Inwiefern behindern institutionelle Vetospieler Reformpläne in der deutschen Wirtschaftspolitik?


Hausarbeit, 2007

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Wirtschaftliche Kompetenzdefizite der Bundesregierung
2.1 Die Lohnpolitik – Tarifautonomie
2.2 Fallbeispiel: Das Scheitern der Konzertierten Aktion (1967-1977)
2.3 Die Geldpolitik - Unabhängigkeit der Bundeszentralbank
2.4 Fallbeispiel: Die Ölkrise 1973/74: Erschwerung der Problemlösung durch unterschiedliche Einzelinteressen

3 Institutionelle Vetospieler im Gesetzgebungsprozess
3.1 Das Bundesverfassungsgericht
3.1.1 Aufbau und Zuständigkeiten
3.1.2 Arbeitsweise
3.1.3 Auswirkungen auf die Gesetzgebung
3.2 Der Bundesrat
3.2.1 Funktion des Bundesrates
3.2.2 Aufbau und Arbeitsweise
3.2.3 Folgen für die Gesetzgebung
3.3 Fallbeispiel: Der Bundesrat blockiert die „Große teuerreform“ der Regierung Kohl 1997/98

4 Die Europäische Integration

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist nach Meinung vieler Ökonomen von dringend benötigten Strukturreformen abhängig. Themen sind unter anderem die Senkung der zu hohen Lohnnebenkosten oder Steuerreformen, um den Standort Deutschland wieder attraktiver für Investitionen zu machen. Tiefer ins Detail geht zum Beispiel die geplante Lockerung des Kündigungsschutzes. Diesbezügliche Reformen sind bisher nur vereinzelt, und wenn dann Kompromiss belastet und nach langem Tauziehen erfolgt. Wegen dieses für die Bundesrepublik Deutschland typischen Reformstaus sieht sich die Bundespolitik schon seit Jahren dem Vorwurf ausgesetzt, sie sei trotz dringenden Bedarfs nicht reformfähig. Aber ist diese Reformunfähigkeit selbstverschuldet? Welche Möglichkeiten oder Kompetenzen hat eine deutsche Bundesregierung überhaupt? Inwiefern kann sie makroökonomische Steuerungsmechanismen überhaupt ein- oder bei Bedarf Reformen zum Beispiel in der Steuer- oder Beschäftigungspolitik durchsetzen?

Die Grundprinzipien des politischen Systems des einstigen Wirtschaftswunderlandes Deutschland basieren in nicht geringem Maße auf dem Misstrauen bezüglich der Demokratiefähigkeit, welches den Deutschen nach dem 2. Weltkrieg entgegengebracht wurde. Folglich sollten institutionell verankerte Sicherungsmechanismen installiert werden, die eine erneute Abschaffung der Demokratie durch einen einfachen Mehrheitsbeschluss, wie es 1933 geschehen war, verhindern sollten. Darüber hinaus sollten deutliche föderative Elemente die Zentralgewalt der künftigen deutschen Regierungen einschränken. Als „Hüterin der Verfassung“ nahm das Bundesverfassungsgericht 1951 seine Arbeit auf und kontrolliert seither unter anderem die Verfassungskonformität von Gesetzesvorlagen des Bundes. Als föderalistisches Element, also für die Wahrung der Länderinteressen auf Bundesebene der Bundesrat zuständig. Etwa 55% aller durch den Bundestag verabschiedeten Gesetze bedürfen der Zustimmung durch den Bundesrat, was diesen in erheblichem Maße an der Gesetzgebung beteiligt.

