Martin Luthers problematische Rolle in der Sprachgeschichte


Seminararbeit, 2007

33 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Sprachwandel im 16. Jahrhundert
a) Der nationale Aspekt
b) Der soziologische Aspekt
c) Der regionale Aspekt

2. Luthers Sprache
a) Einordnung des lutherischen Sprachraumes und die wettinische Kanzlei
b) Die Entwicklung der lutherischen Sprache
c) Inhaltliche Überarbeitung der Vorgänger

3. Luthers Orthographie

4. Lexikalische Neuerungen bei Luther

5. Überalterung der Luthersprache
a) Glossen zu Luthers Bibel
b) Konkurrenz durch andere Übersetzer

6. Luthers individuelle Leistung bei der Bibelübersetzung
a) Theologischer Hintergrund
b) Luthers Prinzipien bei der Übersetzung
c) Luthers „besondere“ Übersetzungstechnik
d) Luthers Wirkung auf die folgenden Generationen

7. Fazit

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Internetquelle

0. Einleitung

Bei der Betrachtung von Dokumenten des 16. Jahrhunderts sticht die Willkür der Schriftsetzung ins Auge, sodass von einer sprachlichen Einheitlichkeit in der Zeit Luthers nicht die Rede sein kann. Luther war, wie von Jakob Grimm angenommen, nicht der „Erfinder“ der neuhochdeutschen Sprache. Ebenso ist Friedrich Kluges Aussage „Luthers Sprache sei seit 1580 zur Norm für unser Schriftdeutsch geworden“[1] unhaltbar. Mit welcher Berechtigung kommen dann Aussagen wie die von Grimm und Kluge zustande? Tatsache ist, dass die Wirkung der Schriften Luthers in dessen Zeit, vor allem die Bibelübersetzung, immens war. Luthers Bibelübersetzung überwand erstmals die damals herrschende sprachliche Uneinheitlichkeit im deutschen Sprachraum durch die Anfertigung einer für alle Sprachregionen befriedigenden deutschen Übersetzung. Mit Hilfe der Erfindung des Buchdruckes wurde Luthers Übersetzung im ganzen deutschsprachigen Raum verbreitet. Infolgedessen wurde die Übersetzung der Bibel von mehr Menschen rezipiert als jedes andere Schriftwerk zuvor.

Vor Luther gab es bereits 14 hochdeutsche und vier niederdeutsche gedruckte Bibelausgaben. Als Vorlage dienten vor allem die griechische Septuaginta und die lateinische Vulgata. Luther hingegen übersetzte die hebräischen und griechischen Urtexte und verwendete für seine Bibelübersetzung das ostmitteldeutsche Idiom seiner Heimat, in dem nord- und süddeutsche Dialekte verschmolzen waren.[2] Zwischen 1534 und 1626 wurden allein in Wittenberg knapp einhundert Bibelausgaben hergestellt, die insgesamt circa 200000 Exemplare umfassten.[3] Wenn Luther auch nicht der „Erfinder“ der neuhochdeutschen Sprache war, so überdauerte sein Schaffen doch Hunderte von Jahren.

Luthers Wirkung auf die deutsche Sprache ist auch heute noch spürbar. So stammen einzelne gebräuchliche Wörter (Machtwort, Ebenbild, friedfertig, u. a.) und Redewendungen (Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein; der Geist ist willig aber das Fleisch ist schwach, u.a.) aus Luthers Feder.[4] Arnold Berger stellt heraus, dass Luthers Übersetzungskunst und stilistisches Vermögen lange Zeit als Vorbild galten. Wie sich später herausstellen wird, galt dies aber nicht für grammatisch- formale Bestandteile der Sprache Luthers.[5]

Worin lag Luthers Wirkung auf die deutsche Sprache und wie kann sie erklärt werden? Die vorliegende Arbeit untersucht Luthers sprachliches Umfeld. Dabei sollen Neuerungen, die von Luther vorgenommen wurden, erläutert und interpretiert werden.

