Phaedrus im lateinischen Lektüreunterricht. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Grundlagen


Examensarbeit, 2006

138 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

0. Einleitung

1. Fachwissenschaftliche Grundlagen: Ursprung, Begriff und literaturhistorische Entwicklung der antiken Fabel
1.1. Ursprung und Begriffsbestimmung der literarischen Gattung Fabel
1.1.1 Ursprung
1.1.2 Begriffsbestimmungen
1.2 Antike griechische Fabelliteratur
1.3 Die Fabel in der römischen Literatur
1.3.1 Republik und frühe Kaiserzeit
1.3.2 Spätantike
1.4 Zusammenfassung des ersten Teils der Arbeit

2. Der Dichter Phaedrus und seine Fabeln
2.1 Selbstzeugnisse und Biographie des Dichters Phaedrus
2.2 Das Werk des Dichters
2.2.1 Überlieferung, Quellen und Aufbau des Werkes
2.2.2. Programmatische Absichten des Autors
2.2.3 Charakterisierung der Fabeln
2.3 Rezeption der Phaedrus-Fabeln
2.4 Zusammenfassende Feststellungen zum zweiten Teil der Arbeit

3. Fachdidaktische Bedeutung der Phaedrus-Lektüre
3.1 Didaktische Begründung der Phaedrus-Lektüre
3.1.1. Sprachliche Gestaltung der Fabeln
3.1.2 Inhaltliche Gestaltung der Fabeln
3.1.3 Beitrag zur Interpretationsmethodik
3.1.3.1 Theoretische Grundlagen
3.1.3.2 Anwendung von Interpretationsmethoden und Interpretationsebenen in den Fabeln
3.2 Phaedrus im lateinischen Lektüreunterricht
3.2.1 Überblick über die Stellung der Phaedrus-Lektüre an deutschen Schulen seit 1816
3.2.1.1 Historische Betrachtung
3.2.1.2 Phaedrus in den Lehrplänen seit 1954
3.2.2 Analyse neuerer schulischer Textausgaben zu Phaedrus
3.2.2.1 Phädrus Fabeln (Hrsg. G. Flemming). In der Reihe: ratio 33 (Hrsg. W. Flurl/ W. Olbrich). Bamberg: Buchner 1994
3.2.2.2 Phaedrus. Ausgewählte Fabeln. Ovid Metamorphosen in Auswahl und Stücke aus den Fasten (Bearbeitet von R. Rau). In der Reihe: Altsprachliche Textausgaben Sammlung Klett. Stuttgart: Klett 1999 (13. Auflage)
3.2.2.3 Velut in speculum inspicere. Der Mensch im Spiegel der Fabel (Hrsg. M. Aussenhofer, M. Adami). In der Reihe: Antike und Gegenwart (Hrsg. F. Maier). Bamberg: Buchner 1999
3.2.2.4 Phaedrus Fabeln (Hrsg. H. Triebnig). In der Reihe: Latein Lektüre aktiv (Hrsg. H. Gschwandter/ C. Brandstätter). Wien: öbv & hpt 2000
3.2.2.5 Phaedrus Fabeln. Text und Kommentar (Ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von W. Siewert). Münster: Aschendorff 2001
3.2.2.6 Phaedrus Fabulae (Einführung, Auswahl und Erläuterung von M. Firnkes). Bamberg: Buchner 2001 (6. Auflage)
3.2.2.7 Phaedrus. >Stark-schwach< Fabeln. Text- und Arbeitsheft (Ausgewählt, bearbeitet und illustriert von W. Mißfeldt). In: Officina–Heft der Blauen Reihe „Altsprachliche Texte“. Leipzig: Klett 2001
3.2.2.8 Phaedrus, Fabeln (Hrsg. M. Rachel). In der Reihe: Clara. Kurze lateinische Texte (Hrsg. H. Müller). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002
3.2.3 Auswertung der Ergebnisse

4. Zusammenfassende Darstellung und Auswertung der Ergebnisse
4.1 Philologische Begründung der Phaedrus-Lektüre
4.2 Fachdidaktische Begründung der Phaedrus-Lektüre
4.2.1 Theoretische Grundlagen
4.2.2 Schulpraktische Umsetzung der fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Erkenntnisse

5. Literaturverzeichnis
5. 1 Monographien
5.1.1 Fachwissenschaftliche Monographien
5.1.2 Fachdidaktikische Monographien
5.2 Sammelbände
5.2.1 Fachwissenschaftliche Beiträge
5.2.2 Fachdidaktische Beiträge
5. 3 Zeitschriftenartikel
5.3.1 Fachwissenschaftliche Zeitschriftenartikel
5.3.2 Fachdidaktische Zeitschriftenartikel
5.3.3 Fachdidaktische Arbeitspapiere
5.4 Werkausgaben
5.4.1 Antike Fabeln (Texteditionen)
5.4.2 Antike Fabeln (mit deutscher Übersetzung)
5.4.3 Weitere Textausgaben
5.5 Lexika
5.5.1 Nachschlagewerke
5.5.2 Wörterbücher
5.6 Lehrpläne
5.7 Lehrbücher und Lehrermaterialien
5.8 Schultextausgaben
5.9 Tonbandkassetten
5. 10 Internetadressen

0. Einleitung

Das Titelbatt einer Sammlung der Phaedrus-Fabeln von Burmann aus dem Jahr 1698 zeigt den lorbeerbekränzten Versfabeldichter Phaedrus, über dessen vollständigen Namen klassische Philologen bis heute keine gesicherte Angabe machen können[1], unten links im Bild. Er schreibt mit Unterstützung einer Muse, die ihm gegenüber sitzt, seine Fabeln nieder. Dabei wird der Blick des Dichters von ihr auf eine Bühne gelenkt, auf welcher der bucklige Aesop inmitten einer Reihe von Fabeltieren zu sehen ist. Auf diese Weise fasst das Titelblatt einige für das Verständnis des Fabeldichters Phaedrus essentielle Punkte zusammen. Als Musensohn[2] will der Dichter den Stoff verwenden, der durch Aesopus auctor gefunden wurde[3], um, wie die Bühnendarstellung eindringlich verdeutlicht, zu unterhalten und zu belehren[4].

Abgesehen von solchen Darstellungen zu Phaedrus, die auf Erkenntnissen beruhen, die seinem Werk mit dem Titel „Phaedri Augusti liberti liber fabularum Aesopiarum“ zu entnehmen sind, gibt es nur wenige Bezugnahmen auf den im 1. Jahrhundert nach Christus wirkenden libertus Augusti. Bei dem Epigrammatiker Martial wird er kurz mit den Worten an aemulatur improbi iocos Phaedri[5] erwähnt. Avian führt etwa 350 Jahre später die Herausgabe von Fabeln in fünf Büchern durch Phaedrus an.[6] Neben diesen Erwähnungen sind die im jambischen Senar verfassten ioci des Phaedrus in der als „Codex Pithoeanus“ bezeichneten Handschrift aus dem Jahr 1596, die der klassischen Philologie erst 1893 zugänglich gemacht wurde[7], und der „Appendix Perottina“, einer Anthologie des italienischen Humanisten Niccolò Perotti aus dem 15. Jahrhundert, auf uns gekommen. Obwohl der Dichter selbst am Ende des Prologs zum ersten Fabelbuch das scherzhafte Moment seiner Dichtung reflektiert, indem er dem Leser zu bedenken gibt: [...] fictis iocari[8] nos meminerit fabulis. [Hervorhebung von mir, J.W.], handelt es sich bei seinen Büchern nicht um eine Sammlung von Witzen oder Apophthegmata, sondern um fabulae. Theon von Alexandria, ein Gelehrter des 1. Jahrhunderts nach Christus, definiert die Fabel als eine erfundene, fingierte Geschichte, die eine Wahrheit veranschaulicht:[9] μῦθóς έστι λóγος[10] ψευδης είκονίζων άληθειαν. Eine allgemeingültige Definition kann, wie Dithmar feststellt, nicht gegeben werden, da die Eigenschaften der Fabel von den Autoren, Epochen und einzelnen Fabeltypen abhängig seien.[11] Wie auch immer einzelne Begriffsbestimmungen ausfallen mögen, fest steht, dass der in dieser Arbeit zu betrachtende Fabelautor Phaedrus das lateinische Wort fabula mit dem Zusatz „aesopisch“ versehen[12] und als Gattungsbezeichnung geprägt hat.

Diese Arbeit wird sich mit den fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Grundlagen auseinandersetzen, die für die Beschäftigung mit Phaedrus im lateinischen Lektüreunterricht zentral sind. Der Bearbeitung des Themas „Phaedrus im lateinischen Lektüreunterricht - fachwissenschaftliche und fachdidaktische Grundlagen“ liegen daher folgende Prämissen zugrunde: Die Fragestellung, auf welchen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Grundlagen die Phaedrus-Lektüre basiert, wird unter der Zielsetzung bearbeitet, die Berechtigung der Phaedrus-Lektüre im Lateinunterricht philologisch und didaktisch zu begründen. In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand umfassen diese Fragestellung und Zielsetzung sowohl eine theoretisch-deskriptive Betrachtung der fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Grundlagen als auch eine aktiv-wertende Darstellung aktueller Schulausgaben. Die Untersuchungsmethoden sind daher:

- eine literaturgeschichtliche Untersuchung der Gattung der antiken Fabel,
- eine Darstellung der Bedeutung der Versfabeln des Phaedrus aus philologischer und fachdidaktischer Sicht,
- eine Beschreibung der Geschichte der Lektüre von Phaedrus-Fabeln im Lateinunterricht an deutschen Schulen seit 1816,
- eine Analyse aktueller seit 1994 edierter Lektüreausgaben zu den Fabeln des Phaedrus.

Die Arbeit soll auf diese Weise folgende Thesen überprüfen und begründen:

These 1: Das weitgefächerte Spektrum der Gattung Fabel im ursprünglich-vieldeutigen Sinn wird durch die Gedichte des Phaedrus repräsentiert.

These 2: Als Begründer der römischen Gattung Versfabel bildet Phaedrus mit seinem Werk eine wesentliche Grundlage für das Fortbestehen der Fabel in der Weltliteratur.

These 3: Phaedrus’ Gedichte eignen sich aufgrund ihrer sprachlichen und inhaltlichen Gestaltung als Begleit-, Anfangs-, Übergangs-, Interims- und Hauptlektüre für Latein als erste, zweite, dritte und vierte Fremdsprache.

These 4: Die Fabeln des Phaedrus bieten eine literaturdidaktisch geeignete Textgrundlage für die Aneignung von Grundtechniken der Interpretation.

Diese vier Thesen werden durch drei vorrangig fachdidaktische Aspekte berücksichtigende Hypothesen erweitert:

Hypothese 1: Mit der Konzentration auf den Bereich der Tierfabel knüpfen viele aktuelle Textausgaben an die Kenntnisse der Schüler aus privater Lektüre oder dem Deutschunterricht an.

Hypothese 2: Das Fortwirken antiker Literatur kann Schülern anhand von Fabeln exemplarisch und eindringlich verdeutlicht werden.

Hypothese 3: Die Fabeln des Phaedrus regen einen kreativen Umgang mit antiker Literatur an.

Der Untersuchungsweg unterteilt sich in vier Abschnitte. Im ersten Teil soll die Bedeutung der antiken Fabel aus philologischer Sicht betrachtet werden, wobei Ursprung, Begriffsbestimmungen aus der Antike bis in die heutige Zeit, die Geschichte der Fabel und die Bedeutung der antiken griechischen und römischen Fabel vorgestellt werden. Der zweite Abschnitt wird sich mit Phaedrus als Fabelautor beschäftigen und dabei die historische Persönlichkeit, das Werk des Dichters und die Rezeptionsgeschichte darstellen. Im dritten Teil wird die fachdidaktische Bedeutung der Phaedrus-Lektüre anhand einer theoretischen und praktisch-analytischen Darstellung erörtert. Mithilfe der fachdidaktischen Literatur werden die didaktischen Grundlagen herausgestellt; eine Analyse aktueller Schultextausgaben wird die Vermittlung der Fabeln des Phaedrus in der unterrichtlichen Praxis näher betrachten. Schließlich sollen in einer zusammenfassenden Darstellung und Auswertung der Ergebnisse die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Grundlagen zur Begründung der Phaedrus-Lektüre im lateinischen Lektüreunterricht benutzt werden. Auf der Grundlage der Thesen 1 und 2 soll die philologische Begründung fußen, auf der Grundlage der Thesen 3 und 4 soll die didaktische Begründung aufgebaut werden. Die Verifizierung der drei Hypothesen soll den fachdidaktischen Teil der Begründung unterstützen.

