Realität und Utopie: Das Frauenbild in der Sowjetunion und die Darstellung der Frau auf politischen Plakaten in der Zeit von 1917–1933


Seminararbeit, 2007

44 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Frauenpolitik nach der Oktoberrevolution
2.1. Die Frau in der Stadt
2.2. Die Frau auf dem Land
2.3. Die Befreiung der Frau

3. Plakate – Propaganda wider Realität
3.1. Die Frau auf Plakaten in der SU
3.2. Die Arbeiterin in der Rolle der Assistentin
3.3. Die Bäuerin – Sündenbock und Heldin

4. Schluss

5. Quellen- und Literaturverzeichnis
5.1. Quellen
5.2. Monographien
5.3. Artikel
5.4. Internet

1. Einleitung

Die Frau hat in der russischen bzw. sowjetischen Geschichte einen besonderen Patz. Sie wurde Jahrhunderte lang in einer patriarchisch dominierten Welt unterdrückt und als willenloses Wesen zweiter Klasse behandelt. Die schlagartige Umformung der Gesellschaft, die mit der Revolution von 1917 einherging, trieb die Sowjetischen Frauen und Männer nahezu über Nacht in ein rechtlich und institutionell radikal verändertes Rahmensystem. Die Umformung der sozialen Verhaltensweisen ließ sich nicht so kurzfristig erzwingen und war ein zeitintensives und schwieriges Unterfangen. Die weitgreifenden politischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen nach der Revolution hatten unmittelbaren Einfluss auf die Frau in der sowjetischen Gesellschaft. Die Veränderungen, die nicht nur uneingeschränkte Verbesserungen brachten, betrafen die sowjetisch Frau in den urbanen Zentren ebenso wie die Frau auf dem Land. Dorothy Atkinson drückt den Umstand folgendermaßen aus: “accidents of history have created unanticipated new problems; and some old problems have turned out to be unexpectedly resistant to solution”[1]

Die veränderte Rolle der Frau in der Sowjetunion in Gegensatz zu jener, die sie im imperialen Russland hatte, soll im Folgenden zum Thema gemacht werden. Das Ziel des Sowjetregimes war die Erziehung eines "neuen Menschen", d.h. eines Wesens, das völlig losgelöst ist von den alten Strukturen des Staates, der Gesellschaft, der Religion und das tauglich für die Umsetzung der kommunistischen Ideale wäre. Propaganda diente zur Verwirklichung dieser Ziele und war ein wesentliches Merkmal des Sowjetstaates (wie auch anderer totalitärer Staaten) und wurde in allen Lebensbereichen sehr stark eingesetzt. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frau in der sowjetischen Gesellschaft und der Darstellung der Frau auf Plakaten zu dieser Zeit. Dabei ist es interessant, die Kluft aufzuzeigen, die sich zwischen der realen Situation der Frau und der vom Regime auf Propagandaplakaten gezeichneten erkennen lässt.

Die Emanzipation der Frau war ein entscheidender Aspekt in der marxistischen Ideologie. Sie thematisierte offen die zweifache Unterdrückung, die die Frau, besonders die Proletarierin, erfuhr: Zum einen die Unterdrückung Aufgrund ihres Geschlechts, was alle Frauen betraf. Zweitens, die Unterdrückung als Arbeiterin durch die Kapitalisten. Außerdem sollten die Frauen unbedingt in den revolutionären Kampf eingebunden werden - nicht nur ihrer Emanzipation wegen, sondern um den vollen Erfolg der proletarischen Revolution zu gewährleisten.[2] So erkannte es bereits Lenin 1921:

“You cannot draw the masses into politics without drawing in the women as well. For under capitalism the female half of the human race is doubly oppressed. The working woman and the peasant woman are oppressed by capital, but over and above that, even in the most democratic of the bourgeois republics, they remain, firstly, deprived of some rights because the law does not give them equality with men; and secondly—and this is the main thing—they remain in ‘household bondage’, they continue to be ‘household slaves’, for they are overburdened with the drudgery of the most squalid, backbreaking and stultifying toil in the kitchen and the family household.”[3]

Gesetze, die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau schaffen sollten, wurden erlassen. Die Ehe wurde reformiert. Frauen wurden als wichtige Arbeitskraft entdeckt und trugen mit ihrer Arbeit in den Fabriken der neu entstehenden Industrie zum Fortkommen des neuen Regimes in einem großen Maße bei. Auf dem Land hatten die Frauen mit massiven sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen und Entwurzelung in Folge der Zwangskollektivierung zu kämpfen.

