Modellierung des Recovery–Risikos im Rahmen des Ein-Faktor-Kreditrisikomodells nach Basel II


Diplomarbeit, 2007

73 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

1 Grundlagen und Begriffsdefinition
1.1 Risikoparameter und erwarteter Verlust
1.2 Unerwarteter Verlust
1.2.1 Ökonomisches Kapital
1.2.2 Verlustverteilung des Kreditportfolios
1.3 Messung von Verlustquoten
1.4 Bedeutung des Recovery-Risikos für das Risikomanagement

2 Modellierung des Recovery-Risikos
2.1 Modelltheoretischer Hintergrund
2.1.1 Der Unternehmenswertansatz nach Merton
2.1.2 Klassische Ein-Faktor-Modellierung
2.2 Das Ein-Faktor-Modell mit systematischem Recovery-Risiko
2.2.1 Modellbeschreibung
2.2.2 Modellanalyse
2.2.3 Beruücksichtigung des Besicherungsgrades
2.3 Kritische Würdigung des erweiterten Ein-Faktor-Modells

3 Ergebnisse empirischer Untersuchungen zum Recovery-Risiko
3.1 Zusammenhang zwischen Ausfallrisiko und Recovery-Risiko
3.2 Empirische Erkenntnisse zu weiteren Zusammenhüngen

4 Bankenaufsichtsrechtliche Behandlung des Recovery-Risikos
4.1 Grundzüge der internationalen Bankenaufsicht
4.2 Ermittlung der regulatorischen Eigenkapitalanforderung
4.3 Kritik an der Behandlung des Recovery-Risikos nach Basel II

Schlussfolgerung und kritische Wurdigung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1.1 Forderungshöhe, Recovery und Verlust bei Ausfall

1.2 Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion der Verluste und Risikogrößen

2.1 Recovery aus Sicht des Fremdkapitalgebers im Merton-Modell

2.2 Verteilung des Unternehmenswertes im Merton-Modell

2.3 Verteilung des Kreditportfolios bei bedingter und unbedingter Aus­falldefinition

2.4 Wahrscheinlichkeitsdichten der bedingten erwarteten Verlustquote

3.1 Vierteljöhrliche mittlere Recovery- und Ausfallraten för die Jahre 1971 bis 1999 (Hu und Perraudin, 2002)

3.2 Empirische Höufigkeitsverteilung der Verlustquote bei Ausfall, bis 1999 (Araten, Jacobs und Varshney, 2004)

1.1 Recovery-Masterskalen privater Ratingagenturen

2.1 Ausfallereignis und Auszahlungsprofil im Merton-Modell

2.2 Zusammenhänge zwischen Ausfallwahrscheinlichkeit und Recovery­Rate im Merton-Modell

3.1 Ausgewählte Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse nach Alt­man et al. (2005)

3.2 Erwartete Ausfall- und Verlustquoten in einer wirtschaftlichen Re­zession (nach Frye, 2000b)

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

Moderne Risikosysteme zur Quantifizierung von Kreditrisiken basieren größtenteils auf Modellen, denen im Wesentlichen drei Risikoparameter zu Grunde liegen. Diese sind die Ausfallwahrscheinlichkeit (Probability of Default, PD), der Forderungswert bei Ausfall (Exposure at Default, EAD) sowie die Verlustquote bei Ausfall (Loss Given Default, LGD). Die Bemöhungen, möglichst angemessene Modellierungsme­thoden zu entwickeln, haben sich in der Vergangenheit allerdings hauptsaöchlich auf den PD-Parameter konzentriert. Dementsprechend existieren inzwischen weit entwi­ckelte Modelle zur Ermittlung von Ausfallwahrscheinlichkeiten und das Ausfallrisiko von Kreditnehmern wird mit einem hohen Maß an Genauigkeit angegeben: So teilen private Ratingagenturen ihre Bonitötsklassifizierungen typischerweise in 16 bis 18 verschiedene Risikoklassen ein.

Die Entwicklung theoretischer Modelle zur Schötzung und Analyse des LGD- Parameters sowie dessen empirische Erforschung befinden sich hingegen in einer vergleichsweise fröhen Phase. Die Verlustquote einer ausgefallenen Forderung gibt das Verhöltnis der Schadenshöhe zum ausstehenden Forderungsbetrag an. Analog dazu dröckt das Konzept der Recovery-Rate aus, welcher Anteil der Forderungs­summe nach einem Ausfallereignis wieder eingebracht werden kann. Das Recovery- Risiko besteht in der Unsicherheit hinsichtlich des Betrages, der dem Kreditgeber nach Abzug des gesamten Verlusts verbleibt.

Die Veröffentlichung der neuen Rahmenvereinbarung „Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und der Eigenkapitalanforderungen“ („Basel II“) durch den Baseler Ausschuss för Bankenaufsicht im Juni 2004 föhrte zu einer spörbaren Intensivierung der Forschungsaktivitäten im Hinblick auf das Recovery-Risiko. Im Zuge von Basel II stieg das Interesse an diesem ehemals wenig beachteten Risiko­parameter deutlich an, so dass inzwischen von allen großen Ratingagenturen erste indikative Recovery-Ratings angeboten werden.