1. Sprachwandel im 16. Jahrhundert

Sprache ist ständiger Veränderung unterworfen und bringt als Folge dessen einen Wandel von Lautung, Orthographie und Lexik mit sich. Dies galt vor allem für eine Zeit, in der es noch keinerlei genormte Standardwerke gab. Im 16. Jahrhundert war in Europa Latein die Sprache der Kirche, der Geschichtsschreiber und die Beamtensprache. Die Volkssprache „Deutsch“ wurde im Schrifttum bis auf sehr wenige Ausnahmen ( v. a. mittelalterliche Literatur) gänzlich unterdrückt. Staat und Kirche forcierten diesen Zustand zu ihrer Machterhaltung, da sich beide Seiten ohne Kontrollinstanz auf die Durchsetzung ihrer Interessen konzentrieren konnten. Infolgedessen gab es für eine gesamtdeutsche Sprache kein Ideal. Versuche zur Übertragung lateinischen Stilistik und Syntax zur Etablierung des Deutschen scheiterten, da sich kein gemeinsamer Nenner zwischen der deutschen und lateinischen Sprache herstellen ließ.[6] Mit der Erfindung des Buchdruckes stieg jedoch die Zahl der deutschen Drucke und damit das Ansehen der deutschen Sprache enorm. Im Jahr 1520 wurden 570, im Jahr 1524 990 Bücher in deutscher Sprache gedruckt.[7] Diese Auflagen bezeugen das steigende Ansehen der deutschen Sprache als eigenständige Sprach- und Schriftform.

Zu Luthers Zeit war die Sprache innerhalb Deutschlands stark plurizentrisch geprägt, das heißt, dass es innerhalb des deutschsprachigen Raumes keine überregionale Standardsprache gab. Auf regionaler Ebene existierten hingegen viele voneinander abweichende Schreibdialekte und Schreibnormen, die sich in den Kanzleien der Städte und Fürsten manifestierten. Diese Schreibnormen unterschieden sich von der gesprochenen Sprache und waren daher von ihr unabhängig. Die Vermischung der Schreib- und Sprechdialekte und der größere Verbreitungsradius von Drucken förderte den Sprachausgleich, da er die Vereinheitlichung der Sprache entscheidend beschleunigte. Ausgleich bedeutet die Aussonderung sprachlicher Varianten eines Wortes, wobei damit eine Reduzierung der Variationsbreite von mehreren Wörtern auf ein Wort gemeint ist.[8]

Ende des 15. Jahrhunderts begann innerhalb der deutschen Sprachlandschaften die Entwicklung zum überregionalen Sprachgebrauch, sodass Grimms Äußerung schon einmal dahingehend entschärft werden kann, dass sprachliche Veränderungen nicht durch die „Initialzündung“ Luthers hervorgerufen wurden, sondern durch Normierungsprozesse, die unter anderem in Verbindung mit dem neuen Medium des Buchdruckes standen. Vielmehr machte sich Luther diese Entwicklung zu nutze und beschleunigte sie durch seine Bibelübersetzung. Rudolph Große macht die Entwicklung des Sprachwandels von drei historischen Aspekten abhängig.

a) Der nationale Aspekt

Anfang des 16. Jahrhunderts machten sich Anzeichen einer neuen bürgerlichen Kultur bemerkbar, die zugunsten der deutschen Sprache das Lateinische verdrängte. Im Mittelalter bedeutete schreibkundig zu sein vor allem Latein schreiben und verstehen zu können. Das Schrifttum diente vor allem kirchlichen Zwecken. Ab dem 13. Jahrhundert kamen zunehmend „weltliche“ und juristische Dokumente wie Urkunden, Akten, Rechtsbücher, Chroniken hinzu. Volkstümliche Erbauungsliteratur brachte Wörter wie Eigenschaft, Eindruck, Verständnis, Zufall, einsehen und begreifen in den geschriebenen als auch gesprochenen Wortschatz.[9]

