschen Burschenschaft während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik zum Thema. Dabei soll die Radikalisierung ihres antisemitischen Vorgehens betrachtet werden. Die Burschenschaft wandelte sich von einer in ihrer Gründungszeit größtenteils liberalen und antifeudalen Verbindung, die eine große Anzahl aktiver und inaktiver jüdischer Mitglieder hatte, zu einer antidemokratischen, stark antisemitischen in der Weimarer Republik. Des weiteren soll ihre Funktion als Wegbereiterin des Antisemitismus an deutschen Hochschulen und ihr Beitrag zur Durchsetzung der Judenfeindschaft als studentische Norm untersucht werden. Die Analyse erfolgt anhand der Burschenschaftlichen Blätter, dem Verbandsorgan der Deutschen Burschenschaft. Im ersten Kapitel werden die ökonomischen und sozialen Bedingungen während des Kaiserreiches und der Weimarer Republik untersucht, die wichtige Voraussetzungen für die Herausbildung der neuen Form des modernen Antisemitismus bildeten. Schwerpunkt ist dabei die Situation der Studenten. Im zweiten Kapitel wird die Einstellung der Burschenschaft zu der aufkommenden „Judenfrage“, ihre allmähliche Anpassung an die Norm des Antisemitismus im Kaiserreich dargestellt. Im letzten Kapitel werden die Anschauungen der Burschenschafter während der Weimarer Republik analysiert. Es soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Burschenschaft die Studenten auf Hitlers Herrschaft hinführte. Nicht von ungefähr sagte Hitler 1930: „Nichts gibt mir mehr Glaube an die Richtigkeit unserer Idee als die Siege des Nationalsozialismus auf der Hochschule“.[1]

II. Hauptteil

1. Ursachen des studentischen Antisemitismus im Kaiserreich und in der Weimarer Republik

Während in den Universitäten der Restaurationszeit liberale Überzeugungen überwogen und von dort die Judenemanzipation vorangetrieben wurde, machte sich zu Beginn des Kaiserreichs ein zunehmender Antisemitismus bemerkbar. Ausgelöst wurde diese Bewegung durch den „Berliner Antisemitismusstreit“ von 1879, in dem Heinrich von Treitschke die Juden für sämtliche Missstände verantwortlich machte - sein Ausspruch „Die Juden sind unser Unglück!“ wurde zu einem Schlagwort. Legitimiert durch diesen Historiker, der zu den angesehensten und einflussreichsten Gelehrten seiner Zeit gehörte, fasste der Antisemitismus an den deutschen Universitäten schnell Fuß. 1880 wurde der erste „Verein deutscher Studenten“ gegründet, 1881 schlossen sich diese Vereine zum „Kyffhäuserverband der Vereine Deutscher Studenten“ zusammen. Sie zeichneten sich durch äußersten antisemitischen Extremismus aus und trieben die Radikalisierung der Studenten, vor allem der Verbindungen, maßgeblich voran. Der Judenhass, für den sich in dieser Zeit der Begriff „Antisemitismus“ einbürgerte, erreichte neue Dimensionen, er wurde nicht mehr hauptsächlich religiös und wirtschaftlich, sondern rassisch begründet, wodurch Juden keine Möglichkeit der Assimilation mehr gegeben war. Der Antisemitismus griff zu dieser Zeit auf alle gesellschaftlichen Bereiche über.[2]

Möglich wurde diese Radikalisierung durch die schwierige wirtschaftliche Situation des Kaiserreichs. Der „Gründerkrach“ von 1873 löste eine langanhaltende wirtschaftliche Depression aus, durch die sich die sozialen Spannungen verschärften und eine Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse hervorgerufen wurde. Die rasante Industrialisierung, der Durchbruch der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft und die damit verbundene Veränderung der Gesellschaft löste bei großen Teilen der Bevölkerung Ängste und Verunsicherung aus. Die Juden wurden in dieser Situation für alle wirtschaftlichen und politischen Missstände verantwortlich gemacht.[3]

