Mensch-Umwelt-Beziehungen und Umweltprobleme in Bolivien


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

40 Seiten, Note: sehr gut - gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Bolivien – natürlicher und kultureller Reichtum

III Mensch und Umwelt in Bolivien
III.1 Das Mensch-Umwelt-Verhältnis im postkolumbianischen Bolivien

IV Umweltprobleme in Bolivien heute – ein Überblick

V Degradation von Vegetation und Boden als Kernprobleme in Bolivien
V.1 Vegetationsdegradation
V.2 Bodenerosion und –degradation
V.3 Vegetations- und Bodenverlust als Problemkomplex

VI Ursachen und Auswirkungen von Erosion und anthropogener Umweltzerstörung an Fallbeispielen
VI.1 Häufige Erosionsformen in den Andenregionen am Beispiel des Charazani-Tals
VI.2 Förderung der Bodenerosion durch Überweidung im Charazani-Tal
VI.3 Straßenbau im Charazani-Tal als Beispiel für direkte anthropogene Landschaftszerstörung
VI.4 Badlandentwicklung in Süd-Ost-Bolivien am Beispiel von Entre Rios und Tarija

VII Bedrohung der biologischen Vielfalt des Megadiversitätslandes Bolivien
VII.1 Bedrohung eines Ökosystems durch eine Pipeline
VII.2 Vegetationszerstörung in der Provinz Arque

VIII Bewässerung, Versalzung und Wasserknappheit als Problemkomplex
VIII.1 Das Bewässerungsprogramm PRONAR

IX Die natürlichen Ressourcen müssen geschützt werden – Umdenken in Bolivien?
IX.1 Stellung der Umweltproblematik im heutigen Bolivien – neue Ansätze in der Umweltpolitik
IX.2 Maßnahmen zum Umwelt- und Ressourcenschutz sowie zur Verbesserung der Agrartechnik an Fallbeispielen
IX.2.1 Erosionschutzmaßnahmen im Tal Guadalquivir bei Tarija
IX.2.2 Blattlaus und Lupine – naturnahe Lösungen im Kampf gegen die Umweltprobleme
IX.2.3 Ressourcenschonendes Wirtschaften durch Agroforstwirtschaft

X FAZIT

XI Anhang

XII Literatur

I Einleitung

Die Umweltprobleme in Bolivien haben eine lange Geschichte und vielfältige Ursachen. Sensible Ökosysteme, die vom Menschen falsch genutzt werden, bilden das Hauptproblem. Bolivien, das als Schlusslicht in der Entwicklung der Länder Lateinamerikas gelten muss, leidet mittlerweile in vielen Fällen unmittelbar unter den Umweltschäden. Mit Zerstörung der eigenen Ressourcen hat sich das Land ein großes Entwicklungshemmnis selbst in den Weg gelegt. In Bolivien geht es demnach bei dem Schutz der Ressourcen keineswegs nur um den Schutz natürlichen Reichtums, vielmehr geht es direkt um das Leben und zukünftige Überleben der Bevölkerung, die von Überschwemmungen, Bodendegradation, Vegetationsverlust, Wasserknappheit und vielen anderen Umweltproblemen direkt betroffen ist. In dieser Arbeit sollen die Hauptumweltprobleme des Landes vorgestellt werden vor dem Hintergrund, dass die Informationen es ermöglichen sollen, bei dem anstehenden Geländepraktikum Umweltprobleme leichter erkennen, verstehen und in Karte und Schrift erfassen zu können.

Nach einer ausführlichen Schilderung des Mensch-Umweltverhältnisses und seinem Wandel in Bolivien sollen wichtige Umweltprobleme zunächst allgemein und dann anhand von Fallbeispielen vorgestellt werden. Im letzten Teil der Arbeit werden dann einige Lösungsansätze im Kampf gegen die Umweltzerstörung vorgestellt.

Zur leichteren Verfügbarkeit und eventuellem Gebrauch der Abbildungen im Seminar sind diese nicht wie üblich ein- sondern im Anhang angefügt.

