Anna Seghers - Die Überfahrt


Hausarbeit, 2000

21 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Eine Betrachtung der Erzählstruktur
1.1 Die Figur des Erzählers
1.1.1 Beobachtungen zum Verhältnis des „Zuhörers“ Franz Hammer zum „Erzähler“ Ernst Triebel
1.2 Die Handlungssequenzen
1.3 Die Zeitstruktur
1.4 Die Raumstruktur

2. Eine Betrachtung des Fantastischen
2.1 Wie Fantastik in der Erzählung zustande kommt
2.2 Die Funktion des Fantastischen in der Erzählung
2.3 Parallelen zwischen „Überfahrt“ und „Sonderbare Begegnungen“

3. Zusammenfassung

Literatur

Einleitung

„...ich schreibe Bücher für Menschen, das heißt für andere Menschen und für mich selbst, da ich auch ein Mensch bin. Ich bin verbunden, wie ich glaube, mit den wichtigsten Fragen, die heute Menschen angehen, ich versuche sie für mich selbst zu lösen und für die anderen. Wenn mich deshalb etwas freut oder sogar quält, wenn ich für oder gegen etwas bin, dann teile ich diese Gefühle und Erfahrungen mit vielen Menschen. Es ist aber meine spezielle Fähigkeit, diese Erfahrungen und Gefühle künstlerisch auszudrücken...“. So äußerte sich Anna Seghers 1964 über ihre Schriftstellertätigkeit (Seghers, ca. 1980)

Anlässlich ihres 100. Geburtstages in diesem Jahr haben wir uns im Seminar mit ihren „Sonderbaren Begegnungen“ beschäftigt und uns auf die Suche nach fantastischen Elementen begeben. Auch ihre Erzählung „Überfahrt – eine Liebesgeschichte“[1] lässt sich unter dem Aspekt des Fantastischen betrachten.

Schnell hatte ich mich für diese Geschichte entschieden, der Untertitel „Eine Liebesgeschichte“ mag Schuld daran sein. Seite für Seite habe ich das Geschehen in mich aufgesogen, gespannt auf die so „sonderbare Begegnung“, die Ernst Triebel vor der Abfahrt erlebte und weshalb er Franz Hammer seine „Lebens- und Liebesgeschichte“ detailliert erzählen muss. „Für eine Überfahrt lang, von Brasilien nach Europa, hat der junge deutsche Tropenarzt Ernst Triebel einen aufmerksamen Zuhörer seiner sonderbaren, verwickelten Lebensgeschichte gefunden.“ (Seghers 1997, Klappentext)

Im folgenden meiner Arbeit werde ich auf die Figur des Erzählers und auf die Erzählstruktur besonders eingehen. Der dritte Gesichtspunkt, unter welchem ich Anna Seghers’„Überfahrt“ betrachten möchte, ist, wie bereits erwähnt, das Fantastische in ihrer Erzählung, die 1971 erschienen ist. Dazu habe ich meine Arbeit in zwei große Kapitel eingeteilt: 1. Eine Betrachtung der Erzählstruktur und 2. Eine Betrachtung des Fantastischen. Ein drittes Kapitel gehört der Zusammenfassung.

„Ich fahre gern auf dem Schiff, ich schreibe gern auf dem Schiff, [...] Gedanken zu dieser Geschichte kamen mir auf dem Markt, in Rio oder Bahia.“ (Seghers, ca. 1980) 1961 und 1963 hat Anna Seghers Reisen nach Brasilien unternommen. „Überfahrt“ hat keinen biografischen Hintergrund[2] in dem Sinne, aber die Erzählung mag sehr wohl auf ihren Reiseerinnerungen und –erfahrungen beruhen. „Jeder Mensch hat zu einem Land, in dem etwas geschieht, was ihm besonders wichtig ist, eine enge Beziehung. [...] Menschen, die sich mir einprägten, Städte und Landschaften, in denen ich sie traf oder die ich mir in meiner Phantasie vorstellte – darüber zu schreiben, habe ich das Bedürfnis.“ (Seghers, ca. 1980)

