Sprecher und Sprachwandel


Seminararbeit, 2006

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sprache und Wandel

3. Vom Wesen der Sprache

4. Wandel versus Innovation

5. Bedeutung des Sprechers für den Sprachwandel

6. Sprache als "Phänomen der dritten Art"

7. Soziale Einflüsse

8. Abschließende Betrachtungen

9. Anmerkungen

10. Bibliographie

1. Einleitung

"Du kannst nur denken durch den Mittler Sprache,/ nur mit dem Sinne schauen die Natur." So hatte einst der deutsch-französische Dichter Adelbert von Chamisso

(1781- 1838) die Bedeutung der mentalen Repräsentation von Sprache charakterisiert. Universell ist den Menschen, dass sie die Fähigkeit zur verbalen Kommunikation besitzen, sich die Sprache nutzbar machen können, um mit ihrer Umwelt in Kontakt zu treten und nicht zuletzt auch, um ihre äußere und innere Welt zu beschreiben.

Sprache ist ohne ihre Zweckgebundenheit und die Verbindung zu den Sprachbenutzern nicht vorstellbar, sie definiert sich über die Individuen, die sie gebrauchen. Aus diesem Grunde möchte ich in der vorliegenden Arbeit in besonderer Weise die wesentliche Rolle der Institution Sprecher für alle Sprachwandelprozesse herausarbeiten, um darauf aufbauend unter Einbezug einiger repräsentativer Forschungsarbeiten generelle Überlegungen zur "Natur" des sprachlichen Wandels anzustellen.

2. Sprache und Wandel

Obgleich die empirische Forschung bisher nicht leisten konnte, alle Sprachen, die auf der Erde gesprochen werden, eingehend auf das Phänomens des Sprachwandels zu überprüfen (nicht zuletzt weil die Studien in manchen Fällen erst seit jüngerer Zeit betrieben werden), ist davon auszugehen, dass jede menschliche Sprache Wandelprozessen unterliegt, die irgend eine Form der Umstrukturierung

nach sich ziehen1. Die Umstellung kann dem System Sprache (d.h. der langue, wie Saussure sie definiert) Elemente hinzufügen, bereits vorhandene modifizieren und neutralisieren, und auch einmal vorgenommene Änderungen wieder zurücknehmen. Die offensichtliche Frage, die sich dem Linguisten aufdrängt, ist die nach den Gründen sprachlichen Wandels. Ist es so, dass zunächst eine Notwendigkeit oder Kausalität bestehen muss, ein Moment, das die Änderung des status quo zwingend erforderlich macht oder lässt sich das Phänomen des Wandels, das so oft und in so vielen Sprachen beobachtet werden konnte, mit diesen Erklärungsversuchen nicht fassen?

In erster Instanz kann man konstatieren, dass Sprachwandel ein Vorgang ist, der ein bestehendes Zeichen A, das zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte existiert, durch ein (entweder neu geschaffenes oder bereits in anderem Kontext bestehendes)

Zeichen B ersetzt. Denn bliebe Sprache durch die Zeit unverändert, wie ließe sich erklären, dass beispielsweise das mittelhochdeutsche Lexem "minne" vollkommen aus unserem gegenwärtigen Vokabular verschwunden ist und allenfalls noch in Komposita wie "Minnelied" oder "Minnedichtung" anzutreffen ist (und auch dies beinahe ausschließlich in wissenschaftlichem Diskurs), während das ebenfalls aus dem Mittelhochdeutschen stammende "liebe", wenn auch in monophthongierter Form und mit Bedeutungsverengung, noch immer (als eines der am häufigsten verwendeten Wörter der deutschen Sprache) verwendet wird? Es kann für gesichert gelten, dass auf das System der Sprache modifizierende Einflüsse wirken. Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, aus welchem Grund dies so ist, beziehungsweise ob sich alle Sprachveränderungen überhaupt objektiv erklären lassen und sie tatsächlich auf bestimmte Ursachen zurückgeführt werden können.2

In jedem Falle besteht ein enger Zusammenhang zwischen Sprache und Wandel3.

3. Vom Wesen der Sprache

Um letzteren verstehen zu können, erscheint es daher folgerichtig, zunächst darüber zu reflektieren, was mit Sprache gemeint ist. Der Freiburger Linguist Peter Koch bietet gleich acht Definitionen für den Begriff der Sprache an, um zu demonstrieren, wie weit oder eng man diesen Terminus auslegen kann. Grundsätzlich und im allgemeinsten Sinne, so Koch, handelt es sich bei Sprache um die Sprech-und Sprachfähigkeit des Menschen4. Damit ist eine Aussage über zwei wesentliche Fähigkeiten des Menschens gemacht: erstens mithilfe der Artikulatoren Lautsequenzen zu erzeugen, welche aufgrund von Konventionen innerhalb der Sprachgemeinschaft jeweils eine (oder mehrere) Bedeutung(en) erhalten. Und zweitens diese sprachlichen Zeichen auch der jeweiligen Situation angemessen einzusetzen. Dabei ist - unter Berücksichtigung der von Ferdinand de Saussure aufgezeigten signifiant / signifié -Relation - zu bedenken, dass die "Verknüpfung" von Ausdrucks- und Inhaltsseite (abgesehen von onomatopoeischen Lexemen) vollkommen arbiträr ist.5 Es besteht objektiv keine Notwendigkeit dafür, weshalb man beispielweise einen Hund Hund nennt und nicht Katze. Gesellschaftliche Konventionen sorgen dafür, dass sich keine Individualsprachen entwickeln können, die interpersonelle Kommunikation verhindern würden. Denn im Grunde ist jeder Mensch in der Lage, sich eine eigene Sprache zu schaffen, die sich in manchen Eigenschaften von anderen historischen Sprachen unterscheiden könnte.

