Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag


Seminararbeit, 2006

28 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Gliederung

1 Einleitung

2 Politischer Hintergrund
2.1 Der Ost-West-Konflikt
2.2 Die Dekolonisierung

3 Motive und Interessen der Hauptakteure
3.1 De Gaulles politische Motive und Interessen
3.2 De Gaulles Vision einer europäischen Union
3.3 Adenauers politische Motive und Interessen
3.4 Das besondere Verhältnis zwischen Adenauer und de Gaulle

4 Die Fouchet-Pläne
4.1 1958-1960: Vorbereitende Instituierung regelmäßiger außenpolitischer Konsultationen
4.2 Supranationale vs. Intergouvernmentale Lösung
4.3 1960-1962: Verhandlungen um die Errichtung einer politischen Union der Sechs
4.4 ab 1962: Scheitern der Fouchet-Pläne
4.5 Der Weg von den Fouchet-Verhandlungen zum Deutsch-Französischen Vertrag
4.6 Inhalt des Deutsch-Französischen Vertrag

5 Fazit

6 Literatur:

1 Einleitung

„Nie wieder darf es dahin kommen, da[ß] in Frankreich und

Deutschland Birkenkreuze aufgerichtet werden“

de Gaulle im September 1962 vor der Feldherrnhalle in München

Ich will jetzt etwas sagen, was Sie vielleicht in Erstaunen setzen wird: Der erste Schritt bei der Neubildung der europäischen Familie mu[ß] ein Zusammengehen zwischen Frankreich und Deutschland sein. Nur so kann Frankreich die Führung in Europa wiedererlangen. Es gibt kein Wiedererstehen Europas ohne ein geistig großes Frankreich und ein geistig großes Deutschland […]. Daher mu[ß] es unser ständiges Ziel sein, die Organisation der Vereinten Nationen zu stärken. Innerhalb dieser weltumspannenden Konzeption aber müssen wir die europäische Familie in einem regionalen System, den Vereinigten Staaten von Europa, wiederherstellen. Der erste Schritt hierzu wäre es, einen Europäischen Rat ins Leben zu rufen. Wenn alle Staaten Europas dieser Union fürs erste nicht beitreten wollen oder können, so müssen wir doch alle jene sammeln, die willens und imstande sind, es zu tun.’[1]

Diese Aussage des Britischen Premierministers Churchill vor der Züricher Universität musste nur gut ein Jahr nach der Kapitulation der Deutschen allerdings auf einige Beobachter irritierend wirken. Das Bemerkenswerte dabei war weniger inhaltlicher Natur; denn bereits im dreizehnten Jahrhundert entwarf Alighieri Dante erste Vorstellungen eines „geeinten Europas“ und spätestens seit Hugo Grotius wurden Versuche unternommen, ein modernes Völkerrecht zu schaffen und damit der Friedenssicherung einen intrinsischen Wert beizumessen. Ferner erarbeiteten einige Denker wie William Penn oder Immanuel Kant ca. 250 Jahre zuvor Friedenstheorien, der Abbé de Saint Pierre gar schon die Idee eines europäischen Völkerbundes und Graf Richard Coudenhouve-Kalergi schließlich gründete 1923 die bis heute existierende Paneuropa-Bewegung.[2] Vielmehr war es der Zeitpunkt, der Churchills Forderung wie eine Utopie erscheinen lassen musste. Gerade mal 16 Monate waren seit dem Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische Dritte Reich vergangen. Europa war stark gezeichnet vom zweiten verheerenden Krieg innerhalb weniger Jahre; ein Krieg, dessen Ende auch gleichsam ein Horrorszenario - die Unterwerfung Europas unter das Hakenkreuz - auflöste; ein Krieg dem etwa 50 Millionen Menschen zum Opfer fielen, der zahlreiche Städte verwüstete und große Teile der europäischen Bevölkerung in tiefe Armut stürzte; ein Krieg der noch viel weitreichendere Konsequenzen als das unmittelbare menschliche Elend, das er verbreitet hatte, nach sich zog:

