Ist eine große EU wirklich der beste Weg für die Durchsetzung europäischer Interessen?

Kollektives Handeln über nationale Grenzen hinaus - Die Rational Choice Theorie von Mancur Olson am Beispiel der EU


Hausarbeit, 2007

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Kollektives Handeln im Zeitalter der Globalisierung

2 Kollektives Handeln aus Sicht der Rational Choice-Theorie
2.1 Klärung der wichtigsten Begriffe
2.2 Kollektives Hadeln in der Rational Choice-Theorie
2.3 Mancur Olsons Kritik an der „Klassischen“ Gruppentheorie

3 Mancur Olsons „Logik des kollektiven Handelns“
3.1 Kernaussagen der Theorie
3.2 Der Einfluss unterschiedlicher Gruppengrößen
3.2.1 Die „privilegierte“ Gruppe
3.2.2 Die „mittelgroße“ Gruppe
3.2.3 Die „latente“ Gruppe
3.3 Die Notwendigkeit selektiver Anreize

4 Anwendung der „Logik kollektiven Handelns“ am Beispiel der EU
4.1 Die Europäische Union
4.2 Die Erweiterung der Europäischen Union – Ein strittiges Thema
4.3 Die EU-Erweiterung aus Sicht Mancur Olsons

5 Abschließende Betrachtung

6 Literaturverzeichnis

7 Anhang

Kollektives Handeln über nationale Grenzen hinaus –
Die Rational Choice-Theorie von Mancur Olson am Beispiel der EU:

Ist eine große EU wirklich der beste Weg für

die Durchsetzung

europäischer Interessen?

1 Kollektives Handeln im Zeitalter der Globalisierung

„In Varietate concordia – In Vielfalt geeint“ (Europa: Symbols). Hinter diesem Motto verbirgt sich seit nunmehr 50 Jahren die EU – die Europäische Union. Ein Staatenbund aus mittlerweile 27 europäischen Ländern, dessen Ziel es ist, sich als Europäer geeint für Frieden und Wohlstand einzusetzen (Europa: Panorama). Im Zeitalter der Globalisierung, in dem sich nationale Grenzen immer mehr aufzulösen scheinen, gewinnen internationale Bündnisse zunehmend an Bedeutung. Auch die EU hat sich in den letzten Jahren immer weiter vergrößert – neue Mitgliedstaaten wurden aufgenommen, neue Kulturen eingegliedert. Die Erweiterung soll auch in den nächsten Jahren weitergehen, so dass Europa als Kontinent immer weiter zusammenwächst, denn Europa kann, „erst wenn [es] zusammengewachsen ist, […] seine Interessen in der Welt der Globalisierung angemessen vertreten“ (Auswärtiges Amt: Erweiterung). Doch ist es wirklich eine große Europäische Union, die die Interessen ihrer europäischen Bürger am besten vertreten kann? Sind es wirklich die großen Organisationen, die am erfolgreichsten für gemeinsame Interessen eintreten können? Gewinnt eine Gruppe wirklich mit zunehmender Größe an Durchsetzungskraft?

Diese Frage soll in der vorliegenden Arbeit unter dem Aspekt der „Logik kollektiven Handelns“ von Mancur Olson, einem bekannten Nationalökonom und Vertreter der Rational Choice-Theorie, betrachtet werden. Man erwartet, dass Gruppen, deren Mitglieder gemeinsame Interessen haben, sich so für diese gemeinsamen Interessen einsetzen, wie Einzelne für ihre persönlichen Interessen (Olson: 1). Doch entspricht diese Annahme der Realität? Verhalten sich rationale Akteure in Gruppen wirklich in dieser Art und Weise? Olson zeigt, dass diese Annahme nicht unreflektiert für jede Art von Gruppe übernommen werden kann und geht dabei vor allem auf die Gruppengröße ein. Demnach sind es vor allem große Gruppen, die besondere Probleme bei der Durchsetzung kollektiver Interessen aufweisen.

Bevor die Theorie von Olson in dieser Arbeit genauer erläutert wird, möchte ich zunächst die wichtigsten Begriffe definieren und im Anschluss daran auf den Ausgangspunkt von Mancur Olson eingehen: Seine Kritik an der so genannten klassischen Gruppentheorie. Nach einer ausführlichen Darstellung der „Logik kollektiven Handelns“ von Olson möchte ich der Frage nachgehen, ob es wirklich eine große EU ist, die die Interessen ihrer Mitgliedstaaten am effizientesten vertreten kann, bevor ein kritischer Ausblick den Abschluss bildet.

