Über Walter Benjamin: "Der Erzähler"


Referat (Ausarbeitung), 2002

13 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Erzählen

3. Krise

4. Roman

5. Kritik

6. Inhaltszusammenfassung: Walter Benjamin, Der Erzähler (1936)

Literatur

1. Einleitung

Der Essay wurde 1936 in „Orient und Okzident. Staat-Gesellschaft-Kirche. Blätter für Theologie und Soziologie“ veröffentlicht. Benjamin wollte „eine neue ‚Theorie des Romans“ formulieren, „die sich ihres Platzes neben Lukács versichert hält“. B.’s „Neue Theorie“ greift aber auf Lukács zurück.

2. Erzählen

B.s Projekt ist, grob gesagt, eine Theorie des Epischen, die auf dessen Geschichtlichkeit und Wandel aufbaut. Der Anfang ist, wie so oft, eine Unterscheidung. Benjamin greift die Frage nach Unterschieden zwischen Erzähler und Romancier auf. Thema war Anfang des 20. Jh. viel diskutiert. Das gleicht Lukács, da dieser Ggs. Epos-Roman beschreibt, ähnlich wie B. unter allgemeinkulturellen Bedingungen. Aber es gibt wichtige Differenzen:

Das schon deshalb, weil für B. „Erzählen“ festen Kern hat, der „naturgeschichtlich“ begründet ist. Triebkraft zur

a) Weitergabe von Erfahrung bes. mit Blick auf Umgang mit Tod, denn in ihr liegt die Fähigkeit der Erinnerung. Erzählung überlistet den Tod, indem sie gelebte Erfahrung weitergibt (vgl. Lukács: Erinnerung als Zeiterlebnis, das zugl. Überwindung der Zeit ist). Gleichzeitig übergreift sie Rahmen des einzelnen Lebens und macht „Naturgeschichte“ sichtbar: Geschichte vom Menschen, vom Werden und Vergehen.
b) Begegnung mit Außermenschlichem: Natur, Anorganisches. Einheitsgedanke der Mystik

Charakteristisch für das Erzählen ist nach B. die unmittelbare mündliche Vermittlung von Erfahrungen, die kollektive Rezeption, der praktische Bezug.

Jede Erzählung „weiß“ dem Zuhörenden „Rat“, verstanden als Vorschlag, wie man sich entwickelnde Geschichte fortzusetzen hat. B. spricht von „moral von der Geschichte“. Verwobenheit von Erzählen und Leben: Erzählung ist gemeinsam erfahrene Lebenssituation. Leben ist Geschichte, die sich fortspinnt und bis Tod offen ist

Auch Erzählen selbst praktisch, „handwerklich“. Erstens durch Umfeld, in der sie stattfindet, zweitens durch Figuren, von denen sie handelt. Drittens handwerkl. Tätigkeit: Erzähler flicht sie in eigenes Leben ein, indem er erzählt, wie er von Begebenheit erfahren hat. Allg. Aufgabe des Erzählers ist „den Rohstoff der Erfahrung auf eine solide, nützliche und einmalige Art zu bearbeiten.“ Erzähler benutzt dafür erlernbare Kenntnisse.

Nikolai Lesskow (1831-1895) ist für B. idealer Erzähler. Er ist vertraut mit Heimat und deren Glauben, aber auch weit gereist. Seine Figuren sind „Gerechte“, mystisch angehaucht, werden zu Heiligen. Benjamin schätzt Lesskows Sinn für die Heilsgeschichte, die er selbst mit Natur und Naturgeschichte zu verbinden weiß (vgl. „Stimme der Natur“ Welchen Rat gibt Geschichte?). Vgl. dazu Lukács: Auch nicht frei von Gottessehnsucht. Bei L. ist Gott im Epos nat. anwesend, auch im Roman in neg. Mystik, fällt dort unter Sinnkategorie. B. erwähnt nie, dass Lesskow auch 2 Romane geschrieben hat, idealisierte Rolle. B. spricht ja selbst in I vom Blick in Fels

3. Krise

Wie bei Lukács entsprechen Gattungen Geschichtsstand der Kultur, auch Weltverhältnis. Für B. hat die Ggw. Erfahrungen als wertlos erwiesen, desh. verliert Erzählen als Vermittlung von Erfahrung an Wert. Erzählen als lit. In Missverhältnis zum Industriezeitalter: Z. B. Gleichgült. Für Fiktion/Fakt widerspr. Ideal vom pos. Wissen. Bes. der Krieg entwertet Erfahrungen.