Das internationale System war im Umbruch begriffen, eine multipolare Weltordnung sollte durch eine Bipolare abgelöst werden und die Europäischen Großmächte, durch den langen, verlustreichen Krieg aufgerieben, ihre Machtposition einbüßen. Die Kolonien der einstigen Großmächte wurden bald darauf mit Hilfe der gerade erst gegründeten Vereinten Nationen in die Unabhängigkeit entlassen. Es entstanden zahlreiche neue Staaten mit zum Teil willkürlich gezogenen Grenzen; die Folgen der Missachtung natürlicher Grenzen und ethnischer, religiöser und kultureller Herkunft bei der Errichtung der Staaten ist entscheidend für die bedeutendsten Konfliktherde der heutigen Zeit. Die USA und die Sowjetunion zogen als klare Sieger vom Feld; sofern man nach einem Krieg überhaupt von „Siegern“ sprechen kann. Die Welt war von nun an geteilt in eine westliche Hemisphäre unter Führung der USA und eine von Russland dominierte östliche Hemisphäre. Deutschland war zu diesem Zeitpunkt politisch, wirtschaftlich, militärisch sowie auch moralisch am Boden. Ein deutscher Staat existierte nicht mehr, die zukünftige Entwicklung des Landes war weitestgehend abhängig von den Siegermächten, wobei Frankreich, angetrieben von Furcht, Misstrauen und eigenen hegemonialen Ansprüchen, hauptsächlich darauf zielte die Macht Deutschlands ein für alle Mal zu brechen. Das deutsch-französische Verhältnis war von drei Kriegen innerhalb von 75 Jahren sowie gegenseitigen Demütigungen nachhaltig geprägt und hatte so kurz nach dem zweiten Weltkrieg seinen historischen Tiefpunkt erreicht. Die Forderung nach einem “Zusammengehen“ ausgerechnet dieser beiden Staaten um damit das Fundament für ein vereintes Europa zu schaffen musste für viele Zeitgenossen geradezu absurd wirken.

So wenig das Bild, das Churchill in seiner Rede zeichnete, in den zeitlichen Rahmen zu passen schien, so treffend war dennoch seine Analyse. Tatsächlich sollten schon bald darauf erste Schritte einer deutsch-französischen Kooperation vollzogen werden. Freilich war den ersten Annährungen der beiden Staaten das Misstrauen Frankreichs noch deutlich anzumerken – so beispielsweise die 1952 ins Leben gerufene Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl als supranationale Kontrollinstanz der deutschen Montanindustrie. Dennoch stimmte auch Frankreich zu, als es drei Jahre später darum ging der noch jungen Bundesrepublik Deutschland seine Souveränität (bis auf wenige Einschränkungen) zurückzugeben. Die feierliche Aussöhnung und damit der vorläufige Höhepunkt der bilateralen Beziehung wurde nur kurze Zeit später, am 22. Januar 1963 mit dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag, einer weltweit bisher beispiellosen Kooperation mit dem ehemaligen „Erbfeind“ vollzogen.

Jene, die die deutsch-französische Zusammenarbeit – unwissentlich oder bewu [ß] t – mit dem Elysée-Vertrag von 1963 beginnen lassen, begehen nicht nur einen einfachen Datierungsfehler. Sie verfälschen auch auf das Schlimmste den tiefen Versöhnungs- und Freundschaftswillen bei Deutschen und Franzosen im Jahre 1945, die sich beide als Opfer des gleichen kriminellen Irrsinns fühlten.[3] Gegen Kriegsende war es allerdings noch zu früh für diese Aussöhnung. Auf beiden Seiten des Rheins wurde das jeweils andere Volk noch einige Zeit mit negativen Assoziationen besetzt. Mit meiner Arbeit möchte ich die Frage behandeln, wie es dazu kommen konnte, dass sich aus dieser Ausgangslage eine Form der Zusammenarbeit zweier Staaten entwickeln hat, die im folgenden als „Motor der europäischen Integration“ bezeichnet wurde. Dafür ist es zunächst notwendig die politischen Rahmenbedingungen dieser Zeit weiter zu beleuchten, da an Hand der Entwicklung Europas und des internationalen Systems die Beweggründe der Hauptakteure – de Gaulle und Adenauer – erläutert werden können. Anschließend werde ich eben jene Motive, die zu diesem Abkommen führten darstellen sowie ferner auf das besondere Verhältnis der beiden Staatsmänner eingehen. Im Anschluss werde ich den politischen Prozess, d.h. den Weg von den Fouchet-Plänen zum bilateralen deutsch-französischen Abkommen, beschreiben. Nachdem ich den Inhalt skizziert habe werde ich die Arbeit mit einem Fazit abschließen.

