Politischer Hintergrund und literarische Umsetzung des Romans "Quinteto de Buenos Aires" von Manuel Vazquez Montalbán


Seminararbeit, 2006

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Zeit der Militärdiktatur 1976 – 1983
2.1 La Guerra Sucia
2.1.1 Politischer Hintergrund
2.1.2 Literarische Umsetzung
2.2 Los Desaparecidos
2.2.1 Politischer Hintergrund
2.2.2 Literarische Umsetzung
2.3 Die Kinder der Verschwundenen & die verschwundenen Kinder
2.3.1 Politischer Hintergrund
2.3.2 Literarische Umsetzung

3. Das neue Argentinien 1989 – 1997
3.1 Rückkehr zur Demokratie & La Gran Transformación
3.1.1 Politischer Hintergrund
3.1.2 Literarische Umsetzung
3.2 Las Madres y Abuelas de la Plaza de Mayo
3.2.1 Politischer Hintergrund
3.2.2 Literarische Umsetzung
3.3 La Impunidad
3.3.1 Politischer Hintergrund
3.3.2 Literarische Umsetzung

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Roman Quinteto de Buenos Aires handelt nicht, wie beinahe alle anderen Werke aus der Pepe Carvalho-Reihe, von Spanien. Die Stadt Barcelona erscheint als Ort der Handlung nur auf den Seiten 11-16. Die übrigen knapp 400 Seiten spielen in Buenos Aires. Insofern handelt es sich bei diesem Werk um einen Sonderfall. Das Buch handelt von Argentinien, jedoch aus der Perspektive eines Europäers.

Der Detektiv Pepe Carvalho wird im Roman mehrere Male gefragt, was er als Außenstehender von Argentinien weiß und wie seine Eindrücke sind. Während des Hinfluges antwortet er noch:

- Maradona, desaparecidos, tango. (Vázquez Montalbán 1997, 19)

Neben der Kenntnis der gängigen Stereotypen (Tango) und Prominenten (Maradona) zeigt sich hier auch schon der mögliche politische Aspekt des Romans.

Nachdem der Protagonist einige Monate in Buenos Aires verbracht hat, wird ihm die selbe Frage am Ende des Werkes bei einem Dinner gestellt. Seine Antwort ist nun viel komplexer und stärker politisch ausgerichtet.

- Esperamos su respuesta. La mirada de un extranjero puede ser muy valiosa.

Que piensa usted de esta Argentina?

- No creo que exista. {…} Tampoco existe España, ni Europa, San Marino

probablemente sí. Pero las realidades complejas no admiten abstracciones metafísicas. {…}

- Pero escoja un rasgo. Algo que le impresione por encima de cualquier otra cosa.
- Los vaciós.
- Los qué?
- Los vaciós que han dejado treinta mil seres humanos, los vaciós que han dejado los llamados „desaparecidos“. (ebd.: 371)

Zwischen diesen beiden Antworten, zunächst oberflächlich und stereotyp veranlagt und am Schluß reflektiert und stark Position für die Oppositionellen ergreifend, entwickelt sich die Handlung. Pepe Carvalho fungiert hier als Mittelsmann zwischen den Europäern und den Argentiniern. Er zeigt den Blick von außen ist aber dennoch mittendrin im Geschehen.

Der hier beschriebene politische Hintergrund ist nicht der Spaniens. Dennoch können Paralellen gezogen werden zur Diktatur unter Franco. Damals wurden die Oppositionellen ebenfalls verfolgt, die Verantwortlichen leben heute noch unbestraft und wie normale Menschen. Pepe Carvalho reist nach Buenos Aires weil er von Barcelona und der Zeit des Desencanto genug hat. Im Roman El Premio, dem vorherigen Band der Carvalho-Serie, sagt er:

- Estoy cansado…de mi mísmo en parte. Además este país cansa. Esta gente cansa. (…) Tengo ganas de irme una temporada y he aceptado un cargo en Buenos Aires. Te gustaría la historia. Encontrar a un desaparecido. (Vázquez Montalbán, 1996: 60ff.)

In Argentinien erlebt er Korruption, Mord und ungesühnte Verbrechen. Der ehemalige Hoffnungsträger Menem konnte seine Versprechen nicht einhalten und es liegt eine triste Stimmung über allem. Der melancholische Tango verkörpert das Lebensgefühl der Argentinier. Am Ende kehrt Pepe Carvalho nach Spanien zurück, ohne die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen zu haben.

