Das Erleben der Kriegsniederlage 1918 als Motivation, sich dem Nationalsozialismus anzuschließen - am Beispiel von Rudolf Heß


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Zum methodischen Vorgehen

3. Der frühe Heß

4. Ursachen für Heß’ Entwicklung zum Nationalsozialisten
4.1. Das Erleben der Kriegsniederlage 1918
4.2. Entwicklungspsychologisch bedingte Motive

5. Zusammenfassung

6. Anhang

7. Gegliedertes Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In Anlehnung an das Hauptseminar „Rudolf Heß“ möchte ich mich in der vorliegenden Arbeit mit Heß’ Entwicklung zum Nationalsozialisten beschäftigen.

Heß, als „Paladin“[1], „Tor“[2] oder „Sonderling“[3] bezeichnet, geistert den meisten als „Stellvertreter des Führers“ durch den Kopf. Aufsehen erregte er durch seinen Englandflug 1941 und seine Gefangenschaft in Spandau, wo er 1987 Selbstmord beging.

Es geht mir weniger um die Frage, was für ein Mensch er war, sondern mich interessieren vor allem die Motive, sich Hitler und seiner Partei anzuschließen. Joachim Fest nennt allgemein die nationale Deklassierung durch den Versailler Vertrag, Inflation und Weltwirtschaftskrise, die Schwäche der demokratischen Tradition und die Schrecken der kommunistischen Revolutionsdrohung, das Kriegserlebnis, den unsicher gewordenen Konservatismus und die Ängste beim Übergang in eine neue Ordnung als Faktoren für die Suche nach dem Schutz einer Autorität wie Hitler sie für so viele Menschen verkörperte[4]. „Als der Vereinigungspunkt so vieler Sehnsüchte, Ängste und Ressentiments ist Hitler zu einer Figur der Geschichte geworden“[5].

Den eigentlichen Anlass, mich mit dem Thema zu beschäftigen, gab mir der Dokumentarfilm „Im toten Winkel“ von André Heller über Hitlers Sekretärin Traudl Junge. Ihr Manuskript von 1947 liegt nun auch in dem Band „Bis zur letzten Stunde“[6] vor und gewährt Einblicke in den Lebensabschnitt einer naiven jungen Frau, die von 1942 bis 1945 an der Seite des „Führers“ arbeitete. Ich möchte keinen Vergleich wagen zwischen Hess, dem Privatsekretär und Stellvertreter und Traudl Junge, der persönlichen Sekretärin im Führerbunker. Jedoch sind in ihrer Biografie und in ihren Aufzeichnungen Anhaltspunkte zu finden, wie sie mit dem Nationalsozialismus in Berührung gekommen ist.

In Anbetracht der Tatsache, dass heute Rechtsextremismus[7] eine große Anziehungskraft auf Jugendliche und Erwachsene ausübt und immer wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerät, halte ich es als Lehramtsanwärterin für wichtig, sich mit dem Entstehen ideologischer Erscheinungen auseinander zu setzen. „Fremdenfeindliche Übergriffe, Aufmärsche neonazistischer Organisationen, dominantes Auftreten rechtsextremer Jugendcliquen, Wahlerfolge rechtsextremer Parteien oder die Verbreitung von Rassismus im Internet sind nur einige der Facetten, in denen Rechtsextremismus in Erscheinung tritt“[8]. „Begleitet wurden die öffentlichen Debatten von einer intensiven wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema [...]“[9]. Eine Bilanz von Wilfried Schubarth und Richard Stöss zum Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland werde ich für die zusammenfassende Betrachtung der Motive heranziehen.

2. Zum methodischen Vorgehen

Die Entwicklung von Rudolf Heß zum Nationalsozialisten soll im Vordergrund der folgenden Seminararbeit stehen. Der Untersuchungsschwerpunkt wird auf dem Erleben der Kriegsniederlage 1918 liegen. Von da an suchten enttäuschte Menschen in Deutschland Halt und Ordnung. Der Frage, warum sich Heß, wie auch die vielen anderen, dem Nationalsozialismus anschloss und nicht einer anderen Denkweise, soll hier nachgegangen werden. Nicht alle Motive, die eine Hinwendung zu Hitler und der NSDAP bewirkten, sollen und können hier berücksichtigt werden.