Nicht nur die Formulierung des Themas, sondern auch der Anspruch des heutigen Lateinunterrichts, ein ganzheitliches Bild der antiken Welt zu vermitteln, verlangt eine Fokussierung der Fabeln des Phaedrus sowie seiner Dichterpersönlichkeit. Wie Holzberg in seinem Aufsatz „Phaedrus in der Literaturkritik seit Lessing. Alte und neue Wege der Interpretation“ eruiert, ist es geradezu unvermeidlich, den Autor zu betrachten, um sein Werk zu verstehen. Denn die ältere klassische Philologie schloss sich den abwertenden Urteilen der literarischen Größen des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, denen von Gotthold Ephraim Lessing[13] und Jacob Grimm[14] an, die Phaedrus’ Gedichte als armselige Poesie ohne guten Geschmack betrachteten, da der Versfabeldichter ihrer Ansicht nach unzulänglich erfasste griechische Vorlagen in ein Moralexempel umwandelte, dem aufgrund der Betonung der Lehrhaftigkeit jeglicher Humor und ausschmückende Erzählzüge fehlten. Thiele und Hausrath verbanden dieses Negativurteil bezüglich des Inhalts mit einer „hohen Anerkennung der Stil- und Verskunst.“[15] Im Allgemeinen stand die Erforschung der den erhaltenen Texten zugrundeliegenden Vorlagen und die Sammlungsgeschichte am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts im Vordergrund, dessen Folge eine Reihe von nützlichen textkritischen Ausgaben war.[16] Nøjegaard dagegen beschäftigt sich ausgiebig mit den überlieferten Texten selbst und hat eine sehr ausführliche und auf modernen Interpretationsmethoden beruhende Gesamtdarstellung der „Collectio Augustana“ sowie der Fabeln des Phaedrus und Babrios erarbeitet.[17] Auch wenn Nøjegaards Werk in der Forschung wenig Anklang fand, steht der Zusammenhang zwischen Stil und Inhalt in der neueren Phaedrus-Forschung im Vordergrund, wobei von Holzberg zwei Untersuchungsmethoden in Betracht gezogen werden. Demnach könnten die Fabeln des Phaedrus zum einen mit ihren literarischen Vorgaben verglichen werden, was sich nicht nur aufgrund der Überlieferungslage schwierig gestaltet, sondern auch zur Folge hätte,

[...] daß dem Fabeldichter Phaedrus Unrecht geschieht, wenn man seine brevitas unter rein formalästhetischem Aspekt als poetisch minderwertig verurteilt, indem man sie am stillschweigend vorausgesetzten dichterischen Glanz verlorener griechischer Vorbilder oder am nachweisbaren erzählerischen Genie des Horaz [...] mißt.[18]

Zum anderen ist eine „sozialhistorische Interpretation“ im Kontext der Entstehungszeit der Gedichte denkbar, wofür Kenntnisse über die Lebensumstände des Dichters notwendig sind. Holzberg betont, dass die in Phaedrus’ Fabeln vermittelte Lehre, der die narrative Technik der brevitas untergeordnet ist, innerhalb des sozialen und literarischen Kontextes betrachtet werden muss, in dem sie entstanden ist. Auch wenn es nur wenig gesicherte Fakten über den Dichter selbst gibt[19] und die meisten Informationen aus seinem Werk stammen, müsse diese Herangehensweise Grundlage der Phaedrus-Interpretation sein. Darüber hinaus nimmt auch in der fachdidaktischen Auseinandersetzung der Dichter selbst eine zentrale Rolle ein. So betont Fritsch in seinem für die fachdidaktische Betrachtung des Autors maßgeblichen Aufsatz „Phaedrus als Schulautor“:

Phaedrus ist ein antiker Mensch, mit dem sich die heutigen Schüler viel leichter identifizieren können als mit fast allen anderen römischen Autoren. Sein Lebensschicksal erweckt unmittelbar Sympathie. Sein Streben nach Anerkennung kann jeder Jugendliche verstehen. Seine moralische Tendenz entspricht durchaus in vielen Punkten dem ethischen Rigorismus heutiger Jugendlicher.[20]

Die Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen Werk und Autor verbindet die fachwissenschaftliche und fachdidaktische Forschung zu Phaedrus. Auch wenn Burnikel in seinem Aufsatz „Von einem besonderen Nutzen der Fabeln in den Schulen“? zu Beginn seiner Ausführungen eine negative Sicht auf das Genus aus fachdidaktischer Sicht entwirft[21], hat die didaktisch-methodische Auseinandersetzung mit Phaedrus und seinen Fabeln in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Gegenstand der folgenden Arbeit soll es daher sein, die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Grundlagen der Phaedrus-Lektüre im Lateinunterricht unter der oben genannten Fragestellung und Zielsetzung zu betrachten.

1. Fachwissenschaftliche Grundlagen: Ursprung, Begriff und literaturhistorische Entwicklung der antiken Fabel

1.1. Ursprung und Begriffsbestimmung der literarischen Gattung Fabel

1.1.1 Ursprung

Ausgangspunkt der Untersuchungen zur antiken Gattung Fabel ist die Erkenntnis, dass vor uns „keine Geschichte der Fabel, sondern der Fabelliteratur“[22] liegt. Dies bedeutet zum einen, dass mündliche Überlieferungen von Fabeln, die mindestens bis in das 8. Jahrhundert vor Christus zurückreichen, und viele außerhalb der antiken Fabelbücher überlieferten Fabeln[23] nicht unter philologischen Gesichtspunkten untersucht werden können. Zum anderen fasst die oben angeführte Feststellung auch den Umstand zusammen, dass die Frage nach dem Ursprung der Fabel unbeantwortet bleiben muss; aus heutiger Sicht kann nur die auf uns gekommene Fabelliteratur betrachtet werden. Die Herkunft der Fabel ist nicht eindeutig rekonstruierbar. Vor der Bearbeitung von Fabelmotiven in griechischer und später auch römischer Literatur sind ägyptische, babylonisch-assyrische und jüdische Vorformen nachweisbar. Als wichtigster Vorläufer gilt die orientalische Weisheitsliteratur, die vor allem im Buch Achikar aus dem 7. Jahrhundert vor Christus erhalten ist. Nachdem am Ende des 19. Jahrhunderts die griechische und dann auch die indische Fabel[24] als die ursprüngliche angesehen worden waren, glaubte Adrados am Ende des 20. Jahrhunderts aufgrund der Parallelen der wiederentdeckten mesopotamischen Fabel mit der griechischen und indischen Fabel, den mesopotamischen Ursprung der Fabel nachweisen zu können.[25] Brunner-Traut formulierte eine andere interessante Annahme zum Ursprung der Fabel, die in das antike Ägypten führt, wo Bilder, die eine Geschichte erzählen, ohne oder mit nur bruchstückhaften Texten gefunden wurden. Diese dienen ihr als Grundlage für die Annahme, das griechische Fabeln „säkularisierte ägyptische Mythen enthüllen.“[26] Auf einer Schülertafel findet sich zum Beispiel fragmentarisch der wohl älteste Textbeleg für die Fabel „Magen und Glieder“, die in der römischen Literatur durch Livius als Gleichnis des Menenius Agrippa[27] aufgenommen wurde. Nach Brunner-Traut ist auch das Fabelmotiv vom Rangstreit der Pflanzen „genuin ägyptisch“.[28] Wenn auch bei diesen Motiven eine ägyptische Herkunft angenommen werden kann, so ist es dennoch müßig, wie Crusius oder auch Hausrath[29] zu Beginn des 20. Jahrhunderts feststellten, der Frage nach dem Ursprung einzelner Fabelmotive nachzugehen. Wenn man den tiefen Ursprung der Fabel im „animistischen Denken“ als einem menschlichen Urtrieb sieht, ist sowohl eine Polygenese der Fabelliteratur denkbar als auch eine autochthone Entwicklung auf der Basis übereinstimmender Lebensmaximen verschiedenster Kulturen.[30]

1.1.2 Begriffsbestimmungen

Ebenso schwierig ist es, eine Begriffsbestimmung im Sinne einer alle Aspekte der Gattung umfassenden Definition vorzunehmen. Dieser Umstand rührt nicht zuletzt aus der Tatsache, dass Fabeln ursprünglich nicht als eigenständige literarische Gattung angesehen wurden, sondern vor allem als rhetorisches Schmuckmittel zur Illustration eines Sachverhalts. Das lateinische Wort fabula wird von fari (=sprechen) hergeleitet. Eine mögliche allgemein gehaltene Definition aus dem „Historischen Wörterbuch der Rhetorik“ lautet:[31]

Als Gattungsbezeichnung versteht man unter der F. (äsopischen F.) einen kurzen Erzähltext in Prosa oder Versform, der dem Rezipienten ein unter einer metaphorischen Maske verborgenes Gemeintes (Wahrheit) vermittelt.

Einer solchen Begriffsbestimmung kann grundsätzlich zugestimmt werden, da sie gattungstypische Merkmale beschreibt und im Großen und Ganzen mit den Vorstellungen und Erfahrungen der Leser bezüglich der Gattung Fabel übereinstimmt. Doch schon anhand dieser klar formulierten Begriffsbestimmung lassen sich die Schwierigkeiten einer zutreffenden Definition der Gattung aufzeigen. Problematisch ist nicht nur, dass die Fabel nicht auf eine Erzählform beschränkt ist, sondern auch, dass unklar bleibt, was mit einer „kurzen“ Erzählung gemeint ist, welcher Art die Wahrheit ist und ob in jedem Fall eine solche enthalten sein muss, und schließlich, welcher Ausprägung die bildliche Darstellung sein soll. Inhaltlich berührt die Fabel außerdem auch Themen, die sie in die Nähe des Märchens, der Sage, der Anekdote, der Allegorie, der Parabel, des Lehrgedichts, des Epigramms oder der Satire[32] rücken. Allgemein zeichnet sich die Fabel durch ihre narrative Form, Fiktivität und ihre paränetische Funktion aus, wobei verfremdete Akteure, das heißt Tiere, Pflanzen, Gegenstände, Menschen oder Götter, handeln. Es gibt aber auch Fabeln, die keine Moral enthalten, oder historisch greifbar sind.[33] Eine zufriedenstellende Definition lässt sich angesichts des dem Fabelbegriff inhärenten vieldeutigen Charakters nicht finden.[34] Auch Perry hat die Realisierbarkeit einer allgemeingültigen Fabeldefinition aufgrund ihres vielgestaltigen Charakters in Frage gestellt, indem er betonte „[...] that no conceivable definition of a fable, however broadly it might be formulated, could apply to all of them.“[35] Dennoch können allgemeine Definitionen wie die oben aufgeführte vor allem bei der unterrichtlichen Behandlung dazu beitragen, den Schülern einen Einblick in die Gattung zu geben. Eine Auseinandersetzung mit der Gattung im Lektüreunterricht auf einer abstrakteren Ebene muss aber auch Feinheiten in den Blick nehmen. Aus diesem Grund sollen im Folgenden Definitionen aus der Antike bis in die Gegenwart vorgestellt werden, wobei keine vollständige Zusammenstellung aller existenten Fabeldefinitionen angestrebt wird, sondern eine Auswahl von Begriffsbestimmungen aus verschiedenen Epochen erfolgen soll, welche auch im lateinischen Lektüreunterricht ins Bewusstsein der Schüler zu rückende Aspekte zur Gattung umfassen und die weit in die Antike zurückreichende Literaturgeschichte der Fabel verdeutlichen können.

Die ursprüngliche Funktion der Fabel in der Literatur als Mittel der Exemplifizierung wird durch die erste literaturhistorische Erwähnung der Gattung in Aristoteles’ „Ars rhetorica“ herausgestellt. Im Rahmen seiner Ausführungen zu innerhalb einer Rede üblichen Beweismitteln, führt Aristoteles (384-322 vor Christus) im 20. Kapitel des zweiten Buches aus:

εἰσί δ’ αἰ κοιναὶ πίστεις δύο τῷ γένει, παράδειγμα καὶ ἐνθύμηματα∙ ἡ γὰρ γνώμη μέρος ἐνθύμήματός ἐστιν. πρῶτον μὲν οὖν περὶ παραδείγματος λέγωμεν∙ ὅμοιον γὰρ ἐπαγωγῇ τὸ παράδειγμα, ἡ δ’ ἐπαγωγὴ ἀρχή. παραδειγμάτων δὲ εἴδη δύο· ἓν μὲν γάρ ἐστιν παραδείγματος εἶδος τὸ λέγειν πράγματα προγενομένα, ἓν δὲ τὸ αὐτὸν ποιεῖν. τούτου δὲ ἓν μέν παραβολὴ ἓν δὲ λόγοι, οἷον οἱ Αἱσώπειοι καὶ Λιβυκοί.[36]

Demnach gehören das Beispiel und das Enthymem zu den rhetorischen Beweismitteln. Ein Beispiel[37] (παράδειγμα) wird entweder durch die Wiedergabe eines früheren realen oder aber eines erdichteten Ereignisses in Form eines Gleichnisses (παραβολή) oder einer Fabel (λóγος) gegeben. Wie es sich für ein rhetorisches Werk gehört, nennt Aristoteles zwei Fabelbeispiele aus dem politischen Bereich. Sowohl der Chorlyriker Stesichoros (um 600 vor Christus) als auch der λογοποιός schlechthin, Aesop[38], hätten durch ihre Fabeln versucht, Einfluss auf die politischen Entscheidungen des Volkes von Himera beziehungsweise Samos zu nehmen.[39] Aristoteles sieht den Vorteil der Fabel darin, dass sie gerade für Reden vor dem Volk geeignet sei und es leichter sei, eine Fabel als Exempel zu finden, als tatsächlich geschehene Ereignisse aus der Vergangenheit.[40] Insgesamt sei aber die Beweiskraft einer Fabel geringer als die eines historischen Beispiels.

