Der "costumbrismo" als Selbstvergewisserung in Antwort auf Fremdprojektionen


Hausarbeit, 2005

23 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A Einleitung

B
1. Allgemeine Informationen
1.1 Der geschichtliche Hintergrund
1.2 Die gesellschaftliche Strukturierung
1.3 Der literarische Hintergrund
1.4 Die zeitgenössischen Rahmenbedingungen als Vorraussetzung für den costumbrismo
2. Der costumbrismo
2.1 Annäherung an den Begriff des costumbrismo
2.2 Costumbristische Erscheinungsformen: der artículo de costumbre
3. Ramón de Mesonero Romanos und der costumbrismo
4. Mariano José de Larra und der costumbrismo
4.1 Mariano José de Larra und „Vuelva Usted mañana“
4.2 Aussageabsicht Mariano José de Larras
5. Larras Wirkung auf andere Generationen

C Ausblick

Literaturverzeichnis

A Einleitung

¿Quién es mejor español? ¿El hipócrita que grita: „Todo lo sois; no deis un paso para ganar el premio de la carrera, porque vais adelante“; o el que sinceramente dice a sus compatriotas: „Aún nos queda que andar; la meta está lejos; caminad más aprisa, si queréis ser los primeros.“? [1]

Die Verdienste Spaniens für Europa und auch für sich selbst beschäftigen von jeher sowohl ausländische Intellektuelle und Schriftsteller als auch spanische Literaten und Gelehrte. Ausgangspunkt dieser Grundproblematik liegt in der Alterität Spaniens, welche von europäischen Staaten attestiert und auch von Spanien selbst aufrechterhalten wird. Montesquieus Lettres Persannes als Paradebeispiel der Darstellung Spaniens aus der Fremdperspektive fällen ein Pauschalurteil über spanische Charakteristika wie Stolz und Ehre aber auch Faulheit und Rückständigkeit und geben für lange Zeit Ansatz zu heftigen Diskussionen. Die Leyenda negra konstituiert durch die spanische Inquisition, Felipe II und die Kolonisierung Lateinamerikas ein Selbstbild Spaniens, das auf Eigendarstellungen wie der von Bartolomé de las Casas basiert, aber „nur teilweise den tatsächlichen Geschehnissen und Tatsachen“[2] entspricht. Das Spanienproblem kann also als Synthese von Fremdbild und Selbstbild festgelegt werden. Dieses Gedankengut findet in unzähligen Epochen eine Bearbeitung durch nationale und internationale literarische Produktionen.

In der ersten Hälfte des 19ten Jahrhunderts geht es dem spanischen Intellektuellen Mariano José de Larra nicht nur um die bloße Darstellung der spanischen Eigenheiten, mit dem Ziel der Wiederherstellung des nationalen Selbstverständnisses, sondern vielmehr um eine Neuordnung der gesellschaftlichen Umstände. Er ist sich der fatalen Lage Spaniens bewusst, „una de la ideas fundamentales de Larra era la de que en España no había nada, no se hacía nada, ni pasaba nada“[3] und will die Bevölkerung aus ihrer Lethargie reißen. Dafür sieht er das Anknüpfen an den allgemeinen Fortschritt als unumgängliche Maßnahme. Die Andersartigkeit Spaniens kann nur aufgehoben werden, indem man sich auf seine Traditionen besinnt und sie mit modernen Entwicklungen kombiniert. Vor allem durch seine artículos de costumbre reagiert er auf das gängige Spanienbild, übt Kritik daran und liefert gleichzeitig auch einen Lösungsvorschlag – Auch der längste Weg beginnt mit einem ersten Schritt.

Absicht dieser Arbeit ist es, den costumbrismo als Selbstvergewisserung in Antwort auf Fremdprojektionen am Beispiel Mariano José de Larras darzustellen. Dafür wird anfangs der allgemeine historische Rahmen dargestellt, um auf die Entstehungssituation des costumbrismo als notwendige Folge der Zeichen der Zeit einzugehen. Danach wird der costumbrismo und eine Art seiner Einzelveröffentlichungen, die artículos de costumbre, näher beschrieben. Anschließen wird mit Ramón de Mesonero Romanos ein traditioneller Vertreter dieser literarischen Strömung vorgestellt. Der Autor Mariano José de Larra transformiert dieses Genre und nutzt es zur Gesellschaftskritik, wie durch die Analyse des artículos „Vuelva Usted mañana“ gezeigt wird. Abschließend wird seine Wirkung auf die andere Generationen untersucht.