Leider habe ich erst zu spät eine Bibliografie gefunden, die auf den Stellenwert psychischer Faktoren für politische Einstellungen verweist. Titel wie „Sind wir alle Nazis? Zum Potenzial der Unmenschlichkeit“ von Hans Askenasy[10] oder „Sozialpsychologie des Rechtsextremismus“ von Jutta Menschik-Bendele und Klaus Ottomeyer[11] oder von Hans-Dieter König[12] waren mir in der Kürze der Zeit nicht zugänglich, so dass ich mich auf allgemeinere Aussagen von Schubarth und Stöss[13] sowie Zimbardo und Gerrig[14] stützen werde. Die Autoren gehen unter anderem auf entwicklungspsychologische Ursachen ein, sich einem „Führer“ zu unterwerfen. Bei Rudolf Heß möchte ich mich auf Motive konzentrieren, die sich aus seiner Persönlichkeit und aus der Sozialisation in seinen jungen Jahren[15] ergeben können.

Die Verstehensgrundlage für alle nachstehenden Betrachtungen soll ein biografischer Abriss der ersten Lebensjahre von Rudolf Hess bis zu seiner Begegnung mit Hitler sein. Eine zuverlässige Lebensbeschreibung liegt bis heute nicht vor. Aufgrund fehlender oder unzugänglicher Akten gibt es lediglich Versuche, Hess’ Charakter darzustellen. Dazu gehören die Veröffentlichungen von seinem Sohn Wolf Rüdiger Heß[16], Peter Padfield[17], Wulf Schwarwäller[18], James Douglas-Hamilton[19], Ronald Smelser und Rainer Zitelmann[20], Eugene K. Bird[21] und Rainer F. Schmidt[22]. Die Abschnitte über die frühen Jahre von Hess fallen meist recht knapp aus. Die ausführlichste Darstellung liefert Wulf Schwarzwäller. Das Hauptaugenmerk liegt bei den meisten Verfassern auf dem Flug nach England und der Gefangenschaft in Spandau, also dem späteren Heß. Mit Hilfe der vorliegenden Aussagen genannter Autoren werde ich ein Kapitel zur Biografie des frühen Rudolf Heß erstellen, welches ein erstes Bild von der Person vermitteln soll. Bei meiner Analyse der Motive für eine Entwicklung zum Nationalsozialisten konzentriere ich mich aus platz- und zeitökonomischen Gründen ebenfalls auf den jungen Heß.

Für die Analyse möglicher Motive bietet sich dann ein Vergleich mit den Biografien Hitlers[23] und Junges[24] an. Sie liefern wertvolle Hinweise auf das Entstehen nationalsozialistischer Denkweisen. Traudl Junge selbst war nicht politisch tätig, ihr Vater Max Humps dagegen engagierte sich im Freikorps „Oberland“ und entspricht dem Klischee der „tief verunsicherten Männerwelt“ nach dem Ersten Weltkrieg[25]. Auf das Kriegsende werde ich deshalb ausführlicher eingehen. Dazu liegt mir ein Band von Duppler und Groß[26] vor, der im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes entstanden ist. Das Umbruchjahr 1918, an der Schnittstelle zwischen Kriegs- und Nachkriegszeit, wurde in den 1960er Jahren aus der revisionistisch-politikgeschichtlichen Perspektive betrachtet[27]. Die Forscher der 70er wählten den struktur- und sozialgeschichtlichen Ansatz und seit den 80ern versucht man den Zugang „von unten“. Alltags- und mentalitätsgeschichtliche Ansätze mit erfahrungs- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen aus der westeuropäischen Weltkriegsforschung dominieren die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Ende des Ersten Weltkrieges.

Zur Analyse des Kriegsendes als Motiv für die Entstehung des Nationalsozialismus stehen mir außerdem „Deutsche Quellen zur Geschichte des Ersten Weltkriegs“[28] zur Verfügung.

