Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus als Literaturtheorie


Hausarbeit, 2001

16 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Literaturtheorie mit Wittgenstein

1 Sinn, Sagen und Zeigen
1.1 Sinn
1.2 Sagen und Zeigen

2 Sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze
2.1 Sinnvolle Sätze
2.2 Sinnlose Sätze
2.3 Unsinnige Sätze

3 Zum Zusammenhang von Fiktionalität und Behauptungssatz
3.1 Die Bedeutung der Fiktionalität für die Bestimmung der Literatur
3.2 Fiktionales und Fiktives

4 „Literatur sagt nichts, sie zeigt“
4.1 Die Sätze der Logik und der Literatur sagen nichts
4.2 Die Differenz zum logischen Satz oder: Was zeigen die Sätze der Literatur?

5 Schluss: Die Unaussprechlichkeit der Selbstreferenz

Literaturverzeichnis

Einleitung: Literaturtheorie mit Wittgenstein

Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus ist ein Buch über Sprache, ihr Verhältnis zur Welt sowie über die ihren verschiedenen Gebrauchsweisen entsprechende Eignung zur Beschreibung derselben. Diese Arbeit unternimmt den Versuch, den Tractatus zur Klärung literaturtheoretischer Fragen heranzuziehen: Literatur soll als spezifische Gebrauchsweise von Sprache in der ihr eigenen Art der Repräsentation[1] charakterisiert und damit von anderen Gebrauchsformen – wie beispielsweise der Alltagssprache – unterschieden werden. Die folgenden Überlegungen kreisen somit um die Frage, was Literatur sei. Sie wird nicht vollständig beantwortet werden können, doch soll ein zentrales Bestimmungselement mit Hilfe Wittgensteins untersucht und geklärt werden: Fiktionalität. Von zentraler Bedeutung wird dabei Wittgensteins Unterscheidung von Sagen und Zeigen sein. Diese Unterscheidung leuchtet ohne größere Probleme ein, wenn Wittgenstein über die Sätze der Logik spricht, die für ihn sämtlich Tautologien oder Kontradiktionen vorstellen. Dass er sie darüber hinaus auch auf anderen Feldern geltend zu machen versucht, kann ihm von Seiten des Lesers den Verdacht der Willkür einbringen, und tatsächlich ist nicht zu bezweifeln, dass die Unterscheidung zwischen Sagen und Zeigen in Anwendung auf logische Sätze sehr viel plausibler ist als auf Mystik und Philosophie. Die folgenden Ausführungen orientieren sich deshalb an Wittgensteins logische Sätze betreffenden Gedanken, während die Kommentare zu Philosophie und Mystik weitestgehend unberücksichtigt gelassen werden.

Der Argumentationsgang der vorliegenden Arbeit stellt sich folgendermaßen dar: Im ersten Schritt sollen die zentralen Begriffe „Sinn“, „Sagen“ und „Zeigen“ knapp erläutert werden, in einem zweiten die eng mit ihnen verknüpften Termini der sinnvollen, sinnlosen und unsinnigen Sätze. In einem dritten Schritt soll der Zusammenhang zwischen dem im Tractatus thematischen Behauptungssatz und der für Literatur konstitutiven Fiktionalität aufgezeigt werden, um im vierten Schritt, der die bis dahin gewonnenen Erkenntnisse zusammenführen soll, die fiktionalen Sätze der Literatur als mit den sinnlosen Sätzen der Logik verwandt kennzeichnen zu können. Als Schnittmenge beider Satztypen wird sich ihr Modus des Sagens und Zeigens erweisen, nicht jedoch, was sie zeigen. Was Literatur zeigt, soll unter Zuhilfenahme systemtheoretischer Ausführungen Luhmanns zur Kunst erläutert werden, bevor abschließend begründet wird, warum ihr Gezeigtes nicht sagbar ist.

Wenngleich Wittgenstein eine ganze Reihe von Schriftstellern inspiriert hat – zu nennen wären in erster Linie Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard und Peter Handke – ist dieser Arbeit das Aufspüren von Wittgensteinschem Gedankengut in literarischen Werken kein Anliegen. Wenn literarische Beispiele angeführt werden, dann stets als Objekte, auf welche die Theorie angewendet wird und nicht als Texte, die Wittgensteins Denken künstlerisch reflektieren.

Zitate aus dem Tractatus werden im laufenden Text in Klammern angegeben.