Auch an den Universitäten verschärfte sich die Situation, es kam zu einer „Qualifikationskrise“[4], einer schweren Krise des akademischen Arbeitsmarktes zwischen 1880 und 1900. Seit den 1860er Jahren nahm die Zahl der an den Universitäten eingeschriebenen Studenten stark zu, während die der Stellen stagnierte. Diese Zunahme an Studenten geschah vor allem zugunsten des Kleinbürgertums, was wiederum bei den feudalen Eliten und dem Bildungsbürgertum die Angst vor Verlust ihrer exklusiven Stellung und der Entstehung eines „akademischen Proletariats“ hervorrief. Den sozialen Aufsteigern wurde der Berufseintritt durch restriktive Einstellungsmaßnahmen besonders schwer gemacht, es kam zu langen Wartezeiten vor allem bei den bevorzugten Stellen des Arztes und Verwaltungsbeamten. In den 1890er Jahren brach die Krise voll durch, massenhafte offene und verdeckte Arbeitslosigkeit war die Folge.[5] In dieser krisenhaften Zeit strömten sehr viele jüdische Studenten vor allem aus dem Kleinbürgertum an die höheren Schulen und Universitäten; wie die 1886 beginnende amtliche preußische Universitätsstatistik zeigt, waren sie – gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil – um 7,5% an den preußischen Universitäten „überrepräsentiert“; ähnliches galt für das übrige Reich.[6] Auch aus dem Osten kamen viele Juden an deutsche Universitäten. Sie wurden durch Pogrome, strenge Numerus Clausus-Bedingungen und Eingangsprüfungen in den Westen getrieben und erhofften sich dort soziale Aufstiegschancen. Es zog sie hauptsächlich in Großstädte, vor allem nach Berlin und Leipzig, was sie als Gruppe äußerst präsent machte. Den jüdischen Universitätsabsolventen blieb jedoch trotz der formalen Gleichberechtigung der Zugang zu staatlichen Laufbahnen versperrt, weswegen sie auf die schon überlaufenen Freien Berufe ausweichen mussten (besonders auf den Beruf des Arztes). Gezwungen durch diese ungünstigen Rahmenbedingungen brachten sie überdurchschnittliche Leistungen hervor und absolvierten das Studium in der Regel in kürzerer Zeit als ihre christlichen Kommilitonen, was den Vorwurf des „rastlosen Intellektualismus“, der „skrupellosen Verdrängung der christlichen Kommilitonen“ hervorrief.[7] Die Angst vor einer ungesicherten Existenz, vor Konkurrenz und dem Verlust der exklusiven Stellung führte dazu, dass die Studenten ihre unsichere Situation auf die Juden zurückführten. Auch das im Kaiserreich missliebige Kleinbürgertum fand in den noch schlechter gestellten Juden geeignete Sündenböcke. So entwickelte sich der Antisemitismus im Kaiserreich zur sozialen Norm des gesellschaftlichen Lebens.[8]

Zu Beginn des Krieges, der überall mit Begeisterung aufgenommen wurde, gingen die antisemitischen Einstellungen vorerst zurück. Doch bereits 1915, als der erhoffte schnelle Sieg nicht eintrat und es zu Enttäuschungen und Ernüchterung, großen Opfern und Entbehrungen in der Bevölkerung kam, brach der tief verwurzelte Antisemitismus wieder in Militär, Gesellschaft und Politik hervor. Der Krieg trug zu einer großen Verschärfung der Gegensätze und sozialen Spannungen bei, die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung verarmte; davon waren besonders die Mittelschichten betroffen. Es entstand eine Atmosphäre des Misstrauens, die sich gegen den Staat und die jüdische Minderheit richtete. Stereotype Vorurteile (wie die des jüdischen Wuchers, des jüdischen Kriegsgewinnlers und Drückebergers) entstanden oder lebten wieder auf. Die militärische Niederlage, die die Bevölkerung völlig überraschend traf, zog weitere schwerwiegende Konsequenzen nach sich. Durch Existenznot und Zukunftsangst wurden breite Kreise der Bevölkerung noch anfälliger für antisemitische Agitationen, bereits bestehende völkische, antisemitische Organisationen erhielten starken Zulauf, neue entstanden. Dabei besonders aktiv war der „Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund“, der einen massiven Kampf gegen die „Judenrepublik“ führte (er hatte einen hohen Mitgliederanteil an Akademikern von 40%).[9] Die Juden wurden für all das verantwortlich gemacht, was die Deutschen ablehnten: für die Kriegsniederlage, die Revolution, die Inflation, die Parteienkämpfe der Weimarer Republik, die sozialen Spannungen und das Diktat von Versailles. Die tief verwurzelten antijüdischen Einstellungen kamen wieder zum Vorschein und wurden von nationalen Politikern und Ideologen in zahlreichen Hetzkampagnen ausgenutzt. Dieses Klima verhalf letztendlich auch dem Nationalsozialismus in einer zusätzlich durch die Weltwirtschaftskrise geschüttelten Zeit zum Aufstieg.

