Vilnius - die balto-slawische Metropole


Term Paper, 2002

54 Pages, Grade: 1,3


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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Litauen – ein Überblick
2.1 Das Land
2.2 Die Sprache
2.3 Entwicklung des Litauischen
2.4 Geschichte

3 Vilnius-Wilna-Wilno-Vilné Jahr

4 Russifizierungspolitik – Litauens Sonderstellung

5 Minderheiten in Litauen/Vilnius
5.1 Die russische Minderheit
5.1.1 Herkunft
5.1.2 Litauische Russen
5.1.3 Russen von Litauen
5.1.4 Sowjet-Russen
5.1.5 Die Lage nach der Unabhängigkeit
5.2 Die polnische Minderheit
5.2.1 Herkunft
5.2.2 Litauische Polen
5.2.3 Polen von Litauen
5.2.4 Sowjet-Polen
5.2.5 Unterschiede zwischen Stadt- und Landbevölkerung
5.2.6 Die Lage nach der Unabhängigkeit
5.3 Andere Minderheiten

6 Die heutige Lage
6.1 Das Sprachgesetz
6.2 Das Staatsbürgerschaftsgesetz
6.3 Wie sieht die Realität aus?

7 Conclusion

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Litauen – ein für viele weitgehend unbekanntes Land "irgendwo im Osten". Die wechselvolle Geschichte hat Land und Leute geprägt, verschiedene Nationen und Kulturen haben ihre Spuren hinterlassen.

Die Hauptstadt Vilnius, welche "Hauptdarstellerin" der vorliegenden Arbeit ist, hat sich seit der wiedererlangten Unabhängigkeit 1990 zu einer zunehmend westlich anmutenden Metropole gewandelt und zieht immer mehr Touristen aus aller Welt an.

Im Verlauf der Geschichte prallten hier regelmäßig verschiedene Völker und Kulturen beim Kampf um die Vorherrschaft aufeinander, vor allem Deutsche, Litauer, Polen und Russen. Eine wichtige – besonders kulturelle – Rolle spielten die Juden, welche in Vilnius teilweise sogar die mit Abstand größte Minderheitengruppe waren und dort vor dem Einmarsch der Deutschen während des Zweiten Weltkriegs ca. ein Drittel der Einwohner ausmachten.

Dabei konnten sich letztlich die Litauer allen widrigen Umständen zum Trotz behaupten und befreiten sich 1990 endgültig von fremder Vorherrschaft. Deutsche, Polen und Russen bilden eine Minderheit, wobei in Vilnius aber nur die beiden letztgenannten politisch gesehen eine Rolle spielen und daher auch in dieser Arbeit genauer betrachtet werden sollen.

2 Litauen – ein Überblick

Litauen – wo liegt das eigentlich?

Die Antwort lautet: im Herzen Europas (vgl . Abbildung 01). Französische Geographen haben berechnet, dass sich das geographischen Zentrum Europas exakt auf 54°54' nördlicher Breite und 25°19' östlicher Länge befindet. Also 26 km nördlich von Vilnius beim Dorf Purnuškės (vgl. Bockamp/Eisenschmid 2000: 407).

2.1 Das Land

Mit einer Fläche von ca. 65.000 qkm und ungefähr 3,7 Millionen Einwohnern ist Litauen der größte baltische Staat und lässt sich gemessen an seiner Größe und Einwohnerzahl am ehesten mit Irland vergleichen.

Nachfolgende zur Einordnung ein Vergleich einiger Länder mit Litauen (vgl.: http://www.auswaertiges-amt.de, Stand März 2001):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Litauer stellen den größten Bevölkerungsanteil (81,4%). Bedeutende Minderheiten sind Russen und Polen. Im Jahre 2001 setzte sich die Bevölkerung in Litauen folgendermaßen zusammen (vgl.: http://www.auswaertiges-amt.de):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die ursprüngliche Nationalflagge wurde erst am 18.11.1988 wieder offiziell eingeführt. Die drei Längsstreifen (von oben nach unten: gelb, grün, rot) haben folgende Bedeutung (vgl. : http://www.erdkunde-online.de/0931.htm):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2 Die Sprache

Zu den baltischen Sprachen zählt man heute Litauisch und Lettisch sowie deren Dialekte. Außerdem gehörte das im 17.Jh. ausgestorbene Altpreußische dazu (vgl . Abbildungen 02 und 03).