Der erste Teil dieser Arbeit wird sich mit diesen weitgreifenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, mit denen sich die Frauen in der frühen Sowjetunion konfrontiert sahen, beschäftigen. Der Zweite Teil der Hausarbeit wird sich, in Kombination mit den Erkenntnissen, die in Teil Eins herausgearbeitet wurden, mit den politischen Plakaten in der Sowjetunion von der Oktoberrevolution bis 1933 befassen. Ziel ist die Analyse und ansatzweise Interpretation der speziellen Ikonographie der frühen sowjetischen Plakate. Hierbei wird die Erforschung der dargestellten Inhalten, insbesondere die Entschlüsselung von Symbolen und Allegorien, in den Vordergrund gerückt. Die Darstellung der Frau auf Plakaten stellt hierbei ein besonders interessantes Forschungsobjekt dar, weil sich in ihr die veränderliche und oft zwiespältige Haltung der Sowjetregierung widerspiegelt. Klassenzuschreibungen und Geschlechterrollen sind Schlüsselbegriffe, die betrachtet werden müssen. Die Plakate werden hinsichtlich ihrer sozial- und familienpolitischen Relevanz betrachtet. Die mögliche Rezeption durch die zeitgenössischen BetrachterInnen soll genauso berücksichtigt werden wie die Verschiebungen, die sich hinsichtlich der Intension der Plakate feststellen lassen. Diese Veränderung in der Aussage lässt sich besonders gut anhand von politischen Plakaten, die die Landwirtschaft bzw. deren Kollektivierung abbilden, ablesen. Die Darstellung der Bäuerin zur Zeit der Zwangskollektivierung, die eine drastische Zäsur der Landbevölkerung darstellte, wird daher einen großen Teil der Analyse einnehmen. Vor der Bäuerin soll das Motiv der Arbeiterin besprochen werden, da dieses auch zeitlich vor dem der Bäuerin erstmals erschien.

Bei der Erstellung dieser Arbeit wurden zahlreiche Werke, Zeitschriftenartikel und Monographien in Auszügen verwendet, die sich mit dem Thema Frauen in der Sowjetunion beschäftigen. Die Plakate standen als Reproduktionen in Monographien oder auch im Internet zur Verfügung. Bei der Vielzahl an Postern, die die Regierung der UdSSR während ihrer Herrschaft veröffentlicht hat, war es schwer eine Auswahl zu treffen. Es wurde versucht repräsentative und interessante Exemplare auszuwählen. Bei der Erforschung der sowjetischen Plakatkunst sind Stephen White und Victoria Bonnell, die sich im Besonderen mit der Darstellung der Frau beschäftigt, besonders hervorzuheben. Sie lieferten umfangreiches Material auf das sich diese Arbeit stützt.[4]

2. Frauenpolitik nach der Oktoberrevolution

Ehe und Familie waren die entscheidenden Parameter, die das Leben der Frau seit dem 10. Jahrhundert prägten.[5] Seit dieser Zeit erfuhr die Frau in der russischen Gesellschaft Unterdrückung und wurde nicht als vollwertiger Mensch wahrgenommen, wie ein russisches Sprichwort sehr gut zum Ausdruck bringt.“Kuritsa ne ptitsa I zhenshchina ne chelovek“ bedeutet soviel wie: Ein Huhn ist kein Vogel, eine Frau kein Mensch.[6] Frauen waren Männern rechtlich nicht gleichgestellt. Egal ob verheiratet oder nicht, sie hatten, solange noch ein männliches Familienmitglied lebte, nicht einmal das Recht zu erben. Lediglich die Aussteuer durften sie ihr eigen nennen.[7]

