Die Essential Facility Doctrine nach § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB und nach europäischem Recht unter Berücksichtigung der Seehafenentscheidungen der Kommission und des Bronner-Urteils


Vordiplomarbeit, 2007

31 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

A. Einleitung

B. Die Entwicklung der essential facility doctrine
I. Im amerikanischen Recht
II. Im europäischen Recht
III. Im deutschen Recht

C. Tatbestandsmerkmale
I. Der relevante Markt
1. Sachlich
2. Räumlich
3. Zeitlich
II. Die Marktbeherrschung
1. Marktstruktur
2. Marktverhalten
III. Der Missbrauch
1. Zugangsobjekt
a) Wesentliche Einrichtungen nach europäischem Recht
b) Einrichtungen nach § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB
aa) Netze
bb) Andere Infrastruktureinrichtungen
2. Wesentlichkeit des Zugangs
a) Duplizierbarkeit
b) Substituierbarkeit
3. Gewährung des Zugangs
a) Mitbenutzung gegen angemessenes Entgelt
b) Unzumutbarkeit der Mitbenutzung
aa) Betriebsbedingte Gründe
bb) Sonstige Gründe

D. Seehafenentscheidungen der Europäischen Kommission
I. Sealink I
1. Sachverhalt
2. Entscheidung
II. Sealink II
1. Sachverhalt
2. Entscheidung
III. Hafen von Rødby
1. Sachverhalt
2. Entscheidung

E. Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall Bronner
I. Sachverhalt
II. Entscheidung

F. Eigene Bewertung
I. Seehafenentscheidungen der Europäischen Kommission
II. Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall Bronner

G. Fazit

Literaturverzeichnis

Ehrenwörtliche Erklärung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einleitung

Das europäische und deutsche Recht ist vom Grundsatz geprägt, dass ein Unternehmen frei darüber entscheiden kann, mit wem und zu welchen Bedingungen es einen Vertrag schließen möchte. Dies gilt selbstverständlich auch für die Nutzung von Einrichtungen eines Unternehmens, auf die ein anderes zurückgreifen muss, um selber wirtschaftlich tätig werden zu können. Nimmt das erstgenannte Unternehmen jedoch eine derart beherrschende Stellung ein, dass das zugangsbegehrende Unternehmen nicht an ihm vorbeikommt, ist es im Besitz einer sogenannten Engpasseinrichtung. Dieser Umstand ist unproblematisch, solange das beherrschende Unternehmen den Zugang zu der Engpasseinrichtung zu angemessen Bedingungen gewährt. Verweigert es ihn jedoch, liegt der Tatbestand vor, mit welchen sich die essential facility doctrine beschäftigt.

Entwickelt wurde die Doktrin während den Anfängen des letzten Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten von Amerika. Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung ist sie als Beispieltatbestand der allgemeinen Missbrauchskontrolle in das europäische und deutsche Kartellrecht übernommen worden. Im deutschen Rechtskreis fand sie in Form des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB sogar eine legalgesetzliche Form.

Der Gang der vorliegenden Untersuchung wird zunächst die Entwicklung der essential facility doctrine in den verschieden Rechtskreisen beleuchten. Im Anschluss daran werden die erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen nach europäischem Recht und nach § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB dargelegt. Abschließend werden die für diesen Themenkomplex besonders bedeutsamen Seehafenentscheidungen der Europäischen Kommission und das Urteil Bronner des Gerichtshofs dargestellt und einer Bewertung des Autors unterzogen.

Im Ergebnis möchte diese Arbeit die wesentlichen Unterschiede zwischen der essential facility doctrine europäischer und deutscher Prägung herausarbeiten und einen Ausblick wagen, welche wettbewerbspolitische Bedeutung ihr zukommt.

B. Die Entwicklung der essential facility doctrine

I. Im amerikanischen Recht

Die essential facility doctrine, wörtlich übersetzt die Doktrin der wesentlichen Einrichtungen, hat ihren Ursprung in der der Rechtssprechung des Supreme Courts zum antitrust law der Vereinigten Staaten von Amerika.[1] Rechtsgrundlage der betreffenden Entscheidungen war Section 2 des Sherman Act aus dem Jahre 1890:

Every Person who shall monopolize, or attempt to monopolize, or combine or conspire with any other person or persons, to monopolize any part of the trade or commerce among the several states, or with foreign nations, shall be deemed guilty of felony.

