"Neue Gilden" in der spätmittelalterlichen Stadt

Zur Entstehungsgeschichte kaufmännisch-einungsrechtlicher Bindungen und zur Funktion ihrer Mitglieder in der Stadtgemeinde.


Seminararbeit, 2006

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Merkmale kaufmännischer Gilden des norddeutschen Raumes
2.1 Soziale Gruppen und ihre rechtliche Manifestation in der
Schwurgemeinschaft
2.2 Begriffsklärung – Gilde, ‚Alte Gilde’, ‚Neue Gilde’
2.3 Strukturen und Aufgaben einer Gilde(-verfassung)
2.4 Zur Funktion der kaufmännischen Gilden in der Bürgerkommune

3 Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Bewohner der mittelalterlichen Stadt stellen sich uns heute als ein Konglomerat unterschiedlich konstituierter Gruppen dar, deren jeweiligen spezifischen Wertesysteme die Art und Weise ihres Verhaltens im sozialen Umfeld bestimmten. Neben der exakten archivartigen Darstellung der Ergebnisse dieses Handelns sollte die Geschichtswissenschaft aber noch einen weiteren Schritt leisten, sie muss der Beobachtung eine Erklärung, das ‚Warum’ gewisser Entscheidungen und daraus resultierender Ereignisse, anheim stellen, wobei sie zur eigentlichen Forschung, dem Suchen nach Gründen übergeht.

Befasst man sich mit dem Verhalten von Menschen, so muss man den Einzelnen immer auch im Kontext seines umfangreichen Netzes an personellen Bindungen und als ein Wesen auffassen, dessen Verhalten in einer signifikanten Gegenseitigkeit zu seiner Umwelt steht. Die sich so ergebenen tatsächlichen Aktionsmöglichkeiten eines Individuums erfahren, sowohl durch sein Geschlecht und seine individuelle (soziale) Genese als auch durch die aktuell wirksamen, situationsspezifisch unterschiedlich ausfallenden Handlungsspielräume eine Einschränkung. An dieser Stelle gilt es nun einzusetzen und zu fragen: Erstens, wie sich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art von Gruppe auf die tätige Person auswirkt? Zweitens, wie der Prozess der Entscheidungsfindung innerhalb der Gruppe, vertikal-hierarchisch oder horizontal-gleichheitlich – verstanden als ein nuanciertes und nicht bipolares Verhältnis, abläuft? Drittens, wie es um die wechselseitigen Einflüsse, positiv wie negativ, zu den Angehörigen anderer Gruppen steht?

Die Feststellung von Gilden als eine europäische Erscheinung des Mittelalters und Phänomen der okzidentalen Kultur,[1] lässt eine zusätzliche Problemebene erkennen. Eine die Fragen nach der Verbindung von bestimmten Gesellschaften und Religionen sowie deren immanentes Verständnis von einer ‚gottgewollten harmonischen Ordnung der Dinge’ aufwirft. Dabei stellt die Einteilung der Welt in unterschiedliche Schichten, Klassen oder Stände[2] jeweils nur eine Deutung einer angenommenen Wirklichkeit dar, welche denn auch den historischen Figuren selbst oder dem Begriffsfundus eines Historikers entstammen kann.

Diese Arbeit soll die weiter oben aufgeworfenen Fragen exemplarisch anhand einungsrechtlicher Verbandsstrukturen, des 11. bis 13. Jahrhunderts, im nordwesteuropäischen Raum untersuchen. Sie wird sich dabei auf sog. ‚Sekundärliteratur’ stützen und so die durch die Bearbeitung konkreter historischer Statute aufkommenden Probleme einer Generalisierung, für den genannten Zeitrahmen und das geografische Einzugsgebiet, zu umschiffen versuchen. Dem Hauptteil soll bei der Beantwortung der Fragen die eigentliche Aufmerksamkeit zufallen, die vier Unterpunkte dieses Kapitels können dabei als eine im Komplexitätsgrad kontinuierlich ansteigende Untersuchungskurve aufgefasst werden. Die von einer recht allgemeinen Beschreibung des Begriffes der ‚sozialen Gruppen’ im eigentlichen speziellen Untersuchungsfeld dieser Arbeit, der Funktion einungsrechtlicher kaufmännischer Verbindungen in der städtischen Bürgerkommune, mündet. Den Abschluss soll daraufhin eine letzte überblicksartige Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse bilden.

2 Merkmale kaufmännischer Gilden des norddeutschen Raumes

2.1 Soziale Gruppen und ihre rechtliche Manifestation in der Schwurgemeinschaft

Eine soziale Gruppe lässt sich über das Vorhandensein von mindestens fünf ineinander greifenden Faktoren bestimmen. Als erstes bleibt festzustellen, dass den Mitgliedern einer Gruppe die Verfolgung eines gemeinschaftlichen Interesses zu Eigen ist. Zum Zweiten, unterliegen die Mitglieder einer Gruppe einem festgelegten Regel- und Normenkatalog, der den weiteren Handlungsspielraum jedes Gruppenangehörigen begründet. Das auf diese Weise erzeugte ‚gewünschte Verhalten’, bezieht sich nicht nur auf die Beziehungen innerhalb der Gruppe sondern auch auf die Wechselwirkungen zu anderen Gruppen, den Außenstehenden und stellt eine weitere Voraussetzung dar. Ein viertes Element findet sich in der Struktur, der inneren Differenziertheit von Funktionen und ‚sozialen Rollen’, vertreten, und schließlich als fünftes Moment, die relative Dauer in der Zeit, welches ein langfristiges Wirken in der Geschichte erst ermöglicht und die ‚formelle Gruppe’ von der Bestimmung der ‚informellen Gruppe’ abhebt. Des Weiteren muss man nach dem Ursprung der Gruppen differenzieren, d. h. eine Unterscheidung von einerseits realen oder imaginierten Verwandtschaftsverhältnissen und andererseits auf Vereinbarung beruhenden, durch Konsens und Vertrag geregelten, sozialen Bindungen vornehmen.[3] Gruppen die sich durch letztgenanntes konstituieren, mögen es auch auf dem ‚Prinzip der Parität’ begründende Abkommen sein, lassen dennoch innerhalb ihrer Gemeinschaft eine Trennung nach Alter, Rang und anderen Kriterien erkennen, welche das Zusammengehörigkeitsgefühl festigen und keineswegs, wie sich vermuten ließe, konträr wirksam werden.[4]

