Was ist Bioethik?

Eine Analyse der Bioethik als Machtinstrument


Hausarbeit, 2006

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Von der Macht des Schwertes zur Lebensmacht
2.1 Der Foucaultsche Machtbegriff
2.2 Von der Macht des Schwertes zur Lebensmacht
2.2.1 Der Machtmodus der Biomacht

3. Was ist Bioethik?
3.1. Gegenstand der Bioethik
3.2. Äußerungsmodalitäten der Bioethik
3.3. Begriffe der Bioethik
3.4. Strategien der Bioethik

4. Bioethik als Teil der Biomacht/Biopolitik
4.1. Bioethik als „Grenzwissenschaft“?
4.2. Bioethik, Recht und politische Macht
4.3. Was ist Bioethik?

5. Bibliographie

1. Einleitung

„Heilen- eine Frage des Gewissens“ lautete die Überschrift eines Artikels in der Wochenzeitung „Die Zeit“[1]. Dieser Artikel beschrieb, wie Schweizer Wissenschaftler die medizinische Nutzbarkeit von abgetriebenen Föten erforschten und das aus den Föten gewonnene Humanmaterial zur Therapie von Verbrennungsopfern nutzten. Solche und andere medizinische und wissenschaftliche Entwicklungen sind vermehrt Gegenstand gesellschaftlicher Debatten, die im Allgemeinen als Bioethik umschrieben werden. Der technische und medizinische Fortschritt wirft Fragen auf und je mehr der Fortschritt die Menschen bezüglich ihres "nackten Lebens" oder auch "Überlebens" betrifft, desto notwendiger erschient es über die durch die technische Entwicklung hervorgerufenen Fragestellungen zu diskutieren. Doch auch verschiedenste Interessensgruppen aus Politik, Medizin und Industrie nutzen bioethische Foren, um medizinische Neuentwicklungen wie die oben genannte Transplantationstechnik, „politische Kontrollwerkzeuge“ wie biometrische Pässe oder auch die Gentechnik einem breiten gesellschaftlichen Diskurs zu stellen.

Betrachtet man populäre Fragestellungen der Bioethik, wie man sie in Zeitungen, in Fernsehdebatten oder in anderen Medien beobachten kann, so tauchen die folgenden Themenbereiche immer wieder auf: Was darf der Mensch, wie weit darf die Wissenschaft überhaupt gehen und wie wird „das Leben“ bezüglich seines Anfangs oder Endes definiert? Oder konkreter gefragt: Was soll man von genetischer Manipulationen bei Pflanzen oder auch bei Menschen halten? Darf man biomedizinische oder biometrische Daten (genetischer Fingerabdruck, Krankheitsdaten) für wirtschaftliche (zum Beispiel zur Einstufung in eine bestimmte Risikoklasse in einer Lebens- oder Krankenversicherung) oder sozialpolitische Zwecke benutzen?

Betrachtet man die Funktionsweise der Bioethik näher, könnte man zu dem Schluss kommen, dass das Ziel der Bioethik sein könnte, moralische Dilemmata, die durch die technische Entwicklung erzeugt wurden, zu benennen, eine breite gesellschaftliche Debatte zu erzeugen und ggf. eine zukünftige, in der Gesellschaft akzeptierte(n) Marschrichtung/Konsens in Sachen Biotechnologien zu ermöglichen.[2]

Unter zur Hilfenahme des Biomachtkonzepts des französischen Philosophen, Psychologen und Historikers Michel Foucault, möchte diese Arbeit eine Verbindung zwischen Biomacht und Bioethik suchen. Foucault beobachtete in seinen Untersuchungen eine zunehmende Einbeziehung des menschlichen Lebens in die Sphäre der Macht und Politik. Diese spezielle Machttheorie soll helfen zu verdeutlichen, welchen Machtgehalt der bioethische Diskurs in der heutigen Gesellschaft entfalten kann. Denn gerade die Bioethik, die neben den Fragen „zur optimalen Verwaltung des menschlichen Lebens [...]“ (hierbei bezieht sich Leben zunächst auf das (Über)Leben einer ganzen Gattung)“ auch jene Fragen behandelt, „[...]wer wann und von wem (Anmerkung: unter Umständen im Namen und um des Gemeinwohls aller) getötet werden darf, sollte als Machtinstrument nicht unterschätzt werden“[3]

Zunächst wird sich diese Hausarbeit mit der Machttheorie der Biomacht von Foucault auseinandersetzen. In einem zweiten Schritt soll das Feld der Bioethik näher erläutert werden. In einem dritten Schritt sollen Biomacht/Biopolitik/Bioethik zusammengeführt werden.