Mit dem Ziel, zur Stabilisierung der Finanzmöarkte beizutragen, wird von ban- kenaufsichtlicher Seite verlangt, dass Kreditinstitute bestimmte Mindestkapitalre­serven zur Absicherung gegen mögliche Verluste vorhalten (regulatorisches Eigen­kapital ). Hierbei wird öblicherweise zwischen den Risikogrößen des erwarteten und des unerwarteten Verlusts unterschieden. Die Hohe des regulatorischen Eigenkapi­tals richtet sich vorrangig nach dem unerwarteten Verlust, also der Schadenshoöhe, die die im Durchschnitt zu erwartende Verlusthohe öbersteigt. Basel II gestattet den von den Regelungen betroffenen Kreditinstituten im Rahmen der auf internen Ratings basierenden Ansätze (IRB-Ansatze) eine selbstständige Parametrisierung der fär die Ermittlung des regulatorischen Eigenkapitals zum Einsatz kommenden Risikosysteme unter bankenaufsichtlicher Kontrolle. Wahrend Kreditinstitute im so genannten Basis-IRB-Ansatz im Wesentlichen den Faktor Ausfallwahrscheinlichkeit selbst schätzen, erstreckt sich die selbststandige Parametrisierung im fortgeschrit­tenen IRB-Ansatz zudem auf die Schätzung von Verlustquoten. Im Gegensatz zu den ausfährlichen Anforderungen fär die Bestimmung des PD-Parameters enthalt Basel II hierzu jedoch lediglich Rahmenvorgaben. Die Aufgabe, diesbezäglich ange­messene Methoden zu entwickeln, äberlässt die Bankenaufsicht somit zu wesentlichen Teilen der Bank- und Finanzwirtschaft.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine kritische Analyse der aktuellen Modellierungs­methodik und der Behandlung des Recovery-Risikos. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt dabei aus zwei Gränden auf dem so genannten Ein-Faktor-Kreditrisikomodell. Zum einen kommt diesem Modell besondere Bedeutung zu, da es die Grundlage fär zahlreiche industrielle Kreditrisikomodelle darstellt und zudem das modelltheoreti­sche Fundament fär die neuen Baseler Eigenkapitalvorschriften bildet. Zum anderen bietet es einen geeigneten Rahmen fär die endogene Ermittlung der Verlustquote bei Ausfall. Bei der Behandlung des Modells liegt der Fokus auf verschiedenen Er­weiterungen, die eine angemessene Beruäcksichtigung des Recovery-Risikos innerhalb des Ein-Faktor-Modells und Basel II ermäglichen. Einen Anhaltspunkt fär die Be­urteilung der Modellierungsmethodik liefern empirische Erkenntnisse, die in dieser Arbeit ebenfalls zusammengestellt werden. Außerdem sollen die bankenaufsichts­rechtlichen Rahmenvorgaben im Hinblick auf die Behandlung des Recovery-Risikos kritisch beleuchtet werden.

Die Arbeit beginnt mit einer einfährenden Begriffsdefinition, gefolgt von einer kurzen Erlauterung der Bedeutung des Recovery-Risikos fär das Risikomanage­ment. Kapitel 2 bildet den Hauptteil der Arbeit. Dort erfolgt die Darstellung des Ein-Faktor-Modells einschließlich einer Einordnung in dessen methodischen Kon­text und einer Beurteilung. Kapitel 3 leistet eine Beschreibung wesentlicher em­pirischer Erkenntnisse zum Recovery-Risiko. Kapitel 4 verschafft dem Leser einen Überblick äber den aufsichtsrechtlichen Rahmen der Thematik und insbesondere äber die in den zweiten Baseler Akkord eingeflossenen Konzepte zur Modellierung des Recovery-Risikos. Am Ende der Arbeit werden die wesentlichen Erkenntnisse in einer Schlussfolgerung zusammengefasst und kritisch gewuärdigt.

Kapitel 1 Grundlagen und Begriffsdefinition

Für die detaillierte Diskussion des Recovery-Risikos in den Kapiteln 2 bis 4 ist es zunüchst erforderlich, einige relevante Begriffe und Konzepte zu definieren und abzugrenzen.

Es folgt zunachst eine Definition der für den verbleibenden Teil der Arbeit rele­vanten Begriffe und Konzepte (Abschnitte 1.1 bis 1.3). Hierbei wird zunüchst auf die im Rahmen des Kreditrisikomanagements verbreitete Unterscheidung zwischen den Risikomaßen des erwarteten und des unerwarteten Verlusts eingegangen.[1] Im Anschluss (Abschnitt 1.4) soll die Bedeutung einer angemessenen Berücksichtigung des Recovery-Risikos für das Risikomanagement herausgestellt werden, um die zu­grundeliegende Motivation dieser Arbeit zu verdeutlichen.

1.1 Risikoparameter und erwarteter Verlust

Ausfall und Ausfallwahrscheinlichkeit (PD) Voraussetzung für das Eintreten eines Verlusts ist der Ausfall des jeweiligen Kreditnehmers. Die gewahlte Ausfalldefinition hat aus diesem Grund einen entscheidenden Einfluss auf den Verlustquotenpara­meter. Einer müoglichst genauen und konsistenten Ausfalldefinition kommt somit sowohl für die qualitative als auch für die quantitative Betrachtung von Verlustquo­ten eine elementare Bedeutung zu. Einer simplifizierenden Definition zufolge gilt ein Kredit als ausgefallen, sobald der Kreditnehmer den vertraglichen Rahmen des Kre­dits durch Nichteinhaltung eines Zahlungstermins verletzt. Ein Kredit wird in der Regel ab einem Zahlungsverzug von mehr als 90 Tagen als ausgefallen betrachtet. Allerdings würde eine strikte Anwendung ausschließlich dieser Regel dazu führen, dass einige Engagements zu spät als ausgefallen klassifiziert würden. Beispielsweise ist eine Situation vorstellbar, in der ein kreditnehmendes Unternehmen Insolvenz anmeldet, der nachste Zahlungstermin aber noch weit in der Zukunft liegt. In einem solchen Fall wüare der drohende Zahlungsverzug des Kreditnehmers zwar offensicht­lich, der Ausfall des Darlehens wuürde aufgrund der engen Ausfalldefinition aber dennoch erst mit zeitlicher Verzögerung festgestellt. Weitere Besonderheiten, wie die Gewöhrung von großzögigeren als den vertraglich vereinbarten Tilgungsfristen, föhren dazu, dass eine einseitige Definition des Ausfallereignisses in Abhängigkeit der Verzugstage nicht ausreichend im Sinne eines anspruchsvollen Risikomanage­ments sein kann. Dementsprechend gilt gemaß der Referenzdefinition des Ausfalls nach Basel II auch die festgestellte Unwahrscheinlichkeit einer vollstöndigen Forde­rungsbegleichung durch den Schuldner als gleichberechtigter Ausfallindikator.[2]

