Symbolischer Interaktionismus - Eine Sozialisationstheorie


Seminararbeit, 2007

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gesten, Symbole und die Struktur des Bewusstseins
2.1. Evolutionäre Grundlagen und Gesten
2.2. Soziale Interaktion
2.3. I, Me und Self

3. Die Entwicklungsstufen des Selbst
3.1.Die Phase des Play
3.2. Die Phase des Game
3.3. Die Identität im symbolischen Interaktionismus
3.4. Die universale Kooperation als Zielvorstellung

4. Moderne Anwendungen und Weiterentwicklungen
4.1. Die Theorie des kommunikativen Handelns
4.2. Die Dialektik von persönlicher und sozialer Identität
4.3. Die Rollentheorie von Jürgen Habermas

5. Schlussbetrachtung

6.Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wer ist eigentlich George Herbert Mead und nachdem diese Frage geklärt ist, warum sollte man sich mit einem Soziologen auseinandersetzen, dessen Thesen auf einer Gesellschaft aufbauen die schon lange Vergangenheit ist? Haben diese Thesen noch einen Wert für die heutige Gesellschaftsanalyse und vielleicht auch darüber hinaus? Diese Fragen kommen dem mit dem Wortungetüm des symbolischen Interaktionismus konfrontierten Leser in den Sinn, der nach einem kurzen Blick in das Lexikon zur Soziologie keine klare Vorstellung vom Werk George Herbert Meads bekommen hat.[1]

Meads Arbeiten insgesamt stellen eine umfassende Theorie zur Funktion von Interaktion und Kommunikation dar. Die Probleme, seine Theorie zu erfassen entstehen aus der Art der Veröffentlichung; sein Werk stellt kein in sich geschlossenes methodisches Konstrukt dar, sondern besteht aus mehreren Einzelarbeiten zu verschieden Aspekten. Diese Einzelarbeiten wurden nicht von ihm selbst herausgegeben, sondern von einem seiner Schüler posthum veröffentlicht. Die leitenden Fragestellungen dieser Arbeit orientieren sich im wesentlichen an den Fragestellungen die Mead selbst bearbeitet hat. Wie entsteht Identität im Individuum? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein um eine solche Identität überhaupt zu entwickeln? In welchen Phasen läuft diese Entwicklung ab? Und wie kann man diese auf das Individuum zentrierte Analyse in eine Analyse der Gesamtgesellschaft transformieren? Außerdem soll der Einfluss des symbolischen Interaktionismus auf die weitere Entwicklung der Soziologie betrachtet werden.

Aus diesen Fragestellungen leitet sich dann auch die grobe Struktur ab: Im ersten Teil wird die psychologische Struktur des Bewusstseins dargestellt und es werden die begrifflichen Grundlagen für die weitere Beschäftigung mit dem Thema gelegt. Der zweite Teil beschäftigt sich vor allem mit der phasenweisen Entwicklung der Identität im Rahmen sozialer Interaktion während sich der letzte Teil mit der Weiterentwicklung des symbolischen Interaktionismus in der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas beschäftigt und eine Einordnung in moderne Sozialisationtheorien vornimmt. Diese Arbeit kann nicht den Anspruch erheben eine Neuinterpretation der Theorie des symbolischen Interaktionismus zu leisten, sondern nur versuchen eine Schneise in den mittlerweile unübersehbar gewordenen Wald aus soziologischen Theorien zur Subjektwerdung zu schlagen und sich dabei auf einen begrenzten Ansatz zur Erklärung der Phylogenese der menschlichen Gesellschaft zu stützen. Es werden die psychologischen Grundlagen der Subjektwerdung dargestellt und in den größeren Zusammenhang der Entwicklung zur universalen Gesellschaft eingeordnet.

Die Grundlage für diese Arbeit stellt dementsprechend vor allem das Werk George Herbert Meads[2] dar, zusammen mit Einführungen in die Grundlagen der soziologischen Theorien. Diese sind vor allem zur anfänglichen Beschäftigung mit der Theorie des symbolischen Interaktionismus hilfreich, da sie die Inkonsistenzen innerhalb des Werkes hervorheben und versuchen einen roten Faden in die Ausführungen Meads zu bringen.[3] Vor allem zur Erklärung der Entstehungsgeschichte des Werkes hat Hans Joas mit seiner Dissertation aus dem Jahre 1979 einen wichtigen Beitrag geleistet.[4] Er hat sich auch durch die Herausgabe seiner gesammelten Aufsätze in deutscher Übersetzung verdient gemacht.[5] Für die weitere Beschäftigung mit der Person Meads empfiehlt es sich auch eine Beschreibung seines sozialen Umfeldes zu Rate zu ziehen, der Einfluss auf seine Arbeit wird dort unverkennbar deutlich.[6] Für den letzten Teil der Arbeit wurden sowohl Texte von Jürgen Habermas zu Rate gezogen, als auch wiederum Einführungen in die Theorie der Gesellschaft und die Theorie des kommunikativen Handelns.[7] Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den vorgestellten Quellen eine genaue Kenntnis der Grundlagen der jeweiligen Autoren erfordert. Auch müssen die Querverbindungen zwischen den einzelnen Theorien deutlich werden.