2 Politischer Hintergrund

2.1 Der Ost-West-Konflikt

Der mit der Oktoberrevolution 1917 beginnende Ost-West-Konflikt nahm schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg wieder an Schärfe zu. Die ideologischen Differenzen konnten während der letzten Jahre nur ausgeblendet, nicht aber ausgeräumt werden und entwickelten sich nach 1945 zu einem Systemwettstreit zwischen den einzig verbliebenen Supermächten USA und Sowjetunion, für den der amerikanische Journalist Walter Lippmann den Begriff des „Kalten Krieges“[4] prägte. Nur knapp vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde mit der Gründung zweier Deutscher Staaten die Grenze der beiden Blöcke mitten im Herzen Europas gezogen. Das geteilte Deutschland wirkte auf tragische Weise als Symbol und Brennpunkt für eine Welt, die von nun an in zwei Lager gespalten war.

Je mehr sich der Ost-West-Konflikt zuspitzte desto mehr geriet Frankreich unter Zugzwang, die eigene Position gegenüber der Bundesrepublik zu überdenken. Vor allem Deutschlands exponierte geographische Lage gab Anlass zur Sorge, wollte man nicht Gefahr laufen, der aggressiven kommunistischen Expansionspolitik Vorschub zu leisten. Mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) wurden 1952 bereits erste Schritte der europäischen Integration und damit verbunden der Annäherung Frankreichs an die noch junge Bundesrepublik Deutschland unternommen. Allerdings dominierten bei diesem Vertragswerk die sicherheitspolitischen Interessen. Frankreich war vor allem daran gelegen, die kriegsrelevante (deutsche) Kohle- und Stahlindustrie unter internationale Kontrolle zu bringen, um einen erneuten bewaffneten Konflikt in Europa vorzubeugen bzw. Deutschland als potentiellen Aggressor überwachen zu können.

Der 1950 ausgebrochene Korea-Krieg führte dem Westen schließlich die Dringlichkeit eines deutschen Wehrbeitrags zur Verteidigung Westeuropas vor Augen. Denn einerseits wurden dadurch wesentliche Teile der amerikanischen Streitkräfte in Asien gebunden, andererseits stand zu befürchten, dass die Bundesrepublik ein ähnliches Schicksal ereilen könnte, sahen doch nicht zuletzt manche Beobachter im Korea-Krieg den Beginn des Dritten Weltkrieges.

Wenngleich auch die auf Rückgewinnung des Vertrauens angelegte Außenpolitik Adenauers schon bald ihre Wirkung zu entfalten begann, wurde der Beitritt Deutschlands zur WEU und NATO 1955 und damit auch die deutsche Wiederbewaffnung vorerst von französischer Seite noch mit einigem Unbehagen betrachtet. Durch den Ost-West-Konflikt lässt sich folglich ein grundlegendes Interesse zur Kooperation zwischen Frankreich und Westdeutschland, zumindest auf militärischer Ebene, erklären. Dennoch war vor allem auf französischer Seite eine gewisse Skepsis gegenüber dem neuen Bündnispartner noch immer zu spüren. Es bleibt also weiter ungeklärt, wie es in der Folgezeit zu einer derart engen Kooperation zwischen Paris und Bonn kommen konnte?