Aus der Formulierung dieser Norm wird deutlich, dass nicht nur das Ausnutzen einer erlangten Monopolstellung erfasst wird, sondern bereits der Versuch des Erlangens, sofern dabei unangemessene Mittel eingesetzt werden.[2] Im Umkehrschluss sei aber darauf hingewiesen, dass im amerikanischen Recht ein Monopol nicht in jedem Fall verboten ist. Es kommt vielmehr darauf an, auf welche Art und Weise das Monopol erworben, ausgedehnt und aufrechterhalten wird.[3]

Die eigentliche Geburtstunde der essential facility doctrine war ein Urteil des Supreme Courts gegen die Terminal Railroad Association aus dem Jahre 1912.[4] Die Gesellschaft, welche durch einen nach dem Recht des Bundesstaates Missouri zulässigen Zusammenschluss von vierzehn Eisenbahngesellschaft entstandenen ist, kontrollierte die einzigen Eisenbahnübergänge auf der Strecke nach St. Louis. Konkurrenten wurde der Zugang zu den, für die Aufnahme einer Zugverbindung nach St. Louis wesentlichen Einrichtungen, entweder verweigert oder nur gegen ein stark überhöhtes Entgelt ermöglicht. Der Supreme Court stellte hierzu in der Urteilbegründung eine Verletzung des Monopolisierungsverbots nach Section 2. Sherman Act fest, und verfügte unter erstmaliger Verwendung des Begriffs der essential facilities, dass jeder begehrenden Gesellschaft der Zugang zu diskriminierungsfreien und angemessenen Bedingungen zu ermöglichen sei.[5]

Die Tatbestandsmerkmale der essential facilty doctrine wurden erstmals durch den Court of Appeal des Districts of Columbia in der Entscheidung MCI Communication v. AT&T aus dem Jahre 1983 konkretisiert.[6] Demnach muss eine Einrichtung durch einen Monopolisten kontrolliert werden, die Duplizierung dieser Einrichtung muss für Wettbewerber aus tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen unmöglich sein, der Monopolist muss Wettbewerbern die Benutzung der Einrichtung verweigern und eine solche Benutzung muss für den Monopolisten zumutbar sein.[7]

II. Im europäischen Recht

Ausdrücklich rezipiert wurde die essential facilty doctrine im europäischen Rechtskreis erstmals von der Kommission im Rahmen ihrer drei Seehafenentscheidungen aus den Jahren 1992 und 1993.[8] Im Rahmen dieser Entscheidungen ordnete sie die Verweigerung des Zugangs Dritter zu wesentlichen Einrichtungen eines marktbeherrschenden Unternehmens als eigene Fallgruppe des Missbrauchs nach Art. 86 EGV (Art. 82 n. F.) ein.[9]

Der EuGH beschäftigte sich mit der Anwendung der essential facility doctrine erstmals in den Urteilen Magill und Bronner.[10]. Im Fall Magill ging es um den Zugang zu Programminformationen von Fernsehgesellschafen, die Entscheidung Bronner bezog sich auf die Nutzung eines Hauszustellungssystems für Zeitschriften. Ausdrücklich erwähnt hat der EuGH den Begriff der essential facilities jedoch in keiner der beiden Rechtssachen.

Neben der Subsumtion unter Art. 82 EGV findet sich der Gedanke der essential facility doctrine auch in mehreren gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrechtsakten, wie Art. 1 ff. Telekommunikationsrichtlinie 98/10/ EG, Art. 11 Postdienstbinnenmarktrichtlinie 97/67/EG, Art. 16 ff. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 96/92/EG und Art. 10 Eisenbahnrichtlinie 91/4407/EWG, wieder.[11]

III. Im deutschen Recht

Eine erste gesetzliche Regelung, die den Aspekt der essential facility doctrine in Deutschland berücksichtigte, war der 1980 eingefügte und 1998 wieder gestrichenen § 103 Abs. 5 S. 2 Nr. 4 GWB, der die unbillige Behinderung eines Unternehmens durch ein Versorgungsunternehmen aufgrund der Verweigerung der Durchleitung zu angemessenen Bedingungen betraf.[12]

Seit der Mitte der 90er Jahre finden sich zudem sektorale Regelungen, die die Problematik der essential facilities berücksichtigen.[13] Zu nennen sind hier für den Bereich des Zugangs zu Eisenbahninfrastrukturen § 14 AEG, für Postdienstleistungen §§ 28, 29 PostG, für den Zugang zu Energieversorgungsnetzen § 20 EnWG (§ 6 a. F.) sowie für den Telekommunikationssektor §§ 33, 35 TKG.

Das Bundeskartellamt forderte jedoch bereits ab dem Jahr 1995, dem Problem der Zugangsverweigerung über die spezialgesetzlichen Bestimmungen hinaus Rechnung zu tragen.[14] Dieser Überlegung wurde auch unter dem Eindruck der europäischen Entscheidungspraxis in der Gesetzesbegründung zur 6. Novelle des GWB entsprochen.[15] Als Folge dieser Entwicklung trat am 1. Januar 1999 der § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB in Kraft, welcher die erstmalige gesetzliche Normierung der essential facility doctrine darstellt.[16]

C. Tatbestandsmerkmale

Einleitend ist zu sagen, dass die Verweigerung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung sowohl im europäischen als auch im deutschen Recht lediglich die Stellung eines Beispieltatbestands der allgemeinen Mißbrauchskontrolle hat. Bevor somit über dessen Missbräuchlichkeit zu befinden ist, muss festgestellt werden, ob gemäß Art. 82 EGV oder § 19 GWB auf einem relevanten Markt eine beherrschende Stellung vorliegt.

