Wie revolutionär sind Gewerkschaften

Die Funktion der Gewerkschaften bei Karl Marx


Hausarbeit, 2006

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Genese der Gewerkschaftsbewegung in Großbritannien
2.1 Arbeiterassoziationen in vorindustrieller Zeit
2.2 Der Einfluss der Industrialisierung auf die Arbeiterbewegung in Großbritannien

3. Ökonomische Grundlagen gewerkschaftlichen Arbeitens
3.1 Das Lohnmodell nach Ferdinand Lassalle
3.2 Die Lohntheorie nach Karl Marx
3.2.1 Der Wert der Waren: Gebrauchs- und Tauschwert
3.2.2 Der Wert der Ware Arbeitskraft
3.2.3 Preis der Ware Arbeitskraft

4. Die Rolle der Gewerkschaften bei Karl Marx
4.1 Gewerkschaften und der „Kampf im Lohnsystem“
4.2 Der Widerspruch der Gewerkschaften und der „Kampf gegen das Lohnsystem“
4.3 Der politische Kampf der Gewerkschaften

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

7. English Summary

1. Einleitung

Sucht man nach einer gängigen Definition für den Begriff „Marxismus“, so wird man neben den prägenden Figuren (Marx und Engels) folgenden Aspekt finden: „Die Arbeiterklasse enteignet die Kapitalisten und das Eigentum an den Produktionsmitteln wird in Gesellschaftseigentum überführt.“[1] Zielvorstellung des Marxismus, so könnte man sagen, ist nichts weniger als der Umsturz der bestehenden kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Der Umsturz der sozialen und gesellschaftlichen Ordnung soll durch die sog. Arbeiterbewegung vollzogen werden. Die Gewerkschaften sind im Grunde die erste feste Organisationsform der Arbeiterbewegung. Es haftet den Gewerkschaften doch die Funktionslogik des Kapitalismus an, den letztlich sind sie Teil der kapitalistischen Wirtschaftsordnung: Arbeitnehmerinteressen werden von den Gewerkschaften artikuliert und in Verhandlungen mit den Fabrikbesitzern oder durch Streiks erstritten. Gewerkschaften kämpfen also „innerhalb des Lohnsystems des Kapitalismus“[2] und tragen zur Verbesserung der Situation der Arbeiter bei. Nach der Ansicht vieler, sind die Gewerkschaften aber nicht der Motor des umfassenden sozialen und gesellschaftlichen Wandels wie von Einigen vermutet wurde.[3]

Jetzt stellt sich die Frage, inwiefern die emanzipatorische Theorie eines Karl Marx und die Gewerkschaften zusammen passen. Gibt es bei Marx Raum für die Gewerkschaften und wenn ja, welchen Stellenwert misst Marx den Gewerkschaften bei? Gerade in heutiger Zeit sehen sich die Gewerkschaften mit umfassenden Problemen konfrontiert: Mitgliederschwund, ein System der globalisierten Wirtschaft, Gesetze die die mühsam erkämpften Arbeitnehmerrechte im Namen des freien und flexiblen Marktes sukzessive zu unterminieren suchen. Was hätte Marx ihnen, den Gewerkschaften zugerufen?

Die Gewerkschaften sind innerhalb der Arbeiterbewegung höchst unterschiedlich bewertet worden. Von Ablehnung bis hin zu absoluten Befürwortern reichte das Spektrum innerhalb der Arbeiter und ihrer Theoretiker. Lassalle, der insbesondere für die deutsche Sozialdemokratie sehr wichtig werden sollte und z.B. der französische Anarchist Proudhon argumentierten gegen die Gewerkschaften. Welche Position bezog Marx bezüglich der Gewerkschaften? Warum gab es so große Unterschiede innerhalb der Linke? Diesen verschiedenen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden. Den Kernbereich stellt der Versuch dar, eine konsistenten Marxsche Gewerkschaftstheorie herauszuarbeiten.

Diese Hausarbeit ist in drei Teile untergliedert, wobei der erste Teil einen knappen Überblick über die Entstehung der Gewerkschaftsbewegungen liefern soll. Hierbei liegt der Schwerpunkt der Darstellungen auf der Entwicklung der Arbeiterassoziationen in Großbritannien. Dort kam es im Rahmen der Industrialisierung nicht nur zu besonderen ökonomischen Entwicklungen, sondern die besonders prekäre Situation der Arbeiter förderte und forderte die Entwicklung einer neuen Form von Arbeiterassoziationen. In einem zweiten Schritten sollen ökonomische Grundannahmen, namentlich unterschiedliche Vorstellungen der Bestimmung des Lohns, analysiert werden. Diese sollen helfen zu erklären, warum es insbesondere innerhalb der sozialistischen intellektuellen Elite so unterschiedliche Einschätzungen bezüglich der Gewerkschaften gab. Es sollen in diesem Zusammenhang insbesondere die Annahmen Ferdinand Lassalles (diese decken sich in Ansätzen mit denen Proudhons) und Karl Marx herangezogen werden.