Ausfallwahrscheinlichkeit (PD) Der PD-Parameter beschreibt die Wahrschein­lichkeit, mit der ein Kreditnehmer innerhalb eines festgelegten Zeitraums ausföllt. För die Kalibrierung von Kreditrisikomodellen mit Ausfallwahrscheinlichkeiten exis­tieren grundsatzlich zwei Verfahren: die Ermittlung aus Marktdaten (beispielsweise aus Kredit-Spreads oder öber so genannte Expected Default Frequencies) und die ratingbasierte Ermittlung (unter Verwendung interner oder externer Ratings).[3]

Der för die Ermittlung und Anwendung der Ausfallwahrscheinlichkeit relevante Betrachtungszeitraum betrögt öblicherweise ein Jahr.[4]

Forderungshöhe bei Ausfall (EAD) Die Forderungshöhe bei Ausfall reflektiert das kalkulatorisch relevante Risikovolumen, das für ein Kreditinstitut bezogen auf ei­ne Position gegenöber einem Kreditnehmer besteht. Bei Bargeldforderungen und unveränderlich festgelegter Forderungssumme besteht bei der Schatzung lediglich das Problem des unbekannten Ausfallzeitpunktes, die Bestimmung ist aber in der Regel unproblematisch. Falls die betrachtete Position jedoch offene Kreditzusagen oder einen Unterschied zwischen der Inanspruchnahme eines Kredites und der ein­geräumten Linie zulasst, so besteht eine zusatzliche Unsicherheit hinsichtlich des ausstehenden Forderungsvolumens und es muss eine zusaötzliche Schaötzung des zum Zeitpunkt des Ausfalls in Anspruch genommenen Betrags durchgeföhrt werden.[5] Die EAD ist im Gegensatz zu den öbrigen vorgestellten Risikoparametern keine relative, sondern eine nominale Groöße.

Recovery-Rate (RR) und Verlustquote (LGD) Die Recovery R gibt den Betrag an, der nach dem Ausfall eines Kreditnehmers wieder eingebracht werden kann und setzt sich zusammen aus dem Einbringungserlos RE und dem Verwertungserlös RV :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Einbringungserlös beschreibt den Zahlungsrückfluss, der dem unbesicherten An­teil einer Forderung zuzuordnen ist (zum Beispiel eine teilweise Rückzahlung der For­derung durch den Kreditnehmer). Der Anteil der wieder eingebrachten Summe, der sich auf die Verwertung vom Kreditnehmer eingebrachter Sicherheiten zuröckföhren lösst (beispielsweise der Verkauf einer Immobilie), stellt den Verwertungserlös dar.

Um die Recovery-Rate RR als relatives Maß des wieder eingebrachten Betrags einer ausgefallenen Forderung zu erhalten, wird die Recovery ins Verhöltnis zum Forderungswert bei Ausfall gesetzt:

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Unter der Verlustquote LGD eines ausgefallenen Kreditengagements wird allge­mein das Verhaltnis der Schadenshöhe SEV zum ausstehenden Forderungsbetrag verstanden:

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Die Schadenshohe ist dabei durch den nicht durch die Recovery beschriebenen Teil der Forderungshöhe gegeben: SEV _ EAD — R, so dass die relativen Größen LGD und RR in der Beziehung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

zueinander stehen.

Die Schadenshohe, die för die Bestimmung der Verlustquote zu beröcksichtigen ist, setzt sich aus drei wesentlichen Kategorien zusammen.[6] Diese sind: die Hauptschuld, die Bestandskosten (beispielsweise Kosten der Lagerhaltung oder Grundsteuern för als Sicherheiten verwaltete Immobilien) und die Abwicklungskosten der Forderung (zum Beispiel Prozess- und Eintreibungskosten).

Abbildung 1.1 auf Seite 6 veranschaulicht die durch die Gleichungen (1.1) bis (1.4) beschriebenen Zusammenhönge zwischen Forderungshöhe, Recovery und Scha- denshöohe.

För die Messung des LGD anhand beobachteter Verlustdaten existieren im We­sentlichen drei unterschiedliche Konzepte: der Mark-to-Market-Ansatz, das Konzept des Workout-LGD, sowie die implizite Markt-Verlustquote. Eine Beschreibung dieser Konzepte erfolgt in Abschnitt 1.3.

Erwarteter Verlust Ein Kreditinstitut bildet bei der Vergabe eines Kredits in der Regel eine Ruöckstellung, um sich gegen moögliche Verluste aus dieser Position ab­zusichern. Die Hohe dieser Röckstellung hangt vorrangig vom erwarteten Verlust (Expected Loss, EL) der Position ab. Zur formalen Bestimmung des erwarteten Ver­ lustes ist zunächst festzulegen, wie sich der Verlust eines Kredits zusammensetzt.

