Inhalt und Grenzen des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit (Herkunftslandprinzips)


Seminararbeit, 2006

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

A: Einleitung
Der gemeinsame Binnenmarkt

B: Hauptteil
1. Meilensteine der EuGH-Rechtsprechung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit
1.1 Der Fall Dassonville (Maßnahme gleicher Wirkung)
1.2 Der Fall Keck (Vertriebsbezogene vs. Produktbezogene Maßnahme)
1.3 Der Fall Cassis de Dijon (immanente Schranken des Art.28 EGV)
2. Die Bedeutung der Cassis-Rechtsprechung
2.1 Die Tragweite der Dassonville-Formel
2.2 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Waren und Dienstleistungen (Herkunftslandprinzip/ Ursprungslandprinzip)
2.3 Grenzen des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung
2.4 Auswege bzw. Lösungsvorschläge der Kommission

Schluss

Quellen:

A: Einleitung

Der gemeinsame Binnenmarkt

Das Kernstück des gemeinsamen Binnenmarktes bildet die Zollunion (Art 23. ff EGV). Die Abschaffung der Binnenzölle und Abgaben gleicher Wirkung sowie die gemeinsamen Außenzölle sind die grundlegenden Voraussetzungen für die freie Zirkulation von Waren und Dienstleistungen und damit für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum. Die Zollunion wird ergänzt durch das Verbot mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung (Art. 28 ff EGV). Noch immer ist der freie Wahrenverkehr nicht vollständig verwirklicht, da auch heute noch unterschiedliche Rechtsvorschriften in den jeweiligen Mitgliedstaaten den freien Güteraustausch hemmen. Besonders deutlich wird dies im Bereich der gegenseitigen Anerkennung. Das so genannte Ursprungslandprinzip [Prinzip der gegenseitigen Anerkennung oder auch Herkunftslandprinzip; die Begriffe werden im folgenden synonym verwendet] soll die trennende Wirkung verschiedener nationaler Qualitäts- bzw. Produktstandards abfangen und dabei eine Angleichung dieser Standards vermeiden. Begründet wird dies mit dem politischen Ziel nationale Besonderheiten nicht zugunsten eines europäischen „Einheitsbreis“ aufgeben zu müssen. ‚ Mit der korrekten Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung können zwei Ziele miteinander vereinbart werden: der in den Artikeln 28 und 30 EG-Vertrag verankerte freie Warenverkehr und u. a. der Schutz der Gesundheit, der Umwelt, und der Verbraucher.’[1] Damit fungiert das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung als „Eckpfeiler“ der wirtschaftlichen Integration unter Wahrung der Subsidiarität. Der Regelungsbedarf auf diesem Gebiet wird durch die Tatsache, dass ein Großteil der Verfahren wegen Verletzung der Warenverkehrsfreiheit in den Bereich der gegenseitigen Anerkennung fallen verdeutlicht.

Maßgeblich für die Fortentwicklung der Rechtsprechung im Bereich der Wahrenverkehrsfreiheit waren die Urteile in den Fällen Dassonville, Cassis de Dijon und Keck auf die ich im Folgenden eingehen werde. Diese drei, für die Entwicklung des Europarechts bedeutenden Fälle werde ich zunächst knapp skizzieren, wobei dem Fall Cassis de Dijon besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Nachdem ich Sachverhalt und Entscheidung in letztgenannter Rechtsache geschildert habe werde ich die Bedeutung dieses Urteils zunächst in Bezug auf die (Tragweite der) Dassonville-Formel und anschließend das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Rechtsvorschriften im Binnenmarkt[2] betreffend darlegen. Anhand dessen wird auch der Inhalt des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung erläutert. Im Anschluss gehe ich auf die rechtlichen Grenzen und praktischen Probleme bei der Anwendung des Herkunftlandprinzips ein. Bevor ich die Arbeit mit einem Fazit abschließe werde ich noch Vorschläge der Kommission anführen, die zuvor genannten Probleme abzumildern.