Diese Arbeit handelt vom politischen Hintergrund des Romans und seiner literarischen Umsetzung. Weniger wichtig ist hierbei, ob die Charaktere historisch glaubwürdig sind, da es sich nicht um einen historischen Roman handelt. Vielmehr zeigt sich in ihnen die Subjektivität des Autors. Wie werden die Charaktere präsentiert und welcher Effekt soll dadurch beim Leser hervorgerufen werden?

Der erste Teil handelt von der Zeit zwischen 1976 und 1983, der Militärdiktatur unter General Videla. Hierbei wird insbesondere auf das Schicksal der Desaparecidos eingegangen und gezeigt, wie und durch wen sie im Buch repräsentiert werden.

Der zweite Teil handelt von der Zeit zwischen 1989 und 1997, dem Entstehungsjahr des Buches. Besonderes Augenmerk wird auf die veränderte ökonomische Situation unter Menem, sowie die ungeklärte Schuldfrage der verantwortlichen Militärs der Diktatur gelegt. Eine zentrale Rolle spielen hierbei die Organisationen der Madres bzw. Abuelas de la Plaza de Mayo, die im Roman in einigen Szenen auftreten.

Anschließend wird erörtert, inwieweit dieser Roman die politische Situation und den Zeitgeist in Argentinien im Jahre 1997 verkörpert. Gelingt es dem Autor ein glaubwürdiges Bild der neuen argentinischen Gesellschaft zu zeichnen, oder handelt es sich um pure Fiktion? Kann Quinteto de Buenos Aires als Allegorie auf die Situation in Spanien gesehen werden, oder bezieht es sich ausschließlich auf Argentinien?

2. Die Zeit der Militärdiktatur 1976 – 1983

2.1 La Guerra Sucia

2.1.1 Politischer Hintergrund

In den 1960er und 70er Jahren war Argentinien durch massive politische Unruhen gekennzeichnet. Die politische Linke, die durch Studenten und Arbeiter verkörpert wurde, lieferte sich blutige Schlachten mit der Polizei und der antikommunistischen Regierung von Isabela Perón. Die Witwe Peróns hatte gemeinsam mit ihrem Berater José López Rega das sogenannte Triple A (Alianza Argentina Anticomunista) gegründet. Das Triple A attackierte und ermordete Oppositionelle ähnlich einem Todesschwadron. Die Situation spitzte sich immer mehr zu, die Ökonomie Argentiniens lag brach. Korruption wurde zur Normalität. Es gab beinahe täglich Bombenattentate, Entführungen und gewalttätige Auseinandersetzungen.

Am 24. März 1976 ereignete sich ein Staatsstreich. Aus diesem Putsch ging General Jorge Rafael Videla, mit der Hilfe von Emilio Massera und General Roberto Viola, als Sieger hervor. Mit der Einnahme des Staates durch das Militär begann eine Zeit des organisierten Terrors, der Argentinien weltweit bekannt machen sollte. Videlas Ziel war es, sämtliche Guerilla- und Oppositionsbewegungen zu zerschlagen und so die Ordnung im Lande wiederherzustellen. Diese Politik wurde euphemistisch El Proceso genannt. Von einem gerechten Prozess konnte hier allerdings nicht die Rede sein, vielmehr wurde „kurzer Prozess gemacht“ mit den Oppositionellen. (vgl. Lonely Planet, 2002: 27ff.)

Gleichzeitig sollten ausländische Investoren ermutigt werden, Geld nach Argentinien fließen zu lassen, um so die angeschlagene Wirtschaft wieder anzukurbeln. Der geringe wirtschaftliche Erfolg Videlas wurde überschattet von den brutalen Methoden seiner Schergen. Er verfolgte nach wie vor das Ziel, sämtliche politischen Gegner auszurotten. Jeder der möglicherweise politisch links gerichtet war, also Gewerkschafter, Intellektuelle, Studenten, Künstler, Journalisten etc. wurde entführt, verhört, gefoltert und oftmals ermordet. (vgl.: ebd.)

Diese Zeit wird bezeichnet als La Guerra Sucia – der schmutzige Krieg. Obwohl Argentinien sich offiziell in einer Friedensperiode befand, ähneln die Methoden Kriegsverbrechen. Da die Militärs stets im Verborgenen arbeiteten und bis heute vieles nicht aufgeklärt werden konnte, spricht man vom schmutzigen Krieg.