Grundlegend für diese Hausarbeit ist das Buch „Was ist Biomacht“ von Petra Gehring und das Werk „Menschenwürde und Biomedizin“ von Kathrin Braun. Der Theorieansatz der Biomacht von Michel Foucault sind seinem zweibändigem Werk „Sexualität und Wahrheit“ und der Abschrift seiner Vorlesungen am College de France mit dem Titel „In Verteidigung der Gesellschaft“ entnommen.

2. Von der Macht des Schwertes zur Lebensmacht

2.1 Der Foucaultsche Machtbegriff

Zentral im Werk des französischen Philosophen, Psychologen und Historikers Michel Foucault war, insbesondere in seiner letzten Schaffungsphase, die Analyse von modernen Machtstrukturen. Im Zuge seiner Theorienbildung führte Foucault den Begriff der Biomacht ein, der die Strukturen und die Funktionsmechanismen der modernen Machtverhältnisse umschreiben hilft. Dennoch wirft der Machtbegriff Foucaults einige Fragen auf, die in aller Kürze erklärt werden müssen. Macht wird von Foucault nicht personalisiert, d.h. es gibt keine Personen, die Macht haben und andere, die keine Macht haben. „Die Macht ist nicht etwas, was man erwirbt, wegnimmt, teilt, was man bewahrt oder verliert“[4] beschreibt Foucault, sondern vielmehr sei Macht ein organisierendes Prinzip von Beziehungen und Kräfteverhältnissen, welches immer wieder reproduziert wird und sich stetig modifiziert. Macht geht demnach nicht von einem Zentrum aus, sondern erzeugt sich in den „Produktionsapparaten, Familien, sexuellen Beziehungen, Gruppen und Institutionen [...].“[5] Die verschiedensten Machtbeziehungen interagieren und es entstehen Machtmechanismen, Wiederholungen und damit Verfestigungen – es können Angleichungs- und Homogenisierungseffekte entstehen. „Statt von Herrschenden und Beherrschten zu sprechen, wird bei Foucault Macht also eher als ein sich selbst beständig erzeugendes, in internen Konfrontationen veränderndes und sich immer wieder neu ausbalancierendes System von Beziehungen und Kräften beschrieben. In diesem System haben Individuen Positionen, aber sie kontrollieren und steuern dieses System selbst nicht.“[6]

2.2 Von der Macht des Schwertes zur Lebensmacht

Foucault beobachtete im 17. und 18. Jahrhundert eine Transformation des Rechts und eine Veränderung sog. Machtpraktiken. Diese Beobachtungen führten Foucault zu der Annahme, dass das Leben der Menschen an sich eine „zunehmende Einbeziehung [...] in die Mechanismen und das Kalkül der Macht “[7] erlebt hat. Foucault beschreibt dies als die sog. „Macht über das Leben“[8] oder schlicht als Biomacht. Foucault unterscheidet in seinen Annahmen zwei Phasen der Entwicklung hin zu jener Biomacht[9]: Als ersten erscheinenden Mechanismus (Vorboten) nennt er die Machtprozeduren der Disziplin, die auf den einzelnen Menschen zentriert sind und individualisierend und normierend auf das Geschöpf einwirken (als Beispiele nennt Foucault Disziplinarmechanismen wie Schule, Militär, Besserungsanstalten etc.). Seit Mitte des 18. Jahrhunderts kommt nach Foucault eine zweite „politische Regulierungstechnologie“ ins Spiel, die jedoch weniger auf den einzelnen Menschen disziplinierend einwirkt, sondern auf die menschliche Gattung insgesamt. Im Gegensatz zur souveränen Macht der vorangegangenen Jahrhunderte, die ihren Machtanspruch „[...] über das Leben nur durch den Tod“ bzw. durch das „Recht sterben zu machen oder Leben zu lassen“[10] ausübte, konzentriert sich die „Macht über das Leben“ auf andere Machtmechanismen. Biomacht fungiert nicht mehr in erster Linie als Macht des Schwertes[11], sondern als Macht des Lebens, dessen Wirkungsbereich die Bevölkerung als Ganzes umfasst (z.B. über die Kontrolle der Reproduktion, der Natalität, der Morbidität, über Unfallstatistiken, Alterungsprozesse und die Regulierung von Milieus). Diese politische Praxis umschreibt Foucault als sog. Biopolitik.

2.2.1 Der Machtmodus der Biomacht

Es ist das Leben jedes einzelnen, das sich in das Konzept der Masse übersetzen lässt und so zum Objekt der Macht wird. Mit dem Einbezug der Bevölkerung in das Politische wird das Subjekt der Macht um seine Eigenschaft als biologisches, lebendes Wesen erweitert. Die Entdeckung des Lebens ist neben der Entdeckung des Körpers, welche die Ausbildung disziplinärer Technologien zur Folge hatte, „ der zweite große Kernbestand von Technologien, der zur Veränderung der politischen Verfahren im Westen führte.“[12] Durch das Aufkommen der Biomacht werden nach Foucault jedoch bestehende Machtmechanismen nicht abgelöst, sondern integriert und ergänzt.