Ausgehend von diesen Darstellungen soll in einem dritten Schritt versucht werden, die Rolle der Gewerkschaften innerhalb der Theorien von Karl Marx zu bestimmen.

Als wichtige Quellen dienten insbesondere die Werke „Lohn, Preis und Profit“, „Das Elend der Philosophie“ und Abschnitte aus „Das Kapial (Band 1) von Karl Marx. Weiterhin sind die Werke „Marx und die Gewerkschaften“ von Nelli Auerbach (1922), das Buch „Doppelcharakter der Gewerkschaften“ von Rainer Zoll und die Dissertation von Rudolf Berlinger mit dem Titel „Die Gewerkschaften in der Theorie von Marx und Lenin“ aus dem Jahre 1976 zu nennen. Zur Geschichte der Arbeiter- bzw. Gewerkschaftsbewegung fand insbesondere das Werk „Dictionary of Organized Labor“ von Docherty (2004) Berücksichtigung.

2. Die Genese der Gewerkschaftsbewegung in Großbritannien

Großbritannien hat im 18. und 19. Jahrhundert einen massiven wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel durchgemacht. Die Entwicklung vom Wirtschaftsleben der Handwerker und Gilden hin zum, nennen wir es ruhig, Turbo-Kapitalismus ist relativ einzigartig. Provoziert durch aller härteste Arbeitsbedingungen und minimalen Lohn standen die Arbeiter in England schließlich auf, organisierten sich in Gewerkschaften und versuchten ihre Lage so gut es ging zu verbessern. Aufgrund der speziellen wirtschaftlichen und vor allem frühen Entwicklung mächtiger Gewerkschaften in Teilen Großbritanniens, soll Großbritannien in diesem Abschnitt beispielhaft für die Situation der Arbeiter und die Entwicklung der Gewerkschaften herangezogen werden.

2.1 Arbeiterassoziationen in vorindustrieller Zeit

Gewerkschaften als feste Institutionen existieren seit ungefähr 200 Jahren. Docherty schreibt in seinem „Historical Dictionary of Organized Labour“: „ [...] but in fact organized labour has existed throughout history- it is simply that in a documentary record dominated by the powerful, labour, unless it caused trouble, was hardly mentioned.“[4] Der erste dokumentierte Arbeiteraufstand trug sich nach Docherty im Jahre 1152 v. Chr. zu, als Steinmetze streikten, weil der Pharao ihnen die lebensnotwendigen Weizenrationen vorenthielt.[5] Natürlich sind diese vereinzelten Zusammenschlüsse nicht mit der sozialen Bewegung der Arbeiter im industriellen Zeitalter zu vergleichen. Dennoch ist es wichtig anzumerken, dass es auch in „vor-industrieller“ Zeit Institutionen gab, die das Wirtschaftssystem einerseits und die Beziehung Arbeiter und Arbeitnehmer andererseits regulierten. Hierzu lassen sich die Handwerksgilden überall in Europa zählen, die die Preise der produzierten Waren festlegten und die Löhne für die Gesellen regulierten. Andererseits gab es auch Handwerksgeselle, die sich organisierten und versuchten auf die Lohnhöhe und die Länge der Arbeitszeiten Einfluss zu nehmen. In England wurde diese Form der Arbeitnehmerorganisation im Jahre 1381 verboten. Fortan war es Arbeitern und Gesellen verboten zu „koalieren“.[6] Nach dem Untergang der Gilden Anfang des 16. Jahrhunderts, versuchte das englische Parlament das Wirtschaftsleben zu regulieren und erließ Gesetze, die die Situation der Gesellen und Arbeiter nochmals deutlich verschlechterte. Hierzu zählte insbesondere das sog. „Statute of Artificers“ aus dem Jahre 1562, welches die staatlich erlaubte Ausbeutung der Arbeiter vorantrieb und den Aufstieg vom einfachen Handwerker zum Gesellen nahezu unmöglich machte.[7] Offiziell blieben Arbeiterassoziationen in England bis in das Jahr 1826 verboten. Doch im Untergrund formierten sich Verbindungen (insbesondere unter den Webern, Kumpel und Bauarbeitern), die mindestens seit 1717, also noch vor der sog. Industriellen Revolution, durch das Bestreiken von Betrieben aller Art Einfluss auf die Höhe der Löhne und die Länge der Arbeitszeiten nehmen wollten.[8] Diese Zusammenschlüsse waren zunächst vereinzelte Gruppen, die erst durch die Folgen der Industrialisierung und die zunehmend desolate Situation der ausgebeuteten Arbeiter sich zu wahren Massenorganisationen entwickelten.