Wesentlich für das steigende Prestige der deutschen Sprache war, laut Große, die Entstehung eines bürgerlichen Selbstverständnisses, das das Bewusstsein der eigenen Sprache erst ermöglichte und den Bürgern die Möglichkeit gab, über ihre provinzielle „Eingeschränktheit“ hinaus auf eine nationale Identifikationsgröße zu sehen. Auf Grund der soziokulturellen Entwicklung kann von einem nationalen Aspekt bei der Entwicklung der neuhochdeutschen Sprache ausgegangen werden.

b) Der soziologische Aspekt

Als Folge des wachsenden Selbstbewusstseins des Bürgertums und durch die Reformation kam es aufgrund des wachsenden Autonomiebedürfnisses des Bürgertums zu einer Demokratisierung der Kirche, die nach und nach ihr Schriftmonopol verlor. Zudem brachten die revolutionären Bauernkriege im Deutschen Reich des 16. Jahrhunderts neue Sprechsituationen hervor, da große Menschenmassen aus verschiedenen Sprachregionen aufeinander trafen und organisiert werden mussten. Der daraus resultierende Wortschatzzuwachs machte nicht nur eine Neuordnung der Literatursprache notwendig, sondern wirkte sich auch auf das öffentliche Leben aus. Die städtischen Produktionsformen und der Handel eröffneten neue Einrichtungen und Zünfte, die den sprachlichen Ausgleich förderten. Ebenso bezogen die städtische Verwaltung, das Bildungswesen und die Kultur neue Bevölkerungsschichten ein, die vorher überhaupt nicht berücksichtigt wurden. Die Sprache übernahm breitgefächerte Funktionen, die den Anwendungsbereich der Sprache in erheblichem Maße erweiterte.[10] Mit seiner Bibelübersetzung unterstützte Luther diese Sprachentwicklung, da er in der ostmitteldeutschen Sprache des Volkes schrieb. Luther wollte, laut Große, vom gemeinen Mann verstanden werden und verwendete in seiner Übersetzung Wörter und Wendungen, die vom Volk verstanden wurden.[11]

c) Der regionale Aspekt

Der Ausgleich ging vor allem in wirtschaftlich starken Regionen schneller vonstatten. Dazu gehörten auch Sachsen und Thüringen. Der ostmitteldeutsche Sprachraum begünstigte einen schnellen Ausgleich, weil er auf Grund seiner geographischen Lage als sprachlicher Schmelztiegel zwischen Nord- und Süddeutschland fungierte. Zudem waren die Korrespondenzen und der Handel Richtung Süden stärker ausgeprägt als nach Norden und Westen. Der sprachliche Austausch mit dem Süden Deutschlands war außerdem stärker ausgebaut, da sich die kaiserlichen Institutionen in Wien, Regensburg und Nürnberg befanden.

Was bedeutet das für Luthers thüringisch– obersächsische Sprachregion? Große beschreibt diesen Sprachraum als eine Region mit relativ „ausgeglichener“ Geschäftssprache, die „in den Jahrzehnten um 1500 auch Einflüsse aus dem bairischen Oberdeutschen aufgenommen hatte.[12] Mit „ausgeglichen“ meint Große, dass bereits ein sprachlicher Ausgleich erfolgt war.

Da es in Deutschland viele Schreibtraditionen und Mundarten gab, war das gesamtdeutsche Sprachgebiet in Zeiten vor dem Ausgleich ein Fleckenteppich und in keiner Weise normiert. Dies galt sogar für die Schreibkanzleien. Bei einem Vergleich mehrerer Schriften aus derselben Kanzlei kann von einem normierten Gebrauch der Kanzleisprachen selbst innerhalb der gleichen Region nicht die Rede sein. Dokumente bezeugen, dass sich die Schriftsprache der Kanzleien nach der Herkunft des Schreibers und seines Adressaten richtete. Für den Verkehr zwischen zwei Parteien war eine genormte Schriftsprache scheinbar nicht nötig, solange beide Seiten auf einer Ebene miteinander kommunizieren konnten. Diese Art der Praxis erzeugte in sprachlicher Hinsicht viele Irrtümer.

