Identität, Individualität, Gesellschaft - Zwischen Differenz und Selbsterzeugung


Hausarbeit, 2004

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Identität, Individualität, Gesellschaft

3. Differenz und Identität

5. Zwischen Differenz und Selbsterzeugung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der vorliegende Text thematisiert die Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann (1927-1998), und beschäftigt sich mit der Frage nach den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, die sich für das Individuum aus dieser ergeben, sich in der `fortschreitend differenzierten` modernen Gesellschaft zu verwirklichen. Dazu wird zuerst Identität als Problembegriff erörtert, der für die moderne Soziologie einen zentralen Stellenwert einnimmt. Er wird in Beziehung zu dem Begriff der Individualität gesetzt, wobei gezeigt wird, inwieweit sich diese auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft auswirkt, und wie der Zuwachs an individuellen Möglichkeiten als Pro- oder Regress gedeutet werden kann. Vor diesem Hintergrund wird Luhmanns Theorie selbstreferenzieller Systeme vorgestellt. Der Kernpunkt ist hierbei die Frage, inwiefern diese Theorie auf der Umorientierung von Einheit auf Differenz als Überwindung des Identitätskonzepts basiert, und welche Konsequenzen sich daraus für das Individuum ergeben. Es wird gezeigt, dass sich das Individuum, als ein auf sich selbst verweisendes System, folglich als ein Effekt gesellschaftlicher Notwendigkeit darstellt. Dieser Darstellung folgend wird die Ursprungsfrage aufgegriffen, wo Luhmanns Theorie besser geeignet ist als andere, die Probleme zu lösen, die sich für ein Individuum in einer zunehmend komplexen Welt ergeben, und wo nicht. Diese Frage kann letztendlich nur in der Auseinandersetzung mit einerseits den Fokussierungen, die sich aus Luhmanns Systemtheorie ergeben, um mit bestimmten, aus Modernisierungsprozessen resultierenden Phänomenen, besser umzugehen, und andererseits den Dingen, die er darin auslässt, und somit bestimmte Betrachtungsmöglichkeiten versperrt, eine mögliche Antwort finden.