I. Der relevante Markt

Art. 82 EGV verweist in diesem Kontext auf den Gemeinsamen Markt oder einen wesentlichen Teil desselben, § 19 Abs. 2 GWB bezieht sich auf Angebot oder Nachfrage bestimmter Waren oder gewerblicher Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt. Beide Normen fordern somit zwar eine Marktabgrenzung, definieren sie aber nicht abschließend. Um diesem Ziel näher zu kommen, ist zwischen dem sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Markt zu differenzieren.[17]

1. Sachlich

Nach ständiger Praxis erfolgt die Definition des sachlich relevanten Marktes durch das Bedarfsmarktkonzept,[18] welchem auch der EuGH und die Europäische Kommission in ihrer bisherigen Entscheidungspraxis folgten.[19] Zum sachlich relevanten Markt zählen danach alle Produkte und Dienstleistungen, die aus der Sicht der Verbraucher hinsichtlich ihrer Beschaffenheit, ihres Verwendungszwecks und ihres Preises substituierbar sind.[20]

[...]


[1] Möschel in: Immenga, Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., 2001, § 19, S. 704, Rn. 178.

[2] Markert, Die Anwendung des US-amerikanischen Monopolisierungsverbots auf Verweigerung des Zugangs zu »wesentlichen Einrichtungen«, in: Immenga, Möschel, Reuter, Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, S. 662.

[3] Tränkle, Die “essential facilities“-Doktrin im europäischen Wettbewerbsrecht, 2001, S. 7.

[4] United States v. Terminal Railroad Association, 224 U.S. 383.

[5] United States v. Terminal Railroad Association, 224 U.S. 383, S. 409 ff.

[6] MCI Communication Corp. v. American Tel. & Tel., Co. 708 F. 2 d 1081.

[7] MCI Communication Corp. v. American Tel. & Tel., Co. 708 F. 2 d 1081, S. 1132.

[8] Müller, Die „Essential Facilities“-Doktrin im Europäischen Kartellrecht, EuZW 8/1998, S. 233; Markert, Die Verweigerung des Zugangs zu „wesentlichen Einrichtungen“ als Problem der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht, WuW 7/1995, S. 562.

[9] Kommission der Europäischen Gemeinschaften, XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, 1993, B&I / Sealink (Holyhead), Sealink I, Rn. 219, S. 124; Europäische Kommission, Entscheidung 94/19/EG, Sealink II, EG-Abl. 1994, Nr. L 15/8, Tz. 66; Europäische Kommission, Entscheidung 94/119/EG, Hafen von Rødby, EG-Abl. 1994, Nr. L 55/52, Tz. 12.

[10] Lampert, Der EuGH und die essential facilities-Lehre, NJW 31/1999, S. 2236.

[11] Möschel in: Immenga, Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., 2001, § 19, S. 707, Rn. 181.

[12] Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl., 2001, S. 201.

[13] Emmerich, Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen, in: Heise, Hromadka, Köbler, Europas rechtsordnungspolitische Aufgabe im Recht des dritten Jahrtausends, 2000, S. 278; Bechtolsheim, Die Essential Facilities Doktrin und § 19 (4) Nr. 4 GWB, WRP 2/2002, S. 56.

[14] Götting in: Loewenheim, Meessen, Riesenkampff, Kartellrecht, Band 2: GWB, 2006, § 19, S. 341, Rn. 87; Bunte, 6. GWB-Novelle und Missbrauch wegen Verweigerung des Zugangs zu einer „wesentlichen Einrichtung“, WuW 4/1997, S. 303.

[15] BT-Drs. 13/9720, Begründung zum Entwurf eines 6. Gesetzes zur Änderung des GWB, 1998, S. 37.

[16] Bechthold, Das neue Kartellgesetz, NJW 38/1998, S. 2772, Kretschmer in: Baron, Kretschmer, Meinungen zur 6. GWB-Novelle, WuW 7/1998, S. 655.

[17] Möschel in: Immenga, Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., 2001, § 19, S. 583, Rn. 23.

[18] Immenga, Relevante Märkte und Marktbeherrschung in der Regulierungspraxis, MMR 4/2000, S. 196.

[19] Dörr, Haus, Das Wettbewerbsrecht des EGV, JuS 4/2001, S. 316.

[20] Herrlinger, Das »Netz« in § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB, 2003, S. 80.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Die Essential Facility Doctrine nach § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB und nach europäischem Recht unter Berücksichtigung der Seehafenentscheidungen der Kommission und des Bronner-Urteils
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
31
Katalognummer
V74334
ISBN (eBook)
9783638712927
ISBN (Buch)
9783638713306
Dateigröße
494 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Essential, Facility, Doctrine, Recht, Berücksichtigung, Seehafenentscheidungen, Kommission, Bronner-Urteils
Arbeit zitieren
Benjamin Röns (Autor:in), 2007, Die Essential Facility Doctrine nach § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB und nach europäischem Recht unter Berücksichtigung der Seehafenentscheidungen der Kommission und des Bronner-Urteils, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74334

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