II Bolivien – natürlicher und kultureller Reichtum

Bolivien findet in der deutschen Literatur bis heute nur recht geringe Aufmerksamkeit und auch nur wenige bolivianische Werke über das Land sind auf Deutsch erhältlich. Mag es an der peripheren Lage mit fehlendem Küstenzugang oder an den für Wissenschaft, Medien und Tourismus weit interessanteren Nachbarn Brasilien und Peru liegen oder an der geringen Wirtschaftskraft des Landes, Fakt ist jedenfalls, dass dieses vielfältige Land weniger Aufmerksamkeit erhält als dem kulturellen Reichtum und der natürlichen Vielfalt des Landes gerecht wird

(PAMPUCH, T. & ECHALAR, A. 1998).

Nicht nur, dass das Land kulturell mit ca. 60% indigener Bevölkerung noch viele überbrachte Traditionen und Lebens- und Wirtschaftsweisen kennt, auch oder gerade die naturgeographische Vielfalt des Landes sucht sicher seines Gleichen in Lateinamerika und in der Welt.

Schon frühe europäische Reisende, die im letzten Jahrhundert Bolivien besuchten, waren angetan von diesem Land, dass sich aus verschiedensten Naturräumen zusammenfügt, so als seien sie ein Mosaik der ganzen Erde. Endlose Ebenen, Hochgebirge mit Zonen ewigen Schnees, tropische Wälder, Sand und Salzwüsten sind in Bolivien anzutreffen. Der niedrige Entwicklungsstand des Landes legt nahe, dass dieser natürliche Reichtum nicht gleichbedeutend mit unendlichen Ressourcen für materiellen Wohlstand ist. Die Vielfalt des Landes bedeutet auch, dass jeder Naturraum seine eigenen Herausforderungen an die Inwertsetzung durch den Menschen stellt. Gemeinsam ist den Naturräumen nur eins: Sie allesamt sind sehr sensibel gegenüber Fehlern des Menschen. Nur so ist es zu erklären, dass in einem so dünn besiedelten Land so ernsthafte Umweltprobleme entstehen konnten, dass sogar Formulierungen wie die Pampuchs (1998, S.164), bezüglich der Umweltprobleme sei es „fünf vor zwölf in Bolivien“, durchaus ihre Berechtigung finden.

Zwar ist Bolivien nach wie vor einer der zehn waldreichsten Staaten der Erde und gehört zu den Megadiversitätsländern, welche beträchtliche Anteile der globalen biologischen Vielfalt auf ihrem Territorium konzentrieren. An allen ökologischen Großregionen Südamerikas (Amazonien, Anden, Cerrado, Chaco) hat Bolivien einen Anteil, was zu einer enorm hohen Ökosystemvielfalt und maximaler pflanzlicher Diversität des Landes führt (IBISCH & NOWICKI 2002). Doch die Probleme sind mindestens genau so rekordverdächtig wie die noch vorhandene Natur. Vegetationsvernichtung und Erosion machen Bolivien zu schaffen und der natürliche Reichtum ist in vielen Fällen eben gerade nicht in materiellen Reichtum und Wohlstand für den Menschen umzusetzen, ohne dass dabei mit den oft angewendeten unangepassten Methoden unumkehrbare Umweltzerstörungen entstehen.

So ist die Problematik der für Agrarwirtschaft ungeeigneten Böden ein passendes Beispiel dafür: Etwa zwei Drittel des Landes bilden das Tiefland des Oriente. Und in diesem riesigen Gebiet sind nach Schätzungen 80% (!) der Böden für Landwirtschaft weitgehend überhaupt gar nicht geeignet und trotzdem wird dort mit Nachdruck seitens der Regierung die Agrarkolonisation gefördert wird (MANSILLA 1984)

Im folgenden Kapitel soll nun das Mensch-Umwelt-Verhältnis und seine Entwicklung in Bolivien näher beschrieben werden, um dann zur Schilderung der Umweltproblematik im Allgemeinen und repräsentativen Fallbeispielen für Umweltzerstörung und danach zu Lösungsansätzen überzugehen.

