Theodor Storm 'Hans und Heinz Kirch' - Eine didaktische Reflexion


Seminararbeit, 2007

13 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einführung

II. Reflexion des Inhalts
II. 1. Die Sprache und Stilistik in Hans und Heinz Kirch
II. 2. Symbolik und Motive - Die Bedeutung von Schifferstuhl und Bürgerglocke

III. Didaktische Reflexion
III. 1. Zielsetzungen hinsichtlich des Textverständnisses und der Interpretation
III. 2. Mögliche Schwierigkeiten bezüglich des Textverständnisses
III. 3. Pro-/ Contra-Abwägung hinsichtlich der schulischen Thematisierung des Werkes

I. Einführung

Die vorliegende Arbeit, in deren thematischem Mittelpunkt das Werk Hans und Heinz Kirch von Theodor Storm steht, befasst sich zunächst mit der Sprache und Stilistik, die der Autor verwendet bzw. speziellen dialektalen Eigenheiten und der Problematik von Fachtermini aus dem Bereich der Seefahrt bzw. veralteten Begrifflichkeiten, die Schülern einer Mittelstufe Schwierigkeiten hinsichtlich des Textverständnisses bereiten könnten. Die Stormsche Symbolik, die in der kontextualen Heraushebung traditionell überlieferter und über Jahrhunderte hinweg nicht in Frage gestellter städtischer Rituale, wie etwa des Schifferstuhls oder der Bürgerglocke, ihren Ausdruck findet, wird ebenso thematisiert wie eine didaktische Analyse, auf die das Hauptaugenmerk der Arbeit gerichtet sein soll. Sie umfasst zum einen didaktische Zielsetzungen, also auf welche Weise Schüler mit dem Text konfrontiert werden können bzw. inwieweit Interpretation und Bezug zur heutigen Zeit verknüpft werden können, und zum anderen mögliche Verständnisschwierigkeiten, die sich den Schülern aus dem Textverständnis bzw. deren Interpretation heraus ergeben könnten. Zuletzt sollen einige Pro- und Contra-Aspekte, ob das Werk im Kontext der Schule gelesen werden sollte bzw. warum eventuell nicht, einander gegenübergestellt werden.

II. Reflexion des Inhalts

II. 1. Die Sprache und Stilistik in Hans und Heinz Kirch

Der Sprachstil, den Theodor Storm in seinem Werk Hans und Heinz Kirch durchgängig verwendet, darf wohl mit Recht als weitgehend leicht verständlich und gemessen an der Verständnisfähigkeit eines Schülers der Mittelstufe Gymnasium als altersangemessen klassifiziert werden. Der Wortschatz entspricht überwiegend dem gängigen Umgangswortschatz, so dass erklärungsbedürftige Fremdwörter weitgehend außen vor bleiben.

Hinsichtlich der verwendeten Satzkonstruktionen ist zu vermerken, dass diese ebenso als leicht und gut verständlich einzuschätzen sind, da Storm auf eine Verkomplizierung des Satzbaus bzw. der Syntax etwa durch komplizierte Wendungen, die Verwendung von Einschüben oder ausgefeilte Nebensatzkonstruktionen, die das Verständnis erschweren dürften, verzichtet.

Mögliche Schwierigkeiten, die bei der Bearbeitung des Werkes in einer Klasse der gymnasialen Mittelstufe auftreten könnten, sind sprachliche Probleme hinsichtlich des - wenn auch seltenen - Gebrauchs plattdeutscher Ausdrücke. Als Beispiel genannt sei Hans Adam Kirchs Reaktion darauf, dass die Mutter Heinz Kirch auf einem Rummelplatz zuvor einen Sirupkuchen gekauft hat; er begegnet ihr mit den Worten all wedder´n Dreling umsünst utgeb´n1 (im Sinne von: wieder mal ein paar Pfennige umsonst ausgegeben). Ebenso wird eine ältere Verwandte Wiebs als Möddersch2 im Sinne einer alten Frau oder Mutter bezeichnet. Die zwei genannten Beispiele für die Verwendung plattdeutscher Sprache zeigen aber ebenso, dass sich das Gesprochene ebenso aus dem Kontext erklären kann; zudem dürften bestimmte plattdeutsche Ausdrücke bzw. Termini eher belustigend bzw. interessenserweckend wirken.