Der durch einen Kreditnehmer verursachte Verlust L ist durch die multiplikative Verknüpfung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

gegeben.[7]

Dabei bezeichnet Id eine Indikatorfunktion, die den Wert Eins annimmt, wenn das Ereignis „Ausfall“, das mit D bezeichnet wird, eingetreten ist und ansonsten Null betrügt (Ereignis „kein Ausfall“):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass gleich Eins ist, betragt P(D) = PD. Da der Erwartungswert der Funktion gleich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit ist, ergibt sich der erwartete Verlust EL zu

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Gleichung (1.6) ist nur unter den restriktiven Annahmen gültig, dass EAD und LGD konstant sind oder dass EAD und LGD die Erwartungswerte unabhängig von­einander verteilter Zufallsvariablen sind.[8] Auf die sich aus diesen Annahmen erge­benden Schwierigkeiten wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit eingegangen.

1.2 Unerwarteter Verlust

In Abschnitt 1.1 wurde das Konzept des erwarteten Verlusts eingeführt. Dennoch würe selbst bei exakter Kenntnis des EL nicht auszuschließen, dass die tatsüchlich realisierten Verluste über das auf Basis historischer Daten ermittelte Maß hinausge­hen. Zur Bestimmung dieses zusützlichen Risikos ist im Kreditrisikomanagement das Konzept des unerwarteten Verlusts (Unexpected Loss, UL) verbreitet. Zur Bestim­mung des UL wird die Standardabweichung der Verlustvariable L aus Gleichung (1.5) auf Seite 6 ermittelt:[9]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.2.1 Ökonomisches Kapital

Eine Verwendung der Definition aus Gleichung (1.7) zur Quantifizierung der Ei­genkapitalunterlegung des Kreditrisikos ist allerdings problematisch, da hierbei ein signifikantes Restrisiko bestehen bleibt. So ist durchaus vorstellbar, dass der Portfo­lioverlust die einfache Standardabweichung des erwarteten Verlusts innerhalb eines gegebenen Jahres überschreitet. Bei einer zugrundeliegenden Standardnormalvertei­lung zum Beispiel entspraüche das durch die einfache Standardabweichung beschrie­bene Konfidenzintervall lediglich gut zwei Drittel (68.27%) der Werteverteilung. Um breitere Risikopotenziale abzudecken, wird daher dass Konzept des ökonomischen Kapitals (Economic Capital, EC) angewendet. Bei dieser Methode erfolgt die Be­stimmung des Risikokapitals in Abhüangigkeit eines festgelegten statistischen Konfi­denzniveaus. Hierzu ist die Verwendung des Risikomaßes Value-at-Risk verbreitet, das im Folgenden erlautert werden soll.

Value-at-Risk Das Konzept des Value-at-Risk[10] (VaR) wurde ursprünglich für die Bewertung von Marktrisiken entwickelt. Dieses basiert allgemein auf der Idee, finan­zielles Risiko in Form eines geschaützten Maximalverlustes auszudruücken. Bezugs- großen sind dabei ein vorzugebender Zeitraum und ein vorzugebendes Konfidenzni­veau. Wilmott (2001) beschreibt die Interpretation des VaR wie folgt:

„Value at Risk is an estimate, with a given degree of confidence, of how much one can lose from one’s portfolio over a given time horizon.“[11]

Der VaR gibt dementsprechend an, welcher maximale Verlust mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird.

Bei Betrachtung zum Beispiel eines Wertpapierportfolios ist die Wahrscheinlich­keit, einen Verlust in Hohe des VaR zu erleiden, formal ausgedrückt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

wobei δΠ die Veründerung des Portfoliowertes angibt und α die Hohe des gewahlten Konfidenzniveaus bestimmt.[12]

Die Value-at-Risk-Betrachtungsweise wurde auch auf die Beurteilung von Kredit­risiken übertragen. Das VaR-Risikomaß gibt dann denjenigen Kreditverlust an, der mit einer Wahrscheinlichkeit in Hoühe des gewaühlten Konfidenzniveaus innerhalb des betrachteten Zeitraums nicht überschritten wird. Im Rahmen des Kreditrisiko­managements wird üblicherweise ein Betrachtungszeitraum von einem Jahr für die Bestimmung des VaR zugrundegelegt.

Ökonomisches Kapital Das ükonomische Kapital entspricht dem VaR abzüglich des mit ELpp bezeichneten erwarteten Verlusts des Kreditportfolios PF. VaRa ist dabei durch das α-Perzentil der Verlustverteilung des Portfolios gegeben. Die Er­mittlung des ükonomischen Kapitals ECa zum Konfidenzniveau α wird also nach der folgenden Vorschrift durchgeführt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dieses Vorgehen zur Bestimmung des oükonomischen Kapitals entspricht dem in der Kreditwirtschaft verbreiteten Vorgehen und bildet auch die methodische Grundlage für die Bestimmung der Eigenkapitalunterlegung gemaß Basel II (vgl. Abschnitt 4.2).

Die Interpretation des oükonomischen Kapitals laüsst sich am besten anhand eines Beispiels nachvollziehen:

Beispiel 1.1. Wird ein Konfidenzniveau von α = 99.98% und ein Betrachtungs­zeitraum von einem Jahr gewählt, so ist das entsprechend ermittelte ükonomische Kapital EC0.9998 (durchschnittlich und auf Basis der jeweiligen Kalibrierung) aus­reichend, um unerwartete Verluste in 9 998 von 10 000 Jahren abzudecken und das

Kreditinstitut vor der Insolvenz zu bewahren. Es ist also lediglich in zwei von 10 000 Jahren zu erwarten, dass das ökonomische Kapital nicht zur Risikovorsorge des Kre­ditinstituts ausreichen wird.[13] (Quelle: Bluhm, Overbeck und Wagner, 2002, S.32.)

Dieses Beispiel macht deutlich, dass der VaR auch als Maß för die erwartete Solvenz einer Bank interpretiert werden kann. Die Insolvenzwahrscheinlichkeit des jeweiligen Kreditinstituts ist dann durch 1 — α gegeben.

Kritik am VaR-Risikomaß Aus theoretischer Sicht ergeben sich zahlreiche Ein- wönde, die gegen die Verwendung des VaR zur Risikoquantifizierung sprechen. Pro­blematisch am VaR ist insbesondere, dass dieser keine Erkenntnis öber den nicht durch das Konfidenzintervall beschriebenen Verlust erlaubt. Liegt beispielsweise ei­ne multimodale Verlustverteilung vor und mindestens ein Modus liegt im durch 1 — α beschriebenen Bereich, dann existiert ein unter Umstanden deutliches Ver­lustpotenzial, dass durch den VaR nicht abgebildet wird. Diese Problematik ist im Falle der Anwendung des VaR auf Kreditrisiken besonders virulent, da sich empi­risch beobachtete Häufigkeitsverteilungen von Kreditverlusten meist durch deutliche Abweichungen von der Normalverteilung auszeichnen und nicht selten mehrere Mo­dalwerte aufweisen (vgl. diesbezöglich die Ausföhrungen zur Höufigkeitsverteilung von Verlustquoten in Abschnitt 3.2). Eine umfangreiche theoretische Kritik am VaR­Maß erfolgt in Szego (2002).

Im Sinne einer vollstöndigen Darstellung sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass neben dem VaR-Verfahren eine alternative Vorgehensweise zur Bestimmung des Risikokapitals namens Expected Shortfall (ESF) verbreitet ist. Dieses versicherungs­mathematische Konzept resultiert in der Bestimmung des so genannten Expextexd Shortfall Capital, welchem eine mit dem oökonomischen Kapital vergleichbare Funk­tion im Risikomanagement zukommt.[14] För die Ermittlung des ESF wird - verkörzt dargestellt - der Erwartungswert des Verlustes gebildet, der nicht durch das gewaöhlte Konfidenzintervall abgedeckt wird.

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit erfolgt jedoch eine schwerpunktmaößige Be­handlung der Risikogroößen oökonomisches Kapital und Value-at-Risk, da diese Kon­zepte spätestens seit ihrer Integration in die Baseler Eigenkapitalregelungen Theorie und Praxis dominieren und sich zumindest voruöbergehend gegenuöber alternativen Risikomaßen durchgesetzt haben. Insbesondere das ESF-Konzept findet jedoch zu­nehmend staörkere Beruöcksichtigung im bankinternen Kreditrisikomanagement, wes­halb auch eine zukönftige Verwendung dieses Risikomaßes durch die Bankenaufsicht wahrscheinlich ist.[15]

1.2.2 Verlustverteilung des Kreditportfolios

Die Verteilung der Verluste des Kreditportfolios ist zentraler Bestandteil des Ri­sikomanagements eines Kreditinstituts. Die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion gibt Auskunft über die Risikostruktur des Kreditportfolios und wird neben der Erfüllung bankenaufsichtlicher Anforderungen, der Messung von Portfoliorisiken und der Port­foliooptimierung, insbesondere für die Ermittlung von Risikogroßen, wie zum Bei­spiel des bereits beschriebenen ükonomischen Kapitals und des erwarteten Verlusts, benötigt.[16]

Abbildung 1.2 auf Seite 11 stellt eine beispielhafte, typische Verlustverteilung dar und veranschaulicht daran die in diesem Kapitel beschriebenen Risikogroüßen. Es ist ersichtlich, dass die zur Quantifizierung des Kreditrisikos eines Portfolios benütigten Maße anhand der Verlustverteilung bestimmt werden künnen. Aufgrund dieser Tatsache lassen sich Häufigkeitsverteilungen von Verlusten realer Portfolios als Nüherungsgrüßen für die theoretischen Maße verwenden (zum Vorgehen siehe unten).

Die Verlustverteilung des Kreditportfolios kann im Wesentlichen mit Hilfe von zwei verschiedenen Verfahren ermittelt werden:

Monte-Carlo-Simulation Bei diesem Verfahren wird anhand eines geeigneten sto­chastischen Simulationsalgorithmus eine große Anzahl von Berechnungsvor- gaüngen durchlaufen. Die Berechnung erfolgt sinnvollerweise computergestuützt. Die Ergebnisse jedes einzelnen Durchlaufs werden festgehalten und in Form eines Histogramms aufbereitet, aus dem sich die empirische Verlustverteilung ableiten lüsst. Soll wie in Beispiel 1.1 der VaR zum Konfidenzniveau von α = 99.98 % per Monte-Carlo-Simulation bestimmt werden, so würde man den Verlust durch eine Serie von 10 000 Durchläufen simulieren. Der VaR ent­spräche dann dem drittgrüßten festgehaltenen Verlust der 10 000 vorgenom­menen Simulationen.[17]

Analytische Approximation Diese Vorgehensweise basiert auf einer vergleichenden Analyse des (realen) Portfolios mit unbekannter Verlustverteilung und einem (theoretischen) Portfolio mit bekannter Verlustverteilung. Dabei wird uüblicher- weise unter einer geeigneten Klasse von Dichtefunktionen nach der Funktion

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bluhm, Overbeck und Wagner (2002), S.34.

Abbildung 1.2: Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion der Verluste und Risikogrößen

gesucht, deren erstes und zweites Moment möglichst genau denen des betrach­teten Portfolios entsprechen. Ist diese Funktion gefunden, so wird sie approxi­mativ für das tatsächliche Portfolio verwendet.

Auf die modelltheoretische Herleitung der Risikogrüßen der Verlustverteilung so­wie auf empirische Erkenntnisse zur Verlustverteilung wird in den Kapiteln 2 und 3 eingegangen.

1.3 Messung von Verlustquoten

Im Zusammenhang mit der Messung der Verlustquote wird häufig hinsichtlich dreier Definitionen unterschieden, die im Folgenden naher beschrieben werden sollen:[18]

Markt-Verlustquote Die Ermittlung der Markt-Verlustquote erfolgt auf Basis des Mark-to-Market-Ansatzes. Nach dieser marktpreisorientierten Methode wird die Veränderung des Marktwertes der Verbindlichkeiten des Kreditnehmers ge­messen und daraus die Markt-Verlustquote abgeleitet. Hierzu wird der Markt­preis der betreffenden Anleihe nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums im Anschluss an den Eintritt des Ausfallereignisses ins Verhältnis zum Nennwert der Anleihe gesetzt. Üblicherweise wird dabei der Marktpreis verwendet, der sich einen Monat nach dem Eintritt des Ausfallereignisses ergibt.

Abwicklungs-Verlustquote Die fär die Berechnung der Abwicklungs-Verlustquote ( Workout LGD) relevante Grundlage ist durch den aus Sicht des Kreditgebers entstandenen gesamten Verlust unter Beräcksichtigung sämtlicher zusätzlich angefallener Kosten, wie beispielsweise Verwaltungs-, Prozess- und Vollstre­ckungskosten sowie entgangener Zinserlöse, gegeben. Bei dieser Methode wer­den alle Cash-Flows, die im Verlauf des Abwicklungsprozesses entstehen, er­mittelt und auf einen bestimmten Zeitpunkt (äblicherweise den Ausfallzeit­punkt) unter Anwendung eines bestimmten Diskontfaktors abgezinst. Die Wahl des Diskontfaktors ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Die im Einzel­fall angemessene Diskontierung variiert stark mit der Art der auftretenden Cash-Flows, so dass sich kein allgemein anzuwendender Diskontfaktor festle­gen lässt. Eine akribische Dokumentation der Hohen sämtlicher Aufwendun­gen und Rückzahlungen sowie der Zahlungszeitpunkte ist bei Anwendung des Workout-Ansatzes unabdingbar.

Implizite Markt-Verlustquote Der Ansatz der impliziten Markt-Verlustquote ba­siert auf folgendem Prinzip: Es wird der Spread, also die Preisdifferenz, zwi­schen nicht-ausgefallenen riskanten Anleihen und einer „risikofreien“ Anleihe (naäherungsweise gegeben durch zum Beispiel eine Staatsanleihe) bestimmt und daraus die vom Markt verlangte Risikoprämie abgeleitet (fär eine detaillierte Darstellung der Vorgehensweise vgl. Hull, 2003, S. 611 ff.). Da der so ermittel­te Spread allerdings den erwarteten Verlust und somit neben der Verlustquote auch die Ausfallwahrscheinlichkeit reflektiert,[19] ergibt sich die Notwendigkeit einer Separation der einzelnen Faktoren, bevor Aussagen äber den Verlustquo­tenparameter getroffen werden koännen.

Recovery-Ratings Insbesondere durch die Veröffentlichung der neuen Baseler Rah­menvereinbarung sowie die rapide Verschlechterung der Kreditmärkte in den Jahren 2001 und 2002 bedingt, stieg das Interesse der Finanzmaärkte am Verlustquotenpa­rameter derart stark an, dass inzwischen von allen drei großen Ratingagenturen -

Tabelle 1.1: Recovery-Masterskalen privater Ratingagenturen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quellen: Altman (2006b), S.21; May, Needham und Verde (2006), S.9.

Moody’s, Standard & Poor’s (S&P) sowie Fitch Ratings - Recovery-Ratings ange­boten werden. Es sollte allerdings darauf hingewiesen werden, dass sich diese Ratings bisher überwiegend auf den US-amerikanischen Anleihenmarkt beziehen, wahrend erste Recovery Ratings für Kredite lediglich seit Dezember 2003 von S&P, seit Ende 2005 von Fitch und seit 2006 von Moody’s zur Verfügung gestellt werden.[20] Eine Gegenüberstellung der Masterskalen der drei Agenturen findet sich in Tabelle 1.1. Die Ratingskala von Moody’s bezieht sich auf die Verlustrate bei Ausfall, wührend Standard & Poor’s und Fitch Ratings die Recovery-Rate als Bezugsgrüße verwenden.

Der Verlustquote bei Ausfall kommt eine elementare Bedeutung als Input-Parameter für das Risikomanagement von Kreditinstituten zu. Je genauer die Schützung dieses Parameters erfolgt, desto besser kann das jeweilige Institut sein Kreditrisiko quanti­fizieren und dementsprechend präziser kann es sein zur Absicherung gegen erwartete und unerwartete Verluste benoütigtes Eigenkapital ermitteln.

Die hohe Relevanz einer moüglichst genauen Kalibrierung des Risikosystems im Hinblick auf die Verlustquote bei Ausfall wird unmittelbar aus Gleichung (1.6) auf Seite 6 ersichtlich: aufgrund der multiplikativen Verknüpfung des LGD-Parameters mit den Parametern PD und EAD beeinflusst ein etwaiger Schätzfehler in Bezug auf die Verlustquote die Risikoermittlung proportional im gleichen Maße wie Fehler bei der Schützung der Ausfallwahrscheinlichkeit oder der Forderungshühe bei Ausfall. Eine zu niedrige Schützung des LGD stuft das Kontrahentenrisiko als zu gering ein und kann unter Umstünden zu einer unzureichenden Risikovorsorge führen. Eine zu hohe LGD-Schätzung führt zu einer zu hohen Risikovorsorge und bewirkt damit einen unwirtschaftlichen Einsatz des Eigenkapitals.

Wie eingangs erwähnt, fand dieser Teil des Kreditrisikos dennoch sowohl in der Theorie als auch in der Praxis lange Zeit vergleichsweise wenig Berücksichtigung. Anstelle der Verwendung präziser Schätzungen wurden weitgehend arbiträre Pa­rametrisierungen hinsichtlich des LGD vorgenommen. Dementsprechend sind die Durchsetzung des Risikomanagements mit geeigneten Bewertungsmodellen sowie die Verfägbarkeit konsistenter und genauer Daten äber den Verlust bei Ausfall noch im­mer nicht so weit fortgeschritten wie dies zum Beispiel beim PD-Parameter der Fall ist. Vielfach kommen Kreditrisikomodelle zum Einsatz, die sich durch eine fehlen­de endogene Modellierung des LGD kennzeichnen. In der Praxis ist hierbei häufig die Ermittlung historisch realisierter Verlustdaten auf der Grundlage eigenständig gefährter Kontingenztabellen verbreitet. Dabei werden die Häufigkeiten aufgetrete­ner Verlustquoten anhand verschiedener Merkmale, zum Beispiel nach der Art des zugrundeliegenden Instruments oder der jeweiligen Wirtschaftsbranche, klassifiziert. Das gewichtete Mittel oder ein bestimmtes Perzentil der realisierten Verlustquoten wird dann als Naherungswert fur die zu erwartende Verlustquote von Positionen ver­wendet, die vergleichbare Merkmale aufweisen. Dieses Vorgehen ist allerdings sehr kritisch zu bewerten, da meist nicht fär alle Teilportfolien eine ausreichende An­zahl von Ausfallen realisiert wurde, welche unter Umständen wiederum noch nicht einmal vollstandig abgewickelt wurden. In solchen Fällen werden zudem haufig so genannte „Expertenschätzungen“ und institutsäbergreifende Benchmarks bemäht, um dennoch eine Parametrisierung vornehmen zu käonnen.

Welche unter Umstaänden schwerwiegenden Konsequenzen eine fehlende oder nicht angemessene Beräcksichtigung des LGD bei der Modellierung des Kreditrisikos fär einen Kreditgeber haben kann, verdeutlicht folgendes Beispiel:

Beispiel 1.2. Angenommen, ein Kreditrisikomodell sagt voraus, dass die durch­schnittliche Ausfallrate des Kreditportfolios einer Bank bei einer deutlichen Ver­schlechterung der allgemeinen Wirtschaftslage auf 10% steigt, während der verwen­dete LGD auf Basis des historischen Durchschnitts konstant 25% beträgt. Dann ist der erwartete Verlust gemäß Gleichung (1.6) auf Seite 6 gleich 2.5% (fur EAD = 1). Steigt die Verlustquote in der Rezession allerdings ebenfalls (vgl. hierzu Kapitel 3) auf zum Beispiel 50% an, so betragt der Verlust 5.0% und ist somit doppelt so hoch wie der im Ausgangszeitpunkt erwartete Verlust. (Quelle: Frye, 2000b, S. 106.)

Kapitel 2 Modellierung des Recovery-Risikos

Während die Entwicklung von Modellen und Instrumenten zu Marktpreisrisiken[21] bis in die 1990er Jahre hinein einen wesentlichen Schwerpunkt der Erforschung finanzieller Risiken ausmachte, wurde der Modellierung und Analyse von Kredit­risiken erst zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt intensivere Aufmerksamkeit zuteil. Unter den Risikoparametern des Kreditrisikos galt diese Aufmerksamkeit lan­ge Zeit vorrangig dem Ausfallrisiko. Dementsprechend behandelt der äberwiegende Teil der klassischen Kreditrisikotheorie ebenso wie die in der Finanzwirtschaft ver­breiteten industriellen Kreditrisikomodelle die Verlustquote als eine deterministi­sche, von der Ausfallwahrscheinlichkeit unabhangige Konstante.[22] Die unterstellte Unabhängigkeit von PD und LGD ist allerdings eine Annahme, deren Berechtigung durch zahlreiche empirische Studien angegriffen wird, die auf eine positive Korre­lation dieser Großen hindeuten (vgl. hierzu Abschnitt 3.1). Erst jängere Beitrage erweiterten die bestehenden Konzepte um endogene Verlustquoten-Modellierungen oder schufen neue Modellierungsansaätze. Einen der zentralen Ansaätze, die in die­sem Zusammenhang in der Kreditrisiko-Literatur diskutiert werden, stellt das Ein- Faktor-Kreditrisikomodell dar. Dieser Ansatz unterscheidet explizit zwischen sys­tematischem und nicht-systematischem Risiko und reduziert das erstgenannte auf einen einzigen Risikofaktor.

Um den methodischen Kontext des Ein-Faktor-Modells zu verdeutlichen und eine Einordnung desselben in die Kreditrisikotheorie vornehmen zu koännen, sollen im folgenden Abschnitt zunächst die theoretischen Grundlagen der Faktor-Modellierung beschrieben werden.

2.1 Modelltheoretischer Hintergrund

Die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehende Ein-Faktor-Modellierung des Kreditrisi­kos beruht konzeptionell auf den Beiträgen von Black und Scholes (1973) und Mer­ton (1974).[23] Dies betrifft im Wesentlichen die stochastische Modellierung der Unter- nehmenswertveranderung mittels einer zugrundeliegenden geometrisch Brownschen Bewegung sowie damit zusammenhangend die Modellierung des Ausfallereignisses.

Aufgrund dessen fundamentaler Bedeutung fär die Methodik des Ein-Faktor- Kreditrisikomodells folgt zunächst eine Beschreibung der vor diesem Hintergrund relevanten Aspekte des Merton-Modells.