Ähnlich betrachtet auch der römische Rhetoriker Quintilian (35-96 nach Christus) die Funktion der Fabel in seinem Werk „Institutio oratoria“ innerhalb einer Abhandlung zu Beispielen, die ex poeticis fabulis ducuntur.[41] Insgesamt haben seine Ausführungen zur fabella[42] einen pejorativen Charakter, wie die Wahl des Diminutivums schon andeutet. Während Aristoteles die Fabelliteratur noch als anspruchsvoll charakterisiert, seien nach Quintilian die fabellae gerade für die animos [...] rusticorum et imperitorum[43] geeignet, was er durch die Fabel des Menenius Agrippa belegt. Neben Herodot als Begründer der Gattung und Aesop, der sie berühmt gemacht habe, erwähnt Quintilian als einzigen römischen Dichter, der den Gebrauch von Fabeln nicht als humilis[44] ansah, Horaz mit der Fabel vom Fuchs und Löwen.[45] Obwohl die Fabeln des Phaedrus zu Quintilians Zeiten schon längst veröffentlicht waren, findet der Versfabeldichter, der die Fabel von der Einbettung in einen rhetorischen Kontext losgelöst und wesentlich zur Emanzipation des literarischen Genus beigetragen hat, im rhetorischen Werk Quintilians keine Erwähnung.

Dabei gilt Phaedrus als der erste antike Dichter, der den Begriff fabulae mit dem Zusatz Aesopiae versehen als Gattungsbezeichnung verwandt hat.[46] Im Prolog zu seinem vierten Buch[47] begründet er seine Entscheidung, ein weiteres Fabelbuch zu verfassen, mit der Tatsache, dass er noch viel mehr Stoff im Kopf habe als den durch aesopische Vorlagen bekannten. Daher kommt er zur Unterscheidung von fabulae Aesopi, also auf griechischen Vorlagen basierenden Fabeln, deren Stoff somit schon vor der Bearbeitung durch Phaedrus verbreitet war, und fabulae Aesopiae, phaedrianischen Fabeln nach dem Vorbild Aesops.[48]

Diese verstreuten und unsystematischen fabeltheoretischen Ausführungen antiker Autoren finden ihre überzeugendste Konklusion in den Definitionen von Theon von Alexandria (1./2. Jahrhundert nach Christus) und Aphthonios[49] (4./5. Jahrhundert nach Christus). Nach der Definition des Rhetorikers Theon μῦθóς ἐστι λ ó γος ψευδ η ς ε ἰ κον ί ζων ἀ λ η θειαν[50] in den „Progymnasmata“, rhetorischen Übungen zu vorgegebenen Themen, ist eine Fabel also „ ,eine fiktionale Erzählung, die eine Wahrheit abbildet’, d.h. aus der sich eine in der Realität gültige Wahrheit (=Lehre) entnehmen lässt.“[51] Im Kern findet sich diese Begriffsbestimmung in späteren fabeltheoretischen Formulierungen mit verschiedenen Erweiterungen und Akzentuierungen wieder. So weist der Kirchenlehrer Augustinus (354-430 nach Christus) der Fabel einen bestimmten Zweck zu: Est fabula compositum ad utilitatem delectionemve mendacium.[52] Damit greift er auf die schon von Phaedrus formulierte Intention der Fabel zurück, in für das Leben Nützlichem zu unterweisen und gleichzeitig zu unterhalten.[53] Der Grammatikprofessor Priscianus (6. Jahrhundert) erklärte: Fabula est oratio ficta verisimili dispositione imaginem exhibens veritatis.[54] Er betont weiterhin, dass sie in erster Linie der Unterweisung junger noch ungefestigter Menschen dient, und macht Ausführungen zu ihrer Herkunft und Fabeltypen. In diesem Zusammenhang führt er auch konkrete Vorstellungen zur Form und zum Stil der Fabel an: circuitionibus carere et iucundior esse.[55] Außerdem sieht er den Teil, in dem am besten am Ende die Lehre der Fabel gezeigt werden soll, die affabulatio, als festen Bestandteil der Gattung.[56] Den Schlusspunkt in der Reihe dieser antiken Definitionen soll die des Isidorus von Sevilla (566-636 nach Christus) bilden, der in seinen „Origines“, die auf der Grundlage von etymologischen Worterklärung eine Enzyklopädie des gesamten damaligen Wissens offenbaren, die Fabel als literarische Gattung folgendermaßen definiert:[57]

Fabulas poetae a fando nominaverunt, quia non sunt res factae, sed tantum loquendo fictae. Quae ideo sunt inductae, ut fictorum mutorum animalium inter se conloquio imago quaedam vitae hominum nosceretur.

Festzuhalten ist, dass die antike Vorstellung von der Fabel als einer fiktionalen Erzählung zum Zwecke der Abbildung einer (menschlichen) Wahrheit im Grunde den kleinsten und einzigen gemeinsamen Nenner darstellt, der bei der Begriffsbestimmung einer so vielfältig akzentuierten Gattung möglich ist. Auf diesen Kern beziehen sich nicht nur mittelalterliche Autoren wie Marie de France[58] oder Heinrich Steinhöwel[59], sondern auch die bekannten Theoretiker aus dem Zeitalter der Reformation und der Aufklärung.

Viele nachantike Definitionen spiegeln ganz unterschiedliche Aspekte der Gattung im Kontext der jeweiligen Zeit wider, die jedoch nicht ausnahmslos durch die Fabelliteratur bestätigt werden können. Lessing hat in seiner „Abhandlung über die Fabel“ eine speziellere Definition der Fabel versucht, die sie in die Richtung des Lehrgedichts drängt:[60]

Wenn wir einen allgemeinen moralischen Satz auf einen besonderen Fall zurückführen, diesem besonderen Falle die Wirklichkeit erteilen und eine Geschichte daraus dichten, in welcher man den allgemeinen Satz anschauend erkennt: so heißt diese Erdichtung eine Fabel.

So wie diese Definition, die alle Prosafabeln sowie alle ohne Moral versehenen, die Realität abbildenden Fabeln ausschließt, ist auch die Vorstellung von Jacobs[61] am Ende des 19. Jahrhunderts nicht unumschränkt anwendbar auf alle Texte, die als Fabel begriffen werden, da er sich bei der Wesensbestimmung auf die Tierfabeln beschränkt. Hasubek stellt unter Berücksichtigung dieser so unterschiedlich akzentuierten Begriffsbestimmungen zusammenfassend fest:[62]

Ihre erstaunliche Widerstandsfähigkeit in einem mehr als zweitausendjährigem literarischen Zerreibungs-, Auflösungs- und Umgestaltungsprozeß verdankt die Fabel dem Umstand, daß gerade ihre Gattungsgrenzen nicht starr, sondern von einer bewundernswerten Elastizität und Wandlungsfähigkeit waren und noch sind.

Die Liste theoretischer Auseinandersetzungen mit der Gattung könnte so weiter fortgesetzt werden. Die angeführten Begriffsbestimmungen belegen die für diese Arbeit grundlegende Feststellung, dass, auch wenn keine alle Feinheiten der Gattung umfassende Definition gegeben werden kann, das auch noch heute existierende Verständnis von der literarischen Gattung Fabel als fiktive Erzählung, die „eine Sache [...] in einer bildhaften Geschichte eindringlich und überzeugend [darstellt],“[63] schon durch antike Fabelautoren und Literaturtheoretiker geprägt wurde. Dies untermauert nicht zuletzt Perry, wenn er als denkbar beste Definition der Fabel Theon von Alexandria zitiert.[64] Er betont darüber hinaus drei wesentliche Gattungsmerkmale. Zum einen ist in Bezug auf die Wahrheit der Fabel zu beachten: „[...] the truth pictured by a fable must always be a general one.“[65] Weiterhin beschreibt er den narrativen Charakter der Fabel so: „The narrative [...] never takes the form of a story told for its own sake.“[66] Der dritte wichtige Punkt, die Übertragbarkeit von dem in der Fabel kreierten Bild auf einen Vergleichsbereich in der Realität, wird von Perry so formuliert: „[...] and because a fable ,pictures’ a truth it is, theoretically, only a metaphor in the form of a past narrative.“[67] Dithmar betont dies bei seiner Abgrenzung der Fabel von der Beispielerzählung, indem er die Fabel im Gegensatz zum paradigmatischen Exemplum als parabolisch[68] bezeichnet. Diese Wesensmerkmale sollen den Abschluss des Kapitels bilden, in dem der in These 1 formulierte ursprünglich-vielgestaltige Charakter der Gattung Fabel anhand der sehr allgemein gehaltenen Begriffsbestimmungen belegt wurde. Das Verständnis für die literaturgeschichtliche Bedeutung des Fabeldichters Phaedrus in Bezug auf den dem Wort fabula[69] inhärenten vielgestaltigen Wesenszug soll mit dem folgenden Überblick über die antike griechische und lateinische Fabelliteratur vorbereitet werden.

1.2 Antike griechische Fabelliteratur

Perry unterscheidet drei Entwicklungsstufen der antiken Fabel.[70] Danach kennzeichnet sich die Fabel in der ersten Stufe dadurch, dass sie zur Illustration eines konkreten Kontextes angeführt wird. Die oben wiedergegebenen Ausführungen von Aristoteles stehen am Ende dieser ersten Entwicklungsphase in der antiken griechischen Literatur. Die für uns nachvollziehbare Gattungsgeschichte beginnt mit Hesiods Fabel „Nachtigall und Habicht“, die innerhalb seiner „Werke und Tage“ überliefert ist, und Archilochos’ Fabeln „Adler und Fuchs“ sowie „Affe und Fuchs“.[71] Insgesamt sind aus der archaischen und klassischen Zeit 23 Fabeln beziehungsweise Fabelfragmente[72] und zehn gesicherte Anspielungen auf Fabeln erhalten.[73]

Der Name, der unmittelbar mit der griechischen Fabel verbunden ist, wird von dem Historiker Herodot Mitte des 5. Jahrhunderts vor Christus erwähnt. Demnach lebte der Geschichtenerzähler Aesop zu Anfang des 6. Jahrhunderts vor Christus als Sklave auf der Insel Samos.[74] Auch wenn dieser Aesop seit dem 5. Jahrhundert vor Christus als Gewährsmann der griechischen Fabelliteratur vorkommt[75], ist seine Historizität umstritten. Schnur nimmt an, dass es sich um eine „halb-historische Persönlichkeit“[76] handele. Aesop soll ein aus Phrygien stammender Sklave gewesen sein, der missgestaltet und anfangs der Sprache beraubt dem Philosophen Xanthos auf Samos gedient habe. Nach seiner Freilassung war er Berater des Kroisos und wurde als Gesandter in Delphi zu Unrecht zum Tode verurteilt. Wenn man, wie Holzberg, eine Beeinflussung des griechischen Fabelstoffes durch altorientalische Einwirkungen nicht ausschließt, liegt die Vermutung nahe, dass ein hellenisierter λογοποιός, der aus Kleinasien stammte, „[...] die Kenntnis ursprünglich babylonischer Fabelstoffe“ mündlich tradierte.[77] Andererseits variieren die Aussagen über die Herkunft Aesops[78], dessen Leben in späteren Jahrhunderten sogar Anlaß zur Entstehung einer Aesop-Legende gab. Möglicherweise ist eine aus Fabeln bestehende Aesop-Biographie schon vor der Fabelsammlung des Demetrios von Phaleron (384-322 vor Christus) entstanden.[79]

Von dieser ersten bezeugten Fabelsammlung der griechisch-römischen Antike berichtet Diogenes Laertios[80] in seinem zehn Bücher umfassenden Werk „Leben und Meinungen berühmter Philosophen“. Demetrios von Phaleron, der als Schüler des Aristoteles, Redner, Staatsmann und Philosoph auch eine Rhetorik verfasste, fügte der Theorie seines Lehrers über die Beispielfunktion der Fabel demnach ein praktisches Promptuarium zu. Damit befinden wir uns in der zweiten Entwicklungsphase der antiken Fabel, in der Sammlungen aesopischer Fabeln vor allem zur leichteren Handhabung und schnelleren Auswahl von Texte für rhetorische Zwecke angelegt wurden. Zu dieser Zeit entstanden auch Sammlungen von offiziellen Beschlüssen, Mythen, Epigrammen oder witzigen Aussprüchen bekannter Männer. Ihr Zweck war „[...] predominantly scientific, scholastic, or utilitarian, rather than artistic or ethical“.[81] Die Sammlung des Demetrios ist zwar nicht erhalten, dennoch kann Perrys These von einem Promptuarium aufgrund des von Roberts[82] 1938 herausgegebenen Papyrus Rylands 493 gestützt werden. Diese im ersten Jahrhundert nach Christus verfassten 157 Zeilen zeigen, wie Fabeln in einer Sammlung zum Zwecke der praktischeren Handhabung durch stereotype Wendungen gerahmt wurden. Da die Fabeln in einer Sammlung nicht mehr in einem Kontext aufgelistet werden konnten, wurden sie mit einer Art Überschrift, gattungsterminologisch als Promythium bezeichnet, und/oder einem gnomischen Schlusswort, einem Epimythium, versehen.[83] In alexandrinischer Zeit galten Fabeln zwar noch nicht als eigenständige Literatur, aber der erste Schritt in die Richtung einer literarischen Emanzipation war die Herstellung von reinen Fabelsammlungen, welche die umlaufenden Stoffe zusammenfassten und somit die Grundlage für eine literarisch weitergehende Auseinandersetzung mit den Texten schufen.

