"Frömmigkeit" - Begriffsgeschichtliche Untersuchung


Seminararbeit, 2007

17 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entstehung des Begriffes

3. “Frömmigkeit” im biblischen Gebrauch

4. “Frömmigkeit” in Schriftgut außerhalb der Bibel

5. “Frömmigkeit” in außerchristlicher Literatur

6. Säkularisierung als Grund für die Bedeutungsverschiebung von “Frömmigkeit”

7. “Frömmigkeit” in der systematischen Theologie

8. “Frömmigkeit” als negativ aufgeladener Begriff

9. Schlussbetrachtung

10. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Begriffsgeschichte stellt einen Zweig der Kultur- und Geschichtswissenschaften dar, der sich mit der Geschichte der Sprache, genauer mit der historischen Semantik von Begriffen und Wörtern auseinandersetzt.

Sie versucht, durch die Beschreibung von sich verändernden Begriffsinhalten den Wandel von Wirklichkeitsauffassungen zu verfolgen und zu erklären.

Die daraus entspringende Erkenntnis ist nicht nur eine Erkenntnis des sich ändernden Begriffsgebrauchs und ein Wissen um alte Bedeutungen von Wörtern, sondern sie kann auch gesellschaftliche Zusammenhänge erhellen, die auf den untersuchten Begriffen basieren. Sofern man Sprache als konstituierendes Element für gesellschaftliche Erfahrungen ansieht, fungiert eine Begriffsgeschichte auch als Geschichte des gesellschaftlichen Bewusstseins.[1]

Da Sprache nicht nur neutrales “Kommunikationsmedium” ist, sondern wesentlich zur Formung gesellschaftlicher Wirklichkeit beiträgt, verspricht die Untersuchung des sprachlichen Niederschlags bestimmter gesellschaftlicher Ereignisse Aufschluss über die Ereignisse selbst und das gesellschaftliche Bewusstsein hinter ihnen. Den engen Zusammenhang zwischen Sprache und Erkenntnis bezeichnet sehr treffend Friedrich Hölderlin: “So wie die Erkenntnis die Sprache ahndet, so erinnert sich die Sprache der Erkenntnis.”[2]

Der Anlass zum Betreiben von Begriffsgeschichte kann allerdings auch wesentlich einfacher und naheliegender sein: Das Phänomen des Bedeutungswandels von Begriffen bringt mit sich, dass in der aktuelleren Bedeutung eines Begriffes oft ältere Bedeutungen nicht mehr ablesbar sind. Deswegen sind ältere Texte oft nur teilweise verständlich oder schlichtweg unverständlich, begibt man sich nicht auf die Suche nach möglichen älteren Deutungsmöglichkeiten eines Begriffes. Da ein Bedeutungswandel nicht nur diachron, also im Verlauf eines Zeitraumes, sondern auch (synchron) gleichzeitig z. B. zwischen zwei Sprachgebieten stattfinden kann, erstreckt sich das Problem des Verständnisdefizites nicht nur auf Texte aus früheren Zeiten, sondern auf Kommunikation im Allgemeinen.

Mit dieser Intention soll sich in dieser Arbeit dem Begriff der Frömmigkeit diachron genähert werden, der in der heutigen säkularisierten Zeit vielfach semantisch aufgeladen ist und in vielen Fällen nur unter Bedingungen der Unsicherheit und Unklarheit benutzt wird.

Der Begriff der Frömmigkeit hat im heutigen Sprachgebrauch mehrere Facetten. Zunächst wird “Frömmigkeit” in verschiedenen Nuancen mit dem persönlichen Glauben in Verbindung gebracht: Ein “frommer” Mensch kann besonders gläubig sein, oder auch nur “normal” gläubig, aber mit einer eher nach innen gekehrten Glaubenskultur. Mit “Frömmigkeit” kann also sowohl die gefühlte Intensität des Glaubens als auch die Art der Glaubensauslebung gemeint sein.

Allerdings kann “fromm” auch mit negativer Bedeutung behaftet sein und jemanden bezeichnen, der seinen Glauben nur zum Schein und oberflächlich zur Schau stellt und wie eine Fassade ohne Hintergrund trägt, um bestimmte Ziele zu erreichen. In diese Richtung geht auch eine weitere Bedeutungsmöglichkeit: Die Bezeichnung “fromm” kann auch auf eine Person zutreffen, die Unschuld heuchelt und einen Schein zu wahren versucht. “Tu nicht so fromm!” kann als Aufforderung gemeint sein, seine Maske fallenzulassen und eine Schuld einzugestehen. In dieser Bedeutung hat “Frömmigkeit” keine religiöse Bedeutung mehr.

Der Blick auf die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten der Begriffe “Frömmigkeit” und “fromm” zeigt ihre semantische Überfrachtung im heutigen Sprachgebrauch und dass die Verwendung dieser Begriffe Unklarheiten unterliegen muss.

Diese Arbeit soll den Bedeutungswandel des Begriffes “Frömmigkeit” (bzw. als Adjektiv “fromm”) nachzeichnen und erklären. Dabei soll zunächst bei den rekonstruierbaren Wurzeln des Wortes begonnen werden. Ist dieses Fundament umrissen, soll im Verlauf der Arbeit der diachrone Wandel des Begriffs verfolgt und kommentiert werden. Dazu werden zuerst einige biblische Textstellen auf den semantischen Gehalt des Begriffes “fromm” untersucht. Im Anschluss daran sollen außerbiblische und schließlich auch außerchristliche Texte auf dieses Thema hin befragt werden.