Mancur Olson gilt als renommierter Vertreter der Rational Choice-Theorie (Pies: 1). Aus diesem Grund möchte in nun zunächst die grundlegenden Begriffe klären, um daran im Anschluss kurz das Paradigma der Rational Choice-Theorie und ihre Sichtweise kollektiven Handelns darstellen zu können.

2 Kollektives Handeln aus Sicht der Rational Choice Theorie

2.1 Klärung der wichtigsten Begriffe

Für die Darstellung der Theorie Mancur Olsons ist es wichtig, zunächst die Begriffe kollektives Handeln, Gruppe und Kollektivgüter genauer zu definieren.

Kollektives Handeln bezeichnet Handeln mehrerer oder vieler Individuen und nicht rein individuelles Handeln. Dadurch, dass es immer auf andere Akteure bezogen und daran in seinem Ablauf orientiert ist, ist kollektives Handeln immer zugleich auch soziales Handeln (Bader: 67). Wichtig dabei ist, dass „alle Menschen, also auch die Teilnehmer, Organisatoren und Führer kollektiver Bewegungen, Organisationen und Aktionen […] als kalkulierende egoistische Nutzenmaximierer [handeln].“ (Bader: 17) Demnach ist kollektives Handeln nicht weniger rational als individuelles Handeln (Bader: 29).

Für den Begriff der Gruppe gibt es in den Sozialwissenschaften viele unterschiedliche Bedeutungen. Für Mancur Olson ist eine Gruppe „eine Anzahl von Personen mit einem gemeinsamen Interesse.“ (Olson: 7) Grundsätzlich lässt sich sagen, dass jede Gruppe durch mindestens zwei Grenzen definiert wird: eine so genannte inklusive Grenze, mit der sich die Gruppe selbst von der Umwelt bewusst abgrenzt und die exklusive Grenze, die von der Umgebung gegen die Gruppe gesetzt wird. Durch diese von außen gesetzte Grenze können den Mitgliedern bestimmte Rechte, Ressourcen oder der Zugang zu bestimmten Positionen verwehrt werden (Banton: 478 in Esbach: 104).

Als Kollektivgut (oder auch Gemein- oder öffentliches Gut) definiert Olson jedes Gut, „das den anderen Personen in einer Gruppe praktisch nicht vorenthalten werden kann, wenn irgendeine Person X in einer Gruppe es konsumiert.“ (Olson: 13) Hierbei ist wichtig, dass die meisten Kollektivgüter nur bezüglich einer bestimmten Gruppe definiert werden können und dass dieses Gut denjenigen, die von diesem Kollektivgut weder etwas kaufen noch dafür bezahlen, sein Konsum nicht verwehrt werden kann (Olson: 13). Demnach zeichnet sich ein Kollektivgut also durch zwei Eigenschaften aus: Die so genannte Gemeinsamkeit der Versorgung, d.h. das der Konsum einer Person die verfügbare Menge der anderen nicht reduziert, und die Unmöglichkeit des Ausschlusses, wonach es nicht möglich ist, gewisse Mitglieder der Gruppe vom Konsum auszuschließen (Hardin: 17 in Esbach: 34).

Der Begriff des Kollektivgutes ist deshalb von Bedeutung, da die Bereitstellung von öffentlichen oder Kollektivgütern die grundlegende Funktion von Organisationen darstellt. Laut Olson sind Kollektivgüter die charakteristische Leistung von Organisationen, denn „dort wo es um gemeinsame Zwecke oder Kollektivgüter geht, ist Organisations- oder Gruppenhandeln unerlässlich.“ (Olson: 15)

2.2 Kollektives Handeln in der Rational Choice-Theorie

Die Grundannahme der Rational Choice-Theorie lautet, dass soziales Verhalten und soziale Phänomene auf der Basis des Konzeptes eines rational handelnden, nutzenmaximierenden Menschen erklärt werden können (Esbach: 2). Von rationalem Verhalten spricht man im Allgemeinen, wenn ein Akteur zur Erreichung eines Ziels die aufgrund sachlicher Überlegungen am besten geeigneten Mittel auswählt. Dabei berücksichtigt dieser seine Präferenzen und die vorliegenden Restriktionen und wählt diejenige Handlungsalternative aus, die seinen Nutzen maximiert (Harsanyi: 8 in Esbach: 19). Zusammenfassend lassen sich folgende drei grundlegende Merkmale der Rational Choice-Theorie hervorheben: Die Analyseeinheit ist das Individuum, die Entscheidungssituation des Individuums wird durch dessen Präferenzen und Restriktionen definiert und die Individuen versuchen, ihren Nutzen zu maximieren (Esbach: 11).