2.1.2 Literarische Umsetzung

Im Roman taucht der Begriff Guerra Sucia nur selten auf, allerdings wird oft auf diese Zeit zurückgeblickt. Vazquéz Montalbán zeigt hierbei verschiedene Positionen auf, wie die fiktiven Charktere die zurückliegende Militärdiktatur betrachten.

1.) Der Blickwinkel der Unbeteiligten: Diese Figuren haben angeblich nichts gesehen und wollten auch nichts bemerken. Vazquéz Montalbán zeigt hier als Beispiel den ehemaligen Pförtner von Raúls Wohnung. Raúl wurde während der Diktatur verhaftet. Pepe Carvalho fragt den Pförtner, ob er damals etwas bemerkt habe:

- No puedo decirle más, porqué no sé nada más y ya hablé más de la cuenta. Un noventa y nueve por ciento de los argentinos no le hubiera contestado nada a todo lo que usted ha preguntado. Las historias del proceso no fueron cosa de porteros. Nosotros lo único que hicimos siempre fui ver entrar y salir.

(Vázquez Montalbán, 1997: 37)

Die Vorkommnisse interessieren den Pförtner scheinbar nicht, vielleicht hat er auch Angst vor Repressalien, wenn er ausagt. Ob diese Meinung stellvertend für große Teile der Argentinier steht, wie der Pförtner behauptet, sei dahingestellt.

2.) Der negative Blickwinkel der Intellektuellen: Während des Militärregimes waren Alma und Raúl Mitglieder einer oppositionellen Gruppe. Zu ihrem Kreis gehörten auch noch Font y Rius, Améndola, Güelmes, und Pugnatari. Der Roman sagt nichts darüber aus, was diese Gruppierung konkret plante oder erreichen wollte. Es klingt eher nach einem leicht links orientiertem Freundeskreis. Dieser Zustand würde stellvertretend dafür stehen, daß während des Militärregimes sämtliche potentiellen Regimegegner attackiert wurden, ohne irgendeine Differenzierung nach tatsächlich stattgefundenen Aktionen. Die Gruppe wurde bei einem Militäreinsatz auseinandergerissen:

- Entraron a patadas, entre gritos, insultos, con los fierros en la mano. Estabamos en en piso de Raúl y Berta. Tambien había otros compañeros que no vivieron para contarlo. (…) Fue como un zafarrancho de combate. Berta agarró una pistola y les hizo frente. Entonces ellos se parapetaron en el hall de entrada mientras iban avanzando, Raúl contra el suelo le gritaba a Berta que no resistiera. No seas boluda, que nos matan…! (ebd.: 47)

Nach dem Überfall, bei dem Almas Schwester und einige andere Oppositionelle starben, versuchte Alma, sich bei ihren Eltern zu verstecken. Doch sie wurde verhaftet:

- Fui a casa de mis padres. Los milicos estaban allí. Me detuvieron. (Vázquez Montalbán, 1997: 48)

Alma und Raúl haben also persönlich unter der Militärregierung gelitten, viele ihrer Freunde sind tot. Ihr Leben wurde von Grund auf so verändert, daß sie nun versuchen, selber Gerechtigkeit zu erfahren. Den Glauben in die Institutionen haben sie verloren.

3.) Die positive Perspektive der Militärs: Die milicos, im Buch verkörpert durch den Capitán und seine Helfer, blicken mit Wehmut auf die Zeit des Guerra Sucia zurück. Sie beschönigen und verharmlosen die vorgefallenen Ereignisse. Ihnen selbst ging es zur Zeit des Proceso gut wie nie, da sie viel Macht und Einfluß besaßen. Sie sahen sich im Recht, ihr Land vor dem Aufstieg der Linken zu beschützen. Der Capitán erklärt Muriel seine Sicht der Dinge folgendermaßen:

- Yo conocí a muchos chicos sanos, de buenas familias, cultos, a los que después se les pudrieron las ideas y terminaron mal, luchando contra la sociedad de la que venían.
- Los subversivos?
- La mayoria no eran chicos malos, pero las malas lecturas, las malas compañias, la propaganda comunista. Llegó un momento en el que tuvimos que defendernos de ellos porque iban a convertir Argentina en un campo de concentración marxista.
- Pero, desaparecieron, no? En realidad construyeron el campo de concentración para ellos mismos. (ebd.: 178)

Fazit: Vazquéz Montalbán beschreibt drei verschiedene Perspektiven. Es wird schnell klar, daß der Autor der Bevölkerungsgruppe der linken Intellektuellen die größte Sympathie entgegenbringt, schließlich schickt er seine Romanfigur Pepe Carvalho auf die Suche nach einem Verschwundenen. Durch seine Arbeit hilft Pepe Carvalho Alma und Raúl und identifiziert sich weitgehend mit ihren politischen Ansichten.