1 Sinn, Sagen und Zeigen

Wittgenstein hat den Wert der Unterscheidung zwischen Sagen und Zeigen sehr hoch eingeschätzt. An Russell schrieb er: „Die Hauptsache ist die Theorie über das, was durch Sätze – d. h. durch Sprache – gesagt (und, was auf dasselbe hinausläuft, gedacht) und was nicht durch Sätze ausgedrückt, sondern nur gezeigt werden kann. Dies ist, glaube ich, das Hauptproblem der Philosophie.“[2] Dieses Urteil zeugt nicht nur von der als linguistic turn bekannt gewordenen Hinwendung der Philosophie zu den Problemen der Sprache zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, sondern es perspektiviert auch die Lektüre des Tractatus hin zu einer Lesart, die den Mittelpunkt der Schrift weniger in ihren logischen als in ihren sprachphilosophischen Teilen sucht.

So hoch die sprachphilosophische Relevanz der Frage nach Sagen und Zeigen zu veranschlagen ist, so fruchtbar sind Wittgensteins Antworten auf sie hinsichtlich der Betrachtung von Literatur, einer Sonderform der Sprache. Wittgensteins Differenzierung zwischen Sagen und Zeigen gibt ein Instrumentarium an die Hand, mit dem das Textphänomen Literatur untersucht werden kann. Da die Kenntnis des Instruments zu seiner adäquaten Benutzung unabdingbar ist, muss vor der Beschäftigung mit dem Hauptgegenstand die Analyse jener Teile des Tractatus stehen, die sich mit Sagen und Zeigen befassen.

1.1 Sinn

Wittgenstein unterscheidet sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze. Die Differenz zwischen diesen drei Satztypen besteht also hinsichtlich des Sinnes, und dieser hängt wiederum von ihren verschiedenen Möglichkeiten des Sagens und Zeigens ab. Bevor ich jedoch auf Sagen, Zeigen und die drei Satztypen zu sprechen komme, sollte geklärt werden, was Wittgenstein überhaupt unter Sinn versteht.

Während Namen (in nichts Kleineres zerlegbare Wörter) eine direkte Verbindung zwischen Sprache und Welt darstellen, weil sie Gegenstände direkt vertreten und deshalb eine Bedeutung haben, bezeichnet der Sinn eines Satzes immer einen möglichen Sachverhalt. Die Rede vom möglichen Sachverhalt meint, dass dieser keine Tatsache sein muss, denn eine Tatsache ist ein Sachverhalt, der gerade besteht. Weil ein möglicher Sachverhalt bestehen kann oder nicht, ist der Sinn eines Satzes von dessen Wahrheitswert getrennt. Ich kann den Sinn des Satzes auch verstehen, wenn ich nicht weiß, ob er wahr oder falsch ist, ob der Sachverhalt besteht oder nicht:

Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist.

(Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.)

[...] (4.024)

Erst indem sein Sinn mit der Wirklichkeit verglichen wird, lässt sich seine Wahrheit oder seine Falschheit bestimmen (2.222[3] ). A priori ist also kein sinnvoller Satz wahr oder falsch.

1.2 Sagen und Zeigen

Was bedeutet „Sagen“? Was bedeutet „Zeigen“? Die Bedeutung der beider Termini erschließt sich besonders leicht durch ihre Unterscheidung, die Wittgenstein folgendermaßen einführt:

Der Satz zeigt seinen Sinn.

Der Satz zeigt, wie es sich verhält, wenn er wahr ist. Und er sagt, dass es sich so verhält. (4.022)

„Sagen“ ist also eine Aussage, eine Behauptung über die Welt. Was genau aber kann gezeigt werden? Es ist die Voraussetzung des Satzes, überhaupt etwas aussagen zu können. Wittgenstein schreibt dazu:

Der Satz kann die gesamte Wirklichkeit darstellen, aber er kann nicht das darstellen, was er mit der Wirklichkeit gemein haben muss, um sie darstellen zu können – die logische Form.

Um die logische Form darstellen zu können, müssten wir uns mit dem Satze außerhalb der Logik aufstellen können, das heißt außerhalb der Welt. (4.12)

[...]


[1] Im Tractatus entwirft Wittgenstein eine Repräsentationstheorie. Auch wenn sie als Abbildtheorie bekannt ist, spricht viel dafür, nicht am visuellen Charakter der Repräsentation festzuhalten, sondern Wittgensteins Aussagen als auf prinzipiell jede mögliche Art der Repräsentation bezogen anzusehen. Ein Beleg hierfür findet sich beispielsweise im zentralen Satz 4.0312: „Die Möglichkeit des Satzes beruht auf dem Prinzip der Vertretung von Gegenständen durch Zeichen. [...]“ Neben visuellen Zeichen gibt es noch viele andere.

[2] Brief an Russell vom 19. 8. 1919, zit. n. Schulte: Wittgenstein (1989), S. 81.

[3] Da der Satz die Wirklichkeit abbildet, gilt 2.222 auch für ihn.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus als Literaturtheorie
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
1,3
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V76969
ISBN (eBook)
9783638818971
Dateigröße
388 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wittgensteins, Tractatus, Literaturtheorie
Arbeit zitieren
Anonym, 2001, Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus als Literaturtheorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76969

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