De vermibus et de draconibus - Von Würmern und Drachen


Seminararbeit, 2007

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsangabe

1. Das heutige Drachenkonzept
1.1. Wie der Drache fliegen lernte
1.2. Die Etymologie der Drachenbezeichnungen

2. Wie die Drachen zu ihren Namen kamen
2.1 Lindwurm
2.2 Tatzelwurm
2.3 Fafnir
2.4 Namenlose Drachen

3. Bibliographische Angaben

Primarliteratur:

Sekundärliteratur:

Online-Ressourcen:

1. Das heutige Drachenkonzept

„Der Drache ist eine der universellsten Gestalten der Folklore“, so heißt es in der Enzyklopädie des Märchens[1]. „Wo immer er auftritt, ist er […] ein die ganze Gesellschaft bedrohendes Ungeheuer.“ Wenn man heute an einen Drachen denkt, so denkt man oft in erster Linie an ein rasendes reptilartiges Wesen, das vier Beine, wenn nicht sogar zwei Beine und zwei Arme mit geschickten Händen hat und Feuer spuckt. Meistens kommen zu diesen vier Gliedmaßen noch zwei fledermausflügelartige Schwingen hinzu, mithilfe derer das Untier flugfähig ist. So steht auch im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens[2] geschrieben, dass es sich bei einem Drachen um „ein landverheerendes [sic!], menschenverschlingendes [sic!] Untier, oft mit Fledermausflügeln ausgestattet, von entsetzlichem Aussehen“ handle.

Die Existenz solcher Wesen wurde nie erwiesen. Ganz im Gegenteil ist die Vorstellung von in der Natur existierenden Drachen von Naturwissenschaftlern als Humbug abgetan. Wie aber kommen wir dann zu dieser weit verbreiteten Vorstellung? Immerhin ist sie in unserem Kulturkreis einige Jahrtausende alt und schon in alten indogermanischen Sprachen wie dem Lateinischen und dem Griechischen vertreten. Die Römer führten den Drachen als Feldzeichen und aus dem Griechischen sind viele Sagen überliefert, in denen es zum Kampf zwischen Helden oder Göttern und Drachen kommt[3].

Sogar im indischen Rigveda, einer Hymnensammlung aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus, kommt es zu einem Kampf zwischen der indischen Gottheit Indra und einem Drachen, der allerdings in Schlangengestalt auftritt[4].

Ebenso ist auch in altdeutschen, altenglischen und altnordischen Texten die Rede von Drachen, die weder fliegen können noch vier Beine haben, also eher schlangenartig dargestellt sind.

Woher rühren also diese Unterschiede zwischen Flugdrachen und Schlangendrachen? Und warum hat sich bis heute das geflügelte Untier durchgesetzt?

1.1. Wie der Drache fliegen lernte

Die Vorstellung eines fliegenden Drachen scheint relativ neu zu sein. Ob wir nun vom Drachen sprechen, der vom heiligen Georg getötet wurde[5], von Fáfnir[6] oder vom Lindwurm[7] ; sie alle sind vom Erscheinungsbild eher mit Schlangen oder Krokodilen zu vergleichen. Keiner von ihnen kann fliegen. Die Idee des fliegenden Ungeheuers scheint wohl erst mit dem Mittelalter Einzug in die Fantasiewelten der Menschen in Mittel- bis Nordeuropa gehalten zu haben.

Dies mag an zwei Faktoren gelegen haben. Bei den Indern, Persern, Skythen, Parthern und Dakern verwendete man ein Heereszeichen, das die Römer nach der Eroberung der Provinz Dacia und ihrer Eingliederung ins Römische Reich als Kohortenfahne übernahmen[8]. Ein Drache „aus farbigem Stoff[,] mit geöffnetem Rachen und blitzenden Zähnen, [der] auf Stangen getragen und bei schneller Bewegung vom Wind unter Zischen aufgeblasen wurde“[9], ist dem Kaiser fortan bei Schlachten und feierlichen Aufzügen vom Draconarius vorangetragen worden. Dacia wurde erst um 107 n.Chr. erobert. So konnten die Römer den Drachen als Feldzeichen demnach erst ab dem zweiten Jahrhundert nach Christus kennen. Die Germanen mussten mit diesem Fabelwesen wohl zum ersten Male während der zahlreichen Schlachten zwischen kaiserlichen Truppen aus Rom und germanischen Stämmen oder im Zuge der Heeresgemeinschaft von Germanen und Römern in Kontakt geraten sein. Selbst dann konnte die Drachenvorstellung nicht plötzlich über alle Germanen gekommen sein, sondern muss sich in einem Prozess, der wohl mehrere Jahrhunderte dauerte, von Stamm zu Stamm ausgebreitet haben.

Der zweite Faktor schließt sich an das Feldzeichen an. Denn mit den Römern kam auch eine Welle der Christianisierung, im Zuge derer die heidnischen Völker bekehrt wurden. Dass Vorstellungen von heidnischen Drachen in Schlangenform in mündlicher Tradition durchaus nach der Christianisierung noch üblich waren, zeigt uns beispielsweise die sehr spät entstandene, in frühem Neuhochdeutsch verfasste Version des „Liedes vom Hürnen Seyfried“[10]. Was in mündlicher Form weitergegeben wurde, können wir heute nur noch erahnen. Mit Ausnahme einer gotischen Bibelübersetzung ist kein literarisches Zeugnis früher als das 7. Jahrhundert zu datieren.[11] „Da alle erhaltenen Aufzeichnungen von des Schreibens kundigen Männern stammen und die Kunst des Schreibens im wesentlichen [sic!] durch die Kirche vermittelt wurde, dürfen und müssen wir auch in den schriftlich überlieferten Denkmälern altgermanischer Dichtung neben uralten Zügen Spuren christlichen und antiken Denkens erwarten.“[12] Die Kirche verwendete schon damals den fliegenden Chaosdrachen als Allegorie für den Teufel.[13] Während die schlangenartigen Drachen meist Schätze bewachten, wie beispielsweise der Fáfnir, so zogen die christlichen Chaosdrachen durch die Lande und versuchten Gottes Werk zu zerstören.