In der folgenden Arbeit steht jedoch nicht individuelles, sondern kollektives Handeln im Vordergrund. Doch auch kollektive Erscheinungen werden auf das Handeln von Individuen zurückgeführt. Laut der Auffassung des so genannten methodologischen Individualismus sind „Erklärungen sozialer Phänomene nur durch das Wissen über Dispositionen, Verhaltensweisen, Haltungen und Interessen von Individuen zu begründen.“ (Lenk: 34 in Esbach: 11) Vor allem Popper betont, dass „wir nie mit einer Erklärung auf Grund sogenannter ‚Kollektive’ zufrieden sein dürfen.“ (Popper: 124 in Esbach: 11)

Kollektives Handeln ist das Merkmal jeder Organisation. Die Mitgliedschaft in einer Gruppe erscheint für das rational handelnde Individuum dann sinnvoll, wenn es durch diese Mitgliedschaft Vorteile oder ein Gut erlangt, die bzw. das es ohne die Mitgliedschaft nicht bekommen hätte (Hechter: 10 in Esbach: 103).

In seinem Buch „Logik kollektiven Handelns“ befasst sich Mancur Olson mit genau diesem kollektiven Handeln innerhalb von Organisationen. Dabei geht er von einer Kritik an der traditionellen bzw. klassischen Gruppentheorie aus.

2.3 Mancur Olsons Kritik an der „Klassischen“ Gruppentheorie

Obwohl es nicht nur eine einzige „klassische“ Gruppentheorie gibt, sondern unterschiedliche Ansichten entwickelt wurden, ist es laut Olson dennoch zulässig, von einer einzigen traditionellen Theorie zu sprechen (Olson: 16). Diese klassische Gruppentheorie besagt laut ihm in ihrer elementarsten Form, dass private Organisationen und Gruppen allgegenwärtig sind und dadurch auf eine grundlegende menschliche Neigung, Verbände zu bilden und ihnen beizutreten, geschlossen werden kann. Die formalere Richtung dieser Theorie geht indes nicht mehr von diesem „Instinkt“, sich einer Gruppe anzuschließen, aus, sondern versucht die Gruppenbildungen der heutigen Zeit als Folge der Entwicklung der modernen Industriegesellschaften zu erklären. Hierbei wird eine zunehmende Differenzierung gegenüber den früheren „primitiven“ Gesellschaften als Ursache verstanden (Olson: 16f.). Der Hauptkritikpunkt, den Olson als Grundlage für seine von ihm entwickelte „Logik kollektiven Handelns“ einsetzt, bezieht sich auf die Unterscheidung zwischen großen und kleinen Gruppen. Da die traditionelle Gruppentheorie annimmt, dass sich kleine und große Gruppen im Umfang der übernommenen Funktionen, nicht aber in ihrem Wesen unterscheiden, kann diese Theorie laut ihm nicht als vollständig angesehen werden. Für ihn bleibt unentdeckt, dass verschieden große Gruppen auch Unterschiede im Erfolg und bei der Fähigkeit, Mitglieder zu gewinnen, aufweisen (Olson: 19). Olson stellt somit in Frage, ob es wirklich stimmt, dass kein Zusammenhang zwischen der Gruppengröße und ihrem Zusammenhalt, ihrer Wirksamkeit oder ihrer Anziehungskraft auf potentielle Mitglieder besteht. Ebenfalls untersucht er, ob sich ein Zusammenhang zwischen der Gruppengröße und dem Anreiz für den Einzelnen, zur Erreichung der Gruppenziele beizutragen, feststellen lässt (Olson: 20). Genau an diesem letzten Punkt möchte ich in meiner Arbeit ansetzen und erläutern, warum eine Erweiterung der EU nicht nur Vorteile mit sich bringt.