Aus Gesprächen mit Günter Caspar, dem Lektoratsleiter für zeitgenössische deutschsprachige Literatur im Aufbau-Verlag, entstand 1980 der Band „Ich schreibe, fast seit ich bewusst lebe und solange ich leben werde“ anlässlich Anna Seghers’ 80. Geburtstag am 19. November. Viele Aussagen der 1983 verstorbenen Schriftstellerin sind so treffend, dass ich sie in meiner Arbeit zitieren möchte[3]. Allein in diesem Band habe ich gewisse Anhaltspunkte für meine Analyse der Erzählstruktur und des Fantastischen in „Überfahrt“gefunden. Die folgenden Kapitel sind ansonsten ohne Sekundärliteratur entstanden, das heißt ich habe mich nicht mit wissenschaftlichen Positionen oder Interpretationsversuchen auseinandergesetzt, sondern unternehme lediglich den Versuch, bestimmte Aspekte aus meinem Verständnis heraus aufzuzeigen und möglicherweise zu ähnlichen Gedanken oder konträren Sichtweisen anzuregen. Als theoretische Grundlage zur Analyse der Erzählstruktur habe ich einen Text von Franz K. Stanzel und Jochen Vogt verwendet, den ich noch in der Schule im Leistungskurs Deutsch bekommen habe. Leider kann ich ihn keinem Werk zuordnen, da unsere damalige Deutschlehrerin keinen Quellenverweis notiert hatte. Deshalb habe ich in der Literaturliste zwei Bände von Franz K. Stanzel angegeben, in denen die Zitate möglicherweise zu finden sind und verweise im Text mit „(o. A.)“, ohne Angabe, auf diese Lücke. Aufgrund der Entfernung Studienort – Wohnort war es mir auch nicht mehr möglich, selbst in dieser Literatur nachzuschlagen, ich wollte die Zitate aber unbedingt in meine Arbeit einbauen. Deshalb bitte ich um Verständnis, ich weiß, es ist eigentlich unverzeihlich weil unwissenschaftlich.

Zwischen den einzelnen Kapiteln wird es fließende Übergänge geben, verschiedene Aspekte werden sowohl die Erzählerfigur als auch die Struktur der Erzählung mit ihrer Handlungs-, Raum- und Zeitgestaltung betreffen. Schließlich haben wir es ja auch mit einem zusammenhängenden, geschlossenen Kunstwerk zu tun.

Ein wenig uneinig war ich mir über die Verwendung der Begriffe „Lebensgeschichte“ und „Liebesgeschichte“. Ich habe mich entschieden, beide zu verwenden. Triebels Liebesgeschichte ist ein Teil seiner – noch recht jungen - Lebensgeschichte und steht während der Schiffsreise im Mittelpunkt. Wir erfahren primär die Dinge, die mit Maria Luísa zu tun haben. Um die Geschehnisse aber zu verstehen, ist es erforderlich, dass Triebel von seinem Leben erzählt: wie er das erste Mal in Brasilien angekommen ist, die Rückkehr nach Deutschland, sein Medizinstudium, welches ihm die zwei weiteren Reisen ermöglicht hat.

Nehmen wir nun aber endlich Platz auf der „Norwid“ und folgen Hammer und Triebel auf ihrer Reise von Brasilien nach Rostock.

