Parasoziale Interaktion


Hausarbeit, 2002

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Parasoziale Interaktion
1.1 Die „Illusion“
1.2. „So-tun-als-ob“
1.3. „sich hineinversetzen“

2. Parasoziale Beziehungen
2.1. Der „Medienfreund“
2.2. Empirische Ergebnis

Schluß

Literaturverzeichnis

Einleitung

Der Begriff „parasoziale Interaktion“ wurde von den amerikanischen Psychiatern Donald Horton und Richard R. Wohl geprägt. Horton und Wohl untersuchten in den 50er Jahren den Umgang des Rezipienten mit den sich rasch verbreitenden Massenmedien Radio, Fernsehen und Kino. Wichtig war ihnen dabei vor allem die Frage, welche psychischen Prozesse bei der Rezeption ablaufen. In ihrem 1956 veröffentlichten Aufsatz ,,Mass communication and parasocial interaction: Observation on intimacy at a distance" (Horton/Wohl, 1956), beschreiben sie das Phänomen, das Zuschauer gegenüber den Personen auf dem Bildschirm in ähnlicher Weise reagieren, wie in zwischenmenschlichen Interaktionsprozessen: Sie verhalten sich so, als ob sie von ihnen persönlich angesprochen seien.[1] Diese simulierte Interaktion nennen sie „parasoziale Interaktion“. Mit diesem Konzept lehnten Horton und Wohl die damals verbreitete Vorstellung von Zuhörern bzw. Zuschauern als passive Beobachter des Geschehens ab und verwarfen Rezeptionsmodelle, die die Massenmedien in Analogie zu Träumen und Phantasien interpretieren. 1957 folgte eine Arbeit von Horton und Strauss, in welcher die anfängliche Idee weiter entwickelt und präzisiert wurde. Dennoch blieben einige Aspekte des ursprünglichen Konzepts unklar, was leider dazu führte, daß dieses Konzept in der Vergangenheit häufig mißverstanden wurde und lange Zeit ein „Schattendasein“ in der Kommunikationswissenschaft führte (Mikos, 1996, S. 97). Die geringe Beachtung, die dieses Konzept in der Kommunikationswissenschaft erfuhr, kann zudem darauf zurückgeführt werden, daß sich die Forschung zur interpersonalen Kommunikation und die Massenkommunikationsforschung zunächst als zwei mehr oder weniger voneinander getrennte Disziplinen mit unterschiedlich theoretischen Hintergründen und Forschungsschwerpunkten entwickelt haben (Frey, 1996, S. 145). Nachdem aber die Massenkommunikationsforschung sich Jahrzehnte vordergründig mit der Frage beschäftigt hatte, ob Medien Einstellungs- und somit auch Verhaltensänderungen bewirken könnten, rückte in den letzten Jahren immer mehr die Frage in den Vordergrund, wie die Zuschauer mit dem Fernsehen umgehen und welche psychischen, sozialen und emotionalen Prozesse bei der Rezeption ablaufen. Auf der Suche nach neuen Erklärungsansätzen, u.a. auch für den großen Erfolg von Sendeformen wie „game shows“, „soap operas“ oder „talk shows“, wurde das Konzept der „parasozialen Interaktion“ wiederentdeckt und die Forschungen in diesem Bereich vorangetrieben. Der 1996 erschienene Band „Fernsehen als ‚Beziehungskiste’. Parasoziale Beziehungen und Interaktionen mit TV-Personen“ (Vorderer, 1996) gibt einen Überblick über die aktuellen Forschungsergebnisse. Diese Arbeit versucht, anhand dieses Buches, einige Unklarheiten des ursprünglichen Konzeptes aufzuklären. Zunächst wird im ersten Kapitel versucht, den Begriff „parasoziale Interaktion“ genauer zu definieren und zu klären, wie es zu parasozialer Interaktion kommen kann und ob es dazu einer Adressierung an die Zuschauer bedarf. Das zweite Kapitel dieser Arbeit beschäftigt sich mit parasozialen Beziehungen, die sich aus vorangegangener parasozialer Interaktion ergeben können und versucht zu klären, welchen Stellenwert diese Beziehungen im realen sozialen Gefüge haben und ob der Zuschauer über das Erleben von medial vermittelten Beziehungen zu Fernsehfiguren soziale Mangelgefühle kompensieren können.