Auch Teile der wirtschaftlichen Grundordnung basieren auf historischen Negativerfahrungen, vor allem aus der Zeit der Weimarer Republik. Gerade im Inflationsjahr 1923 und während der Weltwirtschaftskrise ab 1929 wirkte es sich fatal auf die Stabilität der deutschen Währung aus, dass die deutsche Zentralbank an Weisungen der Regierung gebunden war. Folglich sollte die Zentralbank in der Bundesrepublik eine unabhängige Institution sein, was aber andererseits für die Bundesregierung den Kontrollverlust über die Geldpolitik bedeutete. Als weitere Einschränkung wirtschaftlicher Kompetenzen der Bundesregierung ist die institutionelle Gewährleistung der Tarifautonomie zu nennen. Sie ermöglicht Arbeitgebern und Arbeitnehmern relativ freie Tarifabsprachen, zumindest innerhalb eines gewissen Rahmens, ohne staatliche Intervention.

Die folgende Arbeit soll zeigen inwiefern der Reformwille einer Regierung durch das Verhalten institutioneller Vetospieler behindert werden kann bzw. inwiefern die Regierungen selbst für den Reformstau verantwortlich sind.

2 Wirtschaftliche Kompetenzdefizite der Bundesregierung

2.1 Die Lohnpolitik – Tarifautonomie

Das erste Politikfeld, das nicht in die Obhut der Bundesregierung fällt, ist die Lohnpolitik. Laut Interpretation des Bundesverfassungsgerichts ist gemäß Artikel 9, Absatz 3 die Tarifautonomie per Grundgesetz geschützt. Dies bedeutet, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer, bzw. deren Gewerkschaften ohne Einflussnahme des Staates innerhalb eines gewissen Rahmens Lohntarife und Arbeitsbedingungen aushandeln dürfen. Der Faktor Lohn stellt den größten Teil des Volkseinkommens und auch den wichtigsten Kostenfaktor dar (vgl. Zohlnhöfer 2003: 11). Die fehlende staatliche Einflussnahme und damit das etwaige Nichtbeachten gesamtwirtschaftlicher Interessen führt laut Meinung vieler Ökonomen zu überdurchschnittlich hohen Lohnabschlüssen, was aus makroökonomischer Sicht ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit bewirkt. Dies geschah beispielsweise 1974, als von der Gewerkschaft ÖTV trotz, oder gerade wegen Ölkrise und folgender Inflation, Lohnsteigerungen von 11% durchgesetzt wurden. In der Folgezeit stieg die Arbeitslosenzahl rasant an. Ein schon 1967 begonnener Versuch der Bundesregierung durch die so genannte Konzertierte Aktion Einfluss auf die Lohnabsprachen zu nehmen scheiterte nach 10 Jahren am Austritt der Gewerkschaften. Dem Ausscheiden waren einige Verstöße gegen getroffene Absprachen sowie konkret die Verfassungsklage der Arbeitgeber gegen das Mitbestimmungsgesetz vorausgegangen (mehr dazu: Lebek-Linke 1998: 15).