In der Kaiserzeit (1.-4. Jahrhundert nach Christus) werden Fabeln weiterhin innerhalb gelehrter Erörterungen und Vorträge verwandt. Zu den uns bekannten sechs Autoren, welche die Fabel auf diese Weise benutzten, gehören Dion von Prusa (ca. 40-120), Maximos von Tyros (ca. 125-185), Aelius Aristeides (129- ca. 189), Himeros (ca. 310-380), Libanios (314- ca. 393) und Themistios (ca. 317-388). In Fabelanspielungen des Lukian von Samosta (ca. 120-180) wird so knapp auf aesopische Vorlagen angespielt, dass Holzberg die Existenz eines Werkes „Leben und Fabeln Aesops“ in dieser Zeit nicht ausschließt.[84] In diesem Prosafabelbuch aus dem 2. oder 3. Jahrhundert nach Christus wird von einem unbekannten Autor das Leben des Aesop unter Hinzuziehung seiner Fabeln erzählt. Dazu kommt eine alphabetische Fabelsammlung, die nach dem ursprünglichen Aufbewahrungsort der ersten Handschrift in Augsburg als „Collectio Augustana“ bezeichnet wird. Der Aesop-Roman, welcher auch als Vorläufer des pikaresken Romans gilt, ließ sich in den Kapiteln 101 bis 123 sehr wahrscheinlich vom Achikar-Roman inspirieren und stellt innerhalb der griechischen Literatur als Sammlung mit einem „einheitliche[n] narrative[n] Konzept“[85] eine Innovation dar. Allgemein stehen der Vorstellung, dass der Roman nur den Rahmen für eine Aneinanderreihung von Fabeln bildete, die bei Holzberg aufgeführten Thesen entgegen, dass es sich um ein völlig neues literarisches Werk handelte, in dem die Fabeln nicht um ihrer selbst willen erzählt wurden, sondern zur Verdeutlichung eines Lebensabschnitts des Aesop. Da weder der Aesop-Roman noch die Fabelsammlung im Original erhalten sind[86], kann über den Verfasser der Werke nur spekuliert werden. Holzberg nimmt unter anderem aufgrund der Betonung des satirischen Elementes bei der Aufdeckung des Unterschieds zwischen Schein und Sein in beiden Werken die Identität ihrer Verfasser an.[87]

Die Fabelsammlung selbst gibt aufgrund ihrer alphabetischen Anordnung und ihres schlichten Stils Anlass zu der Vermutung, dass der Autor der uns bekannten Version die „Mythiamben“ des Babrios, eines hellenisierten Römers, der zwischen dem Ende des 1. Jahrhunderts bis etwa Anfang des 3. Jahrhunderts nach Christus sein Werk schrieb, kannte. Davon sind 144 fast vollständig überlieferte Fabeln in Hinkiamben erhalten. Babrios war wahrscheinlich Prinzenerzieher am Hofe eines Kleinkönigs in der östlichen Hälfte des römischen Reiches und verfasste die Fabeln zur Erziehung und Bildung des Königssohns Branchos. Einerseits steht sein sehr kunstvoller Stil der bewussten Schlichtheit der Fabeln in der Augustana-Sammlung entgegen.[88] Andererseits ordnet Babrios wie der unbekannte Verfasser der „recensio Augustana“ seine Fabeln alphabetisch.[89] Babrios’ Fabeln wollen nicht kritisieren, sondern zugunsten der psychologischen Komponente in formvollendeter Poesie zu Milde und Gewaltverzicht erziehen.[90]

Darüber hinaus wurden Babrios’ Fabeln offensichtlich auch in dem Schulbuch „Hermeneumata“ aus dem frühen 3. Jahrhundert nach Christus als Vorlage benutzt, da im vierten von zwölf Hauptstücken dieses Schulbuches neun Fabeln identifiziert wurden, deren Quelle Babrios sein könnte, und drei Fabeln direkt auf Babrios-Mythiamben zurückgeführt werden können.[91] Dieser vierte Teil der lateinischen Sprachlehre für Griechen wird als „Pseudo-Dositheus“ bezeichnet und zeigt, dass Fabeln fester Bestandteil nicht nur rhetorischer Übungspraxis waren, sondern auch zum Erlernen einer Sprache dienten.

Als Resümee aus der Betrachtung antiker griechischer Fabeltexte lässt sich für die eingangs aufgestellten Thesen 1 und 2 festhalten, dass zum einen die Existenz eines Versfabelbuches vor Phaedrus nicht belegbar ist, da es sich bei dem Werk „Leben und Fabeln Aesops“ um ein Prosafabelbuch handelt und die „Mythiamben“ des Babrios erst nach der Wirkungszeit des Phaedrus entstanden sind. Zum anderen wurde evident, dass als unmittelbare griechische Vorläufer der römischen Fabelliteratur und somit auch des Fabeldichters Phaedrus nur Fabeln angesehen werden können, die innerhalb anderer Gattungen vorkommen. Dazu kommt das zur Verwendung in diesem Rahmen angelegte Repertorium des Demetrios von Phaleron. Drittens ist auf den Umstand hinzuweisen, dass auch in der nach Perry dritten Phase der antiken Fabelliteratur, in der ihr ein eigenständiger literarischer Wert zugeschrieben wurde, diese immer noch stark von ihrer Funktion als Mittel der Exemplifizierung entweder einer erzieherischen Idee beziehungsweise einer Legende bestimmt war. Kapitel 1.2 hat auch die Figur des Aesop beleuchtet, der im Werk des Phaedrus eine zentrale Position als Urheber und Orientierungspunkt einnimmt. Dieser Archeget der griechischen Fabel wird in der lateinischen Literatur erst wieder von Phaedrus explizit als Schöpfer des von ihm verwendeten Fabelstoffes erwähnt.

1.3 Die Fabel in der römischen Literatur

1.3.1 Republik und frühe Kaiserzeit

Auch wenn die römische Fabelliteratur vor Phaedrus nicht so weit zurückreicht wie die griechische, soll sie am Ende des ersten theoretischen Teils dieser Arbeit betrachtet werden. Dazu werden die römischen Vorlagen vorgestellt, die Phaedrus’ Werk vorangingen, sowie ein Einblick in die antike Rezeption des Versfabeldichters in der lateinischen Literatur gegeben.

Die für uns nachvollziehbare römische Fabelliteratur setzt mit dem Satirendichter Ennius etwa 450 Jahre nach der ersten nachweisbaren Verwendung der Fabel in der griechischen Literatur durch Hesiod ein. Auch wenn dies im Vergleich zur griechischen Literatur spät scheint, ist Ennius (239-169 vor Christus) doch der erste römische Schriftsteller, der nach den Tragödiendichtern Livius Andronicus und Naevius neben seinem Hauptwerk „Annales“ auch Satiren dichtete, innerhalb derer er die Fabel von der Haubenlerche[92] erzählte. Während die Verwendung der Fabel als Mittel der Exemplifizierung in der archaischen griechischen Literatur innerhalb sehr unterschiedlicher Gattungen[93] vorkam, erscheint sie zu Beginn der lateinischen Literatur nur in poetischen Texten, besonders innerhalb der als römische Schöpfung[94] geltenden Gattung Satire. Sowohl die Fabel von der Haubenlerche als auch die Fabel „Löwe und Fuchs“[95] des als inventor der Gattung Satire angesehenen Dichters Lucilius (gest. ca. 102 vor Christus) sind nur in Fragmenten erhalten, wobei Gellius (geb. ca. 130 nach Christus) in seinen „Noctes Atticae“ 2, 29, 3-16 den zwei erhaltenen ennianischen Schlussversen eine eigene Version der Fabel voranstellt, die ohne eindeutige wissenschaftliche Belege oft als eine Paraphrase des Ennius-Textes angesehen wird. Besser erhalten sind die Fabeltexte von Catull (87-54 vor Christus) und Horaz (65-8 vor Christus).[96]

Einen tieferen Einblick in die Verwendung der Fabel innerhalb einer anderen Gattung bietet Horaz, der vier Fabeln innerhalb seiner Werke verwandte. Drei von ihnen scheint er als Mittel, seine persönlichen Ansichten bezüglich seines Verhältnisses zu Maecenas verdeckt auszudrücken, genutzt zu haben. Neben Hor. epist. 1, 7 und sat. 2, 3 erfährt besonders die Fabel von der Stadt- und Landmaus am Ende der Satire 2, 6 aufgrund ihrer gattungsuntypischen künstlerisch ausgestalteten Form Anerkennung. Horaz scheint, wie Holzberg nachweist[97], die Stadtmaus mit Maecenas und die Landmaus mit sich selbst gleichzusetzen und die pseudo-epikureische Lebenseinstellung seines Patrons seiner eigenen zurückgezogeneren Lebensweise gegenüberzustellen. Die Satire kontrastiert autobiographisch das idyllische Landleben auf dem Sabinum, das dem für Horaz idealen Lebensstil entspricht, mit dem aufregenden Stadtleben des Maecenas.[98] Die Fabel am Ende der Satire transformiert das zuvor Dargestellte in ein plastisches Bild. Auch wenn Horaz-Experten wie Knorr der These zustimmen, dass es sich hier nur um „[...] scheinbar persönliche Aussagen handelt“[99], die auf eine für die „Sermones“ des Horaz ironische, übertriebene und witzige Weise zeigen sollen, dass man „[...] mit der richtigen inneren Einstellung überall glücklich sein kann“[100], zeigt die Satire dennoch eine typische vor-phaedrianische Verwendung der Fabel innerhalb der römischen Dichtung. Sie ist, wie es bei Horaz explizit deutlich wird, nicht nur Mittel der Exemplifizierung einer allgemeinen Wahrheit[101], sondern auch Mittel, eine ganz konkrete persönliche Ansicht darzustellen und damit gegebene Umstände zu kritisieren. Die Fabel entwickelt sich damit zu anspruchsvoller Literatur, die zunehmend Eigenständigkeit gewinnt.

In der lateinischen Prosaliteratur gibt es nur vereinzelte Bezugnahmen auf Fabeln. Vor Phaedrus’ Schaffenszeit werden sie in prosaischer Literatur bei dem römischen Historikern Pompeius Trogus am Ende des 1. Jahrhunderts vor Christus in den „Historiae Philippicae“ und bei Livius (59 vor Christus - 17 nach Christus) in seiner römischen Geschichte „Ab urbe condita“ verwandt.[102] Bei Pompeius Trogus ist die Verwendung nur noch über die Epitome des Justinus, in der die Fabel von der gebärenden Hündin überliefert ist, nachweisbar. Besser erhalten ist die Fabel vom Aufstand der Glieder gegen den Magen. Livius leitet diese Fabel, die Menenius Agrippa der revoltierenden Menge im Zuge der Ständekämpfe erzählt haben soll, mit den die Gattung abwertenden Worten ein: [...] prisco illo dicendi et horrido modo nihil aliud quam hoc narrasse fertur [...].[103] Die Fabel zeigt die Abhängigkeit der Glieder vom Magen, die sich gegen diesen auflehnten, indem sie ihm keine Nahrung mehr zuführten, sich aber somit selbst zur völligen Ermattung gebracht hatten. Diese Darstellung, in der die Glieder ihre Abhängigkeit vom Magen eingesehen haben, habe auch die beabsichtigte Wirkung auf die Plebejer gehabt: Comparando hinc quam intestina corporis seditio similis esset irae plebis in patres, flexisse mentes hominum.[104] Trotz des Erfolges dieser Rede scheint sie für Livius eine unwürdige, einfältige Redeweise zu sein, „die es zuläßt, daß politisches Argumentieren nicht durch die exempla mairoum [...] verdeutlicht wird.“[105] Diese Ansicht wird etwa 100 Jahre später noch von Quintilian bestätigt.[106] Dennoch muss betont werden, dass Livius so wie Dionysios von Halikarnassos 6, 86 die Fabel „in einer Ausgestaltung [erzählt], die das dürre Gerippe der Rhetorenfabel weit übertrifft.“[107] Müller formuliert eine interessante Interpretation der gesamten Fabel, die den Magen nicht „als Analogon für die Patrizier“[108] sieht, sondern ihm eine untergeordnete Position nachweist, die Kritik an der Rolle der Patrizier erkennbar werden lässt.

