Raum und Zeit in Chrétien de Troyes 'Lancelot' (Vers 1836 - 1914)


Seminararbeit, 1995

15 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

0. Einleitung

1. Das Raum- und Zeitverständnis im Mittelalter
1.1. Das Verhältnis von Weite und Enge
1.2. Die Zeitkomponente

2. Raum und Zeit im Lancelot-Roman
2.1. Motive zur Strukturgestaltung der avanture
2.2. Die Zeitmodellierung
2.3. Die Ausgestaltung des Raumes

3. Der "Cimetière futur"
3.1. Übersetzung (Vers 1836 - 1914)
3.2. Die besondere Stellung des "Cimetière futur"
3.3. Die Bedeutung des Friedhofs
3.4. Der Raum des Friedhofs
3.5. Christologische Aspekte

4. Schlußwort

5. Bibliographie

0. Einleitung

In dieser Hausarbeit im Rahmen des Seminars zum Werke Chrétien de Troyes, möchte ich unter besonderer und exemplarischer Berücksichtigung der Episode des "Cimetière futur" (Vers 1834-1914) im Roman "Le Cevalier de la Charrette", das Problem der Darstellung von Raum und Zeit in der mittelalterlichen Literatur aufzeigen.[1]

Dazu erscheint es mir notwendig, zunächst allgemein in das Phänomen des Raum- und Zeitverständnisses im Mittelalter einzuführen.

Die Einflüsse dieses für das Mittelalter typischen Umgangs mit den beiden Komponenten auf den höfischen Roman sollen einmal anhand eines kurzen Überblicks über die Raum- und Zeitverhältnisse im Lancelot-Roman (im Besonderen Vers 1500-3141) sowie der ausführlichen Beschäftigung der bereits genannten Friedhofsepisode (Vers 1834-1914) deutlich werden.[2]

Auf die christologischen Aspekte, die insbesondere im Lancelot-Roman wichtig sind , wird im Zusammenhang mit dem gewählten Abschnitt hingewiesen.

1. Das Raum-und Zeitverständis in Mittelalter

1.1. Das Verhälnis von Weite und Enge

Das Raum-und Zeitverständnis des mittelalterlichen Menschen ist in erster Linie bestimmt von seiner alltäglichen Umgebung. Diese besteht zumindest für einen großen Teil der Bevölkerung aus dem Lebensraum "Stadt".[3] Das Leben in der Stadt ist vor allem gekennzeichnet durch die Enge, die innerhalb der Stadtmauern herrscht. Die extreme Nähe zu anderen Menschen , das Leben auf engstem Raum und die daraus resultierenden Probleme prägen das allgemeine Bewußtsein der Menschen. J. Le Goff schreibt dazu:

"...ruelles étroites, les villes ramassées en noeud sur

elles-mêmes...".[4]

Da es auf diesem dicht bevölkerten, zivilisierten Raum immer wichtiger wird, Ordnung und Sicherheit für die einzelnen Gruppen zu gewährleisten, gewinnt die hierarchisch organisierte Struktur der Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Der Stand des Einzelnen legt die Position der eigenen Person fest und bestimmt so das Verhalten und auch die Erwartungen der mittelalterlichen Menschen.

Diese Ordnung wurde vor allem durch Gegensätze definiert. Man war entweder arm oder reich, adlig oder nicht adlig. Auch die Struktur der herrschenden Mächte enthält das Gepräge dieses kontrastierenden Denkens.

In diesem Bewußtsein bedeutet die definierte Umgebung und die "Enge" des sozialen Systems nicht Einengung des Individuums oder Resignation aufgrund der Unmöglichkeit seine persönliche, gesellschaftliche Position zu ändern. Vielmehr garantiert diese Enge Sicherheit und Schutz der eigenen Person.

Doch dieses Phänomen der "Enge" wäre kein mittelalterliches, gäbe es kein Gegenstück dazu.

Ihm steht die "Weite" als ein Ort gegenüber, an dem die Regeln und Gesetze der "Enge" nicht gelten, an dem der Einzelne sich bedroht und unsicher fühlen muß.

Wie P. Zumthor in seiner Beschreibung der Entwicklung des mittelalterlichen Menschen hin zum Menschen der Renaissance deutlich herausstellt, löst die "Weite" im Mittelalter eine ungeheure Angst vor dem Unendlichen ("L'infini") aus.[5]

Gerade die beginnenden Erkundungs- und Eroberungsfahrten dieser Zeit stellen der zivilisierten Gesellschaft ein immer ausführlicher beschriebenes Bild des "Dortigen" entgegen. Ist man hier bekleidet, so ist man dort nackt. Gilt hier das Reiten als die bevorzugte und angemessene Fortbewegungsart, so geht man dort nur stets zu Fuß.

Gleichzeitig scheint man dort Alles zu finden, was sich nicht in die eng umrissene Ordnung des Mittelalter passen läßt. Das Böse und Teuflische ist dort genauso anzutreffen, wie Monster, Wilde, Zwerge und sonstige degenerierte Daseinsformen.

Für den mittelalterlichen Menschen ist es zunächst schwer nachzuvollziehen, daß es diese neuentdeckten Kontinente tatsächlich gibt, bleiben sie für ihn doch genauso unwirklich wie die fiktiven Länder in den Erzählungen und Romanen. Nichts spricht zu Anfang dafür, daß es sie tatsächlich gibt, denn weder die Bibel noch die antiken Sagen erwähnen deren Existenz.

So werden verschiedene Begriffe gleichermaßen für fiktive Orte in der Literatur und für wirkliche Länder weitab von der hier erlebbaren Realität ("ici", "proche") gebraucht.