2.1.1 Der Unternehmenswertansatz nach Merton

Im Rahmen des optionspreistheoretischen Unternehmenswertansatzes (Asset Value Model) nach Merton (1974) wird das Kreditrisiko mittelbar äber den Vermögenswert eines fremdfinanzierten Unternehmens abgebildet, indem die Anspräche der Fremd­kapitalgeber (und die der Eigentämer) als bedingte Anspräche auf das Unterneh- mensvermägen betrachtet werden. Dabei wird angenommen, dass der Marktwert des Unternehmensvermägens der Summe aus Eigen- und Fremdkapital entspricht. Ein Ausfall wird nach diesem Ansatz festgestellt, wenn der Marktwert des Unter­nehmens zum Ruäckzahlungszeitpunkt den Wert des Fremdkapitals unterschreitet. Es lässt sich zeigen, dass die Auszahlungseigenschaften von Eigen- und Fremdka­pital Optionscharakter aufweisen und sich die Werte des Eigen- und Fremdkapitals infolgedessen mittels der aus dem Black-Scholes-Model[24] bekannten Bewertungs­gleichungen fär Optionen ermitteln lassen. Da der Merton-Ansatz unmittelbar an die Strukturen des Unternehmens anknäpft, um das Kreditrisiko abzubilden, wird dieser haufig auch als struktureller Ansatz bezeichnet.

Annahmen Innerhalb des Merton-Modells werden die folgenden wesentlichen An­nahmen vorausgesetzt, die den Annahmen von Black und Scholes (1973) entsprechen und diese um einige modellspezifische Voraussetzungen erganzen:[25]

- die Veränderung des Unternehmenswertes erfolgt zufällig mit konstanter Vo­latilitätsrate und konstanter erwarteter Rendite,
- es existiert ein perfekt liquider Markt für die Vermägenswerte des Unterneh­mens, auf dem jederzeitiger Handel stattfindet,

[...]


[1] Die Darstellung von erwartetem und unerwartetem Verlust sowie der zugehörigen Risikokompo­nenten in diesem Kapitel orientiert sich insbesondere an Bluhm, Overbeck und Wagner (2002) sowie Schonbucher (2003).

[2] Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (2004b), Tz. 452.

[3] Vgl. Bluhm, Overbeck und Wagner (2002), S. 18ff.

[4] Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (2004b), Tz. 447, S. 99.

[5] Die Schätzung des EAD erfolgt gemäß Basel II implizit Uber einen so genannten Kreditumrech­ nungsfaktor (Credit Conversion Factor).

[6] Vgl. Schuermann (2005), S. 6.

[7] Unsichere Großen werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit durch eine Tilde (~) gekennzeichnet.

[8] Vgl. Bluhm, Overbeck und Wagner (2002), S. 17.

[9] ebd., S. 28.

[10] Zu deutsch auch: Risikowert. Aufgrund der starken Dominanz der englischsprachigen Bezeichnung in Literatur und Praxis wird im Rahmen dieser Arbeit auf eine Verwendung des deutschen Begriffes verzichtet.

[11] Vgl. Wilmott (2001), S. 356.

[12] ebd.

[13] Dieses Risiko wird in der Kreditwirtschaft allgemein als ausreichend gering angesehen. So ist in der Bankenpraxis überwiegend die Anwendung von Konfidenzniveaus zwischen α = 99 % und α = 99.98% verbreitet; vgl. Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht (1999), S. 26.

[14] Fur eine vergleichende Darstellung der Konzepte des VaR und des ESF vgl. Hüll (2006).

[15] Vgl. Hull (2006), S. 49.

[16] Vgl. Bluhm, Overbeck und Wagner (2002), S. 33ff.

[17] Für eine Darstellung des Vorgehens bei der Monte-Carlo-Simulation vgl. beispielsweise Hull (2003), S. 359 und Wilmott (2001), S. 363. Für eine Diskussion der Ermittlung des ökonomischen Kapitals auf Basis von Monte-Carlo-Simulationen vgl. Kulkarni (2006).

[18] Dieser Abschnitt folgt zu großen Teilen den Ausführungen in Schuermann (2005), S.6 ff.

[19] Abgesehen vom erwarteten Verlust beinhaltet der so definierte Spread typischerweise zusätzliche Komponenten, wie beispielsweise Liquiditätsprämien (vgl. Hull, 2003, S. 611).

[20] Vgl. Chew und Kerr (2005), S. 87 und May, Needham und Verde (2006), S. 1.

[21] Zu den Marktpreisrisiken zählen beispielsweise das Wechselkursrisiko, das Zinsänderungsrisiko und das Aktienkursrisiko.

[22] Der LGD wird im Rahmen von industriellen VaR-Modellen typischerweise als exogene Konstante ( CreditRisk+) oder als eine von der Ausfallwahrscheinlichkeit unabhangige Zufallsvariable ( Cre- ditMetrics, CreditPortfolioManager, CreditPortfolioView) modelliert; vgl. Altman, Resti und Sironi (2004), S. 199 f.

[23] Merton und Scholes wurden im Jahre 1997 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften „für ihre Ausarbeitung einer mathematischen Formel zur Bestimmung von Optionswerten an der Bürse“ ausgezeichnet; Black war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben.

[24] Vgl. Black und Scholes (1973).

[25] Vgl. Merton (1974), S.450f. und Black und Scholes (1973), S. 640.

Ende der Leseprobe aus 73 Seiten

Details

Titel
Modellierung des Recovery–Risikos im Rahmen des Ein-Faktor-Kreditrisikomodells nach Basel II
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Bank– und Finanzwirtschaft)
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
73
Katalognummer
V75138
ISBN (eBook)
9783638846028
ISBN (Buch)
9783640334957
Dateigröße
2798 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Modellierung, Recovery–Risikos, Rahmen, Ein-Faktor-Kreditrisikomodells, Basel
Arbeit zitieren
Diplom-Volkswirt Martin Switaiski (Autor:in), 2007, Modellierung des Recovery–Risikos im Rahmen des Ein-Faktor-Kreditrisikomodells nach Basel II, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75138

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