Diesem sich auf die Sprachverwandtschaft stützenden Begriff Baltisch steht ein geographisch-historisch-kultureller Begriff Baltisch gegenüber, der mit dem Substantiv Baltikum (engl. The Baltics ; russ. Прибалтика) korrespondiert.

Damit ist auch Estland gemeint, in dem allerdings eine finnougrische Sprache (estnisch) gesprochen wird. Generell spricht man von den drei baltischen Ländern/Staaten (Litauen, Lettland und Estland) und hinsichtlich der Literatur auch von den Literaturen des Baltikums.

Das Baltische zählt zu den indoeuropäischen Sprachen. Ein Problem ergibt sich aber aus den engen Beziehungen des Baltischen zum Slawischen.

Daneben weisen viele Indogermanisten auf eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen dem Baltischen und dem Germanischen, auf spezielle baltisch-germanische Übereinstimmungen hin, wobei häufig auch das Slawische mitbeteiligt ist, z.B.

- Bildungsweise der Zahlwörter von 11 bis 19 mithilfe einer Zweitkomponente (lit. –lika, z.B. vienuolika, dvylika) aus idg. *leiku und got –lif- aus idg. *-leip- (got. ainlif, dt. elf, got. twalif, dt. zwölf).
- Lexikalische Übereinstimmungen, die älter sind als baltisch-slawisch-germanische oder baltisch-slawische, z.B. lit. dirbti"arbeiten", darbas"Arbeit", angelsächsisch deorfan"sich anstrengen", arbeiten, deorf"Arbeit, Mühsal, Gefahr".

Die genauen Verwandtschaftsbeziehungen sind bis heute umstritten, nachfolgend einige Standpunkte (vgl. Eckert u.a. 1994: 37ff.):

"Das Slavische und Baltische stimmen in so zahlreichen und charakteristischen Neuerungen überein, daß die Annahme einer baltoslavischen Spracheinheit unumgänglich erscheint."

(G. KLINGENSCHMIDT).

W.P. SCHMID berücksichtigt besonders areale Gesichtspunkte und analysierte die alteuropäischen Gewässernamen, welche auf ein im baltischen Gebiet gelegenes Zentrum der alteuropäischen Hydronomie mit Beziehungen zu den indogermanischen Sprachen des Westens hinweisen. Er vertritt die These einer langen baltisch-slawischen Nachbarschaft, sieht aber keine balto-slawische Einheit.

H.D. POHL zieht neben der historisch-vergleichenden Sprach­wissenschaft auch die Methoden der arealen Linguistik und der Arealtypologie hinzu. Demgemäß "besteht die sog. baltoslawische Einheit aus mehreren Schichten, nämlich aus gemeinsamem Erbe, unabhängiger Parallelentwicklung und gegenseitiger Beeinflussung durch Nachbarschaft und/oder Überlagerung".

Nach momentanem Forschungs- und Wissensstand geht man nicht mehr von einer gemeinsamen Ursprache aus.

Das Baltische und Slawische kommt aus einem indogermanischen Dialektgebiet und verdankt seine Nähe zueinander einer lange währenden Nachbarschaft (vgl . Abbildungen 04 und 05).

2.3 Entwicklung des Litauischen

Seit dem 13. Jahrhundert dominierten das Polnische und andere Landessprachen, sodass im 17. Jahrhundert nur noch von Bauern auf dem Land litauisch gesprochen wurde, während die Kommunikation in den Städten auf Polnisch erfolgte. 1669 wurde polnisch offiziell als Staatssprache eingeführt. In Vilnius gab es ab 1737 keine Predigten auf Litauisch mehr.

Ab 1795 wurde russisch als Amtssprache eingeführt, wobei die Landbevölkerung aber weiterhin litauisch sprach.

Erst mit dem Erwachen des Nationalbewusstseins im 19. Jahrhundert wurde die Entwicklung des hochsprachlichen Litauisch abgeschlossen.

2.4 Geschichte

Allein schon aus Übersichts- und Platzgründen (eine detaillierte Darstellung der litauischen Geschichte hätte mehr als sechs Seiten gefüllt) können hier nur die wesentlichen und für das allgemeine Verständnis der heutigen Situation wichtigen Daten und Ereignisse wiedergegeben werden.