Das offensichtlich schlechte Image der Gattung wird durch wenige weitere Anspielungen auf Fabeln reflektiert. Ein Zeitgenosse von Phaedrus, Seneca der Jüngere (4 vor Christus-65 nach Christus), spielt beispielsweise innerhalb seiner philosophischen Schrift „De otio“ kurz auf die Fabel vom Fuchs und Löwen an, in welcher ein kranker Löwe den Fuchs fragt, warum er nicht mit in die Höhle eintritt. Diese Anspielung ist allerdings so knapp, dass eine gewisse Kenntnis der aesopischen Fabeln angenommen werden muss, da die Stelle sonst unverständlich gewesen wäre: [...] nec viam bonam ac malam per se aestimamus sed turba vestigiorum, in quibus nulla sunt redeuntium.[109]

Als Zwischenbilanz ist daher festzustellen, dass vor und zu Phaedrus’ Zeiten Fabeln besonders in die Dichtung, vor allem in die Gattung Satire, integriert wurden, während die Verwendung von Fabeln in der Prosaliteratur dem römischen Historizitätsanspruch widersprach. Insgesamt sind 15 der 18 Fabelanspielungen in der lateinischen Literatur vor Phaedrus in poetischen Texten überliefert. Eine zusammenfassende Einschätzung zur römischen Fabelliteratur vor Phaedrus gibt Hausrath, der betont, dass

[...] in der griechisch-römischen Fabel, deren Entwicklung ja durchaus parallel verläuft, zunächst zwei Gruppen zu scheiden [sind]: die Historiker, die nach dem Vorbild peripatetischer Geschichtsschreibung die Fabel mit zum Aufputz verwenden, und die Popularphilosophen und Literaten, die sie wie Horaz als Zeugnis aus dem Volksmund heranziehen.[110]

Phaedrus, der im zweiten Teil dieser Arbeit aus philologischer Sicht näher betrachtet werden soll, nimmt sich also einer Gattung an, die in der römischen Literatur nicht viel Beachtung gefunden hat, einer Gattung, die in spöttische Literatur eingefügt wurde, sich aber nicht als Quelle für Exemplifizierungen in der ernsthafteren Prosaliteratur durchsetzen konnte. Anders als in der griechischen Literaturgeschichte, steht am Ende der ersten Phase der antiken Fabelliteratur daher auch keine Sammlung wie die des Demetrios von Phaleron. Dies rührt zum einen aus der Tatsache, dass Fabelsammlungen als Bezugsquelle schon in der griechischen Literatur vorhanden waren, zum anderen aber vor allem daher, dass es keinen neuen römischen Fabelstoff gab, den man hätte sammeln können. Durch Phaedrus fällt diese zweite Phase des Sammelns mit der dritten Entwicklungsstufe der Fabel, in der sie zu eigenständiger Literatur wird, zusammen.

1.3.2 Spätantike

Phaedrus’ Werk fand entsprechend der abwertenden Einstellung zur Gattung in der römischen Dichtung keinen großen Anklang, sodass sich die Fabel als eigenständiges Genus in den folgenden drei Jahrhunderten nicht etablierte. Es finden sich sogar weniger Beispiele für die Verwendung von Fabeln innerhalb anderer Gattungen. Nur drei von insgesamt 21 Fabelanspielungen können für die Zeit nach Phaedrus in der antiken römischen Literatur belegt werden. Zu ihnen gehört Gellius’ Version der Fabel von der Haubenlerche[111] sowie die früher zu datierenden Anwendungen von Fabeln durch Fronto (ca. 100-170 nach Christus) und Apuleius (geb. ca. 125 nach Christus)[112], die beide der „Zweiten Sophistik“ des 2. und beginnenden 3. Jahrhunderts nach Christus zugeordnet werden. Am Ende der Praefatio zu seinem Werk „De Deo Socratis“, in dem er vor allem die Dämonologie des Sokrates bespricht, fügt Apuleius ausführlich die Fabel von Rabe und Fuchs ein. Die einzige Fabel, die nicht auf eine aesopische Vorform zurückgreift, „Weinstock und Steineiche“, findet sich in den Fragmenten des Fronto innerhalb seiner Briefsammlung. Die beiden Autoren verbindet trotz aller Unterschiede[113] ihr hohes Ansehen als Redner. Innerhalb der „Zweiten Sophistik“ in Rom, deren Hintergrund ein rhetorisches Bildungsstreben war, kann also die Verwendung der Fabel in ihrer ursprünglichen Form als Mittel zum Zweck nachgewiesen werden.

Erst zwischen den Jahren 350 und 500 ist eine Fabelsammlung in lateinischer Prosa entstanden, die als „Aesopus Latinus“ bezeichnet wird, da einer der inzwischen als Fälschungen angesehenen zwei Briefe, die den Fabeln vorgeschaltet sind, ein Widmungsschreiben des „Aesopus“ an einen „Rufus“ sein soll. In zwei der vier Handschriftenklassen, der „recensio Gallicana“ und der „recensio vetus“, folgt diesem Schreiben noch der Brief eines „Romulus“ an seinen Sohn „Tiberinus“. Diese Briefe sind jedoch aus Versen der Prologe und Epiloge zu Phaedrus’ Fabelbüchern zusammengesetzt. Weiterhin sind 47 der 81 in den beiden genannten recensiones überlieferten Fabeln eindeutig Prosabearbeitungen der Versfabeln des Phaedrus. Weitere acht Fabeln können durch Vergleich mit einer 67 Fabeln umfassenden Sammlung, die durch eine Abschrift des Presbyters Ademar von Chabannais[114] aus dem 11. Jahrhundert erhalten ist, auf Phaedrus zurückgeführt werden. Von den übrigen 26 Fabeln können wiederum 13 als Umformungen von Phaedrus-Versen identifiziert werden. Es wird angenommen, dass die von einem „Romulus“ verfasste Sammlung, die keinen reinen Prosa-Phaedrus darstellt, nicht als die ursprüngliche Fassung des „Aesopus Latinus“ angesehen werden kann. In einem vierten Kodex, dem Wolfenbüttler cod. Gud. Lat. 148, aus dem 10. Jahrhundert sind in fünf Büchern 56 Prosafabeln überliefert, die auf Phaedrus-Gedichte zurückzuführen sind und teilweise eine größere Übereinstimmung mit den originalen fabulae Aesopiae des Phaedrus aufweisen als die „Romulus“-Texte. Diesem Kodex fehlt das Schreiben des „Romulus“. Stattdessen steht wie bei Phaedrus am Anfang die Fabel von Wolf und Lamm. Ein solcher Ur-Aesopus war somit wahrscheinlich die Grundlage für die „Romulus“-Ausgaben, die durch weitere Phaedriana-Bearbeitungen und Fabeln anderer Autoren ergänzt wurden. Die unterschiedlichen Wortlaute in den recensiones, ihre zum Teil sehr schlechte Qualität, die zwölf in der „recensio Gallicana“ zusätzlich enthaltenen Phaedrus-Bearbeitungen und die Existenz von Fabeln, die aufgrund ihrer großen Abweichungen vom Original neue Fabeln[115] bilden, sind Gegenstand systematischer philologischer Untersuchungen. Einen modernen wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Ansatz zur Untersuchung der überlieferten Texte bietet der Germanist Grübmüller, der die Phaedrus-Fabel 1, 1 mit der Version im „Aesopus Latinus“ verglichen hat und eine Abmilderung der Kritik an Gewalt und Willkür der Mächtigen nachweisen konnte.[116] Trotz der komplizierten Überlieferungslage ist als Faktum festzuhalten, dass es sich bei dem „Aesopus Latinus“ um die erste lateinische Fabelsammlung handelt, wobei es wichtig ist zu bemerken, dass die phaedrianischen fabulae Aesopiae wahrscheinlich die Grundlage dieser Sammlung bilden.[117] Mithilfe sprachlicher und prosodischer Analysen konnten Thiele elf, Postgate zehn und Zander dreißig Fabeln direkt auf Phaedrus zurückführen.[118] Mit dieser Prosasammlung liegt eine Rezeption der Fabeln des Phaedrus vor, die sein Werk in bearbeiteter Form ins Mittelalter transportierte, in dem es sich als „Grundstock der europäischen Fabeltradition“[119] etablierte.

Neben dem „Aesopus Latinus“ fanden auch die „Fabulae“ des Avian, die um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert entstanden sind, großen Anklang im Mittelalter. Diese vornehmlich auf originale Babrios-Fabeln zurückgehenden 42 Gedichte[120] sind im elegischen Distichon verfasst, was dem Dichter in Verbindung mit seinen moralisierenden Tendenzen und rhetorischen Ausschmückungen der Fabelinhalte häufig Kritik eingebracht hat.[121] Mit Blick auf das den Fabeln vorangeschaltete Widmungsschreiben an einen Theodosius kommt Holzberg zu einem anderen Urteil über den spätantiken Fabeldichter, der im Sinne der captatio benevolentiae Gedichte verfassen wollte, [...] quas rudi Latinitate compositas elegis sum explicare conantus.[122] Es seien Gedichte, die zwar in rohem Latein, dafür aber im Versmaß verfasst sind. Crusius schloss sich einer anderen Lesart an[123]: Texte, die in rohem Latein vorhanden waren, wurden in ein Versmaß gebracht, was die Annahme stützen würde, dass ein Prosa-Babrios existierte.[124] Der ersten Lesart entspricht die literaturanalytisch unvoreingenommene Annahme Holzbergs, dass Avian seine Fabeln einem bekannten Literaten Theodosius gewidmet habe, von dem er anerkannt werden wollte, indem er fiktiven Stoff, der auf eine lange Tradition zurückblicken konnte, in poetisch höchst kunstvoller Form darbot.[125] Diese Annahme kann nicht völlig zurückgewiesen werden, da sie im Gegensatz zu den abwertenden Beurteilungen der Fabeln in der vorangegangenen altphilologischen Forschung einen Ansatz zur Erklärung der Beliebtheit der Avian-Fabeln im Mittelalter liefert.[126]

Alles in allem kann die Verwendung der Fabel in der lateinischen Literatur durch folgende Darstellung zusammengefasst werden:[127]

Die Fabel ist in der lateinischen Literatur durch Rückgriff auf griechische literarische Ausformungen und Sammlungen von Anbeginn an präsent. Sie [...] dient der enthüllenden Wahrheitsrede. Zu diesem Zwecke wird sie entweder in heterogene Kontexte eingefügt und exemplifiziert ein bestimmtes Geschehen beziehungsweise einen Sachverhalt, oder sie steht isoliert und zielt auf eine gnome ab.

Griechische Vorlagen bildeten die Grundlage der sporadischen Verwendung von Fabeln innerhalb anderer Gattungen der lateinischen Literatur der Republik und frühen Kaiserzeit, wobei sie in der Dichtung stärker vertreten war als in der Prosaliteratur. Der griechische Freigelassene Phaedrus stellt Fabeln erstmals in der lateinischen Literatur isoliert zusammen unter Verwendung sinnspruchartiger Erklärungen zum „Sitz im Leben“[128]. Auch wenn diese Sammlung keine unmittelbare Wirkung auf die damalige lateinische Literatur hatte, bestand die Gattung fort und wurde über die Prosabearbeitungen vieler Phaedriana erst ins Mittelalter und von dort aus schließlich in die Fabelliteratur der Neuzeit befördert. Die lateinische Fabel hat zwar in der antiken Literatur keine große Rolle gespielt, es ist aber ihr Verdienst, Stoffe, die in der griechischen Literatur verwurzelt waren, aufgenommen und somit für die Nachwelt bewahrt zu haben. Der in These 2 formulierte Aspekt des Fortbestands der Fabel in der Weltliteratur auf der Grundlage der Phaedrus-Gedichte wurde vor allem mit Bezug auf die neuere Forschung zum „Aesopus Latinus“ herausgearbeitet. Neben dem Prosafabelbuch „Leben und Fabeln des Aesop“ und dem Versfabelbuch des Avian, der wiederum Babrios-Fabeln verarbeitet hat, bildete der „Aesopus Latinus“, der ursprünglich ausschließlich auf Phaedriana basierte, einen zentralen Überlieferungsträger, der die Brücke von der antiken zur mittelalterlichen Fabel schlug.[129]

1.4 Zusammenfassung des ersten Teils der Arbeit

Holzberg beginnt seine Einführung in „Die antike Fabel“ mit der Feststellung: „Wer sich auf das Gebiet ,antike Fabel‘ wagt, betritt ein Trümmerfeld.“[130] Sowohl die überlieferten Texte als auch der Stand der Erforschung der Gattung bieten „[...] den Anblick einer ungeordneten Masse.“[131] Der erste Teil dieser Arbeit hatte daher eine systematische Darstellung der fachwissenschaftlichen Grundlagen zur Gattung Fabel zum Ziel. Die Erzählform, bei der verfremdete Akteure eine auf die Realität übertragbare Geschichte erzählen, existierte wahrscheinlich schon lange vor der für die gegenwärtige philologische Forschung rekonstruierbaren Fabelliteratur. Der Begriff selbst ist, wie die Fülle an Definitionen zeigt, nicht eindeutig fassbar. Eine Eingrenzung und Beschreibung der antiken Gattung Fabel ist nur über eine Reihe von Merkmalen möglich, die nicht bestimmend sind:

- Die Fabel stellt eine parabolische Redeweise dar.[132]
- Die Geschichte wird nicht um ihrer selbst willen erzählt, sondern zur Abbildung einer allgemeinen Wahrheit.
- Als Figuren der Fabel können typisierte Tiere, Menschen, Pflanzen oder Götter auftreten.
- Fabeln sind zumeist knapp, gezielt und pointiert.[133]
- Der Erzählform liegt eine klare Gliederung in Ausgangssituation, actio, reactio und conclusio zugrunde.[134]
- Gegensätze werden mithilfe erzählerischer und dramatischer Elemente entwickelt.
- Hinter der Raum- und Zeitlosigkeit vieler Fabeln steht eine versteckte Aussageabsicht und Kritik an bestehenden Verhältnissen.

