Die Kiever Rus und die Pecenegen: Grundzüge der Kontaktgeschichte


Term Paper (Advanced seminar), 2001

22 Pages, Grade: 2,0


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Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Hauptteil
II.1. Die politische Struktur des pečenegischen Herrschaftsgebiets
II.2. Ökonomische Prämissen
II.3. Das außenpolitische Gefüge um die Mitte des 10. Jahrhunderts
II.4. Die in der PVL vermerkten Kontakte zwischen Kiever Rus‘ und Pečenegen
II.5. Widersprüche zwischen der klassischen russischen Historiographie und dem Ertrag der jüngeren Forschung

III. Zusammenfassung

IV. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Die Pečenegen, deren Name soviel wie „Schwagerstamm“ bedeutet1, werden erstmals im 8. Jahrhundert in einem uigurischen Gesandtschaftsbericht erwähnt2. Vor den Angriffen der sprachverwandten Oghusen und später der Chazaren ausweichend, überquerten sie um 890 die Volga in Richtung Westen und verdrängten die Proto-Ungarn aus ihren bisherigen Wohnsitzen. Der Sieg über die Proto-Ungarn gab den Anstoß zu deren Abwanderung in das Karpatenbecken, während die Pečenegen die pontischen Steppen in Besitz nahmen. Hier wurden sie für mehr als 150 Jahre zu Nachbarn der Kiever Rus‘, bevor sie ihrerseits um die Mitte des 11. Jahrhunderts von den aus Innerasien einwandernden Kumanen (russ. половцы) vertrieben wurden.

Die Beurteilung des Verhältnisses zwischen der Kiever Rus‘ und den vormongolischen Steppennomaden ist in den letzten Jahren in Bewegung geraten. Die stereotype Darstellung innerhalb der klassischen russischen Historiographie wird im Rahmen einer differenzierteren Betrachtung hinterfragt. Die vorliegende Arbeit wird dazu am Beispiel der Pečenegen einen Beitrag leisten.

Wichtigste literarische Quelle zur inneren Struktur des pečenegischen Herrschaftsraums in den nordpontischen Steppen ist die Schrift De administrando imperio. Es handelt sich um ein „Handbuch“, das die Einschätzungen der byzantinischen Diplomatie und die Grundmaximen ihrer Politik gegenüber den benachbarten Völkern des 9. und 10. Jahrhunderts widerspiegelt. Auch wenn die Diskussion über Autorschaft, Entstehungszeit, Zusammensetzung und Gestaltungszustand weiterhin geführt wird, ist der hohe Wert des Buches als Informationsquelle über den Zustand des byzantinischen Reiches und der zeitgenössischen Staaten unbestritten3.

Die Beurteilung der Authentizität der Повесть временных лет (als „ Nestorchronik“ geläufig), des ursprünglichen Teils der Kiever Chronik, fällt nicht nur aufgrund der komplizierten Überlieferungsgeschichte schwerer. Die älteste erhaltene Fassung findet sich in der Lavrentij-Chronik von 1377, doch hatte auch sie Vorläufer4. Schon bei der Nestorchronik handelt es sich um ein nahezu unentwirrbares Geflecht von Gehörtem, Ersonnenem und politisch bzw. religiös Gebotenem5 aus der Feder verschiedener Autoren zu verschiedenen Zeiten, so daß ihre Angaben kritisch bewertet werden müssen.

Die klassischen russischen Geschichtsschreiber haben im Zugriff auf diese Quellen das Bild von den Verhältnissen im nordpontischen Steppenraum geprägt. So glaubte B. O. Ключевский im Курс русской истории 6 bilanzieren zu dürfen:

„Тысячелетнее и враждебное соседство с хищным степным азиатом – это такое обстоятельство, которое одно может покрыть не один европейский недочёт в русской исторической жизнии“.

Zu einer ähnlichen Einschätzung war schon Ključevskijs Lehrer C. M. Соловьев7 gekommen, der den Kampf zwischen seßhaften Slaven und asiatischen Nomadenstämmen als Grundzug der russischen Geschichte sah.

Auch nach Н. М. Карамзин8 und Н. Устрялов9 waren die Kontakte zwischen Kiever Rus‘ und Pečenegen ausschließlich kriegerischer Natur.

Bei der Charakterisierung der Beziehungen zwischen Kiever Rus‘ und Steppenvölkern wurden in jüngeren Arbeiten verstärkt die ökonomischen Prämissen in den Blick genommen10. Vom stereotypen Bild der Nomaden als per se „barbarischen“ Nachbarn der Kiever Rus‘ wurde abgerückt. Statt dessen wurde untersucht, inwieweit die Notwendigkeit von Raubzügen in Gebiete seßhafter Gesellschaften aus der nomadischen Wirtschaftsweise ensteht11. Auch die Partizipation der pontischen Steppenvölker am Transithandel auf den südrussischen Wasserwegen ist in diesem Zusammenhang neu bewertet worden. Der schwache innenpolitische Organisationsgrad des pečenegischen Herrschaftsraums führte weiter zu der Frage, ob die Unterwerfung seßhafter Gebiete administrativ möglich und damit überhaupt ein Ziel „pečenegischer Politik“ sein konnte12.