Luthers Sprache bildete hinsichtlich der Einheitlichkeit keine Ausnahme.

2. Luthers Sprache

Walter Henzen teilt Luthers Schaffen in drei Perioden[13] ein. Die erste reicht bis 1524, in der Luther sich an der ostmitteldeutschen Schreibtradition und Druckersprache orientierte. Die Zweite dauerte bis 1532, in der die Rechtschreibung und die Sprachformen von Inkongruenzen gesäubert wurden und eine dritte Periode, die keine generalisierbaren Neuerungen brachte. Luther gebrauchte noch alte starke Verbformen (steig, schrei, treib) und Partizipformen (worfen, worden, funden, bracht), die bereits im ersten Nachdruck der Bibel nicht mehr erschienen. Dialektwörter wie: feilen - fehlen, wegern - weigern, Ruge - Ruhe etc. ließ Luther ebenso einfließen, diese nehmen aber ab Beginn der zweiten Periode stark ab. Auf Grund dieser Tatsachen kann Grimms These, Luther sei der Schöpfer der neuhochdeutschen Sprache, widerlegt werden. Luther verkörperte vielmehr den Vorreiter eine Übergangsphase in der Entwicklung der Sprache.

a) Einordnung des lutherischen Sprachraumes und die wettinische Kanzlei

Unter sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten sprach Luther ostmitteldeutsch[14]. Der Begriff fasst die Großraumdialekte Thüringisch, Obersächsisch und Schlesisch zusammen. Außerdem werden ostmitteldeutsche Sprachinseln in West- und Ostpreußen, im nördlichen Böhmen und Mähren, Polen und der Slowakei dazugezählt. In der Literatur wird das Ostmitteldeutsche häufig auch als Produkt der wettinischen „Kanzleischreibe“ gesehen und als oberdeutsches Gemeindeutsch, Lutherdeutsch und schlesisches Barockdeutsch bezeichnet.[15] Luther gebrauchte anfangs die wettinische „Kanzleischreibe“, die sich vor allem durch ihr schreibsprachliches Wesen auszeichnete. Zwar gibt es keine strenge Einheitlichkeit innerhalb der wettinischen Kanzleisprache, jedoch lassen sich charakteristische Merkmale ausmachen.

[...]


[1] Kluge, Von Luther bis Lessing, Straßburg 1904, S. 70.

[2] Martin Luther, http://de.wikipedia.org/wiki/Luther, 18. Mai.

[3] Kluge, S. 49.

[4] Polenz, Peter von, Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart, Band 2, Berlin 1991, S. 234- 235.

[5] Berger, Arnold, Luthers Stellung in der deutschen Sprachgeschichte, in: Luthers Deutsch- Sprachliche Leistung und Wirkung, hrsg. v. Herbert Wolf, Frankfurt am Main 1996, S. 305.

[6] Kluge, S. 47.

[7] Kluge. S. 51.

[8] Polenz, S. 159.

[9] Große, Rudolph, Luthers Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Sprache in: Luthers Deutsch- Sprachliche Leistung und Wirkung, hrsg. v. Herbert Wolf, Frankfurt am Main 1996, S. 113.

[10] Große, S. 112.

[11] Große, S. 115.

[12] Große, S. 116.

[13] Henzen, Walter, Luthers Deutsch, Sprachliche Leistung und Wirkung, in: Luthers Deutsch- Sprachliche Leistung und Wirkung, hrsg. v. Herbert Wolf, Frankfurt am Main 1996, S. 72.

[14] Polenz, S. 164.

[15] Polenz, S. 165.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Martin Luthers problematische Rolle in der Sprachgeschichte
Hochschule
Universität Regensburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
33
Katalognummer
V76147
ISBN (eBook)
9783638885010
ISBN (Buch)
9783638938518
Dateigröße
510 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Martin, Luthers, Rolle, Sprachgeschichte
Arbeit zitieren
Thomas Brunner (Autor:in), 2007, Martin Luthers problematische Rolle in der Sprachgeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76147

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