Diese Punkte sind im Einzelnen sehr variabel und müssen nicht auf jede Erzählung, die als Fabel angesehen wird, zutreffen. Für die Behandlung der antiken Fabel im lateinischen Lektüreunterricht bieten sich solche Strukturmerkmale für die Kommunikation über das Genre aber an.

In der antiken griechischen und römischen Literatur gab es vor Phaedrus kein Versfabelbuch. Wie die Bezeichnung der Gattung als „aesopische Fabel“ andeutet, kam der Fabel in der griechischen Literatur eine höhere Bedeutung zu als in der lateinischen Literatur. Doch sowohl in der griechischen als auch in der lateinischen Literatur können drei Entwicklungsstufen der Fabel beobachtet werden, die in den jeweiligen Sprachräumen unterschiedlich intensiv ausgefallen sind. Perry unterscheidet eine erste Phase, in der die Fabel nur innerhalb eines größeren Kontextes genutzt wurde. In einer zweiten Phase werden die geläufigen Fabeln in Sammlungen zusammengestellt, um sich daraus zu einer eigenständigen Literatur zu entwickeln, bei der ein Autor dem eigentlichen Fabeltext häufig seine damit intendierte Lehre als Epimythium zufügt.[135] Während in der griechischen Literatur zahlreiche Belege für die Verwendung der Fabel in der ersten Phase erhalten sind, die zusammen mit der Existenz eines Fabelrepertoriums für rhetorische Zwecke vermuten lassen, dass die Fabel als Illustrationsmittel geläufig war, sind in der lateinischen Literatur nur wenige Fabeln innerhalb rhetorischer, historischer oder poetischer Werke erhalten. Vor allem in der Prosaliteratur wurde dieses Genre eher abwertend beurteilt. Phaedrus setzt mit seinen „Fabulae Aesopiae“ in der lateinischen Literatur in der zweiten Entwicklungsphase der Fabelliteratur ein, wobei die Eigenständigkeit der Gattung mit der Phase des Sammelns zusammenfällt und diese sogar dominiert. Dieser einzigartige Charakter machte Phaedrus’ Texte zur Grundlage von Prosafabelsammlungen der Spätantike, die ihn somit indirekt überlieferten und zu einer wichtigen Quelle der nachantiken Fabelliteratur machten.

Die literaturtheoretischen und literaturhistorischen Betrachtungen im ersten Teil der Arbeit untermauern folgende Aspekte der fachwissenschaftlichen Thesen 1 und 2:

1. Die Fabel zeichnet sich durch ihr weitgefächertes Spektrum (These 1) aus, was nicht nur die Schwierigkeit einer Fabeldefinition gezeigt hat, sondern auch das auf der thematischen Vielfalt der Fabel beruhende Vorkommen innerhalb sehr verschiedenen Gattungen (rhetorische, historische, dramatische, poetische Werke).
2. Phaedrus kann als Begründer der römischen Gattung Versfabel (These 2) bezeichnet werden, da vor ihm weder in der griechischen noch in der lateinischen Literatur nachweisbar Versfabelbücher entstanden sind.
3. Wie der Überlieferungsweg der Fabel in das Mittelalter und die Neuzeit beweist, müssen die Phaedrus-Texte als wesentliche Grundlage der Weiterentwicklung der Gattung angesehen werden.

Im zweiten Teil der Arbeit sollen die fachwissenschaftlichen Thesen in Verbindung mit den fachdidaktischen Thesen anhand der Betrachtung der historischen Persönlichkeit von Phaedrus, seiner Selbstreflexion, seines Werkes sowie einer genaueren Untersuchung der Rezeption und des Fortwirkens seiner Texte untermauert werden.

2. Der Dichter Phaedrus und seine Fabeln

2.1 Selbstzeugnisse und Biographie des Dichters Phaedrus

In diesem Kapitel soll Phaedrus als „[...] zentrale Gestalt der antiken Welt, eine in mancher Hinsicht sogar exemplarische oder repräsentative Persönlichkeit“[136] vorgestellt werden. Diese Formulierung reflektiert die entscheidende Rolle von Phaedrus in der Weltliteratur, die von Seel betont wird: „ ,Weltdichtung‘ im Sinne der nachhaltigen Wirkung sind die Fabeln des Phaedrus [...] offenbar mit größerem Recht als Vergils ,Georgica‘.“[137] Eine solche Dichterpersönlichkeit gilt es biographisch zu betrachten, wobei eine Phaedrus-Biographie im Sinne einer Auflistung von konkreten Lebensdaten aufgrund der wenigen Zeugnisse über ihn nicht zuverlässig erstellt werden kann. De Lorenzi hat versucht, das Leben des Dichters so detailliert wie möglich zu rekonstruieren, ohne sich dabei in jedem Punkt auf bewiesene Fakten zu stützen.[138] Der Auflistung der Erkenntnisse von de Lorenzi wird daher eine Analyse der Selbstzeugnisse des in augusteischer Dichtertradition stehenden Phaedrus vor allem in seinen Prologen und Epilogen folgen. Auf diese Weise findet zugleich ein direkter Zugang zum Werk des Dichters statt, dessen Rolle als Begründer der Gattung Versfabel (These 2) in seinen Selbstreflexionen zum Tragen kommt.

Die von de Lorenzi zusammengetragenen Fakten zu Phaedrus ergeben zwar ein homogenes Bild von der antiken Persönlichkeit, werden aber aufgrund der „abenteuerliche[n] Spekulationen über die Lebenssituation des liberti Augusti“ von Holzberg als unhaltbarer neuzeitlicher „Phaedrus-Roman“ bezeichnet.[139] De Lorenzi stellt das Leben des Dichters folgendermaßen dar: Phaedrus wurde als Sohn einer Hetäre im Jahre 18 vor Christus wahrscheinlich in Pydna in Pierien geboren, also einer an Thessalien grenzenden Gegend Makedoniens. Von einer Sklavin des Rhetors Antipater von Thessalonike soll er aufgezogen worden sein und in den Jahren 13-11 vor Christus im Zuge einer militärischen Expedition des Lucius Calpurnius Piso Frugi zusammen mit Antipatrer nach Rom gelangt sein. Als griechischer Muttersprachler wurde er dort wohl dem jüngeren der beiden Enkelsöhne des Augustus, Lucius, an die Seite gestellt, mit dem er auf diese Weise den Unterricht des Verrius Flaccus genoss. Nach dem Tod der beiden Enkelsöhne war Phaedrus vermutlich Schreiber des Augustus und hatte damit eine Stelle inne, die auch Horaz angeboten worden war.[140] Freigelassen wurde er spätestens nach dem Tod des Augustus. Für dessen Nachfolger, Tiberius, sei er dann auf dessen Landgut bei Kap Misenum beschäftigt gewesen. Der Beginn seiner dichterischen Karriere wurde von der Anklage des Prätorianerpräfekten Sejan getrübt, der an Phaedrus’ Gedichten, in denen auch der Kaiser Tiberius erwähnt wird[141], Anstoß genommen hatte. Das Urteil muss recht milde gewesen sein, da Phaedrus nach dem Sturz des Sejan im Jahre 31 die Fabelbücher 3-5 veröffentlichte. Er richtete diese an seine Patrone Eútychos und Partículo, von denen man annimmt, dass es Hofbeamte waren. Sein Tod wird in die Zeit des Claudius oder Nero gelegt, also Anfang der fünfziger Jahre. Einige der aufgeführten Punkte können anhand der Selbstzeugnisse des Dichters in seinen Prologen und Epilogen belegt werden. Diese umfassen die Fragen nach seiner Herkunft, seinen Ansprüchen als Dichter nicht nur an sich selbst, sondern auch an sein Publikum, und schließlich den Konflikt mit Sejan. Unter Einbeziehung dieser Selbstzeugnisse sollen einige der aufgeführten Lebensdaten und Lebensumstände des Dichters philologisch analysiert werden.

[...]


[1] Diese Unsicherheit rührt aus der nur geringen Reflexion über den Autor durch seine Zeitgenossen. Da der latinisierte Name des eigentlich griechischen Namens Phaidros nur im Genitiv Singular überliefert ist, könnte der wahrscheinlich aus Makedonien stammende Dichter auch Phaeder geheißen haben.

[2] Vgl. Phaedr. 3 prol. 52-59. Textgrundlage dieser wissenschaftlichen Hausarbeit ist die Ausgabe von Guaglianone 1969. Auf ihr beruht auch die lateinisch-deutsche Textausgabe von Oberg 1999, an der sich die innerhalb dieser Arbeit verwendeten Phaedrus-Zitate orientieren.

[3] Vgl. Phaedr. 1 prol. 1.

[4] Vgl. Phaedr. 1 prol. 3f.

[5] Vgl. Mart. epigr. 3, 20, 5. Diese Lesart wird heute allgemein anerkannt. Thiele schloss den Fabeldichter Phaedrus aufgrund der Bezeichnung als improbus aus. Im ThlL (=Thesaurus linguae Latinae) 7.1, c. 691, 18 wird die abgeschwächte Bedeutung praevalet notio insolentiae (fere i.q. indecens) bestätigt, sodass man davon ausgehen kann, dass es sich hier um den näher zu betrachtenden Dichter handelt.

[6] Vgl. Avian. fab. prooem. 13.

[7] Vgl. Holzberg, N.: Phaedrus in der Literaturkritik seit Lessing. Alte und neue Wege der Interpretation. Anregung. Zeitschrift für Gymnasialpädagogik 37 (1991 b), 226.

[8] Vgl. Phaedr. 1 prol. 7 und ThlL 7.1, c. 283, 23f.: Das Verb iocari wird hier im Zusammenhang sic. de carminibus levioris generis eingeordnet. Nach dem ThlL wird fabula hier allgemein certa fabularum genera, quae litteris traduntur zugeordnet, speziell de apologis Aesopiis sim. (vgl. ThlL 6.1, c. 27, 30f.).

[9] Vgl. Theon prog. 3, 22. - Aphth. prog. 1, 82.

[10] Vgl. Dithmar, R.: Fabel. In: K. Ranke (Hrsg.): Enzyklopädie des Märchens. Bd. 4, Berlin/ New York 1984, Sp. 727. Die griechische Bezeichnung λóγος betont dabei das rationale Element, während αἶνος dem Gleichnis, Sprichwort oder Rätsel näherkommt und die Bezeichnung μ ῦ θ o ς das märchenhafte Element stärker betont.

[11] Vgl. Dithmar, R.: Die Fabel. Geschichte, Struktur, Didaktik. Paderborn/München/Wien/Zürich 1988 a (7. Auflage), 165.

[12] Vgl. Phaedr. 4 prol. 10f.

[13] Vgl. Rölleke, H. (Hrsg.): Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Abhandlungen über die Fabel. Stuttgart 1967, 139. Lessing fällt folgendes Urteil über Phaedrus: „Ich muß es nur gestehen; ich bin mit dem Phaedrus nicht so recht zufrieden. De la Motte hatte ihm weiter nichts vorzuwerfen, als »dass er seine Moral oft zu Anfange der Fabel setzte und dass er uns manchmal eine allzu unbestimmte Moral gebe, die nicht deutlich genug aus der Allegorie entspringe«. Der erste Vorwurf betrifft eine wahre Kleinigkeit; der zweite ist unendlich wichtiger, und leider gegründet. Doch ich will nicht fremde Beschuldigungen rechtfertigen, sondern meine eigne vorbringen. Sie läuft dahinaus, daß Phaedrus, sooft er sich von der Einfalt der griechischen Fabeln auch nur einen Schritt entfernt, einen plumpen Fehler begehet.“

[14] Vgl. Hasubek, P. (Hrsg.): Fabelforschung. Darmstadt 1983, 31. Hier findet sich das Kapitel „Wesen der Tierfabel“, in dem Jacob Grimm urteilte: „[Phaedrus] gewährt uns die nochmalige nachbildung Äsops in gemessener, aber unbelebter sprache, aus der alle poesie entwichen ist, eine glatte kahle erzählung, ein wenig labender vierter aufguß auf die trebern des alten mosts.“

[15] Vgl. Holzberg 1991 b, 229.

[16] Damit sind der „Aesopus Latinus“ von Thiele (1910), die Ausgaben von Guaglianone „Avian“ (1958) und „Phaedrus“ (1969), die Babrios-Ausgabe von Luzzato/La Penne (1986) und die drei Editionen zur „Collectio Augustana“ von Chambry 1927, Hausrath 1940 und Perry 1952 gemeint.

[17] Vgl. Nøjegaard, M.: La fable antique. I: La fable grecque avant Phèdre. II: Les grands fabulistes. Kopenhagen 1964-1967.

[18] Vgl. Holzberg 1991 b, 242f.