P. Zumthor nennt die Begriffe "l'autre, l'ailleurs, le lointain, l'etrange, l'exterieur", die generell Unbekanntes bezeichnen.

1.2. Die Zeitkomponente

Zum Begriff der Zeit im Mittelalter erläutert P. Zumthor am Beispiel des höfischen Romans, daß die Zeit als Verlaufskomponente nur sekundär neben der der Raumveränderungen existiert.[6]

Der Ablauf eines Tages wird seltener durch die Angabe des Zeitpunktes der Ereignisse als vielmehr durch die Beschreibung der einzelnen Taten oder Begebenheiten in ihrer Aneinanderreihung geschildert. Ein Vorgang dauert stets so lange, bis etwas Neues einsetzt.

In der mittelalterlichen Literatur wird häufig zur Gliederung der einzelnen aufeinanderfolgenden Ereignisse die Partikel "si" verwendet, welche anzeigt, daß jetzt eine neue Handlung einsetzt:

"...revenoit arrière,

si li vient..." (Vers 1846/1847).

Eine weitere Möglichkeit, auf den Verlauf der Zeit hinzuweisen, ist das Zurückgreifen auf den durch Gebetstermine geregelten Tagesablauf der Mönche

Diese Variante ist vor allem auch im Lancelot-Roman im Zusammenhang mit den christologischen Aspekten dieses Textes beliebt. Ein Beispiel aus der gewählten Episode soll dies zeigen:

"...s'ont jusqu'a none chevalchié..." (Vers 1836).

Das Tagwerk bestimmt das Zeitgefühl des mittelalterlichen Menschen.

2. Raum und Zeit im Lancelot-Roman

2.1. Motive zur Strukturgestaltung der avanture

Bevor ich zu der Ausgestaltung der genannten Aspekte in der Friedhofsepisode im einzelnen komme, möchte ich einen kurzen Überblick über den bisherigen Verlauf des avanture-Wegs Lancelots geben.

Der Weg des Protagonisten wird geprägt von seinem Aufstieg auf den Karren der Geächteten (Vers 375ff). War er bisher namenlos, so trägt er nun den Makel dieser Karrenfahrt wie ein Kainszeichen an sich.[7] Die Schande ist das erste bestimmende Motiv in der Erzählstruktur. Es begleitet den "Chevalier de la Charrette" in abnehmenden Maße. Im Gegensatz dazu wird das zweite Motiv, das der Auserwähltheit des Chevaliers, immer klarer erkennbar, bis es mit der Passage der Schwertbrücke (Vers 3004ff) das Motiv der Schande gänzlich verdrängt hat.

Das dritte Motiv schließlich stellt den eigentlichen Auslöser der avanture Lancelots dar. Seine eigenartige Hingabe an die entführte Königin raubt ihm einerseits den Verstand (vergl. Vers 565-570) und ist doch gleichzeitig die Quelle seiner Kraft und seines Mutes (vergl. Vers 1213ff).[8]

Diese Motive führen durch den ganzen Roman hindurch.

2.2. Die Zeitmodellierung

Äußerlich wird der Roman durch die Aneinanderreihung von verschiedenen Episoden gegliedert. Diese sind jedoch bloße, von den drei verschiedenen Motiven abhängige Variationen der mehrschichtigen Grundsituation[9] die völlig ungleichmäßig über den Zeitverlauf der sechs Tage zwischen der Karrenfahrt und der Passage der Schwertbrücke verteilt sind.[10]

Es gibt Tage, an denen sehr viel geschieht, und die Zeitangaben helfen folglich das Nacheinander der Ereignisse zu verdeutlichen. Als Beispiel soll der dritte Tag nach der Karrenfahrt gennant werden, in welchen auch die Episode des des "Cimetiètre futur" fällt (Vers 1836-1943):

[...]


[1] Die Versangaben richten sich nach der Ausgabe von MÉLA, Charles (Hg.): Chrétien de Troyes. Le Chevalier de la Charrette. Paris, 1992.

[2] Die Übersetzung der Episode befindet sich unter 3.1. der Arbeit.

[3] Zur Bedeutung der Stadt im Mittelalter vergl. v.a. ROSSIAUD, Jacques: Le Citadin, Seite 159-200. In: LE GOFF, Jacques (Hg.): L'homme médiéval. Paris, 1989.

[4] LE GOFF, Jacques : L'homme médiéval. In: LE GOFF, Jacques (Hg.): L'homme médiéval. Paris, 1989.

[5] ZUMTHOR, Paul: La mesure du monde. Paris, 1993. Kap.13/14.

[6] ZUMTHOR, Paul: La mesure du monde. Paris, 1993;Kap 10.

[7] HAUG, Walter: "Das Land, von welchem niemand wiederkehrt". Tübingen, 1978. S. 34-36.

[8] Dem sogenannten "pansif"-Motiv ordnet HAUG, W. besondere Bedeutung zu . S. 36/37.

[9] HAUG, W.: S.37-46.

[10] HAUG, W. erwähnt die Besonderheit dieser Struktur im Vergleich zum Yvain und Erec Roman von Chrétien de Troyes. S.34.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Raum und Zeit in Chrétien de Troyes 'Lancelot' (Vers 1836 - 1914)
Hochschule
Universität Münster  (Romanistik)
Veranstaltung
Proseminar: Chrétien de Troyes
Note
1,5
Autor
Jahr
1995
Seiten
15
Katalognummer
V7800
ISBN (eBook)
9783638149372
ISBN (Buch)
9783640898855
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Raum, Zeit, Chrétien, Troyes, Lancelot, Proseminar, Chrétien, Troyes
Arbeit zitieren
Gerdi Ziegler (Autor:in), 1995, Raum und Zeit in Chrétien de Troyes 'Lancelot' (Vers 1836 - 1914), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7800

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