[...]


1 Pritsak, Omeljan, The Pečenegs. A Case of Social and Economic Transformation, in: Studies in Medieval Eurasian History, hrsg. v. Omeljan Pritsak, London 1981, S. 5ff.

2 Göckenjan, Pečenegen, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, München/ Zürich 1993, S. 1845.

3 Belke, Klaus/ Soustal, Peter, Die Byzantiner und ihre Nachbarn. Die de administrando imperio genannte Lehrschrift des Kaisers Konstantinos Porphyrogennetos für seinen Sohn Romanos, Wien 1995, S. 9. Alle nachfolgenden Zitate und Belege beziehen sich auf diese Edition.

4 Gudzij, N. K., Geschichte der russischen Literatur. 11.-17. Jahrhundert, Halle (Saale) 1959, S. 55.

5 Gudzij, Geschichte der russischen Literatur, veranschaulicht die Entstehung der Chronik. „Die Methode, nach der eine Chronik zusammengestellt wurde, bestand darin, daß einzelne Personen, die meistens entweder aus dem Milieu des Fürstenhofes und der Bojarenschaft oder der Klöster stammten, diese oder jene Ereignisse aufzeichneten, deren Augenzeugen sie waren oder von denen sie von irgend jemand anderem gehört hatten. Diese Notizen wurden zusammen mit Legenden, Erzählungen und Sagen über verschiedene Personen oder Ereignisse in besagten Handschriften, die sich weiter auffüllten und ihr Aussehen änderten, zusammengefaßt (...)“, S. 54.

6 Ключевский, В. О., Сочинения в восьми томах. Том I: Курс русской истории. Часть 1, hrsg. v. М. Н. Тихомиров, Москва 1956, S. 68.

7 Соловьев, С. М., Сочинения в восемнадцати книгах. Книга I: История России с древнейших времен. Тома 1-2, hrsg. v. И. Д. Ковальченко, С. С. Дмитриев, Москва 1988, S. 57.

8 Карамзин, Н. М., История государства российского. Репринтное воспроизведение издания пятого, выпущенного в трех книгах с приложением «Ключа» П. М. Строева. Книга первая. Тома I, II, III, IV, hrsg. v. Д. С. Лихачев, С. О. Шмидт, Москва 1988.

9 Устрялов, Н., Русская история. Часть первая. Древняя история. Faksimile der dritten Ausgabe, Санкт Петербург 1845.

10 Vgl. Golden, P. B., Aspects of the Nomadic Factor in the Economic Development of the Kievan Rus‘, in: Ukrainian Economic History. Interpretative Essays, hrsg. v. I. S. Koropeckyj, Cambridge 1991, S. 58-101 und Noonan, Thomas S., Rus‘, Pechenegs and Polovtsy: Economic Interaction along the Steppe Frontier in the Pre-Mongol Era, in: RH Nr. 19 (= Russian History) 1992, S. 301-326.

11 Vgl. Khazanov, A. M., Nomads and the outside World, Cambridge 1984.

12 Vgl. Golden, Peter B., Imperial Ideology and the Sources of Political Unity amongst the Pre-činggisid Nomads of Western Eurasiae, in: AEMA (= Archivum Eurasiae Medii Aevi) 1982, Bd. 2, S. 37-76 und Golden, Peter B., Nomads and their Sedentary Neighbors in Pre-Cinggisid Eurasia, in: AEMA (= Archivum Eurasiae Medii Aevi) 1991, Bd. 7, S. 41-81.

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Details

Title
Die Kiever Rus und die Pecenegen: Grundzüge der Kontaktgeschichte
College
Free University of Berlin  (Osteuropa-Institut)
Course
Die Ostslaven. Ihre Herkunft, Landnahme und frühe Kontaktgeschichte.
Grade
2,0
Author
Year
2001
Pages
22
Catalog Number
V7819
ISBN (eBook)
9783638149488
File size
532 KB
Language
German
Notes
Keywords
Kiever, Pecenegen, Grundzüge, Kontaktgeschichte, Ostslaven, Ihre, Herkunft, Landnahme, Kontaktgeschichte
Quote paper
Christian Tegethoff (Author), 2001, Die Kiever Rus und die Pecenegen: Grundzüge der Kontaktgeschichte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7819

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Title: Die Kiever Rus  und die Pecenegen: Grundzüge der Kontaktgeschichte



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