Einerseits sind dabei sicherlich die Bemühungen Adenauers um Vertrauensgewinnung und Westintegration ein zentraler Baustein gewesen. Wiedervereinigung, Wiederaufbau, Westintegration sowie Rückgewinnung der Souveränität waren die primären Ziele deutscher Außenpolitik unter Adenauer. Für den Bundeskanzler war die Wiedervereinigung nur über eine fest in den Westen eingebundene, international gleichberechtigte, souveräne Bundesrepublik möglich. Diese Strategie implizierte eine damals heftig umstrittene Zielhierarchie, in der so mancher die Aufgabe jeglicher Wiedervereinigungsbemühungen erkennen wollte. Tatsächlich jedoch hatte der Bundeskanzler die Hoffnung, dieses Ziel eines Tages zu erreichen, nie aufgegeben, sah jedoch angesichts des anschwellenden Wettstreits, der sowjetischen Haltung sowie der wachsenden militärischen Stärke der Sowjetunion die Verwirklichung einem fernen Zukunftstraum weichen. Die grundsätzlichen Voraussetzungen Adenauers für eine Wiedervereinigung schienen allerdings nach der Gründung der EGKS 1952 und dem Beitritt zu den kollektiven Verteidigungsbündnissen WEU und NATO 1955 sowie außerdem der Gründung der EAG und EWG 1957 weitestgehend erreicht. Sogar die Saarfrage, als letztes rudimentäres Überbleibsel der Rivalität zweier Staaten, konnte 1956 endgültig gelöst werden. Die Bundesrepublik hatte zu diesem Zeitpunkt mit bemerkenswerten Einschränkungen die Rechte eines souveränen Staates erlangt und war gleichzeitig fest in das westliche Bündnissystem eingebunden. Kann der deutsch-französische Vertrag also tatsächlich auf idealistische Motive bzw. dem Wunsch nach Aussöhnung zurückgeführt werden? „Warum war es nötig, […] die deutsch-französische Aussöhnung durch einen Vertrag zu krönen, wenn sie, was viel wichtiger war, bereits längst stattgefunden hat? Beide Staaten hatten sich doch bereits in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, dann in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und im Euratom fest zusammengeschlossen.“[5]

Adenauer bereite vor allem die mit dem Berlin-Ultimatum 1958 begonnene Entwicklung des Aufweichens der westlichen Front Kopfzerbrechen. Der seit 1947 eingeschlagene Kurs der Containment-Politik drohte Mitte der Fünfziger Jahre Disengagement-Plänen bzw. einem Abbau der Spannungen zu weichen. Allen voran der britische Premier Macmilan fürchtete, die Berlinfrage könnte der Auslöser des nächsten Krieges werden. Eine Verständigung mit dem kommunistischen Gegner wäre allerdings gleichzeitig eine Stabilisierung des Status Quo und damit das Ende jeglicher Wiedervereinigungsträume. Auch die Aufforderung des amerikanischen Außenministers Dulles an Bonn, sich flexibler zu zeigen, sorgte daher kurzzeitig für Beunruhigung. Bei seinem letzten Bonnbesuch kurz vor seinem Ableben 1959 konnte er jedoch von Adenauer überzeugt werden, die Disengagement-Pläne aufzugeben. Adenauer war sich stets bewusst, dass die Sicherheit der Bundesrepublik vor allem durch die Vereinigten Staaten gewährleistet wird, und damit entscheidend von guten transatlantischen Beziehungen abhängt. Dies zeigte sich unter anderem an seiner Unnachgiebigkeit gegenüber de Gaulle bezüglich der Integration deutscher Truppen in die NATO und der Stationierung von US-Streitkräften auf deutschem Boden. Adenauer hat sich buchstäblich über Jahre hinweg zwischen Scylla und Charybdis befunden und stets ein Scheitern befürchten müssen. Dort die Scylla de Gaulle, die eine Abweichung Adenauers von den USA, von der NATO und seine Option für Frankreich forderte; hier die Charybdis Macmillan und Kennedy, die auf eine Entspannung mit Moskau durch Bonner Zugeständnisse drängte.[6] Der Bundeskanzler befürchtete zu diesem Zeitpunkt ein Wiedererwachen der amerikanisch-britisch-sowjetischen Weltkriegskoalition auf Kosten der Bundesrepublik. Gerade in dieser für Adenauer so schwierigen Phase der Berlinkrise, die immerhin 38 Monate andauerte und in dem Bau der Berliner Mauer gipfelte, hatte der erst seit 1958 wieder an die Macht gekommene de Gaulle sich als verlässlichster Partner gegen den sowjetischen Druck hervorgetan. ‚ Beide Staaten hatten […] energisch das Berlin-Ultimatum zurückgewiesen – und dadurch die wankelmütigen Angelsachsen zu einer festen Haltung veranla [ß] t, ja gezwungen. Hier, in den Erfahrungen der Berlin-Krise lag doch ein existentielles Schlüsselerlebnis für die Beziehungen zwischen Adenauer und de Gaulle, woraus sich auch jene Skepsis gegenüber dem politischen Willen der USA und Großbritanniens verstehen lä [ß] t. Wozu jetzt noch einen feierlichen Vertrag?’[7] Es wird immer deutlicher, dass offensichtlich andere Motive als die feierliche Aussöhnung hinter dem Vertragswerk vom 23.01.1963 stecken. Beide, sowohl de Gaulle als auch Adenauer, verfolgten konsequent ihre politischen Ziele. Bevor also im Folgenden auf diese Ziele bzw. Motive der beiden Staatsmänner eingegangen wird, soll der Rahmen noch weiter abgesteckt werden.