B: Hauptteil

1. Meilensteine der EuGH-Rechtsprechung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit

Die Warenverkehrsfreiheit gehört zum Primärrecht der Europäischen Gemeinschaft und wird in den Art 23 ff. geregelt. Alle Grundfreiheiten gelten unmittelbar und begründen somit unmittelbar Rechte und Pflichten der Bürger. Im Gegensatz zum Sekundärrecht müssen die Mitgliedstaaten keinerlei Vollzugsmaßnahmen treffen und verfügen im Bereich der Grundfreiheiten auch nicht über einen Ermessensspielraum. Die nationalen Verwaltungsbehörden und Gerichte müssen die Grundfreiheiten ebenso beachten und anwenden wie die Organe der EU. Art. 28 EGV besagt dass Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten sind. Im Laufe der Zeit wurde deutlich dass auch nicht diskriminierende staatliche Maßnahmen den freien Warenverkehr hemmen konnten, so dass der EuGH die als Diskriminierungsverbote gedachten Grundfreiheiten mit den maßgeblichen Urteilen Dassonville[3] und Cassis de Dijon zu Beschränkungsverboten erweiterte.

1.1 Der Fall Dassonville (Maßnahme gleicher Wirkung)

Der Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung war in der Literatur lange Zeit außerordentlich umstritten und nimmt erst in neuerer Zeit präzisere Konturen an, vor allem auf Grund der Rechtsprechung des Gerichtshofs.[4] Im Verfahren Dassonville ging es vor einem belgischen Gericht um die in Belgien unerlaubte Einfuhr schottischen Whiskeys ohne Ursprungsbescheinigung der britischen Zollbehörden. Die Händler hatten den nach Frankreich ordnungsgemäß eingeführten Whiskey in Frankreich gekauft und nach Belgien importiert. Der Echtheitsnachweis war allerdings nur für Direktimporteure unproblematisch zu beschaffen und so entschied der EuGH dass eine derartige Formalität als eine vertragswidrige Maßnahme gleicher Wirkung zu betrachten sei. Als Maßnahme gleicher Wirkung wurde in diesem Urteil jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, festgelegt [Dassonville-Formel]. Die Dassonville-Formel umfasst also jegliche Diskriminierung importierter ausländischer Erzeugnisse gegenüber inländischen Produkten genauso wie die sich hinter formaler Gleichbehandlung verbergende versteckte Diskriminierung. Der Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung ist folglich nicht nur auf rechtliche Beschränkungen begrenzt, sondern bezieht sich außerdem auf jede staatliche Maßnahme die eine Beeinträchtigung des freien Handels darstellt. Damit hat der Europäische Gerichtshof in dieser Entscheidung den Begriff der „Maßnahmen gleicher Wirkung“ überaus weit ausgelegt.

1.2 Der Fall Keck (Vertriebsbezogene vs. Produktbezogene Maßnahme)

Eine Einschränkung der Dassonville-Formel lieferte die Rechtsprechung im Fall Keck[5].

In dem Verfahren ging es um das französische Verbot Waren unter dem Einkaufspreis weiter zu verkaufen. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung entschied der EuGH ‚ dass nationale Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken, dann nicht unter das Verbot des Art 28 EGV fallen, wenn sie für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren [Keckformel] . […] Als Verkaufsmodalitäten wurden neben Ladenschlussregelungen zB Verkaufsvorbehalte für Apotheken oder zugelassene Vertriebshändler für Tabakwaren und Beschränkungen der Fernsehwerbung angesehen.[6] Nicht diskriminierenden Maßnahmen die in den Bereich der Verkaufsmodalitäten fallen sind folglich nicht geeignet den Marktzugang für ausländische Produkte zu verhindern bzw. stärker zu beeinträchtigen als sie dies für inländische Erzeugnisse tun. Mit der Keck-Rechtsprechung hat die zunächst sehr weit gefasste Dassonville-Formel eine bedeutende Einschränkung erfahren.

