Zum Hauptstück der Sprachkritik des frühen Nietzsche: "Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne"


Hausarbeit, 2005

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne
2.1 Der Kontext der Entstehung
2.2 Gustav Gerbers Die Sprache als Kunst
2.3 Wahrheit und Lüge 5 2.4 Die Bezeichnungen der Dinge
2.5 Der metaphorische Charakter der Sprache
2.6 Die Bildung der Begriffe
2.7 Kritik am Begriffssystem
2.8 Die menschliche Wahrnehmung
2.9 Freiheit des Intellekts – Herrschaft der Kunst

3. Fazit

4. Bibliografie

1. Einleitung

Seit den sechziger Jahren, ausgehend von Frankreich, ist Friedrich Nietzsches (1844-1900) Sprachkritik innerhalb des umfangreichen Werks des deutschen Philosophen immer mehr in den Blickpunkt gerückt; besonders die frühe Schrift Ueber Wahrheit und Lüge im ausser-moralischen Sinne[1] hat großes Interesse erregt (vgl. Hödl 1997, 13 f.). Sie gilt gemeinhin „als das Herzstück der Sprachkritik Nietzsches“ (Thalken 1999, 67).

Die vorliegende Arbeit analysiert als Hauptthema diese Schrift und arbeitet ihre zentralen Ansätze heraus, um so eine Einführung in die Sprachkritik eines der einflussreichsten Denker des 19. Jahrhunderts zu bieten. Da der genannte Text, im Gegensatz zu den sprachkritischen Äußerungen Nietzsches in seinem restlichen Werk, sich systematisch mit diesem Thema beschäftigt (vgl. Kunne-Ibsch 1972, 6), scheint er hierzu besonders geeignet.[2] Bevor wir uns dem Text direkt zuwenden, soll hier mit einer Darstellung des gedanklichen Kontexts des Philosophen zur Zeit der Niederschrift von Ueber Wahrheit und Lüge im ausser-moralischen Sinne, und wo seine in dieser Schrift repräsentierte Sprachkritik ihren Ursprung hat, begonnen werden.

2. Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne

2.1 Der Kontext der Entstehung

Friedrich Nietzsche hat seine Schrift Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne im Sommer 1873 verfasst, sie aber nicht ver-öffentlicht und sie auch nie „für eine Veröffentlichung in Betracht ge-zogen“ (Behler 1993, 207). Rudolf Fietz sieht den Text als ein „Zeugnis des entschiedenen Versuchs Nietzsches, sich von Schopenhauer und Wagner zu emanzipieren in einer Zeit, da er sich öffentlich noch zu ihnen bekennt“ (Fietz 1992, 132). In der Vorrede zum zweiten Teil von Menschliches, Allzumenschliches (1879) findet sich auch eine Aussage Nietzsches, die diese These unterstützt: In der Zeit der Niederschrift des dritten Teils seiner Unzeitgemässen Betrachtungen, Schopenhauer als Erzieher, hätte er sich „schon mitten in der moralischen Skepsis und Auflösung“ befunden, „an gar nichts mehr“ geglaubt, „auch an Schopen-hauer nicht“, und „eben in jener Zeit entstand ein geheim gehaltenes Schriftstück ‚über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne’“ (KSA 2, 370).

Diesen inneren Zwiespalt Nietzsches hält Fietz auch für den Grund der Nichtveröffentlichung[3] der Schrift (vgl. Fietz 1992, 132) und bezeichnet diesen „glänzende[n] Essay zu semiotischen, sprach-philosophischen und erkenntnistheoretischen Fragen“ in diesem Zusammenhang als eine „noch ganz private, der Selbstvergewisserung und philosophischen Orientierung dienende Loslösung“ (ebd.). Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, so hebt Fietz außerdem noch hervor, ist „die einzige der frühen Schriften […], die auch der späte Nietzsche vorbehaltlos hat gelten lassen“, und so kommt noch zu ihrem „in den letzten Jahren durch die Forschung zuerkannten hohen Stellen-wert auch die Legitimation des Autors“ (ebd.) hinzu.