2. Identität, Individualität, Gesellschaft

Der Begriff Identität, aus der philosophischen Tradition im weitesten Sinne Selbigkeit, völlige Übereinstimmung, ist seit den 40er und 50er Jahren des 20ten Jh.s in allen geisteswissen-schaftlichen Disziplinen eng verknüpft mit dem des menschlichen Selbstverständnisses, der Einwirkung der Fremd- auf die Selbstwahrnehmung. Die Aufnahme des Identitätsbegriffs in den psychologischen, anthropologischen und vor allem sozialwissenschaftlichen Kontext ist nicht zu trennen von gesellschaftlichem Wandel. Im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungs-prozesse, die eine Umorientierung von traditionellen Strukturen zu zunehmend differenzier-teren fordern, wird Individualität zum zentralen Begriff der Identitätsbildung. „In allen reichen Industrieländern [...] hat sich in der wohlfahrtstaatlichen Modernisierung nach dem zweiten Weltkrieg ein Individualisierungsschub von bisher unbekannter Reichweite und Dynamik vollzogen [...]. Das heißt: Auf dem Hintergrund eines vergleichsweise hohen materiellen Lebensstandards und weit voran getriebenen sozialen Sicherheiten wurden die Menschen in einem historischen Kontinuitätsbruch aus traditionellen Klassenbedingungen und Versorgungsbezügen der Familie herausgelöst und verstärkt auf sich selbst und ihr individuelles Arbeitsmarktschicksal mit allen Risiken, Chancen und Widersprüchen verwiesen.“[1] Seit den späten 60er und frühen 70er Jahren wird das Thema Identität von der Soziologie als eines der Grundthemen soziologischer Forschung gesehen, dabei wird Identität in zunehmendem Maße mit Individualität gleichgesetzt und im Zusammenhang der Möglichkeit zur `Selbstverwirklichung` gesehen. „Längst schon haben sich im Identitätsspiel Identität und Individualität zu Synonymen verknüpft, so dass deren (wenn auch bloß analytische) Scheidung kaum möglich noch sinnvoll scheint. Wie kaum ein anderer Begriff markiert Identität [...] die Frage der Individuen nach sich selbst und justiert diese zugleich in einer spezifischen Form, so dass der, der nach sich fragt, dies schon immer unter bestimmten Vorzeichen unternimmt. [...] Der Begriff der Identität bezeichnet nicht etwas, sondern generiert das, worauf er zu antworten scheint, als Problem.“[2] Die Identitätsdebatte markiert ein kontroverses Feld offener sozialer Probleme, das zentrale Fragen nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft widerspiegelt. Die Frage nach Identität wird in der Reflexion der Strukturen personaler Selbstverhältnisse nun auch zur Frage nach Struktur und Wandel, nach Verträglichkeit und Legitimation gesellschaftlicher Verhältnisse und nicht zuletzt nach den darin enthaltenen Möglichkeiten für ein gutes Leben. Der Zuwachs an individuellen Möglichkeiten kann sowohl als Progress, als auch als Regress angesehen werden. Während in regressiver Betrachtung Individualisierung als das Zurückgeworfensein des Individuums auf sich selbst, die Übertreibung des Subjektivitätsprinzips, die `Tyrannei der Intimität`[3] negativ bewertet wird, und als Ursache für die Krise der Moderne erscheint, stellt Individualisierung progressiv betrachtet in erster Linie einen Zuwachs an autonomen Möglichkeiten dar, die die Grundvoraussetzung für die Ausbildung einer starken `Ich-Identität` im Habermasschen Sinne sind.[4] „Während also die einen die Übertreibung des Prinzips von Subjektivität als Ursache unterschiedlicher Verfallsformen der bürgerlichen Gesellschaft aufgrund der Regression zu einem amoralischen Individualismus wahrnehmen, konstatieren die Anderen einen Zuwachs an Autonomie und sehen darin eben nicht die Pathologie der Entwicklung moderner Gesellschaften, sondern das Potential ihrer Progression. Die Wertschätzung von Identität hängt von diesen grundsätzlichen Einstellungen ab.“[5] Man kann, abhängig von der Einstellung, die Möglichkeit zur Selbstbestimmung als Segen oder den Zwang zur Selbstbestimmung als Fluch empfinden, sicher ist jedoch, dass wir, gewollt oder nicht, ständig Identität erzeugen, „[...] wir sind hartnäckige Identitätskonstrukteure – und müssen das sein. Zersplitterung, Identitätsverzicht ist kein humanes Ideal. Nur ist die Identitätsherstellung wesentlich vielfältiger und komplexer (geworden), als man sich das bislang vorgestellt hat.“[6] Im sich verschärfenden Prozess funktionaler Differenzierung wird das Individuum gezwungen, sein Selbstverständnis nicht mehr über die Zugehörigkeit zu gegebenen Gemeinschaften und Ordnungen zu definieren, sondern dieses allein aus sich selbst zu erzeugen. Niklas Luhmann formuliert, dass nicht mehr das Ganze Grundlage der Konstruktion des Sozialen ist, sondern das Einzelne, auf sich selbst verweisende Individuum. „Die Gesellschaft zeichnet nicht mehr die Lösungsrichtung vor, sondern nur noch das Problem, sie tritt dem Menschen nicht mehr als Anspruch an moralisches Leben gegenüber, sondern nur noch als Komplexität, zu der man sich auf jede individuelle Weise kontingent und selektiv zu verhalten hat.“[7]