2.2 Die Dekolonisierung

Letztlich war auch Frankreich stark geschwächt aus dem Krieg herausgegangen und sah sich schon bald im Kampf um seine Kolonien und damit um seine Weltmachtansprüche auf breiter Front verlieren. Die Unabhängigkeitsbewegung der französischen Kolonien prägten die französische Politik in den Jahren der 4. Republik[8]. Im November 1946 brach der Indochinakrieg aus, der trotz gewaltiger Investitionen und militärischer Hilfe der USA Frankreich am 7. Mai 1954 zum Friedensabkommen und dem Rückzug aus diesen Gebieten zwang. Zwei Jahre später erlangten Marokko und Tunesien ihre Unabhängigkeit. Die Dekolonisierung die einen Schlussstrich unter die europäischen Imperien setzte bedeutete eine ungeheure weltpolitische Umwälzung. Die Anzahl der Staaten vervielfachte sich binnen weniger Jahre. Ferner boten sich plötzlich neue Möglichkeiten für Moskau, relativ einfach die Einflusssphäre des kommunistischen Regimes über die Demarkationslinien von 1945 hinaus zu erweitern.

Der Algerienkonflikt schließlich, der im Jahre 1954 in einen Krieg mündete, spaltete die französische Politik und eröffnete General Charles de Gaulle 1958 den Weg zurück an die Macht. Er nutzte die Algerienkrise um eine neue Verfassung durch ein Referendum durchzusetzen. Diese Verfassung verstärkte die Macht der Exekutive und besonders die des Präsidenten. Mit ihm kam auch die Wende in den deutsch-französischen Beziehungen.

Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts und dem Verlust der Kolonien reifte sehr bald die Erkenntnis, dass dem Aufbau Europas eine zentrale Bedeutung zukam sowie ferner, dass Frankreich – wenn überhaupt - nur in Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Staaten – allen voran dem wirtschaftlich wiedererstarkten Deutschland – den Status der ‚Grande Nation’ wiedererlangen könnte. Dabei handelte es sich allerdings um mehr als nur um die Lösung von wirtschafts- und Handelsproblemen. Wohl auch um mehr als lediglich um militärische Zusammenarbeit, um der Bedrohung aus dem Osten entgegenzutreten. Es ging eben auch um das Ende der uralten, nutzlos gewordenen Antagonismen unter den Nationen Westeuropas und damit letztlich um die Wahrung des künftigen Gewichts und Einfluss Europas in einer gewandelten Welt.