2.2 Der Einfluss der Industrialisierung auf die Arbeiterbewegung in Großbritannien

Generiert durch den technischen Fortschritt am Ende des 18. Jahrhunderts konnte sich in Großbritannien eine neue Form der Produktion entwickeln, die das hergebrachte soziale „Setting“ förmlich aus den Angeln hob. Im Folgenden sollen nun beispielhaft jene Entwicklungen in Großbritannien aufgezeigt werden, die zu der prekären Lage und zur Kampfbereitschaft der Arbeiter geführt haben.

Liest man die Berichte Engels über die „Lage der arbeitenden Klasse in England“, so schien sich folgendes verändert zu haben:

„Vor der Einführung der Maschinen“, schrieb Engels im Jahre 1845, „geschah die Verspinnung und Verwebung der Rohstoffe im Hause des Arbeiters.“[9] Mit diesen nicht arbeitsteiligen Betrieben konnten die Weber, zwar bescheiden, überleben. Meist verfügten die Handwerker noch über Land, aus dem der Bedarf an Lebensmitteln teilweise gestillt werden konnte.[10]

Doch durch die Erfindung neuer Fertigungsmaschinen, namentlich durch die Spinnmaschine „Jenny“ im Jahre 1767, veränderte sich die Lage der Weber nachhaltig. Die Spinnmaschine „Jenny“ ermöglichte einen einfacheren und effizientern Fertigungsprozess des ansonsten von den Webern in mühsamer Handarbeit produzierten Garns. Mit einer Maschine ließ sich das vormals sehr teure Garn äußerst günstig produzieren und mit hohem Profit verkaufen. Viele Weber spezialisierten sich auf die Produktion von Garnen (viele verkauften ihre Parzellen um ich eine „Jenny“ kaufen zu können),[11] mussten aber mit jenen Produzenten konkurrieren, die mehrere Spinnmaschinen besaßen und diese mit Wasser- oder Dampfkraft um ein vielfaches effizienter und billiger betreiben konnten. Die Massenproduzenten konnten die Garne zu einem Bruchteil des alten Preises auf dem Markt absetzen und folglich mussten viele Handwerker ihre Familienbetriebe schließen. Um zu überleben, heurten viele ehemals unabhängige Handwerker in den Großbetrieben an.[12] Das Wachstum der Großbetriebe und die Verdrängung der Handwerksbetriebe führten zu der Ausbreitung eines besitzlosen, lohnabhängigen Proletariats, dessen Schicksal in den Händen der Fabrikbesitzer lag.

Die Konkurrenz zwischen den Großbetrieben, die zunehmende technische Entwicklung und die Rationalisierung in den Fertigungsprozessen führten in der folgenden Zeit zum Abbau von Arbeitsplätzen und zu Löhnen, die im besten Fall das physische Überleben der Arbeiter gewährleisteten.

[...]


[1] Vgl.: Lexikon der Wirtschaft, Begriff: Marxismus, auf http://www.bpb.de/wissen/H75VXG.html.

[2] Zoll, Rainer: Der Doppelcharakter der Gewerkschaften, Frankfurt/Main 1976, S. 7.

[3] Zoll, Rainer (1976), S. 8ff.

[4] Vgl. Docherty, James C.: Historical Dictionary of Organized Labour, The Scarecrow Press, Oxford 2004, S. 1f.

[5] Vgl. Docherty, James C. (2004): S. 2.

[6] Vgl. Docherty, James C. (2004): S. 4-5.

[7] Siehe Docherty, James (2004): S. 4.

[8] Zahlen und Fakten zu diesen Untergrundorganisationen und ihren Streiks liefert Docherty (2004): S. 4-5.

[9] Vgl. Engels, Friedrich: Zur Lage der arbeitenden Klassen in England, MEW, Band 2, Berlin 1972, S. 237.

[10] Ebenda.

[11] Vgl. Engels, Friedrich: Zur Lage der arbeitenden Klassen in England, S. 241.

[12] Ebenda.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Wie revolutionär sind Gewerkschaften
Untertitel
Die Funktion der Gewerkschaften bei Karl Marx
Hochschule
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)  (Kulturwissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Karl Marx, Gestern und Heute
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
19
Katalognummer
V77434
ISBN (eBook)
9783638828239
Dateigröße
447 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gewerkschaften, Karl, Marx, Gestern, Heute
Arbeit zitieren
Philipp Appel (Autor:in), 2006, Wie revolutionär sind Gewerkschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77434

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