2. Gesten, Symbole und die Struktur des Bewusstseins

Bevor wir uns nun mit der Struktur des menschlichen Bewusstseins beschäftigen können, ist es notwendig, den Begriff des Bewusstseins in Sinne Meads zu erklären. Für Mead ist das Bewusstsein das „Wissen um die Bedeutung von Objekten“[8]. Um dieses Wissen zu erlangen, muss das Subjekt mit den Objekten interagieren. Durch die Reaktion dieser Objekte wird ein gewisser Erfahrungsschatz angelegt, dieser ist dann bei der erneuten Interaktion mit dem gleichen Objekt verfügbar. Wenn ich das gleiche Objekt noch einmal wahrnehme, kann ich vorher schon die möglichen Handlungsoptionen mit diesem Objekt abschätzen.[9] Dies gilt auch für soziale Objekte, damit sind andere Individuen gemeint. Durch die Verinnerlichung der Reaktion der anderen Objekte auf mein Handeln wird die Auswahl der möglichen Handlungen beeinflusst. An diesem Punkt kommt nun die symbolisch vermittelte Interaktion zum Tragen, dass bedeutet: Die Handlungen lösen die Reaktion nicht nur innerhalb des anderen Individuums aus sondern auch im handelnden Individuum selbst. Damit wird das Individuum zum Objekt seiner eigenen Handlungen und kann durch die Antizipation der Reaktion seine Handlungsmuster anpassen.

2.1. Evolutionäre Grundlagen und Gesten

Mead zufolge ist die symbolische Interaktion eng mit der Fähigkeit zum sprachlichen Ausdruck und der Fähigkeit zur Verarbeitung dieses Ausdrucks verbunden. Die interaktiven Symbole werden als Lautgebärden bezeichnet. Der Mensch unterscheidet sich durch diese Fähigkeit vom Tier. Diese Fähigkeit konnte sich aber nur herausbilden, weil der Mensch nicht von Instinkten geleitet wird. Mead bezeichnet die Antriebe zur Bedürfniserfüllung als Impulse, diese sind jedoch nicht unabhängig von der jeweiligen Umwelt. Diese Impulse stellen keine fixen Handlungsentwürfe dar die unabhängig von den jeweiligen Rahmenbedingungen ausgeführt werden. Das ist Mead zufolge ein entscheidender Vorteil, da der Mensch somit nicht auf eine bestimmte Umwelt festgelegt ist, sondern sich den verschiedensten Umweltbedingungen anpassen kann.[10] Gleichzeitig ermöglicht dieses Prinzip der sozialen Differenzierung dem Menschen eine stärkere Anpassung an die Umweltbedingungen. Mit dem Prinzip der sozialen Differenzierung ist die Arbeitsteilung innerhalb der menschlichen Gesellschaft gemeint. Der Mensch ist nicht für eine bestimmte Rolle innerhalb der Gesellschaft physiologisch prädestiniert, sondern kann verschiedenste Rollen, abhängig von der jeweiligen Gegebenheiten, übernehmen ohne an diese spezielle Rolle gebunden zu sein. Im Tierreich ist mit der Arbeitsteilung auch eine physiologische Differenzierung verbunden die dem einzelnen Tier zwar die Erfüllung einer speziellen Aufgabe ermöglicht, es ihm jedoch unmöglich macht eine andere Aufgabe zu übernehmen. Diese physiologische Differenzierung existiert beim Menschen nur in einem deutlich geringeren Maße.[11] Diese evolutionstheoretische Sonderstellung nimmt in Meads Modell sozialer Interaktion einen zentralen Ansatz ein.[12]