1.3 Der Fall Cassis de Dijon (immanente Schranken des Art.28 EGV)

Allerdings ist der Art. 28 EGV auch nicht auf ein grundsätzliches Verbot jeglicher Handelsbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten angelegt. Neben dem in Art. 30 EGV aufgeführten Ausnahmen (die nach ständiger Rechtsprechung eng auszulegen sind) erkennt der Gerichtshof mit der Cassis-Rechtsprechung auch immanente Schranken an, die für bestimmte Einschränkungen des Art. 28 EGV eine ausdrückliche Rechtfertigung nach Art. 30 EGV nicht benötigen. Diese immanenten Schranken sollen es dem Mitgliedstaat ermöglichen, auch außerhalb der von Art. 30 EGV genannten Ausnahmen, zum Schutz gemeinschaftsrechtlich anerkannter „Allgemeinbelange“ nicht diskriminierende Maßnahmen zu ergreifen sofern in dem jeweiligen Bereich noch keine gemeinschaftsrechtlichen Regelungen bestehen (kein harmonisierendes Sekundärrecht erlassen wurde).

1.3.1 Der Sachverhalt

Die Firma Rewe beantragte im September 1976 bei der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein die Genehmigung, den aus Frankreich stammenden Likör Cassis de Dijon einzuführen und in Deutschland zu verkaufen. In Frankreich ist der Cassis mit einem Alkoholgehalt von 15 –20% erhältlich. Die Bundesmonopolverwaltung entschied dass der Likör wegen seines zu geringen Weingeistgehaltes in Deutschland nicht verkehrsfähig sei und stützte sich dabei auf eine deutsche Regelung (§100 III Branntweinverordnung) nach der Trinkbranntweine mindestens 32%, Fruchtliköre ausnahmsweise 25% Weingeist enthalten müssten. Dagegen erhob Rewe Klage beim Verwaltungsgericht Darmstadt; dieses verwies den Rechtstreit an das Hessische Finanzgericht welches letztlich das Verfahren aussetzte und dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorlegte:

Ist der Begriff „Maßnahme gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen“ des Artikels 28 EVG in dem Sinne zu verstehen, dass auch die im deutschen Branntweinmonopolgesetz geregelte Festsetzung eines Mindestweingeistgehaltes für Trinkbranntweine, die zur Folge hat, dass traditionelle Erzeugnisse anderer Mitgliedstaaten, deren Weingeistgehalt unter der festgesetzten Grenze liegt, in der Bundesrepublik Deutschland nicht in den Verkehr gebracht werden können, unter diesen Begriff fällt?

Nach Ansicht der Firma Rewe stellte diese Regelung eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung dar, da diese die Einfuhr für Erzeugnisse anderer Mitgliedstaaten unmittelbar und gegenwärtig behindere und zu einer willkürlichen Diskriminierung und verschleierten Beschränkung führe. Nach Ansicht der BRD dagegen war die Regelung aus Gründen des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes gem. Art 30 EGV gerechtfertigt. Und da die Regelungen auf inländische und ausländische Produkte unterschiedslos anwendbar sei, führe diese auch nicht zu Diskriminierungen.

[...]


[1] Amtsblatt der Europäischen Union 2003/C 265/02, Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen

[2] Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, Ursprungslandprinzip und Herkunftslandprinzip warden im folgenden synonym verwendet

[3] EuGHE 1974, 837 - Dassonville

[4] Vgl. von der Groeben, Hans; von Boeckh, Hans; Thiesing, Jochen; Ehlermann, Claus-Dieter: Kommentar zum EWG-Vertrag; 3. Auflage, Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden, 1983, S. 253

[5] EuGHE 1993, verb. Rs. C-267/91 und 268/91, Keck und Mithouard

[6] Streinz, Rudolf; Europarecht, 7. Auflage, C.F. Müller Verlag, Heidelberg 2005, S. 330

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Inhalt und Grenzen des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit (Herkunftslandprinzips)
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V77274
ISBN (eBook)
9783638826532
Dateigröße
450 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Inhalt, Grenzen, Grundsatzes, Anerkennung, Bereich, Warenverkehrsfreiheit
Arbeit zitieren
Volker Schmidt (Autor:in), 2006, Inhalt und Grenzen des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit (Herkunftslandprinzips), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77274

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