1. Parasoziale Interaktion

1.1. Die ,,Illusion"

Die amerikanischen Psychiater Horton und Wohl hatten beobachtet, daß sich Zuschauer gegenüber den Personen auf dem Bildschirm nicht nur distanziert beobachtend verhalten, sondern auf sie reagieren: Die Rezeption sei häufig nicht nur von mimischen oder anderen nonverbalen Kommunikationsformen begleitet, sondern auch von verbalen Äußerungen:

„This simulation of conversational give and take may be called parasocial interaction” (Horton/Wohl, 1956, S. 215).

In der Arbeit von Horton und Wohl fehlt allerdings eine genauere Definition des Begriffs „parasoziale Interaktion“. Im allgemeinen weist der Begriff „Interaktion“ auf Prozesse der ,,Wechselbeziehung bzw. Wechselwirkung zwischen zwei oder mehreren Größen" (Graumann, 1972) hin. „Soziale Interaktionen“ können also als ein wechselseitiges Geschehen zwischen mindestens zwei Personen, die sich gegenseitig wahrnehmen, sich aneinander orientieren und aufeinander reagieren, definiert werden. Diese Definition von Interaktion bezieht sich eindeutig auf die interpersonale Kommunikation. Diese unterscheidet sich jedoch deutlich von der massenmedial vermittelten Kommunikation: Während sich die Individualkommunikation an ein bestimmtes, unmittelbar anwesendes Individuum richtet, richtet sich die Massenkommunikation an ein, tendenziell beliebiges, räumlich entferntes und disperses Publikum. Der wichtigste Unterschied liegt allerdings darin, daß die massenmedial vermittelte Kommunikation, aufgrund der technischen Gegebenheiten, im Gegensatz zu interpersonaler Kommunikation nicht wechselseitig, sondern einseitig ist. Die Zuschauer sind auf eine „Beobachterrolle“ begrenzt und haben nur keine Antwortmöglichkeit und kein Einfluß auf den Ablauf des Geschehens. Der Begriff „soziale Interaktion“ scheint daher auf eine Interaktion zwischen Zuschauern und Fernsehfiguren nicht anwendbar zu sein. Doch im Zusammenhang mit der Vorsilbe ,,para-" bekommt soziale Interaktion eine ganz andere Dimension. Die Vorsilbe ,,para-" stammt aus dem Griechischen und bedeutet sowohl „bei, neben" als auch „gegen, abweichend“. Der von Horton und Wohl zum ersten Mal verwendete Begriff „parasoziale Interaktion“ weist somit eine vielschichtige Bedeutung auf. Der Impuls, der zur Entstehung des Begriffs geführt habe, sei nach Angaben des Medienwissenschaftlers Hans Wulff eben diese Zweideutigkeit, die das Präfix impliziert. Man spreche deshalb von parasozialer Interaktion, da:

,,das, was zwischen abgebildeten Personen und uns geschieht, dem ähnelt, was sich im täglichen Leben zwischen uns und realen Personen ereignet, und sich zugleich fundamental von jenem unterscheidet" (Wulff, 1996, S. 31)