[19] Eine Zusammenstellung gesicherter Fakten zu Phaedrus findet sich bei Önnerfors, A.: Textkritisches und Sprachliches zu Phaedrus. Hermes 115 (1987), 429-453. Den 1955 erschienenen Phaedrus-Roman „Fedro“ von de Lorenzi wertet Holzberg als unergiebige Spekulation ab.

[20] Vgl. Fritsch, A.: Phaedrus als Schulautor. Latein und Griechisch in Berlin 29.3 (1985), 59.

[21] Vgl. Burnikel, W.: „Von einem besonderen Nutzen der Fabeln in den Schulen“?. Anregung. Zeitschrift für Gymnasialpädagogik 37. 6 (1991), 366.

[22] Vgl. Fabeln der Antike. Griechisch – Lateinisch – Deutsch (Hrsg. und übersetzt von H. C. Schnur). München 1985, 13.

[23] Bei der Suche nach Fabeln und Fabelanspielungen, die außerhalb der bekannten antiken Fabelbücher überliefert sind, können die im Literaturverzeichnis unter 5.4.1 aufgelisteten Textausgaben hilfreich sein.

[24] Der Orientalist Benfey vertrat 1859 die These, dass die Tiersage indischer Herkunft sei. Im „Pantschatantra“, einem Bidpai zugeschriebenen Fabelbuch, werden die Inkarnationen des Buddha beschrieben. Bald wurde jedoch die Vorstellung von einer „Erfindung der Fabel“ auch von Benfey in seiner Rezension zu „Die Fabeln des Sophos“ des Rabbiners Landsberger aufgegeben.

[25] Vgl. Adrados, F. R.: Die Geschichte der Fabel. Spektrum der Wissenschaft 12 (1981), 35. Hier veranschaulicht Adrados seine Vorstellungen zum Ursprung der Fabel in einer Skizze, welche griechische und indische Fabeln als aus mesopotamischen Ursprungsformen des 25.-6. Jahrhunderts vor Christus entsprungen sieht. Die aus Mesopotamien stammenden Fabeln werden nach sumerischen, akkadischen, assyrischen und neobabylonischen unterschieden.

[26] Vgl. Brunner-Traut, E.: Altägyptische Tiergeschichte und Fabel. Gestalt und Strahlkraft. Darmstadt 1980 (6. Auflage), 43ff.

[27] Vgl. Liv. 2, 32, 5-12.

[28] Vgl. Brunner-Traut, 43.

[29] Vgl. Crusius, O.: Aus der Geschichte der Fabel. Einleitung zu: Das Buch der Fabeln (Hrsg. C.H. Kleukens), Leipzig 1920, IV. - Vgl. Hausrath, A.: Das Problem der aesopischen Fabel. Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur (Hrsg. J. Ilberg). 1 (1898), 305-322.

[30] Vgl. Schnur 1985, 12.

[31] Vgl. Hasubek, P.: Fabel. In: G. Ueding (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 3, Tübingen 1996, Sp. 185-198.

[32] Hierbei ist anzumerken, dass sich Fabeln in der römischen Literatur oftmals gerade innerhalb von Satiren wiederfinden, zum Beispiel bei Ennius (vgl. frg. 21-58 Vahlen), Lucilius (vgl. frg. 1074-81 Krenkel) und Horaz (vgl. sat. 2, 6, 79-117).

[33] Vgl. Phaedr. 4, 5 und 4, 23.

[34] Zum Bedeutungsspektrum des Begriffs fabula vgl. ThlL 6.1, c. 24-34. Das Wort hat zum einen die Bedeutung sermo, sermocinatio (c. 24, 64 - c. 26, 20), zum anderen narratio (c. 26, 21). Zur ersten Bedeutungseinheit wird eine Unterteilung in generatim sermones, confabulatio (c. 24, 64 – c. 25, 40) und speciatim rumores vulgi et malevolorum sermo (c. 25, 41 – 26, 20) vorgenommen. Im Sinne von narratio wird die allgemeine Bedeutung und fünf weitere Arten unterschieden : in arte rhetorica, de apologis Aesopiis sim., fabulae Milesiae sim., fabulae, quae ad mythologiam et historiam pertinet und fabula scaenia (c. 27, 8 – c. 28, 79). Zu deutschen Übersetzungsmöglichkeiten vgl. Georges LDHW. Bd. 1, 2651-2653: Rede, Sage, das Gerede der Leute, das Gespräch, unverbürgtes Gerede, Gerücht, die Wechselrede, das Gespräch, die Unterhaltung zwischen mehreren, besonders Gebildeten, die Sage, Erzählung, besonders die entschieden erdichtete oder doch ihrem Inhalte nach fabelhafte (märchenhafte) Erzählung, die Erdichtung, das Märchen, die aesopische Fabel, die Erzählung oder Geschichte, die einem dramatischen oder epischen Gedichte zugrunde liegt, die Fabel, das Sujet, das dramatische Gedicht, das Theaterstück, das Schauspiel (Tragödie oder Komödie).

[35] Vgl. Perry, B. E.: Fable. Studium Generale 12 (1959), Sp. 18.

[36] Vgl. Aristot. rhet. 1393 a, 21-31.

[37] Vgl. Dithmar 1988 a, 163. Interessant ist die Parallele zur mittelalterlichen Terminologie, welche die Fabel mit bîspel oder bîschaft bezeichnet. Dithmar betont, dass diese Bezeichnung „den Zusammenhang zwischen Fabel, Gleichnis und Sprichwort“ hervorhebt, das heißt also eine „Erzählung, die nicht für sich, sondern für etwas anderes steht“ beschreibt.

[38] Da die Schreibweise des Namens differiert, sei angemerkt, dass im Rahmen dieser wissenschaftlichen Hausarbeit die Variante „Aesop“ in Anlehnung an die grundlegenden Textausgaben von Guaglianone und Perry und in Korrespondenz zur lateinischen Schreibweise „Phaedrus“ benutzt wird.

[39] Stesichoros erzählte die Fabel von dem Pferd, das sich im Gegenzug für menschliche Hilfe unterjochen ließ. Aristoteles warnt die Bürger von Samos, einen verurteilten Verbrecher umzubringen, indem er die Fabel vom Fuchs, der, voll von Läusen, das Angebot des Igels, ihm diese zu entfernen, mit der Begründung ablehnt, dass diese Läuse nun wenigstens schon satt wären. Würden sie ihm entfernt werden, kämen neue, die ihm noch mehr Blut aussaugen würden.

[40] Vgl. Aristot. rhet. 1394 a, 1ff.

[41] Vgl. Quint. inst. 5, 11, 17.

[42] Vgl. ThlL 6.1, c. 7, 7f, 20-28, 29f. Quintilian verwendet diesen Ausdruck zweimal, wenn er „de apologis Aesopis spricht. Auch wenn er Phaedrus selbst nicht erwähnt und ihn vielleicht nicht kannte, benutzt er für die Gattung damit aber denselben Begriff, den Phaedrus selbst auch 14-mal innerhalb seiner fünf Fabelbücher etwas neutraler im Sinne von de poetarum et scriptorum fabulis verwandt hat: vgl. Phaedr. 1, 2, 9; 1, 5, 2; 1, 15, 3; 1, 26, 2; 2 prol. 2; 2, 5, 6; 3 prol. 36; 3, 3, 3; 3, 17, 13; 4, 2, 9; 4, 7, 22; 4, 24, 1; 4 , 24, 22; 5 prol. 10.

[43] Vgl. Quint. inst. 5, 11, 19.

[44] Ebd., 5, 11, 20.

[45] Vgl. Hor. epist. 1, 1, 73. - Aes. 142. Die Zählung der auf griechische Vorlagen zurückzuführenden Fabelmotive erfolgt auf der Basis von Perrys „Aesopica“ 1952 und seiner Phaedrus-Ausgabe von 1965.

[46] Vgl. Dithmar 1984, Sp. 727.

[47] Dabei handelt es sich um das zweite Buch, das Phaedrus nach dem durch den Prätorianerpräfekten Sejan angestrengten Prozess veröffentlicht hat.

[48] Vgl. Phaedr. 4 prol. 10f.

[49] Vgl. Rhetores Graeci, rec. L. Spengel, II, Leipzig 1854, 21. Aphthonios definiert in den Progymnasmata: Μῦθος ὁ τῶν μυρμήκων καὶ τῶν τεττίγων προτρέπων τοὺς νέους εἰς πόνους.

[50] Vgl. Theon prog. 3, 22. - Aphth. prog. 1, 82.

[51] Vgl. Holzberg, N.: Die Antike Fabel. Eine Einführung. Darmstadt 2001 (2. Auflage), 22.

[52] Vgl. Aug. soliloq. 2, 11, 19.

[53] Phaedrus betont in Anlehnung an Hor. ars. 333f. im Prolog zum ersten Buch (vgl. Phaedr. 1 prol. 2f.) die doppelte Intention seines Werkes: Duplex libelli dos est: quod risum movet / Et quod prudentis vitam consilio monet.

[54] Vgl. Prisc. rhet. 1, 1.

[55] Ebd.

[56] Vgl. Perry, B.E.: The Origin of the Epimythium. Transactions and Proceedings of the American Philological Association 71 (1940), 391-419. Perry zeigt hier, wie sich das Epimythium aus dem Promythium, das ursprünglich die Funktion einer Überschrift zum schnelleren Auffinden einer Fabel hatte, entwickelt hat. Nachdem die Idee aufkam, dass Promythien eine Erklärung enthalten müssen, kamen sie an das Ende der Fabel, da dies zum einen aus struktureller Sicht logischer war und „[...] the fable, everywhere outside of the collections, had nearly always been followed by a moral in the form of a specific or personal application.“ (ebd., 418).

[57] Vgl. Isid. orig. 1, 40, 1-6.

[58] Vgl. Dithmar, R.: Fabeln, Parabeln, Gleichnisse. Beispiele didaktischer Literatur. München 1988 b (8. Auflage), 92. De France betont im Prolog ihres Fabelbuches, es gebe keine „ [...] erfundene Fabel [fable de folie], in der nicht in den Belehrungen gegen Ende, wo die ganze Bedeutung der Erzählung steht, Philosophisches steckte.“

[59] Vgl. Dithmar 1988 b, 100. Im Sinne der antiken Fabeldefinitionen betont auch Steinhöwel in seiner „Vita Esopi Fabulatris clarissimi e greco“: „Darumb wiße, daz die poeten den namen fabel von dem lateinischen wort fando habent genommen, daz ist ze tütsch reden, wann fabel synt nit geschechne ding, sonder allain mit worten erdichte ding, und sind darumb erdacht worden, daz man durch erdichte wort der unvernünftigen Tier under in selber ain ynbildung des wesens und sitten der menschlichen würde erkennet.“

[60] Vgl. Lessing 1967, 104.

[61] Vgl. Jacobs 1889, 204. Jacobs hebt darüber hinaus den humoristischen Charakter der Fabel hervor, die er als allegorische Erzählung mit anekdotischer Ausrichtung sieht: „For the dictionary-maker we may define it as a short humorous allegorical tale, in which animals act in such a way as to illustrate a simple moral truth or inculcate a wise maxim.“

[62] Vgl. Hasubek, P. (Hrsg.): Die Fabel: Theorie, Geschichte und Rezeption einer Gattung. Berlin 1982, 7.

[63] Vgl. Dithmar 1984, Sp. 731f.

[64] Vgl. Perry 1959, Sp. 22: „a fictious story picturing a truth“.

[65] Ebd., 28.

[66] Ebd.

[67] Vgl. Perry 1965, XX.

[68] Vgl. Dithmar 1988 a, 167.

[69] Vgl. Georges LDHW, 2651-2653.

[70] Vgl. Perry 1940, 392f.

[71] Vgl. Hes. op. 202-212. ( Aes. 4 a) – Archil. frg. 172-181 West (Aes. 1); frg. 185-187 West (Aes. 81).

[72] Vgl. Holzberg 2001, 14f. Weitere Fabeltexte sind bekannt von Semonides (Iamben frg. 8 und 9 West; frg. 13 West); Anonymus (Skolion frg. 9 p. 474 Page); Aischylos (Myrmidonen frg. 139 Radt; Agamemnon 717-736); Sophokles (Aias 1142-1149 und 1150-1158); Herodot (Historien 1, 141); Aristophanes (Wespen 1401-1405; 1427-1432; 1435-1440; Vögel 471-475); Xenophon (Memorabilien 2, 7, 13f.); Platon (Phaidon 60 B-C; Phaidros 259 B-C); Aristoteles (Metereologika 356 b 11-17; Historia animalium 619 a 17-20; Politika 1284 a 15-17; Rhetorik 1393 b 10-22 und 1393 b 22–94 a 1).

[73] Ebd., 15. Diese finden sich bei Solon (frg. 11 West); Theognis (347f. und 602); Simonides (frg. 9 Page); Timokreon (frg. 3 Page); Aischylos (Agamemnon 355-361); Aristophanes (Wespen 1446-48; Friede 129f.; Vögel 651-653); Platon (Alkibiades 1, 123 A); Aristoteles (De partibus animalium 663 a 35-63 b 3).

[74] Vgl. Hdt. 2, 134-135.