1. Eine Betrachtung der Erzählstruktur

1.1 Die Figur des Erzählers

Franz Hammer ist der Ich-Erzähler der „Überfahrt“ und gehört zur Welt der Charaktere. Er benennt ziemlich zu Beginn der Erzählung den Grund für seine Schiffsreise von Brasilien nach Rostock, der Leser erfährt von seiner Frau und seinen zwei Mädchen, die ihn zu Hause erwarten werden und im Gespräch mit Ernst Triebel stellt er sich als Ingenieur vor. Dennoch lässt Anna Seghers den „jungen Mitreisenden“ Triebel die Erzählung mit seinen Gedanken zur „Abfahrt“ einführen. Der Ich-Erzähler geht zuerst auf ihn ein und signalisiert auf diese Weise die bedeutende Rolle des Tropenarztes, um dessen Lebensgeschichte es sich im Verlaufe der Erzählung drehen wird. Ich möchte von einem Perspektivenwechsel sprechen: Franz Hammer vermittelt dem Leser das Geschehen auf dem Schiff, Ernst Triebel erzählt ihm – gekennzeichnet als direkte Rede - seine „sonderbare“ Lebensgeschichte. Der Theoretiker Franz K. Stanzel (o. A.) sagt über den Ich-Erzähler allgemein: „...er selbst hat das Geschehen erlebt, miterlebt, beobachtet oder unmittelbar von Akteuren des Geschehens in Erfahrung gebracht.“ Für „Überfahrt“ bedeutet das: Franz Hammer schildert uns in „berichtender Erzählweise“ (vgl. Stanzel, o. A.), was er auf dem Schiff selbst erlebt oder beobachtet („Als sich der Nachmittag über das Meer legte, waren die Fische verflogen.“, S.36, „In dieser Woche gab man auf unserem Schiff einen Film.“, S. 22) und als Zuhörer bringt er Triebels Erlebnisse in Erfahrung. Der Leser wird zum Zeugen zweier Handlungsstränge[4], erfährt aber nur die Dinge, die Triebel Hammer erzählt, die Hammer hört und die er uns mitteilt. Wir erleben das Geschehen aus Hammers Perspektive, und wenn Triebel erzählt, erfahren wir die bereits vergangenen Ereignisse seiner Lebensgeschichte aus seiner Sicht. „ Dabei fuhr Triebel fort zu erzählen, was er loswerden mußte, als mache in ihm nicht nur die Fahrt etwas frei, sondern auch das unablässige Laufen, [...] was er selbst noch gar nicht begriffen hatte und erst im Erzählen begreifen würde. “ (S. 18) Um Triebels Drang, alles erzählen zu müssen, zu verstehen, muss Hammer dessen Geschichte erleben, und genauso muss ich als Rezipient seine Lebensgeschichte erleben, um zu verstehen, warum er das Bedürfnis hat, alles zu erzählen. Deshalb verzichtet Triebel nicht auf Details, die zum Erleben und Verstehen seiner Meinung nach wichtig sind. Das macht die Spannung in Anna Seghers’ „Überfahrt“ aus: Triebel muss so viele Details darstellen (Detailspannung), bevor er am Schluss (Finalspannung) aufklären kann, was am Abend vor der Abfahrt so Sonderbares geschehen ist, nämlich die Begegnung mit einer Frau, die ihn so schmerzhaft an Maria Luísa erinnert und ihn die ganze „Überfahrt“ lang grübeln lässt.

[...]


[1] Ich verwende die Ausgabe des Aufbau Taschenbuchverlages 1997, 2. Auflage. Zitate aus dem Buch werden in meiner Arbeit kursiv gedruckt sein.

[2] In verschiedenen Biografien zu Anna Seghers werden ihre Brasilienreisen nur erwähnt, genaue Hintergründe oder Absichten dieser Reisen werden nicht benannt.

[3] Leider sind keine Seitenangaben möglich, da keine Zahlen abgedruckt wurden. Der Band umfasst ca. 12 Seiten.

[4] Auf die Erzählstruktur gehe ich im 2. Kapitel genau ein.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Anna Seghers - Die Überfahrt
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Grundkurs B
Note
gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
21
Katalognummer
V7710
ISBN (eBook)
9783638148726
Dateigröße
609 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Betrachtung der Erzählstruktur und des Fantastischen in der Erzählung Überfahrt. 224 KB
Schlagworte
Interpretation
Arbeit zitieren
Nicole Schulz (Autor:in), 2000, Anna Seghers - Die Überfahrt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7710

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