Als Folge des verlorenen Krieges müssen auch der Versailler Vertrag, das „Friedensdiktat“, und die daraus entstandene Kriegsschulddebatte berücksichtigt werden. Überblicksartig sollen diese Faktoren auf der Grundlage von Peter Krügers „Versailles“[29] und den „Quellen zum Friedensschluss von Versailles“[30] abgehandelt werden.

„Grundlegende Voraussetzung für Entstehen und Aufstieg des Nationalsozialismus war die tiefgreifend geistige, wirtschaftlich-soziale und politische Strukturkrise Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg“[31]. In den Darstellungen von Broszat und Frei[32] sowie Bracher, Funke und Jacobsen[33] sind solche allgemeinen Anhaltspunkte zu finden, die in der Arbeit ebenfalls Berücksichtigung finden werden.

Sehr konkret hat Hannah Arendt die „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ gefasst. Antisemitismus und Imperialismus sind bei der Autorin die Faktoren, die sie ausführlich beschreibt. Ihre Erkenntnisse sollen ansatzweise in meine Hausarbeit einfließen.

Eine wichtige Quelle sind die Briefe von Rudolf Heß, die von seinem Sohn Wolf Rüdiger subjektiv ausgewählt und teilweise nicht in voller Länge herausgegeben wurden.

Am Ende meiner Literaturrecherche entstand eine Sammlung von Indizien, die möglicherweise zur Ausprägung des Nationalsozialismus führten. „Zum Nationalsozialismus gibt es eine solche Fülle von Literatur, daß es selbst Fachleuten schwerfällt, den Überblick zu behalten. Und es ist nicht zu übersehen, daß Studentinnen und Studenten, die sich auf die neueste deutsche Geschichte spezialisieren, häufig nicht in der Lage sind, sich die komplexe Literatur zum Nationalsozialismus anzueignen und Interpretationskontroversen zu folgen [...]“[34]. Ich betrachte diese Seminararbeit deshalb als einen Annäherungsversuch an die Thematik. Auf ausgewählte Motive werde ich ausführlicher eingehen, auf andere gar nicht.

Das Thema kann in diesem Rahmen nicht erschöpfend bearbeitet werden, so dass ich mich auf wesentliche Aspekte konzentriere, die vor allem die Person Rudolf Heß näher beschreiben.

[...]


[1] Vgl. Görtemaker, Manfred: Der Flug des Paladins. In: Spiegel 23/2001.

[2] Vgl. Schmidt, Rainer F.: Rudolf Heß. Botengang eines Toren? Der Flug nach Großbritannien vom 10. Mai 1941. Düsseldorf 1997.

[3] Smelser, Ronald/ Zitelmann, Rainer (Hrsg.): Die Braune Elite I. 22 biografische Skizzen. Darmstadt 1989, S. 85.

[4] Vgl. Fest, Joachim: Hitler. Eine Biografie. München 42001.

[5] Ebd., S. 34.

[6] Junge, Traudl: Bis zur letzten Stunde. Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben. Unter Mitarbeit von Melissa Müller. München 2002.

[7] Einstellungen, Verhaltensweisen, Institutionen und Ziele, die sich gegen den demokratischen Verfassungsstaat richten und das Prinzip menschlicher Fundamentalgleichheit negieren, werden mit dem Begriff Rechtsextremismus bezeichnet (vgl. Neugebauer, In: Schubarth/Stöss 2000, S. 14). Extremismus ist der Oberbegriff für ein politisches „Spektrum entlang einer Achse [...], die von links über die Mitte bis nach rechts (oder umgekehrt) reicht“ (ebd. S. 13).

[8] Schubarth/Stöss 2000, S. 7.

[9] Ebd.

[10] Askenasy, Hans: Sind wir alle Nazis? Zum Potenzial der Unmenschlichkeit. Frankfurt/Main 1979.

[11] Menschik-Bendele, Jutta/Ottomeyer, Klaus: Sozialpsychologie des Rechtsextremismus. Entstehung und Veränderung eines Syndroms. Opladen 1998.

[12] König, Hans-Dieter (Hrsg.): Sozialpsychologie des Rechtsextremismus. Frankfurt/Main 1998.