Erstmals kam es im 18. Jahrhundert zu merklichen Verbesserungen des sozialen Status der Frau. Doch der wahre Durchbruch kam erst im 20. Jahrhundert. Die revolutionären Führer, die die Errichtung des neuen Sowjetstaates im Oktober 1917 ausriefen, versprachen eine radikale soziale Transformation, die den Frauen völlige wirtschaftliche, politische und familiäre Gleichberechtigung bringen sollte. Ihre Bemühungen, den Frauen ökonomische und politische Funktionen und Aufgaben zukommen zu lassen und die Beziehungen zwischen Familie und Staat neu zu definieren sind die frühesten und gleichzeitig auch tief greifenden Versuche den sozialen Status der Frau zu heben. Gleich in den ersten Monaten verkündete die junge Regierung “new legal and civil codes that extended full citizenship to women and proclaimed their equality in economic, political, and family life.”[8]

2.1. Die Frau in der Stadt

Von Anbeginn der Industrialisierung in Russland haben Frauen an der nicht-landwirtschaftlichen Produktion teilgenommen, wenngleich zu Beginn der Jahrhundertwende in Russland nur ein kleiner Prozentsatz der Frauen in Beschäftigungen tätig war, die man im weitesten Sinn als Arbeit, die für Staaten mit entwickelter industrieller Struktur typisch sind, qualifizieren würde.[9] Die meisten Frauen, die einer Fabrikarbeit nachgingen, waren in der Textilindustrie beschäftigt. “Women were scarcely present in the metalworking industries.”[10] Die Anzahl der arbeitenden Frauen nahm stetig zu und die Arbeitsbedingungen waren erbärmlich. Wie in europäischen Frühkapitalismus waren auch Nachtarbeit und zwölf- bis vierzehnstündige Arbeitstage die Regel.[11] Die kleinsten Vergehen wurden mit Lohnkürzungen geahndet.[12]

Die Bolschewisten erließen noch 1917 Gesetzte, die den Achtstundentag und das Verbot unterirdischer Arbeit für Frauen verfügten und ein Minimaleinkommen „ohne Geschlechterunterschied“ festlegte. Gesundheitsvorsorge, Krankenversorgung und Mutterschutz waren ausgebaut worden. „Jede Frau bekam eine einmalige Geburtenbeihilfe und ihren vollen Lohn während einer Karenzzeit von acht Wochen vor bis acht Wochen nach der Geburt ausbezahlt. Zusätzlich wurden Arbeitspausen, alle drei Stunden nicht weniger als eine halbe Stunde, für das Stillen der Kinder am Arbeitsplatz vorgesehen.“[13] Doch wie Lapidus feststellt: “[…] though women participate[d] widely in the labor force and in public affairs they do not hold positions of responsibility and status in proportion to their numbers. In political as in economical life, the higher the level of authority the fewer the women one finds.”[14] In der Arbeitswelt erlangten die Frauen zunehmend eine Art Gleichberechtigung, doch in das Zentrum der Macht konnten sie nicht vorstoßen. Das blieb auch weiterhin dem männlichen Teil der Bevölkerung vorbehalten.

Trotz der neuen Gesetze erhielten Frauen meistens weniger Lohn als Männer, denn sie waren überwiegend ungelernt und wurden eingestellt, um Hilfsarbeiten zu verrichten. Die Mechanisierung der Industrie war in diesem Prozess ein entscheidender Faktor, weil nun teuere Facharbeiter durch billigere weibliche, ungelernte Kräfte zu ersetzen werden konnten.