Wirtschaftskrise der Bundesrepublik stellte sich Mitte der 60er Jahre ein. Schon 1965, noch unter Kanzler Erhard, hatten vor allem die Sektoren Kohle und Stahl mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Steigende Arbeitslosenzahlen, aus heutiger Zeit mögen diese allerdings paradiesisch erscheinen, und sinkende Wachstumsraten suggerierten den Beginn einer Wirtschaftskrise, die, wenn auch stark übertrieben, die Arbeitnehmer an die großen Wirtschaftskrisen in den 1920er Jahren und nach dem 2.Weltkrieg erinnerte. Wirtschaftsexperte Erhard versuchte dem Problem mit Sparmaßnahmen und nicht, was im Nachhinein sinnvoller erscheint, mit staatlichen Investitionsprogrammen zu begegnen. Dadurch spitzte sich die Krise noch weiter zu. Überdies zeigte sich, dass die deutsche Bevölkerung noch immer an die Entbehrungen der Nachkriegszeit zurückdachte und sich daher mit Sparmaßnahmen ganz und gar nicht anfreunden konnte. Die Folge war der Rücktritt Erhards als Regierungschef. Sein Nachfolger Kiesinger, Kanzler einer großen Koalition, ließ bereits in seiner ersten Regierungserklärung vom 13.12.1966 erkennen, dass die Bekämpfung der Wirtschaftsflaute oberste Priorität habe. Der Einfluss des neuen Wirtschaftsministers und ausgemachten Experten Karl Schillers war dabei nicht von der Hand zu weisen. Die Marschroute entsprach einer Mischung aus Ordoliberalismus, dessen Anhänger Ludwig Erhard gewesen war, und antizyklischer Konjunkturlehre von John M. Keynes (vgl. Görtemaker 2002: 179). Bei Verhandlungen mit der Bundesbank konnte eine Senkung des Diskontsatzes erreicht werden, außerdem wurden Investitionen in Post, Verkehr, Bildung und Forschung getätigt sowie Sonderabschreibungen für Wirtschaftsinvestitionen gewährt. Die ergriffenen Maßnahmen zeigten tatsächlich Erfolg. Dieser „neue“ Weg der Problemlösung war nicht nur kurzfristiger Natur sondern stellte einen Meilenstein für moderne Wirtschaftspolitik dar. Ein weiteres Novum war die auf Anregung Karl Schillers ins Leben gerufene „Konzertierte Aktion“. Diese Gesprächsrunde mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft und vor allem aus Arbeitgeberverbänden, Unternehmen und Gewerkschaften stellte in mancher Hinsicht eine Neuerung dar. Übergeordnetes Ziel war es, das Verhalten aller an der Wirtschaft beteiligten Gruppen aufeinander abzustimmen. Die Interessen einzelner Institutionen sollten hinter die Interessen der Gesamtwirtschaft, also Preisstabilität, Wachstum und hohe Beschäftigungsraten, zurückgestellt werden. Die Beweggründe der Bundesregierung zu diesem Schritt liegen auf der Hand. Man hoffte unter anderem mäßigend in die Lohnabsprachen eingreifen zu können, wenn es die Situation verlangte und sicherte sich überdies Informationen über die Pläne der Sozialpartner aus erster Hand. Warum aber die Gewerkschaften das exklusive Recht der Tarifautonomie aufzugeben schienen, ist zunächst nicht ganz offensichtlich: Die Gewerkschaften versprachen sich eine Teilnahme an der Wirtschaftsplanung (ex ante). Zuvor hatte man das Gefühl, durch die Tarifabschlüsse nur auf die jeweils vorgegebenen wirtschaftlichen Gegebenheiten reagieren zu können (ex post). Die Konzertierte Aktion offerierte also neue Mitsprachemöglichkeiten und trug zudem einem „in der Öffentlichkeit aufgebautem Bild von Harmonie und Gesamtverantwortung“ (Lebek-Linke 1998: 15) Rechnung. Die Aussicht auf Mitsprache konnte dennoch nicht verbergen, dass die neuen „Tischnachbarn“ trotz Betonung der gesamtwirtschaftlichen Interessen völlig unterschiedliche Ziele verfolgten: Als es wegen des Ölschocks 1973/74 zu einer Wirtschaftskrise mit Inflation, Preissteigerungen und Nachfragerückgang kam, wären zur Wahrung gesamtwirtschaftlicher Interessen, in erster Linie zu einem hohen Beschäftigungsstand, eigentlich maßvolle Tarifabschlüsse nötig gewesen. Stattdessen erstreikten die Gewerkschaften (allen voran die ÖTV) Lohnsteigerungen im zweistelligen Bereich. In der Folgezeit verschärfte sich die Krise und die Arbeitslosenzahlen stiegen noch weiter an. Auf allen Seiten war nun das Vertrauen in die Konzertierte Aktion stark erschüttert. Die Staatsseite hielt die Lohnstreiks der Gewerkschaften für unverantwortlich, die Gewerkschaften ihrerseits hielten den Arbeitgebern die Entlassungen vor, die diese wiederum mit den erhöhten Löhnen und gestiegenen Energiepreisen zu rechtfertigen versuchten. An die gemeinsamen Anfangserfolge konnte nicht mehr angeknüpft werden. Vollends scheiterte die Konzertierte Aktion am Austritt der Gewerkschaften 1977. Der Austritt geschah aus Protest gegen eine Verfassungsklage der Arbeitgeber gegen das Mitbestimmungsgesetz.