[13] Schubarth, Wilfried/Stöss, Richard (Hrsg.): Rechtsextremismus in der BRD. Eine Bilanz. Bonn 2000.

[14] Zimbardo, Philip G./ Gerrig, Richard J.: Psychologie. Berlin, Heidelberg, New York 71999.

[15] Ich betrachte etwa den Zeitraum von seiner Geburt an bis 1924 (gemeinsame Gefangenschaft mit Hitler in Landsberg).

[16] Heß, Wolf Rüdiger: Mein Vater Rudolf Heß. Englandflug und Gefangenschaft. München, Wien 1984.

Heß, Rudolf: Briefe 1908-1933. Hrsg. von Wolf Rüdiger Heß. München, Wien 1987.

[17] Padfield, Peter: Hess. Flight for the Führer. London 1991.

[18] Schwarzwäller, Wulf: „Der Stellvertreter des Führers“ Rudolf Hess. Der Mann in Spandau. Wien, München, Zürich 1974.

[19] Douglas-Hamilton, James: Geheimflug nach England. Düsseldorf 1973.

[20] Smelser, Ronald/ Zitelmann, Rainer (Hrsg.): Die Braune Elite I. 22 biografische Skizzen. Darmstadt 1989.

[21] Bird, Eugene K.: Hess. Der Stellvertreter des Führers. Englandflug und britische Gefangenschaft. Nürnberg und Spandau. München, Wien, Basel 1974.

[22] Schmidt, Rainer F.: Rudolf Heß. Botengang eines Toren? Der Flug nach Großbritannien vom 10. Mai 1941. Düsseldorf 1997.

[23] Fest, Joachim: Hitler. Eine Biografie. München 42001. Haffner, Sebastian: Anmerkungen zu Hitler. Jubiläumsedition. München 2002.

[24] Junge 2002.

[25] Vgl. ebd., S. 17.

[26] Duppler, Jörg/ Groß, Gerhard P. (Hrsg.): Kriegsende 1918. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung. München 1999.

[27] Thoß, Bruno: Militärische Entscheidung und politisch-gesellschaftlicher Umbruch. Das Jahr 1918 in der neueren Weltkriegsforschung. In: Duppler/Groß 1999, S. 17.

[28] Bihl, Wolfdieter: Deutsche Quellen zur Geschichte des Ersten Weltkriegs. Darmstadt 1991.

[29] Krüger, Peter: Versailles. Deutsche Außenpolitik zwischen Revisionismus und Friedenssicherung. München 1986.

[30] Schwabe, Klaus (Hrsg.): Quellen zum Friedensschluss von Versailles. Darmstadt 1997.

[31] Tyrell, Albrecht: Das Scheitern der Weimarer Republik und der Aufstieg der NSDAP. In: Broszat, Martin/ Frei, Norbert: Das Dritte Reich im Überblick. München 61999.

[32] Broszat/Frei 1999.

[33] Bracher, Karl Dietrich/ Funke, Manfred/ Jacobsen, Hans-Adolf (Hrsg.): Die Weimarer Republik 1918-1933. Bonn 31998.

[34] Kershaw, Ian: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. Reinbek bei Hamburg 22001, S. 14.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Das Erleben der Kriegsniederlage 1918 als Motivation, sich dem Nationalsozialismus anzuschließen - am Beispiel von Rudolf Heß
Hochschule
Universität Potsdam  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Hauptseminar: Rudolf Hess
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
24
Katalognummer
V7709
ISBN (eBook)
9783638148719
Dateigröße
612 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der Hauptseminararbeit wird die Entwicklung von Hess zum Nationalsozialisten beschrieben. Dabei wird v.a. das Motiv des Erlebens der Kriegsniederlage 1918 untersucht. 209 KB
Schlagworte
Erleben, Kriegsniederlage, Motivation, Nationalsozialismus, Beispiel, Rudolf, Hauptseminar, Rudolf, Hess
Arbeit zitieren
Nicole Schulz (Autor:in), 2002, Das Erleben der Kriegsniederlage 1918 als Motivation, sich dem Nationalsozialismus anzuschließen - am Beispiel von Rudolf Heß, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7709

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