Der Schriftsteller Vazquéz Montalbán ist bekanntermaßen Ex-Kommunist:

Vazquéz Montalbán wuchs schon früh zu einem Getgner des Regimes heran. Später (…) engagierte er sich in linksradikalen Gruppierungen und überstand mehrere Verhaftungswellen. (…) Er schloß sich dem im Untergrund wirkenden PSUC, der katalanischen Filiale der Kommunistischen Partei Spaniens an.

(Bodenmüller, 2004: 33ff.)

Biographische Gemeinsamkeiten zwischen der realen Person Vazquéz Montalbán und den Romanfiguren Alma und Raúl Touron sind somit unübersehbar.

2.2 Los Desaparecidos

2.2.1 Politischer Hintergrund

Während der Militärdiktatur verschwanden nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen in Argentinien etwa 30.000[1] Menschen. Sie wurden unter dem Schlagwort der Desaparecidos bekannt. Es ist nicht möglich eine genaue Anzahl der Desaparecidos zu erhalten, da die meisten Beweismittel vernichtet wurden.

Der Bericht Nunca Más aus dem Jahre 1987 spricht von 8961 klar dokumentierten Fällen, außerdem von 1300 Fällen, bei denen die betreffende Personen in Haftzentren gesehen worden sind und 800 Fälle bei denen die genaue Identität noch nicht festgestellt werden konnte. (vgl. Nunca Más, 1987: 155) Zur schwierigen Arbeit der Dokumentation dieser Fälle von Menschenrechtsverletzungen sagt der Bericht:

Abschließend muß jedoch betont werden, daß ein vollständiges Verzeichnis der verschwundenen Personen und ihrer Schicksale nur mit Hilfe der ausführlichen Protokolle, die von den Entführern für jede Aktion angefertigt wurden und deren Beseitigung oder Vernichtung als Tatbestand gilt, der strafrechtlich verfolgt wird, hergestellt werden kann. (ebd.)

Das Wort „Verschwinden lassen“ bezieht sich hierbei auf die Entführung, Inhaftierung, Folterung und meist Ermordung der Opfer. Die Polizei und das Militär sammelten die Gefangenen in Konzentrationslagern. Das Berüchtigste war unter diesen die Escuela Mecánica de la Armada (ESMA) im Norden von Buenos Aires. (vgl. Lonely Planet, 2002: 28)

Von den im Bericht dokumentierten Fällen waren 70% Männer und 30% Frauen. Das Alter der Verschwundenen liegt bei 58,52 % zwischen 21 und 30 Jahren. Der Anteil der über 30-jährigen (bis über 70-jährigen) liegt bei etwa 30%, der Anteil der Minderjährigen (0-20 Jahre) bei 12,26 %. Das lässt darauf schließen, daß es vor allem die Gruppe der Studenten und jungen Erwachsenen traf. (vgl. Nunca Más, 1987: 155)

Der größte Teil der Entführungen ereignete sich in den Jahren 1976 und 1977, den Anfangsjahren des Regimes. Die Verhafteten wurden in verschiedene Konzentrationslager überführt und dort Verhören unterzogen, um die Namen ihrer Mitstreiter herauszufinden (vgl. www.derechos.org, Kapitel “Centros Clandestinos de Detención“)

[...]


[1] Diese Zahl beeinhaltet nur die Menschen, die aus der Haft nicht zurückkehrten. Einge überlebten die Haft, während andere illegal ins Ausland fliehen konnten. (vgl. www.derechos.org)

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Politischer Hintergrund und literarische Umsetzung des Romans "Quinteto de Buenos Aires" von Manuel Vazquez Montalbán
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Romanistik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
27
Katalognummer
V77594
ISBN (eBook)
9783638830782
ISBN (Buch)
9783638831055
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politischer, Hintergrund, Umsetzung, Romans, Quinteto, Buenos, Aires, Manuel, Vazquez, Montalbán
Arbeit zitieren
Christine Dahm (Autor:in), 2006, Politischer Hintergrund und literarische Umsetzung des Romans "Quinteto de Buenos Aires" von Manuel Vazquez Montalbán, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77594

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