Verwandtensystem und Identität der Waise Tristan


Hausarbeit, 2006

28 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Handlungsschritte des Romans

3. Das Verwandtensystem
3.1 Verwandtschaftliche Zusammenhänge
3.2 Bedeutsamkeit der verwandtschaftlichen Beziehungen

4. Identitätsstiftende Aspekte im Tristan
4.1 Identitätsstiftung und Identitätsverleugnung durch den Namen
4.2 Identität durch Legitimation
4.3 Identität durch Vater und Vaterbild
4.3.1 Die Beziehung zum leiblichen Vater
4.3.2 Die Beziehung zum „Pflegevater“
4.3.3 Die Beziehung zum Onkel und die Bedeutung des Avunkulats im Tristan

5. Brüche in den verwandtschaftlichen Beziehungen – Brüche mit den Vätern

6. Verwandtschaft und Gesellschaft kontra Minne

7. Schluss

1. Einführung

Gottfrieds Roman Tristan ist wahrscheinlich einer der bekanntesten und für die Literaturwissenschaft auch einer der interessantesten Texte des 12. und 13. Jahrhunderts. Der Roman ist einerseits geprägt von der persönlichen Geschichte seines Helden, dem jungen Tristan, der bereits als Waise zur Welt kommt, andererseits aber auch von der Geschichte seiner Eltern, die sich in ihm spiegelt und von dem Verwandtensystem in das er hineingeboren wird.

Besonders was die Kindheit und Jugend der Waise anbetrifft, gibt es gewisse Elemente, die Gottfrieds Tristan mit anderen Helden mittelhochdeutscher Epen, wie beispielsweise Parzival und Gregorius, gemeinsam hat und die das Werk als typisch für seine Zeit charakterisieren.

So lassen sich in der Kindheit und Jugendzeit Tristans gewisse Stationen und Elemente ausmachen, die in allen vergleichbaren zeitgenössischen Epen wiederkehren und auch in den oben genannten Werken zu finden sind.

Um ihren Status in der Literatur zu rechtfertigen, müssen die Heldenkinder diese Stationen auf ihrem Weg ins Erwachsensein durchlaufe bzw. die einzelnen Elemente müssen in ihrem Lebenslauf gegeben sein.

Diese Stationen und Elemente sind: Die adelige Abstammung des Helden, die ungewöhnliche Zeugung desselben (im Tristan auf dem Totenbett des Vaters), die verborgene Geburt der Heldenkinder, die frühe Verwaisung (im Tristan quasi während der Geburt), die Gefahr in der der junge Held schwebt (hier durch den Mörder seines Vaters Morgân), die wundersame Rettung (bei Tristan durch Floraetes Scheinschwangerschaft), das ungemäße Aufwachsen (beim Marschall seines Vaters), die Offenbarung seiner Tugenden und die Offenbarung von Namen und Herkunft des jungen Helden (in Gottfrieds Werk durch den Marschall des Vaters: Rûal).[1]

Allerdings gibt es neben diesen verbindenden Aspekten gerade in der Elterngeschichte, in den verwandtschaftlichen Beziehungen und im Identitätsfindungsprozess Tristans viele Aspekte, die den Roman von den übrigen zeitgenössischen Werken abgrenzen.

Gerade diese Aspekte sind für die Literaturwissenschaft von besonderem Interesse und machen Gottfrieds Tristan zu einem außergewöhnlichen Forschungsgegenstand.

Aber egal, ob man sich jetzt auf die Betrachtung der Gemeinsamkeiten mit anderen Werken konzentriert oder stärker auf die Analyse von Atypischem und von Besonderheiten in Gottfrieds Werk, in jedem Fall verdient das Verwandtensystem um die Waise Tristan und die genaue Betrachtung der identifikationsstiftenden Elemente eine ausgiebige literaturwissenschaftliche Untersuchung.

2. Autor und Werk

Zunächst ist es jedoch zum besseren Verständnis wichtig, einige Worte über Gottfried von Straßburg zu verlieren und die Handlungsschritte des Romans kurz anzureißen.