[75] Vgl. Hausrath, A.: Fabel. In: Paulys Real-Enzyklopädie der Classischen Altertumswissenschaft 12. Stuttgart 1909, Sp. 1719-1722. Neben den μῦθοι λόγοι Αἰσώπειοι führt Hausrath fünf weitere Namen von Fabelerfindern an.

[76] Vgl. Schnur 1985, 20.

[77] Vgl. Holzberg 2001, 17. Es bestehen in der Tat Parallelen zwischen griechischer Fabelliteratur und der orientalischen Weisheitsliteratur, die im Buch Achikar aus dem 7. Jahrhundert vor Christus ihren Niederschlag fand. Die Frage der Fabeldiffusion aus einem Punkt kann jedoch philologisch nicht bestätigt werden, sodass eine nähere Auseinandersetzung über die Herkunft der Fabel nur auf einer hoch spekulativen Ebene stattfinden kann.

[78] Vgl. Hausrath 1909, Sp. 1707f.

[79] Vgl. Perry 1952, Praef. ad vit. Aes., 3. Während Perry die Existenz eines altjonischen Volksbuches über Aesop mit der Begründung ausschließt, dass es im 6. und 5. Jahrhundert nur ernsthafte Literatur gab, hält Hausrath die Existenz eines solchen Lebensbeschreibung für möglich. Schnur weist auf die Parallelität zwischen Sokrates und Aesop hin, die nicht nur ein unattraktives Äußeres und den Tod durch ungerechten Richterspruch gemeinsam hatten, sondern vor allem den Witz als Waffe gegen die Ernsthaftigkeit der Philosophen benutzten (vgl. Schnur 1985, 22).

[80] Vgl. Diog. Laert. 5, 75-82.

[81] Vgl. Perry 1940, 406.

[82] Vgl. Roberts 1938.

[83] Die stereotype Wendung, die im Papyrus Rylands 493 vor der eigentlichen Fabel auftaucht, lautet: [...]ὅδε λóγος ἐφαρμóζει. Die einzige vollständig erhaltene Schlusszeile erinnert an die für ein Epimythium typische Wendung: οὕτως ἁμαρτáνων ἕκαστος αἰτιãται θεοúς.

[84] Vgl. Holzberg 2001, 31.

[85] Ebd., 87.

[86] Es gibt drei Versionen der Vita: Vita G (Grottaferrata,), Vita W (Westermann von 1845) und die Vita Pl (Planudes aus dem 13. Jahrhundert). Von der Fabelsammlung existieren drei recensiones: die „recensio Augustana“, „Vindobonensis“ und „Accursiana“.

[87] Vgl. Holzberg 2001, 102.

[88] 136 der 231 Fabeln in der „recensio Augustana“ folgen einem dreigliedrigen Aufbau mit symmetrischer Struktur.

[89] Vgl. „Codex Athous“, ediert 1842, in dem 123 Fabeln überliefert sind.

[90] Vgl. Holzberg 2001, 58-68.

[91] Ebd., 34. Es handelt sich dabei um die Stücke 10, 12 und 15 sowie neun weiteren Fabeln (1-3, 6, 7, 9, 11, 14 und 16).

[92] Vgl. frg. 21-58 Vahlen. (Aes. 325)

[93] Vgl. Holzberg 2001, 14f. Fabeln kamen unter anderem innerhalb der Tragödie, philosophischer und rhetorischer Schriften vor.

[94] Vgl. Georges LDHW Bd. 2, 2499. Damit werden allgemein Gedichte „über vermischte Gegenstände ethischen oder historischen Inhaltes“ bezeichnet, die dem Leser ridentem dicere verum (vgl. Hor. sat. 1, 1, 24), lachend die Wahrheit sagen wollen. Obwohl das Sujet der römischen Satire auch Element altgriechischer Literatur war, hat Quintilian insofern Recht, wenn er in seiner „Institutio oratoria“ schreibt satura tota nostra est (vgl. Quint. inst. 10, 1, 93), als dass es in der Tat römische Autoren waren, die das Verspotten von Menschen und gesellschaftlichen Zuständen in poetischer Form literarisch etabliert und verfeinert haben.

[95] Vgl. frg. 1074-1081 Krenkel.

[96] Vgl. Catull. 22, 21 und Hor. sat. 2, 1, 64; 3, 186; 299; 314-320; 5, 55f.; 6, 79-117; carm. 1, 16, 13-16; epist. 1, 1, 73-75; 3, 18-20; 7, 29-33; 10, 34-41; 20, 14-16.

[97] Vgl. Holzberg, N.: Die Fabel von der Stadtmaus und Landmaus bei Phaedrus und Horaz. Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft. Bd. 17 (1991 a), 229-239.

[98] Vgl. Fraenkel, E.: Das Reifen der horazischen Satire. Festschrift R. Reitzenstein. Leipzig/Berlin 1931, 131f. - Fraenkel, E.: Horace. Oxford 1957, 142. - Kießling, A./Heinze, R.: Q. Horatius Flaccus, Satiren. Berlin 1959 (7. Auflage), 298. - Schmidt, E. A.: Sabinum. Horaz und sein Landgut in Licenzatal. Heidelberg 1997, 57.

[99] Vgl. Wili, W.: Horaz und die augusteische Kultur. Basel 1948, 112. - Brink: On Reading a Horatian Satire: an Interpretation of Sermones II 6. Sydney 1965, 11f.

[100] Knorr, O.: Verborgene Kunst. Argumentationsstruktur und Buchaufbau in den Satiren des Horaz. Hildesheim/ Zürich/New York 2004. In: Beiträge zur Altertumswissenschaft. (Hrsg. M. Bergmann, C.J. Classen, G.A. Lehmann u.a.). Bd. 15, 207.

[101] Die Wahrheit, die Horaz hier abbildet, ist nicht „general“ im Sinne von Perrys Charakterisierung (vgl. Perry 1959, 28), dennoch ist kaum zu bezweifeln, dass es sich um eine Fabel handelt, was die Schwierigkeit einer Begriffsbestimmung nochmals unterstreicht.

[102] Vgl. Pomp. Trog. Iust. 43, 4, 4. (Aes. 480) – Liv. 2, 32, 5-12. (Aes. 130)

[103] Vgl. Liv. 2, 32, 8.

[104] Ebd., 2, 32, 12.

[105] Vgl. Holzberg 2001, 36. Holzberg schließt sich der Meinung von P.L. Schmidt an: Politisches Argument und moralischer Appell: Zur Historizität der antiken Fabel im frühkaiserlichen Rom. Der Deutschunterricht 31. 6 (1979), 74-88.

[106] Vgl. Quint. inst. 5, 11,19.

[107] Vgl. Hausrath, A.: Phaedrus. In: Paulys Real-Enzyklopädie der Classischen Altertumswissenschaft. XIX 2. Stuttgart 1938, Sp. 1487, 36-41.

[108] Vgl. Müller, S.: Untätig in der Mitte? Die Rolle des Senats in der Fabel vom „Magen und Gliedern“ (Liv. 2, 31, 7-32,12). Gymnasium 111 (2004), 449-475; hier: 449.

[109] Vgl. Sen. dial. 8, 1, 3. (Aes. 142) - Die Fabel wird auch von Horaz (epist. 1, 1, 70ff.) verwandt.

[110] Vgl. Hausrath 1938, Sp. 1487, 22-30.

[111] Vgl. Gell. 2, 29, 3-16. (Aes. 325)

[112] Vgl. Fronto p. 152. – Apul. Socr. praef. 4, 108-111. (Aes. 124)

[113] Vgl. Zimmermann, M.: Apuleius. In: Hubert Cancik/Helmut Schneider (Hrsg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Bd. 1. Stuttgart 1997. Sp. 910-913. - Schmidt, P.L.: Fronto. In: Hubert Cancik/ Helmut Schneider (Hrsg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Bd. 4. Stuttgart 1997. Sp. 678-680. Während Fronto, der auch Erzieher des Prinzen Marcus Aurelius und Lucius Verus war, politisch agierte, hat Apuleius, Verfasser des Romans „Metamorphoseos libri XI“, nie ein Staatsamt bekleidet. Vielmehr war er für seinen Bezug zur Zauberei bekannt.

[114] Vgl. cod. Voss. Lat. 8° no. 15, UB Leiden.

[115] Vgl. Thiele 1910. Thiele nahm einen verlorenen „Aesopus Latinus“ aus dem 2. Jahrhundert an, der eine Übersetzung verlorener griechischer Aesopica darstellte, und erklärte somit die Entstehung inhaltlich von Phaedrus-Vorlagen abweichenden Fabeln. Holzberg fordert eine systematische Untersuchung, die diese Unterschiede nachweislich einer „einheitlichen Planung“ (vgl. Holzberg 2001, 114) zugrundelegen.

[116] Vgl. Grubmüller, K.: Meister Esopus. Untersuchungen zu Geschichte und Funktion der Fabel im Mittelalter, München 1977, 62-64.

[117] Vgl. Holzberg 2001, 109.

[118] Vgl. Thiele 1910. - Postgate 1919. - Zander 1921.

[119] Vgl. Küppers, J.: Fabel; In: Hubert Cancik/Helmut Schneider (Hrsg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Bd. 3 Stuttgart 1997, Sp. 363.

[120] Ebd., 362. Ausonius (epist. 16, 2, 78-81) berichtet von der Existenz eines lateinischen Prosa-Babrios des Rhetoriklehrers Iulius Titianus.

[121] Vgl. Schanz, M./Hosius, C./Krüger, G.: Geschichte der Römischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian. München 1920, 33 (§1019). Folgendes Urteil wurde hier über den Dichter gefällt: „Die Arbeit des jungen Mannes kann nicht als gelungen bezeichnet werden. So war es ein durchaus unglücklicher Gedanke, das Distichon als Versmass zu wählen, da dieses sich für den ruhig dahinfliessenden Strom der Fabelerzählung durchaus nicht eignet, [...].“ - Hausrath 1938, Sp. 1494. - Küppers, J.: Die Fabeln Avians. Studien zur Darstellung und Erzählweise spätantiker Fabeldichtung. Bonn 1977, 235. Avians Werk wird von ihnen als langweilig, umständlich und mittelmäßig bezeichnet.

[122] Vgl. Avian. fab. prooem. 15f.

[123] Vgl. Crusius, O.: Avianus, In: Paulys Real-Enzyklopädie der Classischen Altertumswissenschaft. II 2, Sp. 2373-2378.

[124] Vgl. Holzberg 2001, 71. 35 der 42 Avian-Fabeln erinnern an Stücke in den „Mythiamben“.

[125] Ebd., 78.

[126] Vgl. Guaglianone 1958, IX-XXVIII. Es sind über 100 Kodizes mit den Originalfabeln aus der Zeit zwischen dem 9. und 16. Jahrhundert erhalten.

[127] Vgl. Küppers 1997, Sp. 360.

[128] Vgl. Dithmar 1988 a, 213-222, hier: 214. Dithmar erklärt im Zuge seiner Ausführungen zum Epimythium: „Der sogenannte Sachteil ist ursprünglich die konkrete Situation, in die hinein eine Fabel gesprochen wurde. Denn die Fabel hat ihren Ursprung nicht in der Dichtung, sondern in der Rhetorik. Sie hat einen ,Sitz im Leben‘, sie wird zweckgerichtet mit einer bestimmten Absicht in einer konkreten Situation erzählt.“

[129] Die „Romulus“-Sammlung bildete auch die Grundlage für den „Romulus Nilantus“ von J.F. Nilant aus dem 11. Jahrhundert. Über die von I.N. Nevelet herausgegebene Versfabelsammlung eines anonymen Verfassers findet die Fabel weite Verbreitung in Europa und Zugang in den Schulunterricht und die Predigt, was 150 erhaltene Handschriften belegen.

[130] Vgl. Holzberg 2001, 1.

[131] Ebd.

[132] Vgl. Dithmar 1988 a, 167.

[133] Vgl. Hausrath 1940, 140.

[134] Vgl. Hasubek 1996, Sp. 186.

[135] Vgl. Perry 1940, 393.

[136] Vgl. Fritsch, A.: Äsop und Sokrates bei Phaedrus. Ein Beitrag zur thematischen Orientierung der Phaedruslektüre. Latein und Griechisch in Berlin 34. 4 (1990), 228.

[137] Vgl. Seel, O.: Weltdichtung Roms zwischen Hellas und Gegenwart. Berlin 1965, 71.

[138] Vgl. Lorenzi, A. de: Fedro. Firenze 1955.

[139] Vgl. Holzberg 2001, 53. Als libertus Augusti wird der Verfasser im Titel der überlieferten Handschrift bezeichnet.

[140] Vgl. Suet. vit. Hor. p. 28.

[141] Vgl. Phaedr. 2, 5, 7.

Ende der Leseprobe aus 138 Seiten

Details

Titel
Phaedrus im lateinischen Lektüreunterricht. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Grundlagen
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für klassische Philologie)
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
138
Katalognummer
V77525
ISBN (eBook)
9783638743723
ISBN (Buch)
9783638799126
Dateigröße
1123 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Phaedrus, Lektüreunterricht, Grundlagen
Arbeit zitieren
Johanna Wünsche (Autor:in), 2006, Phaedrus im lateinischen Lektüreunterricht. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Grundlagen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77525

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