3. Differenz und Identität

Luhmanns Theorieentwicklung basiert auf der Umorientierung von Einheit auf Differenz und somit der Überwindung des Identitätskonzepts. Die Differenz zwischen System und Umwelt wird jedoch nicht in der `Einheit der Differenz` aufgehoben, um Identität des Systems zu erzeugen, sondern das Paradoxon Einheit auf Differenz zu gründen bleibt erhalten. „Am Anfang steht also nicht Identität, sondern Differenz [...]“[8], ein System gründet und identifiziert sich vielmehr als System, indem es sich als different zu seiner selbst gesetzten Umwelt realisiert. Die Unterscheidung System/Umwelt ist „eine sehr wichtige, stark einschränkende Ausgangsstellung. Danach befasst sich die Systemtheorie nicht einfach mit besonderen Objekten, nämlich Systemen, im Unterschied zu irgendwelchen anderen Objekten. Sie befasst sich mit der Welt, gesehen mit Hilfe einer spezifischen Differenz, nämlich der von System und Umwelt.“[9] Luhmanns Welttheorie lässt zwar keinen Aspekt aus, fordert aber zwingend anzugeben, von welcher Systemreferenz ausgegangen wird, und was von diesem System aus die spezifische Umwelt ist. Seine Theorie geht von keinen Vorannahmen bzw. Wesensannahmen aus, ist somit nicht teleologisch, sondern kennt als ihr Fundament ausschließlich Operationen, für ihn den bloßen Vollzug einer augenblicklichen und als solche nicht wiederholbaren Unterscheidungshandlung. „Im Anschluß an Spencer Brown wollen wir, wenn die Operation gemeint ist von Unterscheidung (distinction) und Bezeichnung (indication) sprechen. Die entsprechenden semantischen Resultate heißen: Differenz und Identität.“[10] Luhmanns Differenzbegriff ist allumfassend und theoriebestimmend, keine Identität ist ohne Differenz möglich, keine Handlung ohne davon differente Möglichkeiten zu handeln. „Die Differenz von Differenz und Identität wird gleichsam quer zur Differenz von Aktualität und Möglichkeit eingesetzt, um diese in der Operation zu kontrollieren. Das Mögliche wird als Differenz verschiedener Möglichkeiten [...] aufgefasst, die zu aktualisierende Möglichkeit wird dann in ihrer Identität als diese und nichts anderes bezeichnet.“[11] Seine Theorie selbstreferentieller Systeme überwindet das ontologische, das `alteuropäische` Denken, das eine „[...] zentrale Kontextur der Identitätserzeugung[...]“[12] und eine monokontextural gestaltete Welt unterstellt. Der erkenntnistheoretische Ansatz `Subjekt denkt Objekt` oder in letzter Konsequenz `Subjekt erkennt Objekt` unterstellt, dass das Objekt, die Welt, dem Subjekt als etwas völlig wesensfremdes vorgegeben ist. Nur dem Subjekt wird Selbstrefenzialität zugestanden, das Objekt ist als etwas Absolutes vorhanden, unabhängig von Beobachtung. Nach Luhmann kann es jedoch keinen `archimedischen Punkt` der Erkenntnis geben, für ihn stellt sich die Welt polykontextural dar. Jedes System ist für jedes andere Umwelt und jedes System ist für Luhmann selbstreferenziell, somit werden die ontologischen Begriffe Subjekt und Objekt zugunsten der Selbstreferenzialität aufgegeben.

[...]


[1] Beck, U.: Risikogesellschaft, S. 17

[2] Ricken, N.: Identitätsspiele und die Intransparenz der Macht, S. 319

[3] Vgl.: Sennet, R.: Die Tyrannei der Intimität

[4] Vgl.: Habermas, J.: Moralentwicklung und Ich-Identität

[5] Meyer-Drawe, K.: Bildung und Identität, S.141

[6] Welsch, W.: ICH ist ein anderer, S. 311

[7] Luhmann, N.: Gesellschaftsstruktur und Semantik 3, S. 225

[8] Luhmann, N.: Soziale System, S. 112

[9] Luhmann, N.: Neuere Entwicklungen in der Systemtheorie, S. 292

[10] Luhmann, N.: Soziale Systeme, S. 100

[11] Ebd.: S. 100

[12] Luhmann, N.: Soziologische Aufklärung 5, S.23

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Identität, Individualität, Gesellschaft - Zwischen Differenz und Selbsterzeugung
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Pädagogik)
Veranstaltung
Oberseminar: Bildung und Identität
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
17
Katalognummer
V76570
ISBN (eBook)
9783638805803
ISBN (Buch)
9783638810869
Dateigröße
472 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identität, Individualität, Gesellschaft, Zwischen, Differenz, Selbsterzeugung, Oberseminar, Bildung, Identität
Arbeit zitieren
Dominika Wosnitza (Autor:in), 2004, Identität, Individualität, Gesellschaft - Zwischen Differenz und Selbsterzeugung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76570

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