Weitere Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Verständnis des Werkes anzusprechen sind, beziehen sich auf die verwendeten Termini, die der Seefahrt oder dem Schiffswesen entstammen. Bei der Beschreibung der Kirchendekoration fallen Begrifflichkeiten wie Barkschiff3 für Dreimaster bzw. Takelwerk für die Gesamtheit der Segeleinrichtung eines Schiffes. Andere Beispiele wären das Verb spleißen4 für die richtige Verflechtung zerrissener Taue in der Schifffahrt oder Fachtermini aus der Seemannssprache für das Inventar, die Räume oder sonstiges Zubehör auf Hochseeschiffen (wie etwa Klüversegel, Fallreepstreppe). Verglichen mit Theodor Storms wohl bekanntestem, zumindest im gymnasialen Bereich wohl meistgelesenem Werk Der Schimmelreiter beinhaltet Hans und Heinz Kirch aber weitaus weniger erklärungsbedürftige Ausdrücke, was die detailreiche Darstellung der Landschaft anbelangt.

Ein generelles Verständnisproblem bei Texten aus dem 18. und 19. Jahrhundert begegnet dem Rezipienten ebenso bei der zu thematisierenden Stormschen Lektüre; so sind es veraltete Begrifflichkeiten, die den Schüler vor Hindernisse stellen, die es mit Hilfe der Erklärung der Lehrkraft zu überwinden gilt. Derartige mittlerweile antiquierte Termini entstammen in erster Linie dem Bereich veralteter oder ungebräuchlicher Begrifflichkeiten für Berufsbezeichnungen (Setzschiffer5 für Schiffsführer in der Küstenschifffahrt, der nicht Schiffseigentümer ist, bzw. Ökonom6 im Sinne von Verwalter). Ebenso wären veraltete Maße bzw. Münzbegriffe anzuführen, die dem Schüler als unverständliche Begriffe gegenübertreten (Kupfersechsling, Dublonen). Derartige Ausdrücke müssten seitens der Lehrkraft kurz und präzise erläutert werden. Voraussetzung dafür ist, dass der Lehrer die Termini selber zu erklären weiß oder zumindest deren Bedeutung vorher nachgeschlagen hat.

II. 2. Symbolik und Motive - Die Bedeutung von Schifferstuhl und Bürgerglocke

Der Vater-Sohn-Konflikt im 19. Jahrhundert dargestellt durch die beiden Protagonisten Hans und Heinz Kirch rückt zumindest vordergründig als Hauptmotiv des Werkes in dessen Mittelpunkt; verbunden damit sind Erwartungen hinsichtlich des beruflichen bzw. späteren sozioökonomischen Status, die seitens des Vaters an den Sohn herangetragen, von diesem aber wiederum negiert werden. Dem Werk immanent ist ein immerwährendes Spannungsverhältnis zwischen häuslichen bzw. gesellschaftlichen Erwartungshaltungen versus einer an Eigenverantwortung orientierten freien Selbstentfaltung. Winfried Freund hingegen kognifiziert den Vater-Sohn-Konflikt lediglich als vorgeschobenen vordergründigen Aspekt; in Wahrheit thematisiere Storm durch die Konstruktion des Konfliktes die Gefährdung der Humanität durch die an wirtschaftlichem Wachstum orientierte Arbeitsmoral. Die Engstirnigkeit dieser Moral spiegelt sich symptomatisch in der räumlich-zeitlichen Begrenzung des Wirkungskreises der handelnden Personen wider.