In den Universitäten erhielt das Stereotyp der „Überflutung“ der Hochschulen durch Juden vor allem wegen der verheerenden wirtschaftlichen Situation der Studenten in der Anfangs- und Endphase der Weimarer Republik Relevanz. Viele Studenten lebten am Rande des Existenzminimums und konnten sich ihr Studium nur durch zusätzliche Arbeit ermöglichen. Dadurch und durch das Anwachsen der Studenten aus Kreisen der mittleren und unteren Beamten, der Handwerker und Angestellten geriet der Exklusivitätsanspruch der Studenten ins Wanken, „der Inflation des Geldes drohte [nach Meinung der Privilegierten] eine Inflation der Bildungsexklusivität zu folgen“.[10] Der Anspruch der Korporationen auf soziale Sicherheit war in der Weimarer Republik nicht mehr gegeben, sie fürchteten durch eine weitere Demokratisierung ihre frühere gesellschaftlich gesicherte Position zu verlieren. Tatsächlich kam es in den Nachkriegsjahren zu einer Frequenzexplosion im Bildungswesen; auch in der Weimarer Republik waren die Juden gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil „überrepräsentiert“, zusätzlich kamen viele Juden aufgrund von Pogromen aus dem Osten. 1932/33 standen 300 000 beschäftigten Akademikern 150 000 stellenlose gegenüber, es war ein „akademisches Proletariat“ entstanden.[11] Diese Bedingungen begünstigten ein Anwachsen des Antisemitismus und der Empfänglichkeit für nationalsozialistisches Gedankengut. Besonders die Frontsoldaten, die oftmals in doppelter Hinsicht – als Offizier und Student – privilegiert gewesen waren, konnten sich nicht mit der auf Demokratie basierenden Republik identifizieren. Es kam zu einer Glorifizierung und Mystifizierung des Kriegserlebnisses und der Volksgemeinschaft, die nach ihrer Meinung alle gesellschaftlichen Gegensätze überwunden hatte. Dieses Schützengrabenerlebnis wurde ein wichtiger Bestandteil der völkischen Bewegung innerhalb der Studentenschaft; die Blutsgemeinschaft wurde dabei als Grundlage der Volksgemeinschaft verstanden.[12] Institutionalisiert wurde diese völkische Bewegung durch den 1919 in Berlin gegründeten und sich rasch ausbreitenden „Hochschulring deutscher Art“. Auch die Deutsche Burschenschaft übernahm als mitgliederstärkste Korporation bei der Verbreitung völkischer und antisemitischer Ideen eine wichtige Funktion innerhalb der Studentenschaft.

[...]


[1] Hitler, Adolf, in: Die Bewegung, F.10, 8.7.1930, zitiert nach: Heither, Dietrich - Gehler, Michael - Kurth, Alexandra - Schäfer, Gerhard: Blut und Paukboden. Eine Geschichte der Burschenschaften, Frankfurt am Main 1997, S.100. Im Folgenden abgekürzt als: Heither, Blut und Paukboden.

[2] S.a. Berding, Helmut: Moderner Antisemitismus in Deutschland. Frankfurt am Main 1988, S.111-120. Im Folgenden abgekürzt als Berding, Moderner Antisemitismus.

[3] S.a. ebd, S.85.; Bleuel, Hans Peter, Klinnert, Ernst: Deutsche Studenten auf dem Weg ins Dritte Reich. Ideologien - Programme - Aktionen 1918-1935. Gütersloh 1967, S.20. Im Folgenden abgekürzt als Bleuel, Studenten.; Kampe, Norbert: Studenten und „Judenfrage“ im Deutschen Kaiserreich. Die Entstehung einer akademischen Trägerschicht des Antisemitismus, Göttingen 1988 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Bd.76), S. 15-18. Im Folgenden abgekürzt als: Kampe, Studenten.

[4] Kampe, Studenten, S.53.

[5] S.a. ebd, S.62.

[6] S.a. ebd, S.78; Berding, Moderner Antisemitismus, S.113.

[7] Kampe, Studenten, S. 98.

[8] S.a. Ströle-Bühler, Heike: Studentischer Antisemitismus in der Weimarer Republik. Eine Analyse der Burschenschaftlichen Blätter 1918 bis 1933, Frankfurt am Main/ Bern/ New York/ Paris 1991, S.18. Im Folgenden abgekürzt als Ströle-Bühler, Antisemitismus.

[9] Berding, Moderner Antisemitismus, S.180.

[10] Bleuel, Studenten , S.79.

[11] Ströle-Bühler, Antisemitismus, S.63; Heither, Blut und Paukboden, S.78.

[12] S.a. Ströle-Bühler, Antisemitismus, S.69-70; Bleuel, Studenten, S.92.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Deutsche Burschenschaft: Wegbereiterin des Antisemitismus an deutschen Hochschulen?
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2000
Seiten
23
Katalognummer
V78323
ISBN (eBook)
9783638837927
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutsche, Burschenschaft, Wegbereiterin, Antisemitismus, Hochschulen
Arbeit zitieren
Friederike Stoller (Autor:in), 2000, Die Deutsche Burschenschaft: Wegbereiterin des Antisemitismus an deutschen Hochschulen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78323

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