Ausgangshypothese von Horton und Wohl ist, daß das von ihnen beobachtete Rezeptionsphänomen durch eine „Illusion“ entstehe: Das Fernsehen vermittle dem Zuschauer die „Illusion“ eines Face-to-Face-Kontakts zu Fernsehpersonen (Horton/Wohl, 1956, S. 215). Um diese „Illusion“ zu erklären, läßt sich zunächst feststellen, daß das Fernsehen als ein an Reizen reichhaltiges Medium bezeichnet werden kann. Die Reizgegebenheit „Fernsehen“ besteht aus bunten und vor allem bewegten Bildern sowie akustischen Signalen. Dies ermöglicht dem Zuschauer eine mehrmodale Wahrnehmung über das Auge und das Gehör. Zudem bietet das Fernsehen ein sehr detailreiches und wirklichkeitsnahes Abbild der Realität. Durch die bewegten Bilder ist der Zuschauer zudem in der Lage, nonverbale Hinweisreize (Mimik, Gestik, Körperhaltung, etc.) von Personen wahrzunehmen. Aus der interpersonalen Kommunikationsforschung ist seit langem bekannt, daß diesen Hinweisreizen eine zentrale Bedeutung für die Eindrucksbildung, die sozialen Beziehungen und die Regulation der Interaktion zukommt. Nahaufnahmen – wie dies z.B. bei Nachrichtensprechern meist der Fall ist – führen außerdem dazu, daß die wahrgenommene Nähe zur Fernsehfigur die Illusion eines Face-to-Face-Kontakts zusätzlich forciert (Hall, 1976). Dieser „wahrnehmungs-psychologische“ Erklärungsansatz reicht jedoch nicht aus, um das Phänomen der parasozialen Interaktion zu erklären. Denn trotz der unbestreitbaren „illusionistischen“ Kapazität des Fernsehens sind sich die meisten Fernsehzuschauer selbst bei starkem Involvement stets des Unterschiedes zwischen Realität und Fiktion bewußt (Keppler, 1996, S. 24). Deshalb sollte der Begriff „Illusion“ nicht in der Weise mißverstanden werden, „daß das Publikum sich etwas einbildet, was nicht da ist“ (Hippel, 1993, S. 130). Bei diesem Rezeptionsphänomen handelt es sich keinesfalls um eine „Sinnestäuschung“ der Rezipienten.

1.2. „So-tun-als-ob“

Wie bereits erwähnt gehen Horton und Wohl in ihren Ausführungen von der Hypothese aus, daß das Fernsehen dem Zuschauer die „Illusion“ eines Face-to-Face-Kontakts zu Fernsehpersonen vermittle. Sie vermuten, daß diese „Illusion“ vor allem durch die Imitation von Face-to-Face-Verhalten in massenmedial vermittelten Situation erzeugt werde: Quizmaster, Moderatoren, Interviewer usw. imitieren Face-to-Face-Verhalten indem sie sich z.B. direkt an den Zuschauer wenden und mittels einer direkten Ansprache so tun, als sprächen sie ihn ganz persönlich an. Die Fernsehfiguren schauen dabei über den Bildschirm die Zuschauer an und sprechen mit ihnen, als wäre ein tatsächlicher Sichtkontakt vorhanden. Dadurch werde die räumliche Distanz zwischen den Rezipienten und den Fernsehfiguren aufgehoben, es entstehe eine „Intimität auf Distanz“. Die direkte Adressierung stelle ein Kommunikationsangebot an den Rezipient dar und eröffne ihm die Möglichkeit, darauf zu reagieren. Horton und Wohl stellten daher die direkte Adressierung des Zuschauers ins Zentrum ihrer Definition und behaupten:

„The more the performer seems to adjust his performance to the supposed responses of the audience, the more the audience tends to make the response anticipated.” (Horton/Wohl, 1956, S. 215)