Sprache allerdings dient in erster Linie der Kommunikation. Sie ist Mittel zum Zweck und hat - so Keller - keine bloße Abbildungsfunktion, sondern ermöglicht dem Benutzer die Beeinflussung seiner Umwelt6.

Kommunizieren ist entsprechend mehr als bloßes regelgeleitetes Handeln: denn Sprache wird zweckhaft eingesetzt: sie dient den Menschen als Problemlösungs-

instrument7, ohne doch von vornherein und notwendigerweise ein solches zu sein.8 Damit sprachliche Verständigung überhaupt möglich ist, müssen sich die mentalen Repräsentationen von Sprache in den Gehirnen der Einzelsprecher einer Sprachgemeinschaft einander zumindest weitgehend ähneln.

Wie bereits Sapir (1921) richtig bemerkt, stimmen "zwei Individuen derselben Gegend, die exakt denselben Dialekt sprechen und sich in denselben gesellschaftlichen Kreisen bewegen, in ihren Sprachgewohnheiten niemals vollkommen überein"9 (übersetzt aus dem Englischen, T.R.). Weil dies so ist und sich neben der Kompetenz auch die Performanz, d.h. die Verwendung von Sprache, trotz faktisch bestehender gesellschaftlicher Zwänge (die gewisse Strukturen in bestimmen Situationen vorschreiben und andere unter Androhung von Sanktionen verbieten)10 von Individuum unterscheiden kann, ist es nur folgerichtig, dass es bei der Sprachbenutzung auch zu Missgriffen und Verständigungsproblemen kommen kann. Die auf diese Weise zusammengetragenen negativen Erfahrungen, die der Sprecher im Laufe seiner persönlichen Sprachgeschichte macht, führen ebenso wie seine Erfolgerlebnisse zu einer kontinuierlichen Aktualisierung der eigenen Sprecherkompetenz.11

Aufgrund der Reaktionen der Außenwelt auf die individuelle Sprache, wird der Sprecher ständig dazu angehalten, sein sprachliches Handeln zu evaluieren und gegebenenfalls nachzubessern. Diese soziale Anpassung ist eine Triebkraft, die bereits beim Spracherwerb im Kindesalter eine entscheidende Rolle spielt12: nicht nur lernen Kinder mit der trial-and-error -Methode die Sprache der Erwachsenen einzuschätzen und sich anzueignen (durch die immer größer werdende Menge an Daten entsteht ein immer feinmaschigeres Netz der Sprachsicherheit), sondern sie imitieren auch deren sprachliches Verhalten. Ändert sich die Sprache des Referenzsubjekts (sprich: des (meist erwachsenen) Sprechers, an dem das Kind sich orientiert), so ist davon auszugehen, dass auch die Sprachstruktur des Kindes sich in derselben Richtung verändert.13

Deutlich wird am kindlichen Spracherwerb, dass Sprache (und im selben Maße Sprachwandel) stets auf das Prinzip der Interaktion zurückgeführt werden muss und es daher unangemessen wäre, wenn man es gänzlich sprecherunabhängig betrachten wollte.

Da Sprachwandel nach Coseriu nichts anders ist als das "Werden der Sprache durch das Sprechen"14, muss auch für ihn der Sprecherbezug eine wesentliche Rolle spielen. Psycholinguistische Theorien gehen zuweilen soweit zu behaupten, dass die meisten Arten des Wandels auf die Aneignung von Sprache beim Erstsprachenerwerb zurückzuführen sind.15 Die grammatischen Regeln, die sich das Kind mit der Zeit aneignet, gründen sich auf Hypothesenbildung auf der Basis des Inputs, den das Kind von seinem Umfeld erhält.16 Diese Hypothesenbildung kann jedoch bisweilen fehlerhaft sein, wodurch es zu Abweichungen in den grammatischen Systemen von (für gewöhnlich) Eltern und Kindern kommen kann.17

4. Wandel versus Innovation

Individuelle Abweichungen per se führen nicht notwendigerweise zu einem die gesamte Sprachgemeinschaft betreffenden Wandel. Variationen in der Sprache der Einzelsprecher (sogenannte "Innovationen") müssen erst vom Kollektiv übernommen werden, um tatsächlich in die langue einzugehen.18 Sie sind, und hierin sollte man Nicol Spences Kritik an der Lehre Coserius folgen, nicht gänzlich der individuellen Sprachfreiheit überlassen, sondern zu jedem Zeitpunkt auch von sozialen Einflüssen gefärbt, die diese Freiheit zu einem bestimmten Maß wieder einschränken.19

Synchrone Varianten können, wie Els Oksaar betont, "diachron gesehen zur Norm werden"20, müssen es aber nicht. Welcher Grad an Diffusion letztlich erforderlich ist, damit sich aus einer individuellen Innovation ein kollektiver Wandel ergibt, können jedoch auch Coserius Kritiker nicht hinreichend beantworten.21 Hierfür ist es wahrscheinlich erforderlich, weiterhin extensives Datenmaterial zu sammeln, mit dessen Hilfe man Rückschlüsse auf die Kriterien ziehen kann, die zur Annahme oder zur Verwerfung von Innovationen führen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Sprecher und Sprachwandel
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltung
Proseminar 1
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V77152
ISBN (eBook)
9783638825979
Dateigröße
424 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sprecher, Sprachwandel, Proseminar
Arbeit zitieren
Tobias Rösch (Autor:in), 2006, Sprecher und Sprachwandel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77152

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