Die rasant steigende Anzahl der weiblichen Arbeiterschaft war nicht nur mit der neuen Gesetzgebung und der Nachfragen nach billigen Arbeitskräften zu begründen, sondern auch mit einem Männermangel, mit dem Russland zu kämpfen hatte. Die Verluste aus dem Ersten Weltkrieg machten sich hier genauso bemerkbar wie später in den Jahren zwischen 1930 und 1937 die Erhärtung des Problems durch die Kollektivierung, wobei Männer weitaus häufiger dem Terror der Zwangsvollstreckung zum Opfer fielen als Frauen. So kam es, dass rund 82% aller neu angestellten Arbeiter zwischen 1932 und 1937 Frauen waren.[15] Es darf aber keineswegs der Eindruck entstehen, es hätte eine Vollbeschäftigung für Frauen bestanden. Viele fanden, gerade weil sie ungelernt und ungebildet waren, gerade zur Zeit der NEP (Neue Ökonomische Politik) keinen Job.[16] Durch Arbeitslosigkeit, Hunger und fehlende soziale Absicherungen wurden viele Frauen in die Prostitution gedrängt. Prostitution “was a serious problem in Russia, but seldom discussed in official propaganda” meint Brovkin.[17] Es gibt aber durchaus Fälle, wo Prostitution, die weitaus häufiger vorkam als man meinen könnte und Frauen aller sozialen Schichten zu finden waren, in der Sowjetpropaganda thematisiert wird.[18],[19] Der eng gesteckte Rahmen lässt es nicht zu, diese hier zu diskutieren.

2.2. Die Frau auf dem Land

Was für die Frau in der Stadt zutrifft, kann man nicht uneingeschränkt auf ihre Schwester in Dorf übertragen. Im 19. Jahrhundert wussten viele Bauern noch nicht einmal, dass es in der Welt noch andere Völker und Herrscher gab, und wollten es auch nicht glauben. „Unter diesem Aspekt lässt sich auch zweifeln, dass die Forderungen nach Emanzipation der Frau für das Gros der russischen Bauern, und speziell auch für deren weiblichen Teil, mehr als bloß sehr abstrakte Bedeutung hatten.“[20] Und dennoch veränderte sich auch ihr Leben in erheblichem Maße.

Die Bauern lebten in Großfamilien und waren auch auf diese Art des Zusammenhalts angewiesen. Das Familienleben wurde dabei weitgehend von der russisch-orthodoxen Kirche bestimmt. Zu den Aufgaben der Frau gehörten: die Kindererziehung, die Betreuung des Ofens, Wasser zu holen, Essen zu zubereiten, das Vieh zu füttern und zu melken, die Ernte, den Gemüsegarten zu betreuen und Pilze und Beeren zu sammeln. Im Allgemeinen war die Feldarbeit dem Mann überlassen aber in den aufgrund der kurzen Wärmeperiode arbeitsintensiveren Sommermonaten, war die Frau auch dort anzutreffen.[21] Wie das 1919 gegründete sowjetische Frauenministerium, Zhenotdel, feststellte, „lebten die Bäuerinnen unter extrem schweren Bedingungen. Sie müssen Prügel von ihren Ehemännern ertragen. Frauen, die an den Dorfversammlungen oder Parteiarbeit teilnehmen, werden verhöhnt. Sie sind fest in der Hand von Aberglaube, Vorurteilen und Dunkelheit.“[22] Das Hauptaugenmerk des Zhenotdel lag im Folgenden darauf, die Frauen zu ermuntern an Dorfsowjetwahlen und Versammlungen teilzunehmen und für die Mitgliedschaft im Komsomol zu werben. Die Mission der Bolschewisten war es die „rückständigen weiblichen Massen“ zu erleuchten, ihre Abergläubigkeit zu überwinden, die männliche Vorherrschaft zu brechen und sie näher an die Partei zu binden.[23] Doch die Frauen „[…]in the rural soviets not only failed to follow the Communists’ lead, grateful for their liberation, but turned into the most articulate, fearless, and vociferous opposition.“[24]

Die Interaktionen zwischen den Bäuerinnen und der bolschewistischen Regierung ist eine endlose Handlungskette von rational abgewogenen Entscheidungen. Die Bäuerin war nicht im Geringsten so rückständig und abergläubig wie sie dargestellt wurden. Die Frauen traten Organisationen bei und waren in den Dorfversammlungen vertreten. Doch lediglich in jenen, welche ihre Anliegen betrafen oder vertraten. Doch sie bleiben auch weiterhin der Partei und speziell dem Komsomol, weil besonders hier der Verfall von Sitten und Moral vermutet wurde, fern.[25]