III Mensch und Umwelt in Bolivien

III.1 Das Mensch-Umwelt-Verhältnis im postkolumbianischen Bolivien

Ohne Zweifel wirkten schon die präkolumbianischen Kulturen in Lateinamerika verändernd und zum Teil mit negativen Effekten auf ihre Umwelt ein. Jedoch hielten ein anderes Umweltverständnis, eine geringe Bevölkerungsdichte und eine verhältnismäßig rückständige Technologie die negativen Auswirkungen in sehr geringen Maßen. Mit der spanischen Eroberung und Kolonisation wandelte sich das menschliche Verhältnis zur Natur im bolivianischen Raum jedoch grundlegend. Waren in den indianischen Hochkulturen vor der Kolonisation Methoden zur schonenden Inwertsetzung derselben entwickelt worden, brachten die Kolonialherren ein neues Verständnis der Natur und ihres Nutzens mit. Es wurde von den Kolonialherren die Natur nicht mehr als „Pachamama“, die heilige Mutter verehrt wie bei den Quetschua, sondern der christliche Gedanke des „Untertanmachens“ erhielt Einzug in den Anden (ZEIMET 2001). So wurde nach MANSILLA (1984, S.123f):

(...) die präkolumbianische Wahrnehmung natürlicher Hilfsquellen, ihre Methoden der Landnutzung sowie das damalige Tier- und Pflanzenreich verdrängt und statt dessen ein mehr an metropolitanischen Standards orientiertes Welt- und Naturverständnis eingeführt, welches die altamerikanische Kosmologie der Ehrfurcht vor der Natur durch die utilitaristische Quantifizierung derselben ablöste.

Die Hauptfaktoren, die sich als Ursache für die negativen Veränderungen ab Mitte des 16.Jahrhunderts finden lassen, sind vor allem in einer neuen dynamischen Siedlungspolitik, einer zunehmenden Erschließung des Landes (auch der tropischen Gebiete), neuer Systeme der Landnutzung und des Grundbesitzes, Einführung neuer Tier- und Pflanzenarten sowie einer systematischen Begünstigung des Bergbaus durch die Kolonialherren zu suchen (Mahnke 1985).

Zur Siedlungspolitik gehörte die Einführung eines bis dahin nicht gekannten städtischen Systems. Die Unterordnung, die der ländliche Raum den neuen Städten gegenüber erfuhr, war bis dahin kaum bekannt gewesen. Durch einen demographischen Aufschwung nahm der Druck auf vorhandene Flächen zu, so dass die Fehler, die neuerlich gemacht wurden, noch schwerwiegender zum Tragen kommen konnten. Die ursprüngliche Baumvegetation wurde zunehmend zerstört. Ohne an Wiederaufforstungsmaßnahmen auch nur im Geringsten zu denken, wurden die Wälder gerodet: Statt Lamadung verwendete man Holz zum Feuer machen, die Eisenbahn benötigte viel Brennholz und Holz für die Trassenlegung. In den Minen, in denen die den Spaniern gewinnversprechenden Erze abgebaut wurden, wurden viele Ressourcen verschlungen, ohne dass von dem Erlös des Abbaus etwas im Ursprungsland bleiben sollte. Viele neue Tier- und Pflanzenarten wurden von den Spaniern im Laufe der Zeit eingeführt, als wichtigste sind die folgenden zu nennen: Kühe, Pferde, Schafe, Ziegen, Maultiere, Weizen, die meisten Fruchtbäume des gemäßigten Klimas, Fichten, Tannen und Weinstock. Diese neuen Arten hatten zum Teil erhebliche negative Auswirkungen, direkter und indirekter Art, auf die Umwelt des bolivianischen Raumes (MANSILLA 1985).

Eine derartige negative Wirkungskette, durch die neuen Arten ausgelöst, wäre z.B.:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Negative Wirkungskette neu eingeführter Arten.

Eigener Entwurf nach LAUER 1987.

So konnten auch die neuen Pflanzenarten und die neue Anbaukultur starke Veränderungen herbeiführen, etwa Aufbruch von Brachezyklen ermöglichen, endemische Arten verdrängen, etc. Die wichtigsten kolonialzeitlichen Veränderungen in der Landwirtschaft und deren negative Folgen sind in der Grafik in Anhang 1 noch einmal im Überblick veranschaulicht.