B

1. Allgemeine Informationen

1.1 Der geschichtliche Hintergrund

1808 Unabhängigkeitskriege gegen die französische Besatzung unter König Joseph Bonaparte

1810 Cortes de Cádiz ( = > 1812 liberale Verfassung)

1814 - 20 König Ferdinand VII (1te absolutistische Phase)

1820 Aufstand von Riego - Trienio Liberal (Wiederaufnahme der liberalen Verfassung)

1823 - 33 König Ferdinand VII (2te absolutistische Phase)

1833 - 41 Königin María Cristina/ Regierung unter Menizábal

Der geschichtliche Hintergrund der Lebens- und Schaffenszeit von Mariano José de Larra wird durch zwei unterschiedliche Phasen bestimmt, die sich gegenseitig abwechseln und seine menschliche und schriftstellerische Entwicklung beeinflussen. Absolutismus unter Ferdinand VII und konstitutionelle Monarchie durch die Verfassung der Cortes von Cádiz von 1812 lösen einander ab und generieren dabei „a surprisingly dynamic picture of Spain immersed in the violent social, political, and psychological revolution which marked the beginning of its transformation into a modern nation.“[4] Jedoch kann keine dieser Phasen der Bevölkerung Frieden und Wohlstand garantieren, da der Absolutismus nur noch auf politischer, aber keiner ideelle Macht und der Liberalismus nur auf einem ideellen System, aber nicht auf der politischen Entwicklung des Volkes basiert. So befindet man sich in der Endphase einer absoluten Monarchie und dem Beginn des Liberalismus, ohne politisch praktikable Alternative.[5]

Zu Beginn des 19ten Jahrhunderts ist Spanien Teil des französischen Machtbereichs, erkämpft sich aber durch Aufstände, in denen das spanischen Volk „zum ersten Mal als politische Kraft auftritt“[6] seine Unabhängigkeit, die in der liberalen Verfassung von Cádiz von 1812 seinen Ausdruck findet. Da diese liberale Phase aber bald scheitert, kehrt man unter der Regierung von Ferdinand VII zu traditionellen Werten zurück, die „liberale Tendenzen bereits im Keim“(Costumbrismo und Stadtentwicklung: Mesonero Romanos und Madrid, S.17) ersticken und wendet sich von einer Entwicklungen parallel zur europäischen Modernisierung ab. Dieser Periode folgen „Jahre der Öffnung zu neuen Idealen“ (Costumbrismo und Stadtentwicklung: Mesonero Romanos und Madrid, S. 21) unter der Regentschaft María Cristinas mit Ansätzen zur liberal Reformpolitik durch Veränderungen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich, wie der Konsolidierung einer neuen Bevölkerungsschichtung. Zudem deuten erste Unabhängigkeitsbestrebungen der Überseekolonien schon auf eine weitaus bedeutendere Identitätskrise hin, die sich am Ende des Jahrhunderts vollziehen wird.

Das Schaffen von Mariano José de Larra und die Phase des costumbrismo fallen genau in die Endzeit der absoluten Monarchie, die liberalem Gedankengut gegenübersteht. „Zum ersten Mal vollzieht sich das Phänomen der Auseinandersetzung zwischen Liberalen und Absolutisten und dokumentiert die Spaltung der spanischen Gesellschaft, ihre Trennung in zwei nicht zu vereinbarende Ideologien, die den Begriff der zwei Spanien – las dos Españas – geprägt haben.“ (Costumbrismo und Stadtentwicklung: Mesonero Romanos und Madrid, S.18)

1.2 Die gesellschaftliche Strukturierung

In dieser Zeit des Umbruchs ist es „an undeniable fact, then, that a drastic transformation of Spanish society was needed.“(The articles of Mariano José de Larra: A chronical of social change, S.36) Die Neuorientierung der Bevölkerungsstruktur erzeugt eine Krise des nationalen Selbstverständnisses, da Spannungen bei der nationalen Leitidee auftauchen. Deshalb hat die soziale Strukturierung Auswirkungen auf das menschliche Selbstverständnis, das nicht mehr völlig zu ergründen ist und zu einer Individuumsspaltung führt. Durch „den Verlust eines kollektiven Lebensideals“ (Larra und der costumbrismo, S.19) ergibt sich eine in sich gespaltene Gesellschaftsschichtung, die durch die soziale und wirtschaftliche Lage bestimmt wird.

So gliedert sich die Gesellschaft in das einfache Volk, das in großer Armut lebt, von Seuchen und Hungersnöten bedroht wird, dessen Weltbild von Unwissenheit und Aberglaube geprägt ist und das kaum Bildungs- oder Erziehungsreformen erfährt. Der Mittelstand stellt eine leistungsorientierte Führungsschicht, die nach politischer Macht strebt, ein starkes wirtschaftliches Sicherungsbedürfnis mit negativem Arbeitsethos verbindet und seinen Lebensstil dem casticismo anpasst, den „stark emotional gefärbte Abwehrmechanismen gegen jeglichen, besonders französischen Einfluss; man beharrt stark auf spanischen Sitten, auf der gesamten eigenen Lebensweise.“ (Larra und der costumbrismo, S.17) Die intellektuelle und materielle Macht bildet das Bürgertum, welches sich nach französischem Vorbild orientiert, der Industrialisierung und dem Fortschritt gegenüber positiv eingestellt ist und ausgeprägte Dünkel gegen das einfache Volk hegt.