Das Land wurde erstmals 1009 in den "Quedlinburger Annalen" erwähnt. Als eigentlicher Gründer gilt jedoch Fürst MINDAUGAS, der im 13. Jahrhundert die verschiedenen Stämme unter seiner Herrschaft vereinte und sich erfolgreich gegen den "Orden der Ritterschaft Christi" (Schwertritterorden) wehrte.

Am 06.07.1253 wurde er zum ersten (und einzigsten) König Litauens gekrönt. Dieser Tag wird heute noch offiziell als Nationalfeiertag (Krönungstag von MINDAUGAS) begangen.

Zwischen 1392 und 1430 erreichte Litauen unter dem Großfürsten VYTAUTAS den Höhepunkt seiner Macht und reichte von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer (vgl. Abbildungen 06 und 07).

Ab 1386 befand sich Litauen in einer Personalunion mit Polen, die 1569 in eine Realunion (d.h. gemeinsamer Staat) umgewandelt wurde. Litauen verkam zunehmend zu einer polnischen Provinz.

Nach der dritten polnischen Teilung 1795 kam der größte Teil Litauens zum russischen Reich und russisch wurde offizielle Amtssprache (vgl. Abbildung 08).

1830/31 und 1863 wurden mehrere von litauischen Geistlichen mithilfe des polnischen, litauischen und weißrussischen niederen Adels angezettelte Aufstände blutig niedergeschlagen und bewirkten eine verstärkte Russifizierung und Änderung der zaristischen Politik. Nunmehr bestand das Ziel darin, den polnischen Einfluss in der Region zu unterdrücken, die Litauer als eine eigene Kultur anzuerkennen, dann von den Polen zu trennen und im Russischen und Orthodoxen zu assimilieren (vgl. Sedaitis/Vardys 1997: 16).

Dies änderte sich erst nach der Niederlage Russlands und Deutschlands im 1.Weltkrieg. Am 16.Februar 1918 wurde eine unabhängige litauische Republik ausgerufen. Als Hauptstadt diente Kaunas, da das Gebiet von Vilnius von Polen annektiert war (vgl. Abbildungen 09 und 10). Heute wird dieser Tag als Unabhängigkeitstag gefeiert.

Im Zuge des 2.Weltkriegs kam Litauen ab 1940 für 50 Jahre unter Sowjetherrschaft und erklärte am 11.März 1990 seine Unabhängigkeit.

3 Vilnius-Wilna-Wilno-Vilné

Eine andere, nicht weniger passende Überschrift wäre sicherlich "Vilnius – leidvolle Geschichte einer Stadt".

Als Bezeichnung wird hier jeweils der offizielle litauische Name (Vilnius) verwendet, obwohl die Stadt im Laufe der Geschichte abhängig von den jeweiligen "Eigentümern" anders genannt wurde (polnisch: Wilno, deutsch: Wilna, daneben wurde sie von den jüdischen Einwohnern als "Vilné" bezeichnet). Das Hauptaugenmerk soll den wichtigsten Minderheiten (der russischen und polnischen) gelten, auf die dann in Kapitel fünf bzw. sechs genauer eingegangen wird. Andere Minderheiten spielen heute zahlenmäßig und politisch nur eine sehr unbedeutende Rolle. Einleitend zur Übersicht die Entwicklung der Einwohnerzahlen von Vilnius im Laufe der Geschichte (vgl. http://www.datacomm.ch/pschaer/facts.htm):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(1) vgl. Dunin-Horkawicz 1991: IV.
(2) vgl. Bockamp/Eisenschmid 2000: 380
(3) vgl. Dunin-Horkawicz 1991: V.
(4) vgl. Dunin-Horkawicz 1991: VI.
(5) vgl. http://www.vilnius.lt

Gemäß den Seiten des deutschen Auswärtigen Amtes (http://www.auswaertiges-amt.de) hat Vilnius 2001 sogar 650.000 Einwohner.

Vilnius diente Litauern, Polen, Juden und Weißrussen (im 16. und 17.Jahrhundert auch Ukrainern) als kulturelles und religiöses Zentrum.

Im 16.Jahrhundert erlebte Vilnius eine Blütezeit und war mit ca. 30.000 Einwohnern eine der größten Städte Europas.

Im Jahre 1811 war Vilnius mit 56.000 Einwohnern nach Moskau und St.Petersburg die drittgrößte Stadt des russischen Reiches.

Um die Jahrhundertwende stellten die Juden die größte Minderheitengruppe; zu Beginn des 1.Weltkriegs waren 98.000 der 235.000 Einwohner Juden (= 41,7%).