3 Motive und Interessen der Hauptakteure

3.1 De Gaulles politische Motive und Interessen

Ebenso wie der Britische Premierminister Churchill wollte auch der französische Präsident de Gaulle den Machtverlust seines Landes zunächst nicht wahrhaben. Er betrachtete Frankreich noch immer als „Grande Nation“ und wollte seinem Volk zu altem Glanz und Einfluss verhelfen. Die Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges machten sich allerdings sehr bald bemerkbar und so führte der Verlust der Kolonien den Europäern die Realitäten schonungslos vor Augen. Die Welt kannte keine europäischen Großmächte mehr; Die USA und die Sowjetunion waren als die zwei „Supermächte“ aus dem Krieg hervorgegangen und die Welt war in ihre jeweiligen Einflusssphären geteilt. Die Grenze verlief mitten durch Deutschland.

Frankreichs Interessen, mit Deutschland zusammenzuarbeiten, lagen sicherlich einerseits darin begründet Westdeutschland als Pufferzone zwischen dem Westen und dem Kommunismus zu behalten. ‚ Beide [Deutschland und Frankreich] sehen die Gefahr in verschiedener Richtung. Zwar lehnt auch de Gaulle den Kommunismus ab, „die abscheuliche Tyrannisierung des einzelnen“, „die grausige Atmosphäre des Totalitarismus“. Er weiß, „welche Gefahren Frankreich für Leib und Seele drohen würden, wenn vor ihm Deutschland wankte“. Aber diese Gefahr erscheint ihm fern. Für bedrohlicher hält er das höchst labile Gleichgewicht zwischen den beiden Supermächten.[9] So sehr der Franzose den Kommunismus auch von seiner Heimat fern halten wollte, so war dennoch eine Entente zwischen Paris und Moskau immer Bestandteil seiner Zielsetzung. Schließlich hoffte er nach wie vor, Moskau bald wieder auf Augenhöhe begegnen zu können.

[...]


[1] Churchill vor der Züricher Universität am 19. 09. 1946.

[2] Alighieri Dante (1265-1321), Hugo Grotius (1583-1645), William Penn (1644-1718), Immanuel Kant (1724-1804), Abbé de Saint Pierre (1658-1743), Graf Richard Coudenhouve-Kalergi.

[3] Lallement, Bernhard: Vous avez-dit: société civile?, In: Documents, 54 (1999) 5, S. 96

[4] Man spricht im Zusammenhang des Ost-West-Konflikts von zwei Phasen des Kalten Krieges – der Begriff wurde 1947 von dem Journalisten Walter Lippmann geprägt – 1947 bis 1955 und 1979 – 1985.

[5] Weidenfeld, Werner: Der deutsch-französische Vertrag in europäischer Perspektive; In: UNIVERSITAS Jg. 38 (1983), Seite 1296.

[6] Vgl. Schröder, Georg: War Adenauer ein Gaullist?; In: Konrad Adenauer und seine Zeit (Hg. Blumenwitz, Dieter; Gotto, Klaus; Maier, Hans; Repgen, Konrad; Schwarz, Hans-Peter), 1976, S. 623.

[7] Weidenfeld, Werner: Der deutsch-französische Vertrag in europäischer Perspektive; In: UNIVERSITAS Jg. 38 (1983), Seite 1296.

[8] Vierte Republik: 1946-1958.

[9] Osterheld, Horst: Adenauers Abschiedsbesuch bei de Gaulle – ein Stück deutsch-französische Freundschaft; In: Konrad Adenauer und seine Zeit (Hg. Blumenwitz, Dieter; Gotto, Klaus; Maier, Hans; Repgen, Konrad; Schwarz, Hans-Peter), 1976, S. 614.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
2,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
28
Katalognummer
V77270
ISBN (eBook)
9783638821780
Dateigröße
429 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Freundschaftsvertrag
Arbeit zitieren
Volker Schmidt (Autor:in), 2006, Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77270

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