Der schicksalhafte Verlauf der Novelle - Freund bezeichnet sie als bürgerliche Tragödie - wird durch die ausschließliche Bindung der Bürger an diese Arbeitsmoral begründet. Der Mensch unterwirft sich dabei ausschließlich dem Prinzip der Tüchtigkeit, die zu Ertragssteigerung und wirtschaftlichem Erfolg führen soll. Die konfliktbeladenen Konsequenzen seines Handeln erlebt er dabei nicht primär in seinem gewerblichen Treiben, sondern daheim im familiären Umfeld. Er nimmt sie als eine Art „Fügung höherer Gewalt“ starrsinnig hin und erkennt sich nicht selber als deren eigentlicher Verursacher.

Als auffallend in Storms Werk lässt sich die fortwährende Präsenz der symbolhaften Darstellung klassifizieren. Die erste Großaufnahme der Örtlichkeit zu Beginn zeigt nämlich nicht die Menschen als handelnde Individuen - sie treten erst später in Erscheinung - sondern die sogenannte Bürgerglocke des Ortes. (...in einem Balkengestelle noch auf dem Markt hing vor kurzem, wie seit Jahrhunderten, die so genannte Bürgerglocke; um zehn Uhr abends, sobald es vom Kirchturm geschlagen hatte, wurde auch dort geläutet, und wehe dem Gesinde oder auch dem Haussohn, der diesem Ruf nicht Folge leistete; denn gleich danach konnte man straßab und -auf sich alle Schlüssel in den Haustüren drehen hören.)7

Raum uns Zeit werden durch die Existenz und das Wirken der Bürgerglocke eingegrenzt; der Mensch bewegt sich innerhalb der räumlich-zeitlichen Dimension nach unwandelbar feststehenden Rhythmen. Die Bürgerglocke stellt ein Symbol einer streng geregelten Lebensführung dar, die keine Ausnahme zulässt. Um zehn Uhr abends ist mit dem Schlagen der Glocke der Tag für den Menschen, der als ersetzbarer Typ, nicht als Individuum, das eigene Regeln und Normen kennen würde, auftritt, beendet; nun gilt es Kraft für die Arbeit am nächsten Tag zu tanken. Die Welt des Bürgers unterwirft sich den starren Prinzipien der Arbeitsamkeit. Pünktlichkeit und Pflichttreue spielen in dieser strengen Welt der Enthaltsamkeit und der Arbeitsamkeit als Kardinalstugenden darin eine tragende Rolle.8

Als weiteres Symbol, um das sich das Leben und Handeln der Menschen in der Stadt rankt, lässt sich der Schifferstuhl klassifizieren. Der Lebensweg der Menschen folgt klar umrissenen Stationen, so dass das Ziel jedes einzelnen somit vorbestimmt, also prädestiniert, ist. Das Lebensziel richtet sich aus am wirtschaftlichen Erfolg, der wiederum am sozialen Aufstieg vom Schiffsjungen über den selbständigen Kapitän, den Reeder bis hin zum Senator orientiert ist. Oben angekommen zu sein, bedeutet im hochgelegenen Schifferstuhl der Kirche Platz nehmen zu dürfen und damit den in der Kleinstadt weniger Potenten auch symbolisch entrückt zu sein. (Es ist begreiflich, dass auch manchen jungen Matrosen oder Steuermann aus dem kleinen Bürgerstande beim Eintritt in die Kirche statt der Andacht ein ehrgeiziges Verlangen anfiel, sich auch einmal den Platz dort oben zu erwerben, und dass er trotz der eindringlichen Predigt dann statt mit gottseligen Gedanken mit erregten weltlichen Entschlüssen in sein Quartier oder auf sein Schiff zurückkehrte.)9

Die Beschreibung des Äußeren Hans Kirchs lässt ebenso in symbolischer Repräsentation Rückschlüsse auf dessen Wesensmerkmale und Charaktereigenschaften zu. (an allen Ostseeplätzen kannte man den kleinen hageren Mann in der blauen, schlotternden Schifferjacke, mit dem gekrümmten Rücken und dem vornüberhängenden dunkelhaarigen Kopfe;)10

Seine hagere Gestalt mit dem gekrümmten Rücken stellt geradezu ein Abbild seiner freudlosen, asketischen Einstellung dar, die nur materiellen und sozioökonomischen Erfolg kennt, allerdings kaum menschliche Wärme, Mitgefühl bzw. Rücksicht gegenüber der Familie.11 Seine Unermüdlichkeit, seine Rastlosigkeit, sein zähes Ringen um wirtschaftlichen Erfolg lassen sich somit bereits an seinem äußeren Erscheinungsbild erkennen.