All diese Veränderungen und Einflüsse sollten den Raum Boliviens und vor allem den Altiplano bis in unser Jahrhundert hinein zunehmend und grundlegend verändern. So wird für den Altiplano anhand historischer Aufzeichnungen für die präkolumbianische Zeit ein milderes Klima und eine baumreiche Vegetation angenommen (PAMPUCH & ECHALAR 1998). Nur aus diesen Gründen ist auch zu erklären, weshalb dieser als Gunstraum zu menschlicher Besiedlung ermutigte. Der Altiplano mit seinen endlosen dürren Weiten ist viel stärker von Menschenhand geschaffen, als allgemein vermutet wird bzw. als wenige in Bolivien bereit wären, zuzugeben. So machte Heinz Ellenberg als einer der ersten Wissenschaftler 1958 darauf aufmerksam, dass die Anden potenziell bis in große Höhen bewaldet wären. Je häufiger detailliert Klima und Vegetation in den Anden studiert werden, desto mehr wird diese Annahme gestützt (ELLENBERG 1958). Es gibt hierzu jedoch auch Gegenstimmen (z.B. durch TROLL (1959) oder RAUH (1977), entnommen bei LAUER & ERLENBACH 1987) und es ist nicht eindeutig geklärt in wieweit tatsächlich eine geschlossene Waldgrenze bei bis zu 4000m lag und wenn, welchen Anteil klimatische (ca. 2° Abkühlung seit Auftreten des Menschen im Andenhochland) und anthropogene Einflüsse am Prozess der Tieferlegung dieser haben (LAUER & ERLENBACH 1987). Fakt ist jedoch, dass ursprünglich viel mehr Flächen der Anden bewaldet waren, als sich heute beim Anblick erahnen ließe.

Waren die Veränderungen des Naturraumes durch menschlichen Einfluss schon von Anfang an stark gewesen, so nahmen sie ohne Zweifel in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts neue Ausmaße an. So erwiesen sich die letzten fünf Jahrzehnte aus ökologischer Sicht als äußerst verheerend.

Die knapper werdenden Agrarböden waren immer größerem Druck ausgesetzt und es wurde auf immer steilere Hänge mit größerem Erosionspotenzial ausgewichen. Brachliegen von Feldern kam infolge des Drucks nur noch selten vor, die allgemein sehr geringe Produktivität der Landwirtschaft blieb trotz oder gerade wegen falscher Modernisierungsanstrengungen (z.B. Pflug statt Grabstock) erschreckend gering (im Vergleich zu anderen armen Ländern betrug die durchschnittliche Agrarproduktivität in Bolivien 1985 z.B. nur 75 %). Die Regenerationsfähigkeit der Böden schrumpfte fortwährend und die Produktivität der Felder ging weiter stark zurück

(MANSILLA 1985).

Die Agrarreform verschaffte vielen Menschen ihr lang ersehntes Stück Land, aus ökologischer Hinsicht hatte sie jedoch auch negative Folgen: Vielen Landbewohnern, die bis dahin kein Land in eigener Verantwortung bestellt hatten, fiel nun ein Stück Land zu, über deren Nutzung sie selbst entscheiden sollten, da das traditionelle System mit Zelgenzwang und festgelegten Brachezyklen ja durch die Latifundien verdrängt worden war. Nicht nur, dass durch die vielen neuen Besitze eine neue Konkurrenzsituation entstand, die bei vielen zum Streben nach kurzfristigen hohen Erträgen führte, auch entschieden sich zu viele für Tierhaltung vor allem von nicht einheimischen Arten, welches zusätzlich Böden und Vegetation belasten sollte.

Ein weiterer fördernder Faktor der Vegetationsdegradation war, dass für viele Bauern ohne traditionelles Wissen Bäume an sich ein „schlechtes Image“ besaßen: sie galten als Überbleibsel aus der Zeit der Latifundien, wo sie den Landbesitzern als Begrenzung ihrer Besitztümer nutzten. Weiterhin brächten sie, so die Meinung vieler Bauern in den siebziger und achtziger Jahren, nur Unglück in Form von Plagen, als Schutz für störende Vögel oder als Blitzfang. So wurden zunehmend auch Bäume, die den Bauern nicht direkt im Wege waren, gerodet und die Begrenzungen der neuen Minifundien mussten ohne Bäume auskommen, obwohl diese wirkungsvoll Winderosion hätten verringern können (MANSILLA 1985).