Nach dem 2.Weltkrieg waren die Polen die zahlenmäßig größte Minderheitengruppe.

Die Beziehungen der verschiedenen Ethnien zueinander waren dabei natürlich nicht immer freundschaftlich. Besonders aber im zwanzigsten Jahrhundert entbrannte ein heftiger Streit um Vilnius (vgl. auch Abbildung 10, wo besonders das zwischen 1920 und 1939 von Polen annektierte Gebiet um Vilnius zu beachten ist):

"Es gibt im zwanzigsten Jahrhundert wohl nicht noch einmal eine Stadt, die wie Wilna dreizehnmal von einer Hand in die andere gegangen wäre. Ihre Bewohner hatten folglich Gelegenheit gehabt zu lernen, auf den Einmarsch verschiedenster Armeen zu reagieren, wie man auf Naturkatastrophen zu reagieren pflegt – indem man sich bemüht, weiter seinen täglichen Verrichtungen, Interessen und Zerstreuungen nachzugehen." (Miłosz 1997: 44).

Dieser Auszug mag etwas ironisch klingen, spiegelt die damalige Lage aber recht deutlich wieder. Um die heutige Situation zu verstehen ist es angebracht, die wechselvolle Geschichte von Vilnius etwas detaillierter zu betrachten. Denn wie so oft bei Minderheitenkonflikten liegen die Wurzeln in der Vergangenheit.

Nachfolgend ein Überblick der Geschichte von Vilnius ab 1795:

1795: Nach der dritten polnischen Teilung fällt ein Großteil Litauens, darunter Vilnius, an Russland.

1812: Napoleon durchquert mit seiner "Grande Armée" auf dem Hin- und Rückmarsch nach Moskau zweimal die Stadt.

19.09.1915: Deutsche Truppen marschieren in Vilnius ein. Im Oktober ist fast ganz Litauen besetzt. Unter A. SMETONA bildet sich ein Litauischer Rat (Taryba), dessen Ziel die Herstellung eines unabhängigen Staates ist.

16.02.1918: Eine unabhängige litauische Republik wird ausgerufen, was aber anhand fehlender internationaler Anerkennung de facto bedeutungslos bleibt. Außerdem besteht eine hohe politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von Deutschland, das seine weit reichenden Bedingungen einfordert.

09.04.1918: Von der Taryba wird WILHELM VON URACH GRAF VON WÜRTTEMBERG als Mindaugas II. zum König von Litauen gewählt.

11.11.1918: Nach der Kapitulation Deutschlands erklärt sich Litauen am selben Tag zur Republik.

05.01.1919: Die russische Armee rückt in Vilnius ein und ruft eine litauische Sowjetrepublik aus. Die Taryba flieht nach Kaunas.

19./20.04.1919: Vilnius wird von den Polen unter JOSEF PIŁSUDSKI erobert. Als provisorische Hauptstadt der Republik Litauen dient Kaunas.

Juli 1920: Eine Offensive der sowjetischen Armee zwingt die polnische Armee zum Rückzug aus Vilnius.

12.07.1920: Nach der Anerkennung der litauischen Unabhängigkeit gibt Moskau Vilnius zurück. Die Übergabe von Vilnius erfolgt erst am 26.08.1920, als sich die geschlagene sowjetische Armee schon aus Warschau zurückzieht.

09.10.1920: Auf Anordnung PIŁSUDSKIS besetzen polnische Truppen unter Leitung von General LUCIAN ZELIGOWSKI Vilnius.

17.-19.09.1939: Nach dem Sieg Deutschlands und der Sowjetunion über Polen besetzt die Rote Armee Vilnius mitsamt dem umliegenden Gebiet und den zu Polen gehörenden Teil Weißrusslands. Bereits am 23.08.1939 wurde in einem geheimen Zusatzprotokoll des Ribbentrop-Molotow-Paktes die Rückgabe von Vilnius an Litauen besprochen.

28.10.1939: Litauische Truppen rücken in Vilnius ein.

14.06.1940: Sowjettruppen besetzen Litauen und Moskau verlangt ultimativ die Umbildung der Regierung, welche sich daraufhin am 17.06.1940 neu konstituiert. Am 03.08.1940 wird Litauen offiziell als 14. Sowjetrepublik aufgenommen.

22.06.1941: Beginn des Krieges zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Bereits drei Tage später ist Vilnius, am 29.06. ganz Litauen von der Wehrmacht besetzt.