In der Einleitung wurde schon darauf hingewiesen, dass die vielfältige Existenz von Gruppen im mittelalterlichen Europa auch als eine Folge der in diesem Kulturraum vorherrschenden Religion, nämlich des Christentums, gesehen werden muss. Oexle[5] verweist in seinen Ausführungen darauf, dass diese Form des Glaubens, bedingt durch die Art seiner eigenen Genese, verstanden als die Entwicklung einer über Jahrhunderte unterdrückten sowie verfolgten Minderheit, besonders die Entfaltung von Gruppenstrukturen förderte und parallel dazu, den Ausbau ‚anstaltlicher Strukturen’ hemmte. Ist aber von Ausbau die Rede, so lässt sich zugleich auch das Erbe des antiken, ehemals große Teile Europas beherrschenden ‚Römischen Reiches’ heranziehen und in dessen Zerfall kann man die Folgen des Abbaus ehemals vorhandener ‚staatlicher Strukturen’ nachvollziehen. Die nun im Europa des Mittelalters, teils tiefgehend verändert, teils vollständig verschwunden, die Politik und Machtkämpfe der Nachfolgereiche bestimmten und eine Regeneration von ‚Gesellschaft’ erforderlich machten. Der Wegfall von institutionellen Kontrollen und Zwängen, als Folge der territorialen und machtherrlichen Zersplitterung des Reiches, und die Entstehung neuer staatlicher Herrschaft führten in dem zunächst vernachlässigten Raum des direkten menschlichen Miteinanders zu einer Organisation ‚von unten’, einer Form der Selbsthilfe, die das Überleben sowie die Verwirklichung der eigenen Ansprüche und Bedürfnisse sicherte.

So lässt sich konstatieren, dass das eigentlich Produktive aus dem Gegensätzlichen hervorging, als ein Resultat der Reibung von staatlichen sowie kirchlichen Widerstand versus genossenschaftlicher Vereinigung[6] einerseits und dem obrigkeitlichen Zugeständnis gruppenbezogener Sonderrechte andererseits. Diese generelle Feststellung von Konflikt und Konsens lässt sich problemlos sowohl auf die Frühgeschichte der Entstehung von gildeartigen Verbindungen im 5. bis 6. Jahrhundert, als auch auf die, in dieser Arbeit im Fokus stehenden, verfassungsrechtlich autarken Strukturen der aus erstgenannten hervorgegangenen Vereinigungen sowie die ab dem 11. Jahrhundert im ‚Heiligen Römischen Reich deutscher Nation’ aufkommenden Stadtgemeinden übertragen.

[...]


[1] Oexle, O.G., Soziale Gruppen in der Ständegesellschaft, S. 34 f.

[2] Oexle, O.G., Die funktionale Dreiteilung der sozialen Wirklichkeit, S. 19 sowie S. 41.

[3] Vgl. dazu Oexle, O.G., Soziale Gruppen in der Ständegesellschaft, S. 17; Irsigler, F., Zur Problematik der Gilde- und Zunftterminologie. S. 64; Oexle, O.G., Die funktionale Dreiteilung der sozialen Wirklichkeit, S. 26.

[4] Vgl. dazu Oexle, O.G., Soziale Gruppen in der Ständegesellschaft, S. 30 ff.; Althoff, G., Verwandte, Freunde und Getreue, S. 21.

[5] Oexle, O.G., Soziale Gruppen in der Ständegesellschaft, S. 34 ff.

[6] Genossenschaftsdefinition nach Helmuth Stradal: „Personenverbände zur Erfüllung der von seinen Mitgliedern angestrebten religiösen, kulturellen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Zwecke“. In Irsigler, F., Zur Problematik der Gilde- und Zunftterminologie, S. 54; Des weiteren kann Genossenschaft verstanden werden als „eine horizontal-gleichhaltige Sozialbeziehung zwischen Menschen“. Dilcher, G., Die genossenschaftliche Struktur von Gilden und Zünften, S. 74; Eine weitere Perspektive bietet Althoff an, er weist auf die enge verwandtschaftliche Verflechtung von Elementen der Genossenschaft und Freundschaft im Mittelalter hin Althoff, G., Verwandte, Freunde und Getreue, S. 86 f.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
"Neue Gilden" in der spätmittelalterlichen Stadt
Untertitel
Zur Entstehungsgeschichte kaufmännisch-einungsrechtlicher Bindungen und zur Funktion ihrer Mitglieder in der Stadtgemeinde.
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Geschichte)
Veranstaltung
Proseminar
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V77397
ISBN (eBook)
9783638819442
Dateigröße
567 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neue, Gilden, Stadt, Proseminar
Arbeit zitieren
Lars Wegner (Autor:in), 2006, "Neue Gilden" in der spätmittelalterlichen Stadt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77397

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