Da in fiktionalen Sendungen der Zuschauer nur selten direkt von den Akteuren angesprochen wird, gehen Horton und Wohl in ihren Arbeiten logischerweise davon aus, daß in erster Linie die personenzentrierten, non-fiktionalen Fernsehsendungen, wie Spiel- und Talkshows oder Nachrichtensendungen, zu parasozialen Interaktionen auffordern. Das Konzept der parasozialen Interaktion wurde dennoch später von verschiedenen Autoren auch auf fiktionale Sendungen übertragen (z.B. Rubin & McHugh, 1987; Hippel, 1996). Es wird dabei angenommen, daß direkte Ansprachen oder Blicke in die Kamera konstituierende Momente bei der Aufnahme parasozialer Kontakte seien, diese aber keine Bedingung für die parasoziale Interaktion zwischen Fernsehfiguren und Zuschauern darstellen. Diese Adressierung könne, wie im Fall des narrativen Genres, auch implizit sein: Die Handlungen von Schauspielern, Moderatoren oder Nachrichtensprechern sind nicht Selbstzweck, sondern richten sich immer an ein Publikum. Die Zuschauer könnten außerdem über die szenischen Arrangements angesprochen werden (Mikos, 1996, S. 102). An dieser Stelle soll angemerkt werden, daß dieses erweiterte Konzept weiterhin auf die Notwendigkeit der Adressierung, auch wenn unter anderer Form, festhält. Es liegt also zum großen Teil an den Fernsehfiguren, die Rezipienten einzubeziehen und eine parasoziale Interaktion überhaupt zu ermöglichen. Die Zuschauer können auf dieses Kommunikationsangebot eingehen oder es ignorieren. Nehmen sie es an, werden sie ihrerseits „aktiv“. Diese Aktivität kann die verschiedensten Formen annehmen: Veränderte Körperhaltung, veränderte Mimik und Gestik, Sprechen mit dem Bildschirm etc. Für die Rezeption von Medienangeboten ist es aber wichtig, daß der Zuschauer sich der Differenz zwischen personaler und massenmedial vermittelter Kommunikation bewußt ist. Ohne ein entsprechendes Verhalten des Zuschauers würde die „Illusion“, die als Voraussetzung für parasoziale Interaktion gesehen werden kann, schon sehr bald zerstört sein, da Reziprozität nicht gegeben ist. Parasoziale Interaktion setzt also voraus, daß der Zuschauer die Fernsehsendungen als eine andere Sinnwelt anerkennt, in der ein „wirklichkeits-modulierendes Alltagshandeln“ (Mikos, 1996, S. 100) relevant ist. Die „Illusion“ wird so durch ein „So-tun-als-ob“ aufrechterhalten. Dieses „So-tun-als-ob“ ermöglicht dem Zuschauer, in die auf dem Bildschirm ablaufenden Handlungsabläufe und Beziehungsgefüge miteingebunden zu werden, was mit einem erhöhten Involvement einhergeht. Parasoziale Interaktion wird daher meist in Bezug auf Sprecher von Fernsehnachrichtensendungen untersucht, da anzunehmen ist, daß durch das höhere Involvement der Zuschauer die Informationsverarbeitung verbessert wird. Aus der Einbindung des Zuschauers in die Handlungsabläufe und Beziehungsgefüge ergibt sich zudem ein gestiegenes Vergnügen an der Rezeptionssituation. Perse konnte so in ihrer Untersuchung feststellen, daß parasoziale Interaktion mit einem Zufriedenheitserleben während der Rezeptionssituation einhergeht (Perse, 1990). Auch Thomas Fabian konnte eine positive Korrelation zwischen parasozialer Interaktion und dem „Gefesseltsein vom Fernsehen“ feststellen (Fabian, 1993, S. 147). Parasoziale Interaktion darf also nicht als ein krankhaftes Phänomen betrachten werden, sondern als grundlegende Medienkompetenz der Zuschauer, die gewisse kognitive Fähigkeiten voraussetzt und die eine konstitutive Bedingung zum Vergnügen an der Rezeptionssituation darstellt. Für den Zuschauer liegen in diesem „wirklichkeitsmodulierenden Alltagshandeln“ einige Vorteile. Die aktiven Zuschauer können in der Rezeptionssituation, ähnlich wie in außermedialer sozialer Interaktion, durch Beobachten Verhaltensmuster entdecken und für sich verfügbar machen, sprich soziales Verhalten „lernen“. Dadurch wird das Medium „Fernsehen“ zur Sozialisationsinstanz. Darüber hinaus bietet parasoziale Interaktion die Möglichkeit zu interagieren, ohne Handlungsdruck oder Druck der Selbstrepräsentation gegenüber der Fernsehfigur. Es ergeben sich aus der Interaktion keine Verpflichtung für den Rezipienten, da sein Verhalten, also auch eventuelles Fehlverhalten, keine Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Interaktion hat. Außerdem kann sich der Zuschauer jederzeit aus der Interaktion zurückziehen, ohne negative Folgen befürchten zu müssen.

[...]


[1] Tatsächlich bezogen sich Horton und Wohl auf die Medien Radio, Fernsehen und Film (Horton/Wohl), 1956, S. 215) später wurde ihr Konzept jedoch hauptsächlich mit dem Medium Fernsehen in Verbindung gebracht..

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Parasoziale Interaktion
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Medien- und Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
Soziale Wahrnehmung und Medien
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
23
Katalognummer
V7783
ISBN (eBook)
9783638149228
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
parasozial, interaktion, beziehung, Medienfreund
Arbeit zitieren
Aurélie Cahen (Autor:in), 2002, Parasoziale Interaktion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7783

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Parasoziale Interaktion



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden