Entwicklung der Massenmedien und Strukturwandel der medialen Öffentlichkeit bei Habermas


Hausarbeit, 2007

38 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Zu Habermas

2. Strukturwandel der Öffentlichkeit
2.1 Zum Begriff der Öffentlichkeit
2.1.1 Begriffsgeschichte Öffentlichkeit
2.1.2 Bürgerliche Öffentlichkeit
2.1.3 Literarische Öffentlichkeit
2.1.4 Normative Bedeutung von Öffentlichkeit
2.2 Soziale Strukturen der Öffentlichkeit
2.2.1 Sozialgeschichtliche Entstehung von Öffentlichkeit
2.2.2 Privatsphäre und Öffentlichkeit
2.2.3 Aufgabe der Öffentlichkeit
2.3 Einfluss der öffentlichen Meinung und politische Macht
2.3.1 Politische Funktionen der Öffentlichkeit in ihrer Entwicklung
2.3.2 Ebenen und Formen der Öffentlichkeit
2.3.3 massenmediales Publikum: legitimer Einfluss?
2.4 Zerfall der Öffentlichkeit und Gründe

3. Strukturwandel der Medien
3.1 Historischer Strukturwandel der Medien
3.2. Moderne Entwicklungslinien der Massenmedien
3.3 Vom kulturräsonierenden zum kulturkonsumierenden Publikum

4. Sozialer Strukturwandel der Öffentlichkeit
4.1 Kommerzialisierung der Öffentlichkeit
4.2 Thesen zur Medienethik
4.3 Relativierung von Strukturwandel und Refeudalisierungsthese

5. Vision und Wandel
5.1 Die Fortsetzung des Strukturwandels
5.2 Lösungsweg Aktive Zivilgesellschaft?

Literaturverzeichnis

1. Zu Habermas

In unserer Gesellschaft hat die Kommunikation einen wesentlichen Anteil. Diese wird in den westlichen Ländern von den Massenmedien bestimmt. Seit der letzten Jahrhundertwende sind nebeneinander und nacheinander die Massenmedien Rundfunk, Presse Fernsehen und Internet technisch entwickelt und weltweit kulturell angewandt worden. Aber auch kulturell-künstlerische Kategorien, wie Kino, Compact Discs oder „Multi Media“ sind mittlerweile aus dem gesellschaftlichen Umfeld nicht mehr wegzudenken. Sie haben die Presseorgane in ihrer Verbreitung und Wirksamkeit übertroffen und damit die gesellschaftliche Öffentlichkeit entscheidend verändert. Ihre Geschichte ist auch eine Geschichte um Meinungsfreiheit, Rationalität, Demokratie und Individualität. Der beherrschende Einfluss der modernen Medien auf unseren Alltag und ihre Wirkung auf die Massen der Zuhörer und Zuschauer ist Gegenstand der Forschungsarbeit von Jürgen Habermas.

Ich möchte die Entwicklung der Massenmedien und den Strukturwandel der medialen Öffentlichkeit bei Habermas untersuchen. Diese Begriffe bilden die Grundlage von Habermas’ Diskurstheorie und Gesellschaftstheorie. Dazu gehe ich vor allem auf Habermas’ Buch „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ ein. Die in diesem Buch beschriebene Theorie ist Teil seiner diesem Werk übergeordneten Gesamttheorie.

Der 1929 in Düsseldorf geborene Jürgen Habermas „ist der denkmächtigste deutsche Philosoph der Gegenwart. Er vertritt eine Philosophie der kommunikativen Vernunft, die in der ‚Öffentlichkeit’ eine ausgezeichnete Rolle spielt.“1 Als Philosoph und Soziologe hat er die Frage der Wirkungsweise der modernen Medien auf die politische Öffentlichkeit in seinen Mittelpunkt gestellt. Habermas orientiert sich in seiner Theoriebildung an der Tradition der klassischen Kritischen Theorie Horkheimers und Adornos. Allerdings kritisiert er, dass deren normativen Grundlagen nie ausreichend dargestellt wurden: „An dieser Schwierigkeit, über ihre eigenen normativen Grundlagen Rechenschaft zu geben, hat die Kritische Theorie von Anbeginn laboriert.“2

Habermas unternimmt den Versuch, eine empirisch fundierte, soziologisch anschlussfähige Ergänzung für die von Adorno und Horkheimer formulierte Kulturkritik zu entfalten. Der Wissenschaftler, über den Horkheimer urteilte, dass es ihm „bei aller Gescheitheit... an bon sens und geistigem Takt gebricht“ 3 , hat gegenwärtig den Rang eines der bedeutendsten Sozialwissenschaftler und Philosophen Deutschlands inne. Eine Problematik bei der Bearbeitung seiner Schriften liegt neben ihrer beträchtlichen analytischen Tiefe und seinen hochkomplexen Gedankengänge auch daran, dass er sich in seinen Theorien sehr intensiv und ausführlich mit den Ansätzen anderer Denker auseinandersetzt. Die Methodik mit der sich Habermas fremde Theorien aneignet, hat er selbst mit dem Arrangement von Blumen verglichen: „Wenn ich eine interessante Blume oder ein Kraut gefunden habe, schaue ich, wie sie mit anderen zusammenpassen, ob es daraus einen Strauß, ein Muster geben kann. Das ist konstruierende Puzzlearbeit.“ 4

Die Zeit hat ihn in ihrem Feuilleton anlässlich seiner Ehrung mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2001 als „Hegel der Bundesrepublik“5 bezeichnet. Diesen Titel trägt Habermas nicht zuletzt deswegen, weil er immer wieder als streitbarer Denker an die Öffentlichkeit getreten ist und dort häufig die Konfrontation mit vorherrschenden Meinungsbildern gesucht hat.

Mit seiner 1962 erschienenen Habilitationsschrift wollte sich Habermas über die Ambivalenzen des Verfassungsstaates Klarheit verschaffen. Diese Arbeit ist grundlegend für die Untersuchung gesellschaftlicher Strukturmerkmale. Ihr Thema liegt nicht nur im Prinzip der Öffentlichkeit, sondern auch in der Wertfreiheit seiner Auslegungen. Habermas’ Schrift „fand nicht nur in akademischen Kreisen Resonanz, sondern auch bei politisch engagierten und in Parteien organisierten jungen Leuten, die in den sechziger Jahren zur Gesellschaft eine kritische Einstellung fanden. Diese gewandelte Einstellung äußerte sich im studentischen Protest.“ 6

Die in Marburg veröffentlichte Arbeit hat Habermas aufgrund des Widerstandes von Horkheimer nicht am Institut für Sozialforschung in Frankfurt, sondern bei Wolfgang Abendroth in München vorgelegt. Die Studie war lange Zeit der einzig umfangreichere Ansatz, Öffentlichkeit als zentrale gesellschaftliche Kategorie zu bestimmen. Hier bespricht der Autor soziale Strukturen und politische Funktionen von Öffentlichkeit und beleuchtet den sozialgeschichtlichen Prozess, in dem sich die bürgerliche Öffentlichkeit entwickeln konnte. Habermas zeichnet den Erosionsprozess der Öffentlichkeit in Massendemokratien nach.

Habermas’ Ansatz basiert auf zwei konträren Polen von Öffentlichkeit: einerseits eine egalitäre, auf einen sachlichen Diskurs ausgerichtete Öffentlichkeit und andererseits eine vermachtete, bürokratisierte Öffentlichkeit der Medien. Nach Habermas gründet die politische Öffentlichkeit auf der öffentlichen Sphäre, die zwischen Gesellschaft und Staat vermittelt, wobei die Öffentlichkeit selbst wiederum öffentliche Meinung hervorbringt.7 „In der bürgerlichen Öffentlichkeit entfaltet sich ein politisches Bewußtsein, das gegen die absolute Herrschaft den Begriff und die Forderung genereller und abstrakter Gesetze artikuliert, und schließlich auch sich selbst, nämlich öffentliche Meinung, als die einzig legitime Quelle dieser Gesetze zu behaupten lernt.“ 8 Der Autor beschäftigt sich mit der idealtypischen Form von Öffentlichkeit, weswegen seine Theorie auch utopische Aspekte aufweist. Öffentlichkeit tritt seiner Studie nach gleichzeitig als ideengeschichtlicher Gegenstand und als normatives Prinzip auf.9 Der Sozialkritiker möchte mit seiner Arbeit „den Idealtypus bürgerlicher Öffentlichkeit aus dem historischen Kontext der englischen, französischen und deutschen Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert (…) entfalten.“10

Auch wenn das von ihm beschriebene Ideal lediglich ansatzweise umgesetzt wurde, gründet genau in diesem - so Habermas - die Entwicklung hin zu einer geregelten Institutionalisierung und Normierung. Dieser positive Wandel hin zu einer diskursiven Öffentlichkeit dauert nach Habermas höchstens 100 Jahre an.

2. Strukturwandel der Öffentlichkeit

Der zeitgenössische Sozialforscher Friedhelm Neidhardt11 bezeichnet Öffentlichkeit als „ein offenes Kommunikationsforum für alle, die etwas sagen wollen oder das, was andere sagen, hören wollen.“12 Doch genau dieses verändert sich im Zuge der technischen Entwicklungen im medialen Bereich. Durch das Auftreten des Internets wird es immer einfacher Menschen zu erreichen, sich zu informieren oder für bestimmte Inhalte öffentliche Plattformen herzustellen. Alles in allem ist Öffentlichkeit in den letzten 15 Jahren um Dimensionen gewachsen und dies deutlich mehr, als man es sich zu Beginn dieser Entwicklung noch vorstellen konnte.

Jürgen Habermas zu Folge stellt die Öffentlichkeit eine kommunikative Struktur dar, die sich „weder auf die Funktionen noch auf Inhalte der alltäglichen Kommunikation bezieht, sondern auf den im kommunikativen Handeln erzeugten sozialen Raum.“13 Im Habermasschen Sinne ist Öffentlichkeit eine Bühne, „wo politische Partizipation im Medium der Rede vollzogen wird. Sie ist der Raum, in dem die politischen Bürger über ihre gemeinsamen Angelegenheiten beratschlagen.“ 14

2.1 Zum Begriff der Öffentlichkeit

Wenn wir von Öffentlichkeit oder neuen Medien sprechen, so stoßen wir zuerst auf die Frage, was Öffentlichkeit überhaupt bedeutet. Wie können wir diesen Begriff definieren oder gut umschreiben?

Im heutigen Sprachgebrauch ist der Gebrauch der Begriffe „öffentlich“ und „Öffentlichkeit“ ziemlich unpräzise. Die Bedeutung dieser Kategorien im deutschen Sprachgebrauch ist wechselhaft. Das liegt unter anderem auch daran, dass es sich bei den Begriffen um Nachbildungen zu den aus dem Französischen und Englischen kommenden „publicité“ und „publicity“ handelt. Die Terminologie „Öffentlichkeit“ ist nicht nur für den Bereich der Sozialwissenschaften relevant, sondern auch im Bereich der Rechtswissenschaften. Hier sind „Öffentlichkeit“ und „öffentlich“ zu rechtlichen Schlüsselbegriffen geworden.

Habermas sieht „Öffentlichkeit“ nicht raumbezogen. Er versteht unter dem Begriff Öffentlichkeit ein Publikum privater Individuen, die gemeinsam über öffentliche Angelegenheiten debattieren. 15 Nach seiner Ansicht ist der Begriff „Öffentlichkeit“ für den bürgerlichen Verfassungsstaat so zentral, dass sich an ihm der strukturelle Wandel der Gesellschaft explizieren lässt.

2.1.1 Begriffsgeschichte Öffentlichkeit

Im deutschen Sprachraum ist das Substantiv „Öffentlichkeit“ erst im Laufe des 18. Jahrhunderts aus dem Adjektiv „öffentlich“ entstanden. Dieses bedeutete noch im Alt- und Mittelhochdeutschen lediglich, dass etwas bekannt ist. Im späteren Neuhochdeutsch hat sich die Wortbedeutung dahingehend entwickelt, dass etwas dazu bestimmt ist, bekannt zu sein. Zu dieser Bedeutung gesellte sich noch eine weitere, aus der Übersetzung des lateinischen „publicus“ stammende, als „dem Staat zugehörig oder darauf bezüglich“ dazu.

Laut Habermas ist aus dieser späten deutschen Begriffsentstehung eine dazugehörig späte Herausbildung einer Öffentlichkeit in Deutschland zu schließen. Diese Sphäre gehört zur „bürgerlichen Gesellschaft“, die sich in der gleichen Zeit als Bereich der gesellschaftlichen Arbeit und des Warenverkehrs nach eigenen Gesetzen etabliert.

2.1.2 Bürgerliche Öffentlichkeit

Die Kategorien „öffentlich“ und „privat“ sind griechischen Ursprungs. Im griechischen Stadtstaat waren die Sphäre der Polis, die jedem freien Bürger zugänglich war, und die des οίκος16, welche jedem einzelnen zu Eigen war, streng voneinander getrennt. Die Griechen stellten dem Reich den Staat entgegen, dem οίκος die поλισ, und schufen so eine Alternative, die seither mit zunehmender Intensität und wechselndem Glück Europa und die Weltgeschichte bestimmte. Das öffentliche Leben, das βίος πολιτικός17, spielte sich in der griechischen Antike auf dem Marktplatz ab. Vorgänger des Typs der bürgerlichen Öffentlichkeit war die so genannte repräsentative Öffentlichkeit. Deren Blütezeit ist in der Epoche des mittelalterlichen Feudalismus zu finden. Sie äußerte sich in Form einer öffentlichen Demonstration von Status und Herrschaft – als „höhere Gewalt“18. Rudimente davon sind heute noch im religiösen Ritus zu finden. Nach Habermas’ Ansicht blieben einzelne Formen der repräsentativen Öffentlichkeit durch die Kirchen bis ins 20. Jahrhundert erhalten. Voraussetzung dafür sieht er in dem „Arkanum“19, der Lesung der Messe und Bibel in lateinischer Sprache.20 In der repräsentativen Öffentlichkeit, die den Adel auszeichnete, galt: „Der Edelmann ist, was er repräsentiert, der Bürger, was er produziert: Wenn der Edelmann durch die Darstellung seiner Person alles gibt, so gibt der Bürger durch seine Persönlichkeit nichts und soll nichts geben. Jener darf und soll scheinen; dieser soll nur sein, und was er scheinen will, ist lächerlich und abgeschmackt..“21

Habermas zeigt auf, dass es keine mittelalterliche Entsprechung zu den antiken noch zu den modernen Begriffen von privat und öffentlich gibt. Den Grund sieht er darin, dass im Mittelalter kein fixierbarer Privatstatus existierte: „Es gibt niedere und hohe ‚Oberkeiten’, niedere und hohe ‚Gerechtsamkeiten’“ 22 , jedoch keinen privatrechtlichen Status, aus dem Privatpersonen in eine Öffentlichkeit hervortreten könnten.

Er beschreibt ausgehend vom feudalen System in Europa den Typus „repräsentativer Öffentlichkeit“, die in der öffentlichen Repräsentation des Herrschaftsstatus durch dessen Inhaber besteht. Der Herrscher repräsentiert seine Autorität in Form von Attributen wie Insignien, Habitus, Gestus und Rhetorik.

Diese repräsentative Öffentlichkeit konstituiert sich nicht als ein sozialer Bereich, als eine Sphäre der Öffentlichkeit, vielmehr ist sie, wenn sich der Terminus darauf übertragen ließe, so etwas wie ein Statusmerkmal.“ 23 Hierzu merkt Habermas an, dass der Aspekt der Repräsentation von Herrschaft sich bis in unsere Zeit erhalten hat. Der Unterschied liegt darin, dass dies sich heute nicht mehr auf eine einzelne Person, sondern auf einen ganzen Staat bezieht.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wandelt sich die höfisch repräsentative Öffentlichkeit zur bürgerlichen Privatheit. Im Absolutismus gelangte das städtische Bürgertum insbesondere durch Handel zu Reichtum und erhöhtem Selbstbewusstsein. Zugleich schuf der Staat einen Apparat von „öffentlichen Ämtern“, die eine „öffentliche Gewalt“ ausübten. So vollzog sich eine Trennung zwischen Privatsphäre und einer Sphäre der Staatsbürgerschaft. Aus der Privatsphäre trat die bürgerliche Öffentlichkeit hervor, die sich als Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute beschreiben lässt.24 Jene beanspruchten die von oben reglementierte Öffentlichkeit, um sich mit dieser über die allgemeinen Verhältnisse in Handel, Kultur und Arbeit auseinanderzusetzen. „Das Medium dieser politischen Auseinandersetzung (ist) das öffentliche Räsonnement.“25 Dieses sollte als Gegengewicht zur Arkanpraxis der fürstlichen Autorität dienen.

Habermas beschreibt die Öffentlichkeit als Aspekt des gesellschaftlichen Lebens, der es jedem Bürger ermöglicht, seine Meinung frei zu äußern, um über die Interessen der Allgemeinheit zu sprechen. Dabei hebt er die Rolle der vom Bürgertum dominierten Presse deutlich positiv hervor: „In der bürgerlichen Öffentlichkeit entfaltet sich ein politisches Bewußtsein, das gegen die absolute Herrschaft den Begriff und die Forderung genereller und abstrakter Gesetze artikuliert, und schließlich auch sich selbst, nämlich öffentliche Meinung, als die einzig legitime Quelle dieser Gesetze zu behaupten lernt.“ 26

Während also bis tief in die Frühe Neuzeit hinein „Öffentlichkeit“ Herrschaftssymbolik im Sinne eines Stellvertreters göttlichen Willens bedeutete, ist die sie ablösende politische Öffentlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft als sozialer Raum definiert.

2.1.3 Literarische Öffentlichkeit

Das stärkere Selbstbewusstsein des Bürgertums und dessen privatwirtschaftliche Strukturen kollidierten teilweise mit den absolutistischen und merkantilistischen Zielen des Staates. Es formierten sich „kritische Zonen“, die die Kritik eines aufstrebenden Bürgertums herausforderten, das sich gerade seiner Antagonistenrolle zur staatlichen Gewalt bewusst wurde.

Das Pressewesen entwickelte sich mit der Herausbildung des frühkapitalistischen Nachrichten- und Warenverkehrs: Handelsnachrichten und obrigkeitliche Bekanntmachungen konnten so schneller verbreitet werden. Doch bald veröffentlichte die Presse auch Meinungen des bürgerlichen Publikums. Ende des 17. Jahrhunderts hielt die Kommunikationskategorie Kritik Einzug in die sich rasch entwickelnde Massenpresse. Auf Grund der steigenden Nachfrage wurden erste Lesezirkel, Buchclubs und Büchereien gegründet. Die Auflage von Tageszeitungen und Wochenzeitschriften verdoppelte sich innerhalb eines Vierteljahrhunderts.27 Ein wesentliches Produkt der literarischen Öffentlichkeit war das Räsonnement gegenüber den öffentlichen Gewalten. Daraus entwickelte sich innerhalb des Publikums ein politisches Bewusstsein. Die daraus entstehenden Forderungen entsprechen den Kriterien der öffentlichen Meinung und der bürgerlichen Gesellschaft. Die bürgerliche Öffentlichkeit kann daher als die Sphäre der zu einem Publikum versammelten Privatleute begriffen werden.28

Für Habermas ist die literarische Öffentlichkeit des 17. und 18. Jahrhunderts das moralische Korrektiv der öffentlichen Gewalt. Für ihn ist sie das Moment, das das Ende der Arkanpolitik bedeutet: Seit sie sich in der Öffentlichkeit rechtfertigen müssen, können Politiker nicht mehr ungehemmt ihre Privat und Machtinteressen verfolgen. 29

2.1.4 Normative Bedeutung von Öffentlichkeit

Im Mittelpunkt von Habermas Habilitationsschrift „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ steht die bürgerliche Öffentlichkeit und das darauf begründete idealisierte und normative von ihm so genannte „liberale Modell bürgerlicher Öffentlichkeit“. Logen, Salons, Kaffeehäuser, gesellige Vereine, Lesegesellschaften, Zeitschriften sind die Medien und Orte dieser Öffentlichkeit, die sich im 18. Jahrhundert in Europa etablierten.

Kennzeichnend für diese liberale Öffentlichkeit war deren Glauben an den Freihandel und die freie Konkurrenz der Meinungen. Sie bestand aus dem räsonierenden Publikum, welches sich eine bürgerliche Sozialisationsebene geschaffen hat, die dem ungezwungenen Meinungsaustausch, dem rationalen Diskurs und der sozialen Geselligkeit verpflichtet war. Voraussetzung für dieses Modell war der freie Wettbewerb einer Gesellschaft von Kleinwarenproduzenten, in der die Macht des einzelnen jedoch derart gering war, dass er nicht über andere verfügen konnte.

Die Aufgabe dieser Öffentlichkeit sieht Habermas darin, sowohl als Vermittler zwischen gesellschaftlichen Bedürfnissen und öffentlicher Gewalt als auch zur Kontrolle des staatlichen Handelns zu dienen. Sie solle eine Kommunikationsstruktur bilden, welche sich „weder auf die Funktionen noch auf Inhalte der alltäglichen Kommunikation bezieht, sondern auf den im kommunikativen Handeln erzeugten sozialen Raum“ 30 in dem Bürger über gemeinsame Belange verhandeln. In dieser idealen Öffentlichkeit soll eine permanente Diskussion unter Privatleuten stattfinden. Basierend auf der Autorität des besseren, rationalen Arguments, unabhängig vom gesellschaftlichen Kontext des Menschen, soll hier jeder seine Meinung äußern dürfen und am Prozess der Wahrheitsfindung teilnehmen können. Auch wenn dieses Ideal nur ansatzweise realisiert wurde, beginnt hier nach Habermas der Wandel hin zu einer faktischen Institutionalisierung und gesetzlichen Normierung. Diese positiv dargestellte Wandlung politischer Öffentlichkeit in die Richtung eines herrschaftsfreien, kritischen Diskurses währte nach Habermas allerdings höchstens 100 Jahre.

Des Weiteren wendet sich die ideale Öffentlichkeit auch solchen Bereichen zu, die bisher vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen waren. Die Öffentlichkeit problematisiert diese und setzt sich kritisch mit ihnen auseinander. So werden beispielsweise Kunstwerke, die vorher der Philosophie, Kunst, Literatur und Religion vorbehalten waren, durch Vermarktung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und der öffentlichen Diskussion ausgesetzt.

Als drittes Kriterium einer idealtypischen Öffentlichkeit nennt Habermas ihre Offenheit. Die Plattform der Salons31 und Kaffeehäuser der Frühen Neuzeit fungierte ohne Rücksichtnahme auf Herkunft und Status als Diskussionsforen. Vorwiegend Literatur und Künste betreffend, fand Austausch über Fragen gesellschaftlicher und politischer Belange statt. Das Publikum - die Diskussionen jeweils weiter nach außen tragend - sorgte nachfolgend für die Verbreitung relevanter Themen. Prinzipiell musste der Zutritt grundsätzlich allen Bürgern offen stehen und es jedem möglich sein, sich am Diskurs zu beteiligen zu werden. Nach Habermas kann eine abgegrenzte Gruppe maximal den Standpunkt einzelner gesellschaftlicher Gruppen repräsentieren, jedoch nicht „die öffentliche Meinung“ widerspiegeln. Zudem sollte sich das Publikum in seiner Diskussionsgruppe immer gleichzeitig als Teil eines noch größeren Publikums sehen und findet sich somit in einer Vermittlerrolle zwischen Gesellschaft und Staat.