Über den Autor Gottfried von Straßburg und die Entstehungsumstände seines Romans ist nur bekannt, was man anhand des Textes erschließen kann. Insbesondere durch zahlreiche Verweise auf andere Dichter und Autoren, lässt sich die Entstehung des Werkes um 1210 situieren. Besonders in Anspielungen verpackte Angriffe auf Wolfram von Eschenbach oder verschiedene Erwähnungen des Iwein von Hartmann von Aue sind hier nennenswert.

Da der Tristan ein Fragment blieb, darf man davon ausgehen, dass 1210 auch zugleich Gottfrieds Todesjahr war. Seine erklärte Quelle ist die klassische höfische Fassung von Thomas von Britanje, die ebenfalls nur fragmentarisch überliefert wurde.

Die Handlungsschritte betreffend, muss zunächst kurz auf die Elterngeschichte eingegangen werden. Tristans Vater Riwalîn geht nach einem Waffenstillstand mit seinem Gegner Morgân auf höfische Bildungsreise nach Cornwall zu König Marke, wo er sich in dessen Schwester Blancheflur verliebt. Im Krieg wird er schwer verwundet, zeugt aber noch auf dem Totenbett seinen Sohn. Nach kurzer Genesung fällt er jedoch in einem Verteidigungskampf um sein Land. Blancheflur stirbt bei Tristans Geburt. Tristan, der ebenfalls in Gefahr schwebt, wird von dem Marschall seines Vaters als dessen leiblicher Sohn großgezogen.

Tristan zeichnet sich bereits in seiner Kindheit durch unglaubliche Perfektion aus und gilt als eine Art Wunderkind. 14 jährig wird er von einem Kaufmannsschiff entführt und gelangt letztlich auf diesem Weg ins Reich seines Onkels Marke, wo er als vermeintlicher Kaufmannssohn eine beachtliche Stellung erreicht, bevor sein Ziehvater ihn findet und seine wahre Identität offenbart.

Als junger Ritter sichert Tristan sich das Erbe seines Vaters und rächt den Tod desselben, indem er Morgân tötet. In einem weiteren Kampf gegen Morolt den Bruder Îsôts der Älteren bleibt er zwar Sieger, wird aber vergiftet und muss daher die Hilfe jener Îsôt in Anspruch nehmen. Deshalb fährt er unter falschem Namen nach Irland und lernt dort Îsôt die Jüngere kennen, mit deren Erziehung er auch betraut wird. Nach einiger Zeit reist er zurück an den Hof Markes.

Als Markes Brautwerber will er um die Hand Îsôts der Jüngeren werben und kehrt so zurück nach Irland, wo letztlich seine wahre Identität ans Tageslicht kommt und er in einem Drachenkampf Îsôts Hand im Namen seiner Onkels gewinnt.

Auf der Rückreise entspinnt sich jedoch eine tiefe und innige Liebe zwischen Tristan und Îsôt, unter anderem weil die beiden einen Liebestrank gemeinsam trinken, der eigentliche für Marke und Îsôt bestimmt war. Dies führt dazu, dass die beiden hinter Markes Rücken eine heimliche Beziehung beginnen. Immer wieder steht ihr Verhältnis vor der Offenbarung, immer wieder gelingt es den beiden Verdächtigungen gegen sie zu zerstreuen.

Eines Tages erwischt sie Marke jedoch in flagranti, so dass Tristan endgültig fliehen muss. An der Stelle, wo der Roman unvollendet abbricht, kämpft Tristan für den Herrscher von Arundel, der im die Hand seiner Tochter Îsôt Weißhand verspricht.

Ungewiss bleibt also wie der Roman letztendlich wirklich zu Ende geführt worden wäre.

3. Das Verwandtensystem

In gewisser Hinsicht spielt die Verwandtschaft bei Tristan eine andere Rolle, als in den übrigen Werken des 12. und 13. Jahrhunderts.