Die viel versprechenden Anfänge der Konzertierten Aktion lassen leider nicht über einige Tatsachen hinwegtäuschen. Die Gesprächsbereitschaft, vor allem aber der Wille, sich an die getroffenen Absprachen zu halten, war nur vorhanden, solange die Wirtschaft florierte. Mit dem Aufkommen der Ölkrise zeigte sich, dass gerade die Gewerkschaften ihre eigenen Ziele wieder vor die der Gesamtwirtschaft stellten, so dass eine Vertrauensbasis, vor allem seitens der Bundesregierung, von da an nicht mehr gegeben war. Dies zerstreut auch jede Kritik der Gewerkschaftsbasis, die eine Unterminierung der Tarifautonomie durch den Staat befürchtete (vgl. Andersen Onlineartikel). Die erfolgreichen Lohnstreiks während der Ölkrise, die darauf folgenden Entlassungen seitens der Arbeitgeber und der letztendliche Austritt der Gewerkschaften aus der Gesprächsrunde zeigen, dass die Sozialpartner nur soweit verhandlungsbereit waren, wie es ihre Eigeninteressen zuließen. Bei konträren Positionen hatte die Staatsseite keine Möglichkeit einzugreifen, da sich das verfassungsrechtlich geschützte Deckmäntelchen der Tarifautonomie und das Streikrecht ihrem Einfluss entzog.

2.3 Die Geldpolitik - Unabhängigkeit der Bundeszentralbank

Seit 1999 hat die Bundesbank ihre Kompetenzen im Hinblick auf die Geldpolitik vollständig an die Europäische Zentralbank mit Sitz in Frankfurt am Main abgegeben. Sie spielte aber für die Wirtschaftspolitik in Deutschland seit 1945 eine entscheidende Rolle.

Als Hüterin der Währung oblag ihr die alleinige Hoheit über die Geldpolitik und nahm der Bundesregierung somit ein entscheidendes makroökonomisches Steuerungsinstrument. Neben der alleinigen Verfügung über die Banknotenausgabe legte die Bundesbank den Diskontsatz fest, also den Zinssatz den die Bundesbank einbehält wenn sich Kreditinstitute durch Wechselgeschäfte Liquidität verschaffen wollen. Gesteuert wurden die Geschäfte der Bundesbank seit 1974 vor allem durch die Geldmengenpolitik (vgl. Rudzio 2003: 355).

Unter diesen Voraussetzungen war es aber dennoch ihre Aufgabe, die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen. Mehr als einmal zeigte sich jedoch, dass Bundesbank und Regierung unterschiedliche wirtschaftspolitische Maximalzielsetzungen verfolgten. Während die Regierung bemüht war, vor allem die Beschäftigungszahlen hochzuhalten, sollte Währungsstabilität das wichtigste Ziel der Bundesbank zu sein.

[...]

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Inwiefern behindern institutionelle Vetospieler Reformpläne in der deutschen Wirtschaftspolitik?
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Veranstaltung
Politikfeldanalyse
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
26
Katalognummer
V74747
ISBN (eBook)
9783638849661
ISBN (Buch)
9783638849074
Dateigröße
478 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Inwiefern, Vetospieler, Reformpläne, Wirtschaftspolitik, Politikfeldanalyse
Arbeit zitieren
Christoph Ochs (Autor:in), 2007, Inwiefern behindern institutionelle Vetospieler Reformpläne in der deutschen Wirtschaftspolitik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74747

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