Zur Edelholzgewinnung, die durch hohe Preise, die von den Industrieländern bezahlt wurden, attraktiv wurde, wurden auf der Suche nach den nur gestreut vorkommenden Edelholzbäumen viele Quadratkilometer Wald zerstört.

Dazu führten allgemeine demographische Veränderungen ab den Fünfzigern zu einem recht starken Anstieg der Landbevölkerung in einigen Regionen, wodurch der Druck auf die Agrarflächen weiter verstärkt wurde. Dies gleichzeitig mit der zunehmend wegfallenden Praxis der Brache führte beispielsweise zwischen La Paz und Tarija während dieser Zeit zu einer nahezu irreversiblen Qualitätsdegradierung der meisten Böden. Ein regionale Zunahme (vor allem in den Tälern des gemäßigten Klimabereichs ) der atmosphärischen Wärme sowie eine deutliche Zunahme von Überschwemmungsereignissen ist seit den fünfziger Jahren zu verzeichnen (PAMPUCH & ECHALAR 1998).

Für die Region Tarija in Süd-Bolivien als ein trauriges Beispiel der Ausmaße der Erodierung agrarischer Ressourcen beschreibt MANSILLA 1985 (S.159f) die Situation wie folgt:

Dem Verwaltungsbezirk Tarija, der in der Vergangenheit höchstwahrscheinlich über die fruchtbarsten Agrarböden Boliviens verfügte, gebührt die zweifelhafte Ehre, das höchste Ausmaß an Erodierung von explizit agrarischen Flächen zu beherbergen. 70 bis 80 % landwirtschaftlich nutzbarer Böden sind bereist stark erodiert; ausgedehnte Zonen (...) sind schon in reine Wüste umgewandelt worden. (...) um die Bezirkshauptstadt wurden mindestens 200.000 Hektar besten Bodens total ruiniert.

Der historische Überblick über die Entstehung der Umweltprobleme und ihre Ausmaße soll mit den achtziger Jahren abgeschlossen werden, in denen der Umweltgedanke, anders als heute und auch schon in den Neunzigern, noch kaum eine oder gar keine Rolle spielte. Ökologische Gedanken fanden zu dieser Zeit noch keinen Einzug in die Entwicklungsplanung und das vorherrschende Ressourcenverständnis belief sich auf eine Annahme unerschöpflichen Vorhandenseins aller natürlichen Grundlagen. In der Grafik in Anhang 2 wird dieses Missverhältnis zwischen vorhandenen natürlichen Ressourcen, reeller Wahrnehmung dieser und daraus resultierenden Fehlern in der Politik deutlich.

Kolonialisierung neuer Gebiete geschah oft spontan und ungeplant, ohne das die neuen, in ihrem neuen Umfeld unerfahrenen Landbesitzer eine Einweisung in die landwirtschaftlichen Möglichkeiten ihres neuen Stück Landes erhalten hätten, wobei diese auch oft nicht bekannt und überschätzt wurden. Denn kaum ein Mythos hat es wohl geschafft sich länger und hartnäckiger zu halten, als der der Fruchtbarkeit von Regenwaldgebieten. Bis heute wird so in Bolivien der Oriente mit seinen ausgedehnten Wäldern als ein Raum der großen Chancen angesehen. Er müsse nur besiedelt und in Wert gesetzt werden, um seinem natürlichen Reichtum Herr zu werden. Die Tatsache, dass der ganze Reichtum des Regenwaldes in der Perfektheit und Geschlossenheit seines Systems und keineswegs im Nährstoffreichtum seines Bodens begründet liegt, wird dabei leider immer noch allzu oft übersehen.

So wurden bei der Agrarkolonisation dieser Gebiete große Teile unvorsichtigerweise unumkehrbar verändert oder geradezu zerstört, dadurch dass die meisten Siedler nach dem „slash-and-burn“-Verfahren vorgehen, welches sich anders als eine rotative Landwechselwirtschaft durch eine fortwährende Ausdehnung der Anbaufläche auf neue zuvor brandgerodete Flächen auszeichnet, ohne sekundär bewaldete Flächen wiederum neu mit einzubeziehen.