III. Didaktische Reflexion

III. 1. Zielsetzungen hinsichtlich des Textverständnisses und der Interpretation

Die Schüler sollen den Generationenkonflikt, dargestellt anhand der beiden Protagonisten Hans und Heinz Kirch, anhand einer exakten Textanalyse erkennen. Als motivierenden Einstieg in die Textanalyse könnte man sich z. B. den Vergleich zwischen dem literarischen Text und der Verfilmung von 1975 vorstellen. Dazu müsste man für den Film zwei Doppelstunden einrechnen, da dieser etwa 88 Minuten dauert. Hinsichtlich des Films könnte die Lehrkraft die Schüler herausfinden lassen, wo der Regisseur Verkürzungen vornimmt, eventuell welche Gegebenheiten komplett herausgelassen oder zumindest stark verkürzt dargestellt werden. Interessant wäre auch, wie die Darstellung im Film hinsichtlich der Stormschen Symbolik etwa bezüglich des Schifferstuhls oder der Bürgerglocke erfolgt. Inwieweit sind diese Symbole erfahrbar, also hört man beispielsweise die Bürgerglocke läuten, oder werden die symbolischen Repräsentationen in der filmischen Darstellung bewusst außen vor gelassen? Sollten die Symbole repräsentiert sein, wäre es interessant zu untersuchen, welchen Stellenwert sie im Film einnehmen, etwa indem man untersucht, ob sie filmisch hervorgehoben sind z.B. durch bestimmte Kameraeinstellungen, die die Existenz und das Wirken des Schifferstuhls hervorheben.

Die Novelle selber basiert auf einem realen Geschehen im Ort Heiligenhafen an der Ostsee. Während eines Besuchs seiner ältesten Tochter Lisbeth und ihres Mannes, des Pastors Gustav Haase, in dem Hafenstädtchen im September 1881 erfuhr Storm von seinem Schwiegersohn die Geschichte von dem kleinen aufstrebenden Schiffer Brandt und dessen Sohn Christian.

[...]


1 Vgl. Storm, Theodor: Hans und Heinz Kirch, Husum 2005, S.7.

2 Ebd. S. 11/12.

3 Ebd. S. 6.

4 Ebd. S. 8.

5 Vgl. Storm, Hans und Heinz Kirch, S. 6.

6 Ebd. S. 55.

7 Vgl. Storm, Hans und Heinz Kirch, S. 5.

8 Vgl. Freund, Winfried: Erzählungen und Novellen des 19. Jahrhunderts (Band 2), Stuttgart 1990, S. 304.

9 Vgl. Storm, Hans und Heinz Kirch, S. 6.

10 Ebd. S. 6.

11 Vgl. Freund, Erzählungen und Novellen, S. 307.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Theodor Storm 'Hans und Heinz Kirch' - Eine didaktische Reflexion
Hochschule
Universität Regensburg  (Phil. Fakultät)
Veranstaltung
Novelle im Deutschunterricht
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
13
Katalognummer
V78033
ISBN (eBook)
9783638828741
ISBN (Buch)
9783638831970
Dateigröße
414 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theodor, Storm, Hans, Heinz, Kirch, Eine, Reflexion, Novelle, Deutschunterricht
Arbeit zitieren
Holger Hufer (Autor:in), 2007, Theodor Storm 'Hans und Heinz Kirch' - Eine didaktische Reflexion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78033

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