2. Entstehung des Begriffes

Der Begriff “fromm” entsteht in der mittelhochdeutschen Zeit, also ungefähr zwischen 1050 und 1350, durch den prädikativen Gebrauch des Substantives fruma.[3]

fruma entsteht im achten Jahrhundert aus dem Althochdeutschen und bedeutet “Nutzen”, “Wohl” oder “Hilfsmittel”. Im Mittelhochdeutschen wird daraus (Adj.) vrume oder vrome, was für “tüchtig”, “tapfer” oder “rechtschaffen” steht. In der Bildung verschieden, aber in der Bedeutung verwandt mit vrume sind die Adjektive vrõme, vrãme, vrõm und vrãm im Mittelniederdeutschen, vroom und vrõme im Mittelniederländischen (niederländisch vroom - “fromm”) und fram im Altenglischen.

Das altertümlich gebrauchte Verb frommen (es frommt – nutzt, kommt zugute) hat seine Vorläufer im althochdeutschen frummen (ausüben, vollbringen) und im mittelhochdeutschen vrumen oder vromen (vorwärtskommen, nützen). Das mittelhochdeutsche Substantiv lautet vrümecheit oder vrümekeit (Tapferkeit, Bravheit) und ist abgeleitet von vrümec (gut, brav, tüchtig).

Zur gleichen Wortfamilie gehören das lateinische primus und das griechische πρόμος (Vorkämpfer, Führer).

Der früh- und hochmittelalterliche Gebrauch des heutigen Begriffes “fromm” meint also nicht fromm im religiösen oder kirchlichen Sinne, sondern rechtschaffen, nützlich, tapfer und förderlich. In diesem Sinne ist der Begriff noch heute in verschiedenen Redewendungen erhalten, wie z. B. “zu Nutz und Frommen” oder (ironisch) “lammfromm”.

Die offensichtliche Differenz zwischen der Bedeutung von “fromm” im mittelalterlichen Sprachgebrauch und der meist religiösen Behaftung des Begriffes in seiner heutigen Verwendung schiebt mittelalterliche kirchliche Überlieferungen in den Fokus der Untersuchungen. Um den Zeitraum und den Grund des benannten Bedeutungswandels einzugrenzen und zu benennen sollen im folgenden einige kirchliche Texte aufgeführt werden.

3. “Frömmigkeit” im biblischen Gebrauch

Der Blick in die Bibel verrät, dass der Begriff “fromm” vom Übersetzer Martin Luther in seiner traditionellen Bedeutung gebraucht wird. Im Folgenden sollen einige Beispiele den Gebrauch des Begriffes in Luthers Bibelübersetzung illustrieren.

Das erste Beispiel für die Verwendung von “fromm” stammt aus dem ersten Buch Mose des Alten Testaments:

Als nun Abram neunundneunzig Jahre alt war, erschien ihm der HERR und sprach zu ihm: Ich bin der allmächtige Gott; wandle vor mir und sei fromm.

Und ich will meinen Bund zwischen mir und dir schließen und will dich über alle Maßen ehren.

Da fiel Abram auf sein Angesicht. Und Gott redete weiter mit ihm und sprach: Siehe, ich habe meinen Bund mit dir, und du sollst ein Vater vieler Völker werden. [4]

Gott schließt einen Bund mit Abram und fordert ihn auf, vor ihm fromm zu sein.

Diese Frömmigkeit, die Gott hier von seinem Bündnispartner einfordert, meint die Rechtschaffenheit im Bezug auf Gottes Gesetz. Dass mit “sei fromm” nicht ein Ausdruck von Gläubigkeit und Gottvertrauen überhaupt gemeint ist, zeigt die mehrfache Erwähnung des Bundes, der an dieser Stelle besiegelt wird. Die eingeforderte Frömmigkeit ist Bedingung für den Bund und gleichzeitig seine Regel – der Bund mit Gott verpflichtet Abram zu einem Leben nach Gottes Gesetzen.

Gegen eine Interpretation spricht auch der Gottesbegriff, der im Alten Testament anzutreffen ist: Jahwe ist ein personaler und ein geschichtlicher Gott. Wer ihm gegenübersteht, ist sich seiner bewusst. Seine Herrschaft über die Welt ist ausschließlich in seinem Willen, seiner Kraft und seiner Macht begründet, indem er in die Welt eingreift und damit geschichtliche Ereignisse kreiert (z. B. Israels Auszug aus Ägypten), wird er erst als Gott über die Welt erkennbar.[5]

[...]


[1]Busse, Historische Semantik – Analyse eines Programms, Stuttgart 1987, S. 11.

[2]Hölderlin, Über die Verfahrensweise des poetischen Geistes, in: Sämtliche Werke, Hg. F. Beissner, Stuttgart 1962, Bd. 4, 251-276, S. 272.

[3]Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, München (4. Auflage) 1999, S. 378.

[4]Luther, Die Bibel, Stuttgart 1984, 1. Mose, 17, 1-4.

[5]Grundmann, S. 299. Art. du,namai, du,natoj, du,natew,... , in: Theologisches Wörterbuch des Neuen Testaments (1935), 286-318.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
"Frömmigkeit" - Begriffsgeschichtliche Untersuchung
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte)
Veranstaltung
Modul A - Begriffsgeschichte
Note
2,5
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V74392
ISBN (eBook)
9783638741620
ISBN (Buch)
9783638755887
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit untersucht die historische Semantik der Begriffe "Fromm" und "Frömmigkeit".
Schlagworte
Frömmigkeit, Begriffsgeschichtliche, Untersuchung, Modul, Begriffsgeschichte
Arbeit zitieren
Asmus Green (Autor:in), 2007, "Frömmigkeit" - Begriffsgeschichtliche Untersuchung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74392

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