In dieser entwicklungsträchtigen Übergangsphase setzt das Konzept des costumbrismo an, dessen inhaltliche Kategorie realitätsnaher Ausdruck der zeitgenössischen Situation ist. Literarische Produktionen werden als Reaktion auf die Zeichen der Zeit gesehen. Als Mittel der Selbstvergewisserung sollen typische Gepflogenheiten und Sitten der bürgerlichen, merkantilistischen und industriellen Klasse für die Zukunft festgehalten werden, ehe sie auf Grund rapide voranschreitender historischer Veränderungen in Vergessenheit geraten. Aus dieser Entwicklung erhofft man sich eine wiedereinkehrende Stabilität des individuellen Selbstverständnisses, welches die Basis einer nationalen Einheit bildet.

1.3 Der literarische Hintergrund

Wie schon die gesellschaftliche Zusammensetzung, so wird auch die literarische Ausrichtung dieser Phase von den politischen Vorraussetzungen bestimmt. Mit den alternierenden Bestimmungen der Verfassung von Cádiz und der absoluten Monarchie wechseln sich „Zensur und Pressefreiheit je nach politischer Machtkonstellation“ (Larra und der costumbrismo, S.28) ab. Dabei ist die Rolle des Pressewesens von großer Bedeutung, da es eine Möglichkeit der Gesellschaftsbetrachtung bietet. Journalistische Produktionen stehen zwischen der literarisch liberalen Intellektualität und der politischen Zensur.

Während der absolutistischen Phasen finden diese auf Grund starker Zensurbedingungen im Verborgenen statt oder stammen aus dem Exil, so wie Werke von Martínez de la Rosa oder dem Duque de Rivas. In Spanien treffen sich viel Intellektuelle wie Mariano José Larra oder Mesonero Romanos in literarischen Vereinigungen, den tertulias, um liberales Gedankengut zu kultivieren. Dennoch verhindert die Isolation Spaniens die Entwicklung eines philosophischen Hintergrundes, der für die romantische Strömung nötig ist. Je nach politischer Machtverteilung orientiert man sich anfangs vor allem bei der Theaterproduktion nach französischen und europäischen Einflüssen, später stellt sich eine spanische Romantik mit großen Unterschieden zur europäischen Variante ein. So wird die literaturgeschichtliche Stellung des costumbrismo und seiner Einzelveröffentlichungen als Ergebnis einer Synthese von Assimilierung und Tradition gesehen.

In dieser Zeit wird die spanische Presse von politisch liberalen und literarisch fortschrittlichen Intellektuellen dominiert, die Kritik ausüben und eine Gegenperspektive zu bisherigen Aspekten darstellen. Obwohl dies meist unter Zensurbedingungen geschieht, wird gerade deshalb die literarische Produktion angespornt. „Kritik und Opposition fördernde Freiheitseinschränkungen auf politisch-literarischem Gebiet bilden den Hintergrund für das journalistische Genre des costumbrismo.“ (Larra und der costumbrismo, S. 31)

[...]


[1] Mariano José, de Larra, Artículos, Madrid: Editorial castalia didáctica, 1990.

[2] Eva, Braun, La leyenda negra, Regensburg: Paperausgabe, 2005.

[3] Luis, Lorenzo-Rivero, Larra y Sarmiento: Paralelismos historicos y literarios, Madrid: Ediciones Guadarrama, 1968.

[4] Joseph, Servodidio, The articles of Mariano José de Larra: A chronicle of social change, Michigan: Columbia University Press, 1969.

[5] Eva, Konitzer, Larra und der costumbrismo, Meisenheim am Glan: Verlag Anton Hain, 1970.

[6] Ulrich, Laumeyer, Costumbrismo und Stadtentwicklung: Mesonero Romanos und Madrid, Frankfurt am Main: Verlag Peter Lang, 1986.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Der "costumbrismo" als Selbstvergewisserung in Antwort auf Fremdprojektionen
Hochschule
Universität Regensburg  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
Hauptseminar: Sangre y Arena
Note
2
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V77686
ISBN (eBook)
9783638826334
Dateigröße
405 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Selbstvergewisserung, Antwort, Fremdprojektionen, Hauptseminar, Sangre, Arena
Arbeit zitieren
Stephanie Wenzl (Autor:in), 2005, Der "costumbrismo" als Selbstvergewisserung in Antwort auf Fremdprojektionen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77686

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