Das oberste Ziel der sog. Lebensmacht ist die Kontrolle des Lebens durch den Modus der Regulation.[13] Foucault formuliert das Funktionsprinzip der Lebensmacht wie folgt: „Es geht darum das Leben zu erfassen, die biologischen Prozesse der Spezies Mensch, und in Bezug auf diese keine Disziplinierung, sondern eine Regulierung zu gewährleisten.“[14] Doch beide Formen der Machtausübung müssen zusammenwirken, um einen dauerhaften, effektiven Einfluss auf die Individuen zu entfalten. Verbindungsglied beider Machtmechanismen, der Disziplinar- und Regulierungstechnologien, ist die Norm.[15] Durch die Norm, die sich sowohl auf den einzelnen Menschen als auch auf die ganze Bevölkerung beziehen kann, konstituiert sich, in den Augen Foucaults, die sog. Normalisierungsgesellschaft.[16] Die Sozialwissenschaftlerin Kathrin Braun spricht sogar von einer „Bedeutungssteigerung der Norm auf Kosten des Gesetzes.“ Weiterhin konstatiert sie, dass jene Normen nicht von den Rechtswissenschaften gebildet werden, sondern von den sog. Humanwissenschaften ( z.B. Medizin), welche ein klinisches Wissen schaffe „das mittels der Klassifikation von „normal“ und „abweichend“, „gesund“ und „krank“, der Normalisierung dient.[17] Das physische Leben der Bevölkerung ist demnach nicht nur verwendbar, sondern eine steigerbare Ressource, die „im Medium Fruchtbarkeit und der biologischen Fortpflanzung verbessert und vermehrt werden kann.“[18] Der Zugriff der Macht erfolgt also nicht mehr nur durch die Unterdrückung, Ausbeutung, Nutzbarmachung des Individuums, sondern durch die Kontrolle, Pflege und Entwicklung der physischen und biologischen Dispositionen des Menschen.

[...]


[1] DIE ZEIT, Ausgabe Nr. 29 vom 13. Juli 2006, S. 27.

[2] Vgl. Gehring, Petra: Was ist Biomacht, Frankfurt 2006, S. 7f bzw. Ach/Runtenberg: Bioethik: Disziplin und Diskurs, Frankfurt 2002, Fußnote 12, S. 17.

[3] Braun, Kathrin: Menschenwürde und Biomedizin – Zum philosophischen Diskurs der Bioethik, Frankfurt 2000, S. 34.

[4] Foucault, Michel: Sexualität und Wahrheit, Bd.1, Der Wille zum Wissen, Frankfurt a. Main 1983, S. 115f.

[5] [5] Theoriensammlung auf den Internetseiten des Lehrstuhls für Interkulturelle Kommunikation an der

Europa-Universität Viadrina, http://ik.euv-frankfurt-o.de/module/modul_I/, Absatz Foucault.

[6] [6] Ebenda.

[7] [7] Agamben, Giorgio: Homo Sacer - Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt 2002, S. 127.

[8] [8] Zur Entwicklung des Lebensbegriffes siehe auch Braun, Kathrin (2000): S. 49ff.

[9] [9] Braun, Kathrin (2000): S. 21.

[10] Foucault, Michel (1983): S. 132 und Foucault, Michel: In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt

2001, S. 278

[11] Zur Wirkung souveräner Macht in Recht und Politik vgl. Braun, Kathrin (2002): S. 21-22.

[12] Foucault, Michel: Leben machen und sterben lassen: Die Geburt des Rassismus, in: Reinfeld/Schwarz (Hrsg): Michel Foucaults Biomacht. Biopolitische Konzepte der neuen Rechten, Duisburg 1993, S. 29.

[13] Vgl. Gehring, Petra (2006): S. 10 und Foucault, Michel (1992): S.33.

[14] Vgl. Foucault, Michel (1992): S. 34.

[15] Sexualität und Norm siehe auch Braun, Kathrin (2000): S. 27-28.

[16] Vgl. Braun, Kathrin (2000): S. 40.

[17] Vgl. Braun, Kathrin (2000): S. 25f.

[18] Gehring, Petra (2006): S. 10, weiterhin die Ausführungen zur historischen Entwicklung der Rolle der Sexualität auf S. 12.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Was ist Bioethik?
Untertitel
Eine Analyse der Bioethik als Machtinstrument
Hochschule
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)  (Juristische Fakultät)
Veranstaltung
Recht und Religion
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V77436
ISBN (eBook)
9783638828253
Dateigröße
439 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bioethik, Recht, Religion
Arbeit zitieren
Philipp Appel (Autor:in), 2006, Was ist Bioethik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77436

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