Friedrich Nietzsche und die Tradition des europäischen Aphorimus


Referat (Ausarbeitung), 2007

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Aphorismus
2.1 Der wissenschaftliche Einfluss
2.2 Der Aphorismus als literarische Gattung
2.2.1 Die europäische Tradition des Aphorismus
2.2.2 Die Entwicklung und Tradition des deutschen Aphorismus
2.3 Nietzsche und die europäische Tradition

3. Schluss

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Ausarbeitung des Referats „Friedrich Nietzsche und die Tradition des europäischen Aphorismus“ soll einen Überblick über die Entwicklung und Tradition des Aphorismus, dieser kleinen literarischen Form und Gattung, ermöglichen. Anschließend soll geprüft werden, wie Nietzsche zur Tradition steht. Dabei wird zuerst die europäische Tradition (Entwicklung) der aphoristischen Form dargestellt und in einem zweiten Teil der Versuch unternommen, Nietzsches Aphorismen in diese Tradition einzuordnen.

2. Der Aphorismus

Die gattungsästhetische Kunstform des Aphorismus - wie sie uns heute als kurzer, sinnhafter, prägnanter Ausspruch bekannt ist - bildet sich erst im Laufe einer langen Entwicklung heraus.[1] Wenn man in diesem Sinne von einer langen Entwicklung spricht, impliziert dies bereits das Vorhandensein einer Tradition, also in diesem Fall die Weitergabe und Herausbildung einer bestimmten Form und Gestalt des Aphorismus über einen langen Zeiträume hinweg. Das Wort Aphorismus als Gattungsbezeichnung hat sich außerdem erst in jüngerer Zeit, etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts, durchgesetzt. Bis dahin existierte es neben Bezeichnungen wie Maximen, Sentenz, Essay (Essai), Reflexionen oder auch Fragment.

Die Bedeutungsgeschichte des Wortes und die Geschichte der Gattung verlaufen dabei weitgehend voneinander unabhängig, wie Franz Mautner in „Der Aphorismus als literarische Gattung“[2] verdeutlicht. Demnach trage das Wort Aphorismus „als einzige literarische Gattungsbezeichnung zumindest zwei Begriffs- und Vorstellungsgruppen, von denen die eine der allgemein wissen-schaftlichen, schriftstellerischen, die andere der spezifisch poetischen Terminologie“[3] angehöre.

Da Mautners Bestimmung „poetisch“ verwirren mag, sollen im folgenden besonders zwei Einflüsse und Entwicklungen berücksichtigt werden: da wäre erstens der wissenschaftliche Einfluss, vor allem im Zusammenhang mit der antiken Medizin, und zweitens die literarische Entwicklung der aphoristischen Form.

2.1 Der wissenschaftliche Einfluss

Das Wort Aphorismus (15. Jh.) stammt aus dem Griechischen, aphorizein „abgrenzen, trennen, ab-, aussondern, auswählen“, aus apo „ab, weg“ und horismus „Begrenzung, Bestimmung, bes. Begriffsbestimmung“, zu horizein „begrenzen, bestimmen“, zu horos „Grenze“ und meint einen kurzen und treffend formulierten in sich geschlossenen Gedanken.[4]

Die Wurzeln des Begriffs sind also im Griechischen zu finden, genauer im Bereich der antiken Medizin und Naturwissenschaft. Hauptwerk der griechischen Aphoristik ist das Corpus Hippo-kratikum, ein Werk des berühmtesten Arztes der Antike, dem Begründer der Medizin als Wissenschaft, Hippokrates von Kos. Hier bezeichnet das Wort kurze, medizinische Einzel-erkenntnisse und -ratschläge.[5] An dieser Stelle wird deutlich, dass der Begriff Aphorismus wissenschaftlich beeinflusst ist, und es drängt sich die Vermutung auf, dass dieser Einfluss den Begriff nachhaltig geprägt haben muss.

Weiter „ist zu vermuten, daß mit der hippokratischen Tradition auch die Sprachform des wissen-schaftlichen Aphorismus fortgesetzt wurde, so im Regimen sanitatis Salernitanum...“[6] , einem Werk aus der berühmten Medizinschule von Salerno, das gemeinhin auf Johannes von Mailand zurück-geführt wird und von dem man vermutet, dass es aus dem 11. oder 12. Jahrhundert stammt. Ein genaues Verfassungsdatum ist nicht bekannt. Im Regimen sanitatis Salernitanum werden in Versform gesundheitliche Ratschläge erteilt, zuerst in Latein und dann in Deutsch. Ein Beispiel[7]:

Qui fluxum pateris, si non caueas, morieris,

Concubitum, niminum potum, cum frigore motum.

Wer den Durchlauf hat und sich nicht enthelt /

Von Frauen / vielen sauffen / und von Gelt /

Und sein Leib bewegt in eil /

Der wird gewieß dem Todt zu theil.