Größere Gefahr für Erzählen durch Wandel der Kommunikationsformen. Im Zeitalter des Bürgertums etabliert die Tagespresse die Mitteilungsform der Information, die sich durch „prompte Nachprüfbarkeit“ auszeichnet und unmittelbar einleuchten muss. Die „Schwingungsbreite“ des Erzählens, das „vom Wunder borgt“, nichts erklärt und so den Leser zur Interpretation zwingt, fehlt der Information. Die Information lebt von ihrer Neuigkeit, die Erzählung davon, dass sie nie alt wird. Warum? Ihre Offenheit für Interpretationen hält sie jung. Vgl. Psammenit

Das alles zeigt: B. historisiert stärker als L. An Stelle von geschichtsphilosophischen, ideengeschichtlichen Epochen tritt die gesellschaftliche Wirklichkeit. Vermeidet „allzu oft zu willkürliche Konstruktionen“ (Lukács 1962). Marxist. Prägung, materialist. Haltung bemerkbar, Hegel wird auf materialistisches Fundament gestellt. Das heißt: Durch Finden von zeitlosem Kern des Erzählens und extreme Berücksichtigung der Zeit sprengt B. das L.sche Geschichts-Schema

4. Roman

Eine neue Form der literarischen Kommunikation, die nicht der Erfahrungsübermittlung dient, rückt in von Erzählung hinterlassene Leerstelle ein: Roman.

Weil B. das Lukácssche bzw. Hegelsche System gesprengt hat, muss er nicht wie L. von „echtgeborenen Formen“ sprechen, die Legitimität aus ihrer schieren Existenz beziehen, weil Folge der Selbstentfaltung einer immanenten Systematik. Das erlaubt es B., Roman radikal zu kritisieren. B.’s Kritik an ihm ist gleichzeitig seine Definition des Romans.

Kritik und Definition erreicht B. durch Konfrontation mit Erzählung. Diff. Roman/Erzählung = Angewiesenheit auf Buch. Erst mit Druckerpresse möglich. Konsequenzen:

a) Verlust der Aura. Vgl. Kunstwerk-Aufsatz (auch 1936). Kultwert vs. Ausstellungswert. Buch ist Reproduktion, Frage nach Original ist sinnlos. Mit Buch wird Literatur (im weiten Sinn) zur Ware: Anstelle von praktischem Nutzen als Rat (Erzählung) tritt finanzieller Gewinn (Roman)
b) Durch medialen Wechsels von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit Entkopplung von Kommunikation und Interaktion. Kollektive Rezeption hört auf. Roman kommt nicht länger aus der mündlichen Überlieferung, geht auch nicht in sie ein. Anstelle der Gemeinsamkeit des Erzählens tritt Einsamkeit des Schreibens:

„Die Geburtskammer des Romans ist das Individuum in seiner Einsamkeit, das sich über seine wichtigsten Anliegen nicht mehr exemplarisch auszusprechen vermag, selbst unberaten ist und keinen Rat geben kann. Einen Roman schreiben heißt, in der Darstellung des menschlichen Lebens das Inkommensurable auf die Spitze treiben. Mitten in der Fülle des Lebens bekundet der Roman die tiefe Ratlosigkeit des Lebenden.“

„Ratlosigkeit“ ist im Sinne Lukács’ zu sehen als „Desorientierung“ und „Sinnverlust“ in einer Welt der transzententalen Obdachlosigkeit. Besonders gut kommt das für B. im Bildungsroman zum Ausdruck: eine ganze Welt hat ihre Rechtfertigung nur darin, dass sich ein einzelnes Individuum darin „die Hörner abläuft“ (Hegel), d. h. mit ihren Gebilden in Berührung kommt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Über Walter Benjamin: "Der Erzähler"
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,0
Jahr
2002
Seiten
13
Katalognummer
V77084
ISBN (eBook)
9783638804592
Dateigröße
386 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Walter, Benjamin, Erzähler
Arbeit zitieren
Anonym, 2002, Über Walter Benjamin: "Der Erzähler", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77084

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