2.2. Soziale Interaktion

Diese angesprochene Sonderstellung des Menschen erfordert aber auch die Herausbildung von sozialem Handeln. Durch die soziale Differenzierung wird soziales Verhalten notwendig um Problemen zu begegnen, welche sich nur noch durch gemeinsames koordiniertes Handeln lösen lassen. Eine Intensivierung der Arbeitsteilung erfordert vor allem eine Steigerung der Kommunikation und der Koordination.[13] Die Grundfrage Meads lautet nun: Wie kommt eine derartige Kommunikation zustande oder besser wie erlangt das einzelne Individuum die Fähigkeit an dieser Kommunikation teilzunehmen? Dabei betrachtet er jedoch nicht nur die sprachliche Verständigung sondern Interaktionen im Allgemeinen. Die sprachliche Verständigung nimmt innerhalb seiner Betrachtungen jedoch eine herausgehobene Stellung ein. Eine Interaktion kann nur funktionieren wenn beide Interaktionspartner den gleichen Sinn mit einer bestimmten Handlung oder mit einem bestimmten Symbol verbinden. Damit kommen wir zu einem grundlegenden Problem: Wie wird dieser Zusammenhang hergestellt?[14] Mead versucht die Genese dieser Fähigkeiten nun mit der Beteiligung an Prozessen sozialer Interaktion zu erklären.[15] Um den Zusammenhang herstellen zu können betrachtet Mead eine Vorstufe dieser sozialen Interaktion, in der noch kein subjektiver Sinn enthalten sein muss. Diese Vorstufe findet sich laut Mead im Tierreich,in dem verschiedene Handlungen die durch Gesten eines Organismus ausgelöst werden durch die Reaktion auf diese Gesten durch den anderen Organismus vervollständigt werden. Diese Reaktion interpretiert sozusagen das Verhalten des ersten Organismus und nimmt die auf die Geste folgende Handlung gedanklich vorweg.[16] Eine Geste wird also erst komplett mit der Reaktion auf die Geste. Wenn ein Hund knurrt so löst er damit bei einem anderen Hund eine Reaktion aus, auf dieser Stufe hat die Geste jedoch keinen subjektiven Sinn sondern die Reaktion ist das Resultat von Instinkten und erlernten Verhaltensweisen. Der Hund ist nicht in der Lage, das Verhalten des anderen Hundes zu reflektieren. Wenn der Hund das könnte, würde sein Handeln den Status eines signifikanten Symbols erlangen. Er würde der Geste einen subjektiven Sinn zuweisen und könnte die darauf folgende Handlung gedanklich vorweg nehmen. Ein Symbol wird aber nur dann signifikant wenn es für beide Interaktionspartner die gleiche Bedeutung hat. Es wurde bereits festgestellt das der Mensch ein Wesen ist, dass nicht von Instinkten geleitet wird.[17] Er muss diese Verhaltensmuster erst in Prozessen der sozialen Interaktion erlernen. Innerhalb dieser Prozesse übernimmt er dann jeweils die Rolle seines dialogischen Gegenüber und wird sich damit der Auswirkungen seines Handelns bewusst.

[...]


[1] Bisler, Wolfgang: Symbolischer Interaktionismus. In: Fuchs-Heinritz, Werner u.a. (Hrsg.):Lexikon zu Soziologie. 3. Auflage, Opladen 1994, S. 309.

[2] Mead, George Herbert: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. 10. Aufl, Frankfurt am Main 1995.

[3] Morel, Julius(u.a.): Soziologische Theorie. Abriss der Ansätze ihrer Hauptvertreter, München 1999.
Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, Wiesbaden 2002.

[4] Joas, Hans: Praktische Intersubjektivität: die Entwicklung des Werkes von G.H. Mead. Frankfurt am Main 1980.

[5] Mead George Herbert: Gesammelte Aufsätze. Band 1 und 2, hrsg. von Hans Joas, Frankfurt am Main 1980/1983.

[6] Wenzel, Harald: George Herbert Mead zur Einführung. Hamburg 1990.

[7] Habermas, Jürgen: Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln. Frankfurt am Main 1999.
Reese-Schäfer, Walter: Jürgen Habermas. Frankfurt am Main 2001.
Jäger, Wieland; Baltes-Schmidt, Marion: Jürgen Habermas, Einführung in die Theorie der Gesellschaft. (Hagener Studientexte zu Soziologie), Wiesbaden 2003.

[8] Morel, Julius: Soziologische Theorie. Abriss der Ansätze ihrer Hauptvertreter. München 1999, S. 58.

[9] Mead, George Herbert: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. 10. Aufl, Frankfurt am Main 1995, S. 188f.

[10] Morel, Julius: Soziologische Theorie. Abriss der Ansätze ihrer Hauptvertreter. München 1999, S. 54.

[11] Vergleiche dazu: Mead, George Herbert: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. 10. Aufl, Frankfurt am Main 1995,S. 273-299.

[12] Morel, Julius: Soziologische Theorie. Abriss der Ansätze ihrer Hauptvertreter. München 1999, S. 55.

[13] Dies lässt sich zum Beispiel am stetig steigenden Verwaltungsaufwand in modernen Gesellschaften erkennen.

[14] Die Bedeutung muss nicht zwangsläufig vollkommen gleich sein. Die Bezeichnung „leere Benzinfässer“ bedeutet für einige: „Nichtvorhandensein von Gefahr“, andere sehen gerade darin eine besondere Gefahr. Diese verschiedene Einschätzung des gleichen Symbols führt demnach zu unterschiedlichem Verhalten im Bezug auf das Objekt. Vergleiche dazu: Whorf, Benjamin Lee: Wie der Name einer Sache unser Verhalten beeinflusst. In: Steinert, Heinz: Symbolische Interaktion. Stuttgart 1973, S. 152-155.

[15] Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band 1, Wiesbaden 2002, S. 180.

[16] Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band 1, Wiesbaden 2002, S. 182f.

[17] Morel, Julius: Soziologische Theorie. Abriss der Ansätze ihrer Hauptvertreter. München 1999, S. 54.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Symbolischer Interaktionismus - Eine Sozialisationstheorie
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
Veranstaltung
Einführung in die Solzialisationstheorien
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V77706
ISBN (eBook)
9783638827508
ISBN (Buch)
9783638831796
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Symbolischer, Interaktionismus, Eine, Sozialisationstheorie, Einführung, Solzialisationstheorien, Mead
Arbeit zitieren
Stefan Lorenz (Autor:in), 2007, Symbolischer Interaktionismus - Eine Sozialisationstheorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77706

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