Eine gute Vorstellung von den Ausmaßen der Erodierungsprozesse in Bolivien liefert eine Karte von MANZILLA (Anhang 3), in der deutlich wird, dass vor allem fast der ganze Andenteil Boliviens und der tropische Norden als die sensibelsten und dem meisten Druck ausgesetzten Räume großflächig geschädigt und gefährdet sind .

IV Umweltprobleme in Bolivien heute – ein Überblick

Die Umweltprobleme Boliviens sind vielfältig und komplex. Um eine Einordnung der nachfolgenden Fallbeispiele zu erleichtern, soll hier ein Überblick über die signifikantesten Probleme, einige davon mit generellen Ursachen, gegeben werden.

Nach MONTES DE OCA (1997, S.288) haben spätestens im 20.Jahrhundert die Bolivianer ihre Biosphäre vollständig „beschlagnahmt“ und die Erde und ihre Ressourcen vollständig kolonisiert, womit er ausdrücken will, dass die Harmonie, die einst zwischen den Hochkulturen und dem Naturraum herrschte, in der sich ein Sekundärgleichgewicht eingestellt hatte, einer Disharmonie zu Ungunsten der Umwelt weichen musste. Und dies geschah im 20.Jahrhundert mit einem immer schnelleren Tempo einhergehend mit einem raschen Bevölkerungsanstieg

(dieses lag in Bolivien über weite Zeiträume deutlich über zwei Prozent).

Als Haupt-Umweltprobleme des Landes benennt De Oca (1997, S.290) vor allem (wobei er dabei zunächst nicht zwischen Ursachen und Folgen unterscheidet):

- Vegetationsdegradation
- Erosion der Böden
- Entwaldung
- Wahlloses Abbrennen von Savannen und Wäldern
- Verluste der Biodiversität
- Uneingeschränkte Nutzung von Agrochemikalien
- Überweidung
- Wasserkontamination vor allem durch Minenwirtschaft
- Fehlen städtischen Umweltmanagements/ städtischer Sanierungsmaßnahmen

Weiterhin von großer Bedeutung sind in Bolivien Deflation, Desertifikation, Probleme in der Bewässerungslandwirtschaft durch Versalzung von Böden und allgemein das Problem der Wasserknappheit.

Die natürlichen Ressourcen, die allzu lange als quasi ubiquitär behandelt wurden, sind also in ihrer Gesamtheit bedroht und das so stark, dass in vielen Fällen schon direkt Auswirkungen auf das Wohl der Menschen sichtbar wird. In vielen Tälern kann sich die Bevölkerung nicht mehr ausreichend versorgen. Die Agrarproduktivität ist in vielen Regionen Boliviens erschreckend gesunken und viele Täler sind durch Wanderungsdefizite gekennzeichnet. Die agrare Tragfähigkeit dieser Regionen ist überschritten und durch die Degradationserscheinungen auch im Potenzial gesunken (IBISCH 1996). Durch die Abwanderung entstehen neue Folgeprobleme, zum einem in den Städten, die Ziele der Abwanderung sind, zum anderen in den Tälern selbst, wo es z.B. an menschlicher Arbeitskraft fehlt, um die Terrassen und Felder instand zu halten, was wiederum zu einer weiteren Forcierung der Erosion an den Hängen mit den zerfallenden Terrassen führt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Mensch-Umwelt-Beziehungen und Umweltprobleme in Bolivien
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Geographisches Institut)
Veranstaltung
Projektseminar: Geländepraktikum in Bolivien zur regionalen Entwicklungsplanung
Note
sehr gut - gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
40
Katalognummer
V7457
ISBN (eBook)
9783638147170
Dateigröße
1269 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
8 Abbildungen, aktuelles Thema, Schwerpunkt Erosion. 826 KB
Schlagworte
Bolivien, Umweltprobleme, Erosion, Umweltschutz
Arbeit zitieren
Timo Bartholl (Autor:in), 2002, Mensch-Umwelt-Beziehungen und Umweltprobleme in Bolivien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7457

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