13.07.1944: Die Rote Armee "befreit" Vilnius und bald darauf ganz Litauen. Erneut beginnen Deportationen.

11.03.1990: Litauen erklärt seine Unabhängigkeit.

4 Russifizierungspolitik – Litauens Sonderstellung

Im gesamten Baltikum wurde unter Sowjetherrschaft eine Russifizierungspolitik betrieben, die sich in einer gesteuerten Zuwanderung von Siedlern aus der Sowjetunion ausdrückte. Erklärtes Ziel war nicht die Integration, sondern vielmehr die Schaffung einer gegenüber Moskau loyalen Bevölkerungsgruppe.

In Schulen und Kindergärten wurde russisch gelehrt. An Universitäten wurden einige Fächer ausschließlich in russisch unterrichtet, ab 1975 wurden in Litauen alle Doktorarbeiten nur auf Russisch verfasst.

"Ich habe ein typisches sowjetisches Gebrechen – ich kann mich (außer in Russisch und in Polnisch) in keiner einzigen Fremdsprache unterhalten, [...] Tja, wozu braucht ein Mensch aus der Union auch Sprachen? Westliche Bücher sind ihm in absurd geringen Mengen zugänglich, Zeitschriften gar nicht, an Reisen ist nicht zu denken." (Miłosz 1997: 151).

Wie auch in Estland und Lettland spielte in Litauen die Einwanderung für das Bevölkerungswachstum eine große Rolle. Allerdings konnte Litauen – im Gegensatz zu den beiden anderen baltischen Staaten – seinen Bevölkerungsanteil von ca. 80 Prozent auch unter sowjetischer Besatzung behaupten, während der ostslawische Minderheitenanteil (Russen, Weißrussen und Ukrainer) nur von 2,6 Prozent (1923) auf 12,3 Prozent (1989) stieg (vgl. Brunner 1996: 44).

Dies liegt zum einen daran, dass Litauen eine größere Bevölkerung hatte. Besonders die auf dem Lande verfügbaren Arbeitskräfte waren während der Industrialisierung nötig und begrenzten die Zuwanderung ausländischer Arbeiter.

Andererseits lagen die Geburtenrate und das Bevölkerungswachstum seit jeher deutlich über dem baltischen Durchschnitt (vgl. Chinn/Kaiser 1996: 118f.).

Als weitere Gründe gelten z.B. die vorsichtige Politik der litauischen Kommunisten und der grausame Bürgerkrieg, während dem die antisowjetische Partisanenbewegung unter großen Opfern (300.000 Litauer wurden von Stalin deportiert, 30.000 starben) bis zum Anfang der 50er Jahre in den Wäldern kämpfte (vgl. Miłosz 1997: 51).

Russischer Bevölkerungsanteil in den baltischen Staaten

(vgl. Chinn/Kaiser 1996: 95):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(1): Angabe für 1989

Hier zeigt sich vor allem, dass die Russifizierungspolitik in Litauen weit weniger streng durchgeführt wurde als in den beiden anderen baltischen Staaten und dass die russische Bevölkerung hauptsächlich in den Städten (v.a. in den jeweiligen Hauptstädten) konzentriert ist (vgl. auch Abbildungen 11 und 12).

Auch bei einem Vergleich der russischen Zweitsprachkenntnisse von 1970 mit anderen sowjetischen Republiken zeigt sich die Ablehnung der baltischen Staaten (mit Ausnahme Lettlands) gegenüber dem Russischen (vgl. Goebl u.a. 1997: 1893):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dies wird auch in einem Vergleich der Assimilierungsrate (Sprachwechsel zum Russischen) deutlich (vgl. Chinn/Kaiser 1996: 85), Angaben in Prozent:

[...]

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Details

Title
Vilnius - die balto-slawische Metropole
College
European University Viadrina Frankfurt (Oder)  (Fakultät für Kulturwissenschaften)
Course
Zweisprachige Städte
Grade
1,3
Author
Year
2002
Pages
54
Catalog Number
V75950
ISBN (eBook)
9783638813426
File size
5524 KB
Language
German
Notes
Durchgesehene und korrigierte Version.
Keywords
Vilnius, Metropole, Zweisprachige, Städte
Quote paper
Master of Arts (Kulturwissenschaften) Sascha Miller (Author), 2002, Vilnius - die balto-slawische Metropole, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75950

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