Im Parzival von Wolfgang von Eschenbach beispielsweise wird der Held in ein ganzes Netz aus verwandtschaftlichen Beziehungen eingebettet. Ein riesiger Stammbaum verbindet den jungen Helden mit der gesamten Artusgesellschaft und ist damit exemplarisch für die übrigen Artusromane.

Mit diesem Verwandtennetz im Gralsroman hat das rudimentäre Familiensystem in Gottfrieds Tristan wenig gemeinsam.

In Letzterem ist das Fehlen ähnlich ausgiebiger Ahnentabellen, Stammbäume und eines großen Verwandtensystem, welche die Legitimation des Helden und dessen außergewöhnliche Abstammung untermauern könnten, unbestritten eher untypisch und fällt sofort ins Auge.

Zumal das Werk in eine Zeit fällt, in der „,adlig sein’ dann immer mehr [bedeutete], auf eine Genealogie verweisen zu können“[2].

Dennoch beschränkt sich Gottfried von Straßburg bei der Erwähnung und Beschreibung der leiblichen Verwandtschaft seines Helden, ebenso bei der Erwähnung der Familienangehörigen der weiblichen Hauptperson Îsôt, auf die allernächsten Verwandten, also auf eine Art rudimentäre Kernfamilie.

Diese minimalistische Eingliederung seines Helden in eine Dynastie wird in der Entstehungszeit vermutlich zu einigen Irritationen geführt haben.

Vor diesem Hintergrund ist es von besonderer Bedeutung die Intention des Autors für eine solche Prioritätenverschiebung im Verwandtschaftssystem näher zu betrachten.

Abgesehen davon müssen auch die „Pflegefamilie“ bei der Tristan aufwächst und die besondere Bedeutung des Avunkulats in diesem Werk in die Betrachtung der verwandtschaftlichen Beziehungen einbezogen werden, was zusätzlich interessante Aspekte aufwirft.

3.1 Verwandtschaftliche Zusammenhänge

Zunächst einmal gilt es, die Fakten in den verwandtschaftlichen Beziehungen um die Waise Tristan zu benennen, bevor im folgenden Abschnitt die Bedeutung dieser Beziehungen eingehend analysiert werden kann.

Wie bereits erwähnt, bleibt die Blutsverwandtschaft in Tristan auf die Erwähnung der Kernfamilie beschränkt. Wobei deutlich wird, dass Gottfried sowohl bei Tristan als auch bei Îsôt exakt die gleichen Verwandtschaftsgrade, bezogen auf die leiblichen Verwandten, einführt. Diese Parallele in den Verwandtenbeziehungen um die beiden Hauptpersonen lässt sich in zwei einfachen Schemata kurz darstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bei beiden Hauptpersonen ist also, die Blutsverwandtschaft betreffend, nur von den Eltern (Gurmûn und Îsôt bzw. Riwalîn und Blancheflur) und den jeweiligen Onkeln der mütterlichen Linie (Môrolt bzw. Marke) die Rede. Die übrige Verwandtschaft bleibt im Dunkeln. Allerdings muss das Tristan-Schema durch Rûal und Floraete ergänzt werden, die stellvertretend für die leiblichen Eltern stehen und Tristan wie einen leiblichen Sohn aufgezogen haben.

[...]


[1] Vgl.: PÖRKSEN, Gunhild und Uwe: Die „Geburt“ des Helden in mittelhochdeutschen Epen und epischen Stoffen des Mittelalters, in: Euphorion 74 (1980). S. 279.

[2] KELLNER, Beate: Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter (Habil.-Schrift Dresden 2000), München 2004. S. 72.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Verwandtensystem und Identität der Waise Tristan
Hochschule
Universität des Saarlandes
Note
2,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
28
Katalognummer
V78280
ISBN (eBook)
9783638837279
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verwandtensystem, Identität, Waise, Tristan
Arbeit zitieren
Jutta Schmitt (Autor:in), 2006, Verwandtensystem und Identität der Waise Tristan, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78280

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