Insgesamt lässt sich also laut Olson feststellen, dass sich mit zunehmender Gruppengröße auch das Wesen einer Gruppe verändert. Wie Olson diese Annahme begründet und zu welchem Schluss er dadurch kommt, soll nun im Folgenden genauer dargestellt werden.

3 Mancur Olsons „Logik des kollektiven Handelns“

3.1 Kernaussagen der Theorie

Aufbauend auf der eben vorgestellten Kritik an der klassischen Gruppentheorie, veröffentlichte Mancur Olson 1965 sein Buch „The Logic of Collective Action“. Darin stellt er fest, dass sich in modernen Gesellschaften verschiedene Interessengruppen bilden, um ihren Mitgliedern Kollektivgüter bereitzustellen. Ein typisches Beispiel für eine derartige Interessensgruppe stellt z.B. eine Gewerkschaft dar, in der sich verschiedene Arbeitnehmer zusammenschließen, um einen höheren Lohn oder weniger Arbeitszeit durchzusetzen (Faust in Inwent). Auch die Europäische Union lässt sich als eine derartige Interessensgruppe verstehen, die ihren Mitgliedern Kollektivgüter beschaffen will, worauf ich jedoch erst später genauer eingehen werde.

Bei Olson steht die Organisation im Vordergrund (Pies: 2). Er bezeichnet den Zweck von Organisationen als logischen Ausgangspunkt einer systematischen Untersuchung, da der Zweck, die Interessen der Mitglieder zu fördern, bei allen noch so unterschiedlichen Organisationen zu finden sei. Die Interessen, die von all den verschiedenen Arten von Organisationen vertreten werden sollen, sind größtenteils gemeinsame Interessen: „Obwohl Organisationen oft auch rein persönlichen, individuellen Interessen dienen, besteht ihre charakteristische und primäre Funktion doch darin, die einer Gruppe von Individuen gemeinsamen Ziele zu fördern.“ (Olson: 6) Hierbei nimmt er Bezug auf Arthur Bentley, der ebenfalls zu dem Ergebnis kam, dass „es keine Gruppe ohne Interesse“ gibt (Bentley: 211 in Olson: 7).

Wichtig hierbei ist jedoch, dass Individuen, auch wenn sie sich rational verhalten, ihr Verhalten nicht zwingend auf das gemeinsame Gruppeninteresse richten: „Die Vorstellung, dass Gruppen von Individuen so handeln, dass sie ihre gemeinsamen oder Gruppeninteressen erreichen, ist keineswegs eine logische Folge der Annahme, dass die Einzelnen in einer Gruppe rational ihre individuellen Interessen verfolgen, sondern ist im Gegenteil mit dieser Annahme unvereinbar.“ (Olson: 2) Das Problem, das hier auftritt, lässt sich dadurch erklären, dass jedes kollektive Vorhaben „auf einem Minimum von Integration von Verhaltensweisen von Individuen und Gruppen, kurz: der betroffenen sozialen Akteure [beruht], die jeder für sich unterschiedliche oder sogar widersprüchliche Ziele verfolgen.“ (Friedberg: 11) Olson behauptet auch, dass nicht alle Interessensgruppen über die gleichen Fähigkeiten zur Erreichung ihres Zieles verfügen. Er zeigt, dass sich die Interessen kleiner Gruppen wesentlich stärker durchsetzen lassen als die Interessen großer Gruppen. Den Grund sieht er darin, dass große Gruppen schwieriger zu gemeinsamen (kollektivem) Handeln zu bewegen sind als kleine Interessensgruppen (Faust in Inwent). Er betont, dass bei kollektivem Handeln umso mehr Probleme auftreten, je mehr Mitglieder zur Gruppe gehören (Pies: 3).

[...]

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Details

Titel
Ist eine große EU wirklich der beste Weg für die Durchsetzung europäischer Interessen?
Untertitel
Kollektives Handeln über nationale Grenzen hinaus - Die Rational Choice Theorie von Mancur Olson am Beispiel der EU
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Rational Choice-Hauptseminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V75902
ISBN (eBook)
9783638738552
ISBN (Buch)
9783638738743
Dateigröße
486 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Durchsetzung, Interessen, Rational, Choice-Hauptseminar
Arbeit zitieren
Michaela Baumann (Autor:in), 2007, Ist eine große EU wirklich der beste Weg für die Durchsetzung europäischer Interessen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75902

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