2.3. Die Befreiung der Frau

Die größte soziale Veränderung in der unmittelbaren nachrevolutionären Zeit erfuhr das gesellschaftliche Konstrukt der Familie. Sie wurde als die Verkörperung zaristischer Tradition und Träger konterrevolutionärer Werte betrachtet und gleichzeitig verachtet. Die Politik der Sowjets zielte darauf die Bedeutung der Familie in der Gesellschaft zu zerstören. Dies versuchten die Kommunisten, indem sie die religiösen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sexuellen Bindungen, die die Familie zusammen hielten, schwächten, und die Frau aus ihrer vorgeschriebenen Rolle als Mutter und Hausfrau herauslösten. Letzteres begründeten die Bolschewisten mit ihrer Unterscheidung von produktiver und nicht produktiver Tätigkeiten, die sich auf Marx zurückführen lässt. Kindererziehung und Hausarbeiten wie Kochen wurden als nicht produktiv kategorisiert und mussten in den Augen der Kommunisten an öffentliche Institutionen übertragen werden, um die produktive Arbeitskraft der Frauen freizusetzen und der Gesellschaft zuzuführen.[26] So schreibt Lenin anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März 1921 in der Prawda: “The second and most important step is the abolition of the private ownership of land and the factories. This and this alone opens up the way towards a complete and actual emancipation of woman, her liberation from “household bondage” through transition from petty individual housekeeping to large-scale socialised domestic services.”[27] So wurde die Einführung der Zivilehe 1917 begründet. Sie und die Ehegesetze von 1918 lösten die formale Bedeutung der familiären Bindung. Die Eheschließung, für die eine Eintragung in das standesamtliche Register genügte, wurde zur reinen Formsache. Für eine Annullierung reichte die Mitteilung eines Ehegatten an den anderen über die Absicht, die Ehe zu lösen. Uneheliche Kinder wurden ehelichen komplett gleichgestellt.“[28] So unkompliziert und modern diese Gesetzgebung anmutet, für viele Frauen barg sie größere Probleme als Vorteile. Mit der teilweisen Wiederherstellung der Privatwirtschaft zu Zeiten der NEP stieg die Frauenarbeitslosigkeit. Denn im Gegensatz zum Kriegskommunismus der Jahre zuvor entfielen nun die Arbeitspläne und Lebensmittelrationierungen für eine große Anzahlt von Menschen. 70% der Betroffenen, die durch die teilweise Wiederherstellung des freien Marktes ihren Arbeitsplatz während der NEP verloren, waren Frauen. Denn sie gehörten zu den am wenigsten ausgebildeten Arbeitskräften. Für Frauen, die ihre Zivilehe nicht hatten registrieren lassen, oder aber deren Männer sich nun kurzfristig und unkompliziert auf Grund der Arbeitslosigkeit von ihnen scheiden ließen, war die Situation prekär und keineswegs fortschrittlich.[29] In die bis 1920 trotz Wirtschaftskrise neu eröffneten 600 Kindergärten, Mutterhäuser, Beratungsstellen und Milchküchen konnte zur NEP Zeit nicht weiter investiert werden. Viele von den Einrichtungen mussten geschlossen werden und damit verschärfte sich die Lage der Frauen noch weiter.[30]

Als eine weitere wichtige Aufgabe sahen die Bolschewisten die Alphabetisierung der Bevölkerung und insbesondere der Frauen. Wie wichtig Bildung für die Teilnahme am politischen Leben war, betonte Lenin in seiner Rede zum Internationalen Frauentag 1921:

“As regards the second enemy, illiteracy, I can say that so long as there is such a thing as illiteracy in our country it is too much to talk about political education. This is not a political problem; it is a condition without which it is useless talking about politics. An illiterate person stands outside politics; he must first learn his ABC. Without that there can be no politics; without that there are rumours, gossip, fairy-tales and prejudices, but not politics.”[31]

[...]