Es lässt sich also sagen, dass sich die riesigen Schlangenwürmer und Mischwesen aus Krokodil und Raubvogel aus dem östlichen Mittelmeerraum miteinander vermischten.[14] „Kunst und Literatur der m[ittel]a[lterlichen] europ[äischen] Oberschicht übernahmen die mischgestaltigen Wesen, während die D[rache]nwürmer im Bereich des Volksglaubens angesiedelt blieben. Der ältere Kriechd[rache] des mhd. Epos wird schließlich immer mehr durch den Flugd[rache]n […] abgelöst. Die verschiedenen D[rache]nvorstellungen haben sich […] seit dem M[ittel]a[lter] […] einander angenähert.“[15]

[...]


[1] Enzyklopädie des Märchens. Hrsg: Ranke, Kurt. Walter de Gruyter Verlag. Berlin und New York. 1981, Spalte 788 [im Folgenden „EM“]

[2] Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, herausgegeben unter besonderer Mitwirkung von E. Hoffmann-Krayer und Mitarbeit zahlreicher Fachgenossen von Hanns Bächtold-Stäubli. Berlin und Leipzig. 1929/30. Band II.

[3] „EM“ Spalte 788

[4] „EM“ Spalte 789

[5] Das Passional. Eine Legendensammlung des dreizehnten Jahrhunderts. Zum ersten Male herausgegeben und mit einem Glossar verfasst von Friedrich Karl Köpke. Basse Verlag. Quedlinburg. 1852. [im Folgenden „Passional“] „Von sante Georgio einem rittere“ Seite 253, Vers 36ff.: „darnach er [der Drache] immer wider slanc / in einen tich, der alda / was der stat gelegen na. / diz was sin herberge.“ [Hervorhebungen durch den Verfasser] Hier wird der Drache so beschrieben, als sei er eine Wasserschlange. Zwar ist Schlange nicht richtig, weil er an anderen Stellen des Textes sich durchaus sehr gut an Land zu bewegen weiß, doch benutzt der Verfasser des Textes das mhd. Verb slingen ’schlängeln, kriechen’, was die Fortbewegungsweise einer Schlange impliziert.

[6] Reißenweber, Arno. Die Göttersagen und Heldenlieder der Edda. Franz Schneider Verlag. Berlin. 1935. [im Folgenden „Sagen und Lieder der Edda“] Seite 34 der Heldenlieder: „Als der Drache [Fafnir] über ihn [Siegfried] hinwegkroch […], stach er [Siegfried] ihm [Fafnir] schnell sein Schwert […] ins Herz.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]

[7] Das Lied vom Hürnen Seyfried. Critical edition with introduction and notes by K.C. King. Manchester University Press. Manchester. 1958. [im Folgenden „Der Hürne Seyfried“] Strophe 8: „Do kam er [Siegfried] in ein gwilde / Da so vil Trachen lagen / Lintw rm Kr tten und Attern / Als er bey seynen tagen / Het ye gesehen ligen“[Hervorhebungen durch den Verfasser] Der Autor des Textes scheint keinen Unterschied zwischen Drachen und Schlangen (und Kröten?) zu machen.

[8] Wild, Friedrich. Drachen im Beowulf und andere Drachen. Kommissionsverlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Wien. 1962. Seite 8 [im Folgenden „Drachen im Beowulf“]

[9] „Drachen im Beowulf“ Seite 8 [mit Verweis auf „Pauly-Wissowa. Real-Encyclopädie. 5. Band, s. Draco, Drakon“ und „Conrad Cichorius. Die Reliefs der Traianssäule. herausgegeben und historisch erklärt. Berlin 1896“]

[10] In „Der Hürne Seyfried“ wird immer wieder von Würmern und Schlangen gesprochen. Siehe auch Fußnote 40, 41.

[11] „Drachen im Beowulf“ Seite 12

[12] „Drachen im Beowulf“ Seite 12

[13] Eines von vielen Beispielen ist der Drache aus der Johannes Offenbarung (Apokalypse) 12,9: „Gestürzt wurde der große Drache, die alte Schlange, die den Namen Teufel und Satan trägt, der den ganzen Erdkreis verführt; er wurde hinabgestürzt auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm gestürzt.“ Zitiert nach „Die Heilige Schrift des alten und neuen Testamentes. Vollständige Ausgabe nach den Grundtexten übersetzt und herausgegeben von Prof. Dr. Vinenz Hamp, Prof. Dr. Meinrad Stenzel, Prof. Dr. Josef Kürzinger. Pattloch Verlag. Augsburg. 1989.“

[14] „EM“ Spalte 790

[15] „EM“ Spalte 790

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
De vermibus et de draconibus - Von Würmern und Drachen
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Deutsche Philologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V75051
ISBN (eBook)
9783638796194
ISBN (Buch)
9783638799607
Dateigröße
499 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit wurde als Proseminararbeit angefertigt, der Dozent aber meinte, es hätte fast für eine Hauptseminararbeit gereicht, wenn nur wenige Punkte mehr vertieft worden wären.
Schlagworte
Würmern, Drachen, Etymologie, Nibelungen, Fafnismal, Tatzelwurm, Lindwurm
Arbeit zitieren
Jesse Lehmann (Autor:in), 2007, De vermibus et de draconibus - Von Würmern und Drachen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75051

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