2.2 Gustav Gerbers Die Sprache als Kunst

Etwa ein halbes Jahr vor der Entstehung von Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne beschäftigte sich Nietzsche mit der Er-arbeitung von Material für Vorlesungen über die antike Rhetorik. Im Zuge dieser Arbeiten beschäftigte er sich unter anderem mit dem ersten Band des Buches Die Sprache als Kunst[4] des damals viel beachteten Sprachphilosophen Gustav Gerber (1820-1901), der 1871 erschienen war (vgl. Behler 1993, 219). Die Lektüre dieses Buches hatte einen enormen Eindruck auf Friedrich Nietzsche gemacht und beeinflusste auch maß-geblich seine hier zu analysierenden Schrift (vgl. u. a. Fietz 1992, 132-134).

In Die Sprache als Kunst finden sich unter anderem Gedanken über den metaphorischen Charakter der Sprache (vgl. Behler 1993, 220), „Thesen von der Fixierung der Wörter durch soziale Konventionen und des Vergessens dieser Vorgänge im Entwicklungsprozeß der Sprache“ (ebd., 221), die teilweise oder ganz in Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne eingegangen sind (vgl. ebd., 220-222). In diesem Rahmen sollen jedoch weder die Inhalte von Gerbers Buch[5], noch deren Verhältnis[6] zu Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne thematisiert werden. Es sollte allerdings abschließend erwähnt sein, dass, dieser Meinung ist jedenfalls Thomas Böning, „Gerber […] nur darum auf Nietzsche einen so großen Einfluß gewinnen [konnte], weil der Denker hier auf sprachphilosophischem Felde seine eigene erkenntnistheoretische Grundposition entfaltet sah“ (1988, 102).

2.3 Wahrheit und Lüge

Beginnen wir nun mit der Analyse des Texts. Zuallererst gilt es, sich die Bedeutung des Titels der Schrift klar zu machen: Es soll hier im außer-moralischen Sinn über Wahrheit und Lüge reflektiert werden. Das heißt, es geht hier nicht um ethische Werte, sondern um Werte des mensch-lichen Intellekts und der Erkenntnis (vgl. Böning 1988, 103). Also ist die Lüge idie Nicht- Wahrheit im logischen Sinn (vgl. Thalken 1999, 67). So macht Nietzsche schon zu Beginn des Textes klar, dass er hier einen radikalen erkenntniskritischen Standpunkt vertritt (vgl. Müller 1995, 52), indem er eine Fabel erzählt, in der „kluge Thiere“, die Menschen, in der „hochmütigste[n] und verlogenste[n] Minute der ‚Weltgeschichte’“ (KSA 1, 875) das Erkennen erfinden.

Nietzsche löst sich gleich von der Ebene der Fabel und legt dar, dass der klägliche Intellekt und die Erkenntnisfähigkeit, so unwichtig und klein sie auch in der Natur sein mögen, im Menschen einen Hochmut erzeugen, der ihn über den „Werth des Daseins, dadurch, dass er über das Erkennen selbst die schmeichelhafteste Werthschätzung in sich trägt“ (ebd., 876), täuscht. Die Täuschung ist überhaupt die Hauptkraft des menschlichen Intellekts, und sein Träger ständig von Illusion umgeben. Darum ist es für Nietzsche auch unverständlich, „wie unter den Menschen ein ehrlicher und reiner Trieb zur Wahrheit aufkommen konnte“ (ebd.).

Um dies zu erklären kommt jetzt die Sprache ins Spiel. Der Gemeinschaftstrieb des Menschen, der Wunsch, friedlich unter seines-gleichen zu leben, „das allergröbste bellum omnium contra omnes“ (ebd., 877) zu vermeiden, ruft einen Wahrheitstrieb hervor: Für die gemein-schaftliche Existenz muss definiert werden, was überhaupt wahr ist, „d. h. es wird eine gleichmässig gültige und verbindliche Bezeichnung der Dinge erfunden, und die Gesetzgebung der Sprache giebt auch die ersten Gesetze der Wahrheit“ (ebd.).[7] Dabei gilt es allerdings zu bedenken, dass es sich nicht um die reine Wahrheit an sich handelt, sondern um eine von den Menschen selbst Festgelegte und Fixierte (vgl. Müller 1995, 57).

Durch dieses Festlegen werden nun Sprachgesetze doch wiederum zu „moralische[n] Konventionen“ (Böning 1988, 109). Wer die Verpflichtung, die Sprache ihren Konventionen nach zu verwenden, missachtet, lügt, und wer lügt wird von der Gesellschaft verachtet. Dies aber nicht, weil die Menschen die Lüge an sich verachten, sondern weil sie den Schaden, den Lügen anrichten können, fürchten. Auch geht die Wahrheitsliebe des Menschen nicht besonders weit: „Er begehrt die an-genehmen, Leben erhaltenden Folgen der Wahrheit; gegen die reine folgenlose Erkenntniss ist er gleichgültig, gegen die vielleicht schädlichen und zerstörenden Wahrheiten sogar feindlich gestimmt.“ (KSA 1, 878) An dieser Stelle stellt Nietzsche jetzt die Kernfragen seines Aufsatzes und wendet sich mit ihnen nun ganz der Sprache zu:

„[W]ie steht es mit jenen Conventionen der Sprache? Sind sie vielleicht Erzeugnisse der Erkenntniss, des Wahrheitssinnes: decken sich die Bezeichnungen und die Dinge? Ist die Sprache der adäquate Ausdruck aller Realitäten?“ (ebd.)

Wir wollen uns nun Nietzsches Beantwortungsversuchen zu diesen Fragen widmen.

[...]


[1] Friedrich Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne (1873). In: KSA 1. S. 873-890.

[2] Kunne-Ibsch betont an dieser Stelle auch noch, dass sich in Nietzsches Sprachkritik ohnehin eine auffällige Einstimmigkeit feststellen lässt (1972, 6). Dies soll hier jedoch nicht weiter thematisiert werden.

[3] Zu weiteren Gedanken zur Frage der Nichtveröffentlichung der Schrift, die hier nicht ausgeführt werden sollen, siehe Hödl (1997, 52f.) und Behler (1993, 218f.).

[4] Gerber, Gustav (1871): Die Sprache als Kunst. Band 1. Bromberg: Mittler.

[5] An dieser Stelle sei auf eine kurze Darstellung derselben bei Hödl (1997, 77-80) verwiesen.

[6] Ebenfalls bei Hödl (1997, 80-87) findet sich wieder ein kurzer Überblick zu dieser Thematik. Für eine umfangreichere Darstellung und zur Vertiefung bieten sich an: Meijers, Anthonie (1988): Gustav Gerber und Friedrich Nietzsche. Zum historischen Hintergrund der sprachphilosophischen Auffassungen des frühen Nietzsche. In: Nietzsche-Studien 17/1988, S. 369-390. Stingelin, Martin (1988): Nietzsches Wortspiel als Reflexion auf poet(olog)ische Verfahren. In: Nietzsche-Studien 17/1988, S. 336-349.

[7] Daniel Müller bemerkt hierzu: „Interessant ist die Tatsache, dass Nietzsche bei seiner Sprachanalyse ‚im aussermoralischen Sinn’ grossenteils auf naturrechtliche Modelle zurückgreift, die er, ohne allerdings daraus im traditionellen Sinne das naturgegebene Vorhandensein bestimmter moralischer oder rechtlicher Normen abzuleiten, in ein Modell sprachlicher Übereinkunft als Genealogie des Gegensatzes von Wahrheit und Lüge verarbeitet[.]“ (Müller 1995, 56)

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Zum Hauptstück der Sprachkritik des frühen Nietzsche: "Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne"
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V75056
ISBN (eBook)
9783638695169
ISBN (Buch)
9783638827089
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hauptstück, Sprachkritik, Nietzsche, Ueber, Wahrheit, Lüge, Sinne
Arbeit zitieren
Ole Wagner (Autor:in), 2005, Zum Hauptstück der Sprachkritik des frühen Nietzsche: "Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75056

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