Hier ließe sich sicher streiten, ob es sich bei diesem Werk um ein Aphoristisches handelt, allein schon aus dem Grund, da es in Versform konzipiert ist. Dennoch, im Regimen sind kurze, prägnante medizinische Lehrverse verfasst und damit steht es in der Tradition des Corpus Hippokratikum.

„Der wissenschaftliche Einfluss auf das Wort Aphorismus wirkt sich noch lange Zeit aus, so in berühmten Dante-Versen (Paradiso XI, 1-9), im Französischen seit dem 14. (s. Schalk, S. 134 f.), im Englischen seit dem 16. Jahrhundert (s. Oxford Dictionary I, 384), und noch in den Aphorismi de cognoscendis et curandis morbis von Herman Boerhave (1708) sowie vereinzelt sogar bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts.“[8] Dies zeigt, dass ein Aphorismus über Jahrhunderte hinweg mit „medizinischen Lehrsätzen“ in Verbindung gebracht wurde. Die traditionelle, antike Prägung des Wortes durch die Medizin hat also Tradition und wirkt sich vereinzelt noch bis heute aus.

2.2 Der Aphorismus als literarische Gattung

Bisher wurde gezeigt, dass die Bedeutung des Wortes „Aphorismus“ durch dessen Entstehung und Gebrauch in der antiken Medizin nachhaltig geprägt worden ist. Allerdings liegen auch die Wurzeln des Aphorismus als literarische Form in der Antike, doch war die Prägung „wissenschaftlich“ zuerst nachhaltiger als die literarische Prägung, denn die wissenschaftliche Prägung hat sich im Sprachgebrauch erst einmal besser durchsetzen können.

Nichtsdestoweniger sind bereits bei Hippokrates medizinische- mit Lebenslehren verbunden und der Wille zu thematischer Kürze zu erkennen. Vita brevis – ars longa... - der wohl bekannteste (erste) Satz des Corpus Hippokratikum verdeutlicht dies sehr gut. Allerdings ist er dem Kontext einer längeren Passage entnommen (hier in deutscher Übersetzung)[9]:

Das Leben ist kurz, die Kunst lang; die Gelegenheit

flüchtig; der Versuch gefährlich; die Beurtheilung

schwierig. Es genügt nicht, dass wir Aerzte das Er-

forderliche leisten: der Kranke selbst und seine Um-

gebung, eben so wie die äussern Umstände müssen,

jeder das Seinige, zur Erreichung des Zweckes beitragen.

Der erste Satz genügt sogar schon unserer heutigen Vorstellung eines Aphorismus: thematisch kurz, prägnant, stilistisch kunstvoll und der Abschluss eines Gedankens. Zudem sieht man hier, dass sich schon die früheste Form des Aphorismus nicht auf den wissenschaftlichen oder medizinischen Themenbereich (Satz zwei) beschränkt, sondern dem medizinischen Ratschlag Philosophisches voranstellt (Satz eins). Wie man sieht, beschränken sich Aphorismen von Beginn an nicht nur auf die Medizin, sondern greifen auf andere Themengebiete über. Diese Tendenz wird in der fort-laufenden Entwicklung verstärkt.

[...]


[1] vgl. Paul Merker, Wolfgang Stammler: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 1, 2. Auflage, Berlin 2001, S. 94.

[2] Franz H. Mautner: Der Aphorimus als literarische Gattung. In: Der Aphorimus. Zur Geschichte, zu den Formen und Möglichkeiten einer literarischen Gattung. Hrsg. von Gerhard Neumann, Darmstadt 1976.

[3] ebd., S. 22.

[4] Herkunftswörterbuch. Herkunft, Geschichte und Bedeutung der Wörter. Sonderausgabe. Gütersloh 2005.

[5] vgl. Paul Merker, Wolfgang Stammler: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 1, S.94.

[6] Ebd. S.94.

[7] In: Regimen Sanitatis Salernitanum.

[8] Paul Merker, Wolfgang Stammler: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 1, S.94.

[9] Clemens von Bönninghausen:Aphorismen. Die Aphorismen des Hippokrates nebst der Glossen eines Homöopathen. Hrsg. von C. v. Bönninghausen, Leipzig 1863, S. 3.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Friedrich Nietzsche und die Tradition des europäischen Aphorimus
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für deutsche Sprache und Literatur II)
Veranstaltung
Nietzsches aphoristische Schriften
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
16
Katalognummer
V78305
ISBN (eBook)
9783638837507
ISBN (Buch)
9783638837514
Dateigröße
432 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Friedrich, Nietzsche, Tradition, Aphorimus, Nietzsches, Schriften
Arbeit zitieren
Nils Priewe (Autor:in), 2007, Friedrich Nietzsche und die Tradition des europäischen Aphorimus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78305

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