Theoriekritisch muss angemerkt werden, dass in den von Habermas genannten Kaffeehäusern und Salons insbesondere das Kriterium der Offenheit nicht wirklich gewährleistet wurde. So war Frauen beispielsweise der Zugang zu den Kaffeehausgesellschaften verwehrt. Habermas führt selbst an, dass in diesen Gesellschaften vornehmlich die (männliche) „Intelligenz“ mit der (männlichen) Aristokratie zusammengetroffen sei. Erst später hätten sich durch Salons auch Frauen sowie Handwerker und sogar Arme hinzugesellt. Woraus sich schließen lässt, dass die ökonomischen und politischen Dispute zum größten Teil ausschließlich von wohlhabenden Männern geführt wurden. Aus diesem Grund kann von einer tatsächlichen prinzipiellen Offenheit nicht gesprochen werden.

Ein weiterer Kritikpunkt ist in Bezug auf die Idealvorstellung von Habermas, dass die Salons zu Beginn mehr dem Vergnügen als der Diskussion Adliger und Bürgern des Großbürgertums dienten, was so gar nicht in das Habermassche Verständnis von Öffentlichkeit passt. Dass sich an diesen Schauplätzen nicht nur die Geburtselite, sondern auch die Wert- bzw. Leistungselite aufhielt, war jedoch mit Sicherheit eine für das 18. Jahrhundert weit reichende Veränderung, die viele Chancen eröffnete. Doch im Raum steht dennoch die Frage, wie öffentlich die Kaffeehäuser wirklich waren und wer an dieser Öffentlichkeit partizipieren konnte.

Das Publikum der Kaffeehäuser lässt sich nach Habermas im Bereich der aristokratischen Gesellschaft und den bürgerlichen Intellektuellen verorten. Nicht bedacht hat er hier jedoch die Teilnahme ungebildeter Bürger, die nicht über die Mittel verfügten, Bildung und Kulturgüter zu erwerben. Aufgrund dieser Zugehörigkeitskriterien ergab sich eine Öffentlichkeit, der zwei Drittel der Bevölkerung aufgrund sozialer, bildungs- und geschlechtsspezifischer Indikatoren nicht angehören konnte oder durfte. Der zeitgenössische Mediensoziologe Dieter Prokop kommentiert diese Problematik folgendermaßen: „Diese neuen Öffentlichkeiten in England und Frankreich waren klein. Die Mehrheit der Bürger verkehrten nicht in den Café-Restaurants und Salons und schon gar nicht die unteren Schichten. Trotzdem sind die neuen Öffentlichkeiten wichtig, denn sie verkörpern ein neues Prinzip: Gleichheit der Personen, Gleichwertigkeit der Argumente.“ 32

2.2 Soziale Strukturen der Öffentlichkeit

Bürgerliche Öffentlichkeit sieht Habermas in einer ersten Annäherung „als die Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute“, die „die obrigkeitlich reglementierte Öffentlichkeit alsbald gegen die öffentliche Gewalt selbst (beanspruchen), um sich mit dieser über die allgemeinen Regeln des Verkehrs in der grundsätzlich privatisierten, aber öffentlich relevanten Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit auseinanderzusetzen.“ 33 Die Öffentlichkeit steht als vermittelnde Instanz zwischen dem Staat und der Privatsphäre, die in ihrer Funktion politisch, in ihrer Zusammensetzung privat ist.

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Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Entwicklung der Massenmedien und Strukturwandel der medialen Öffentlichkeit bei Habermas
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
38
Katalognummer
V77715
ISBN (eBook)
9783638837019
ISBN (Buch)
9783638837644
Dateigröße
842 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entwicklung, Massenmedien, Strukturwandel, Habermas, Medien, Internet, Vierte Gewalt, Öffentlichkeit, Information, Infotainment, Presse, Revolution, 68er, 1968
Arbeit zitieren
Felicitas Söhner (Autor:in), 2007, Entwicklung der Massenmedien und Strukturwandel der medialen Öffentlichkeit bei Habermas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77715

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