[1] Atkinson (1977): “Society and the Sexes in the Russian Past.” S. 37 –38.

[2] Mehr zu den Verbindungen zwischen dem Marxismus und der Frauenbewegung bei Meyer: “Marxism and the women’s Movement.” S. 85 - 112.

[3] Lenin’s Collected Works, Bd. 32, S. 161-163.

[4] White (1988): The Bolshevik Poster.

[5] Atkinson (1977), S. 35.

[6] Glickman (1977), S. 63.

[7] Ebd., S. 63f.

[8] Lapidus (1977), S. 115.

[9] „1897 arbeiteten nur 19% der Frauen im arbeitfähigen Alter nicht im Kreise der eigenen Familie, 55% von ihnen als Dienstmädchen, 25% als Tagelöhnerinnen bei Gutsherren und Kulaken und nur 13% in Industrie- und Bauwesen und 4% im Gesundheits- und Bildungswesen.“ Füllsack (1996), S. 26.

[10] Glickman (1977), S. 67.

[11] Frauen in der Industrie: 1928: 2,8 Mio., 24,6%; 1932: 6,5 Mio., 31,3%; 1937: 9,4 Mio., 35,4%; 1960er: 50%; gefunden bei Füllsack (1996), S. 44.

[12] Ebd., S. 31.

[13] Ebd., S. 45.

[14] Lapidus (1977), S. 116.

[15] Ebd. S. 125 und vgl. Sacks (1977), S. 190.

[16] Die NEP, ein wirtschaftliches Konzept gekennzeichnet durch die Liberalisierung des Handels und der Landwirtschaft, wurde von Lenin 1921 eingeführt und von Stalin mit dem Ersten Fünfjahresplan 1928 wieder abgeschafft.

[17] Brovkin (1998), S. 145.

[18] Brovkin (1998),gibt an: “By social origin, they [die Prostituierten] were 7 percent former noble ladies, 12 percent former townswomen, and 80 percent of proletarian and peasant origin. Over 40 percent of them had practiced their trade for over two years.”, S. 145.

[19] Vgl. Bernstein (1998): “Envisioning Health in Revolutionary Russia: The Politics of Gender in Sexual-Enlightenment Posters of the 1920s.” und Waters, E. (1999): “Victim or Villain: prostitution in postrevoluionary Russia.” S. 160 - 177.

[20] Füllsack (1996), S. 33.

[21] Ebd., S. 27-29.

[22] Bovkin (1998), S. 135.

[23] Ebd., S. 135.

[24] Ebd., S. 136.

[25] Ebd., S. 141.

[26] Vgl. Lapidus (1977), S. 130.

[27] Lenin’s Collected Works, Bd. 32, S. 161-163.

[28] Füllsack (1996), S. 40. und Farnsworth (1977), S. 140-141.

[29] Farnsworth (1977), S. 141 und Bovkin (1998), S. 139.

[30] Füllsack (1996), S. 40.

[31] Lenin’s Collected Works, 2nd Bd. 33, s. 60-79.

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Realität und Utopie: Das Frauenbild in der Sowjetunion und die Darstellung der Frau auf politischen Plakaten in der Zeit von 1917–1933
Hochschule
Universität Leipzig  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Revolution als Kultur: Kultureller Wandel und Selbstinszenierung des bolschewistischen Russland 1917-1930er Jahre.
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
44
Katalognummer
V75455
ISBN (eBook)
9783638812528
ISBN (Buch)
9783638814003
Dateigröße
1126 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Realität, Utopie, Frauenbild, Sowjetunion, Darstellung, Frau, Plakaten, Zeit, Revolution, Kultur, Kultureller, Wandel, Selbstinszenierung, Russland, Jahre
Arbeit zitieren
Claudia Krobitzsch (Autor:in), 2007, Realität und Utopie: Das Frauenbild in der Sowjetunion und die Darstellung der Frau auf politischen Plakaten in der Zeit von 1917–1933, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75455

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Realität und Utopie: Das Frauenbild in der Sowjetunion und die Darstellung der Frau auf politischen Plakaten in der Zeit von 1917–1933



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden