Hauptrolle Alte(r). Die Darstellung des Alters im fiktionalen Film


Magisterarbeit, 2004

96 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Thematische Einführung

2 Hauptrolle: Alte(r). Die Darstellung des Alters im fiktionalen Film
2.1 Forschungsmethodik und Analysematerial
2.1.1 Die interdisziplinäre Kontexterschließung
2.1.2 Filmauswahl zum Thema Alter
2.2 Filmische Inszenierungen des Alter(n)s
2.2.1 Erzählerfiguren, Erinnerungen und Erfahrungen: life review
2.2.2 Inszenierung des Sterbensbewusstseins
2.2.3 Alte Menschen als Sex(anti)symbole
2.2.4 Konfliktbeziehungen und -situationen
2.2.5 Rebellion gegen Homogenität und Stereotypisierung

3 Ausgangsbasis Alte(r) und Film: Interdisziplinäre Ageing Studies

Literaturverzeichnis

Filmographie

Anhang

1 Thematische Einführung

Im Zuge der progressiven Alterung unserer Gesellschaft[1] rücken Themen, die das Alter(n) betreffen, in der letzten Zeit stärker in den Vordergrund des öffentlichen Interesses. Die Politik nimmt sich immer wahrnehmbarer dieser Problematik an, die zuvor schon seit mehreren Jahren in den Sozialwissenschaften und der Gerontologie diskutiert und analysiert wurde. Auch die Medien reagieren auf diese Entwicklung, allen voran die Werbung. Ältere Menschen wurden schon vor Jahren als lukrative Käufergruppe für bestimmte Produkte entdeckt und dieser Sektor wird seitdem unaufhörlich ausgebaut. Im Fernsehen tauchten bereits in den Achtzigerjahren neue Formate mit und über alte Menschen auf, so zum Beispiel die Serien Jakob und Adele (D 1982-1988) oder The Golden Girls (USA 1985-1992). In der letzten Zeit erobern Altersthematiken den vergleichsweise jungen Comedymarkt, so brachte Sat.1 letztes Jahr die Sketchshow Alt & durchgeknallt (D 2003) heraus. Auch im Kino scheinen in den vergangenen Jahren Filme über die ältere Generation den Vor­sprung zu wagen, denkt man nur an About Schmidt (Alexander Payne, USA 2002), Calendar Girls (Kalender Girls, Nigel Cole, UK 2003) oder Something's Gotta Give (Was das Herz begehrt, Nancy Meyers, USA 2003).

Was passiert aber, wenn Alter(n) in den Mittelpunkt einer filmischen Inszenierung rückt? Es ist notwendig, einmal einen genauen und wissenschaftlichen Blick auf die Darstellung des Alters im Film zu werfen. Doch schon die erste Betrachtung des Forschungsfeldes ist ernüchternd. Die Medienwissenschaft hat sich, mit Ausnahme einiger Zeitschriftenartikel, mit dem Thema der medialen Altersdarstellungen so gut wie noch gar nicht beschäftigt. Die Recherche in den gerontologischen Spezial­gebieten der Soziologie und der Psychologie ist dagegen vielversprechender. Hier finden sich eine Reihe von Studien zur Repräsentation des Alters. Leider beziehen sich diese hauptsächlich auf Fernsehen oder Werbung, nicht jedoch auf Film.

Diese Ausgangslage bestärkte meinen Entschluss, mit dieser Arbeit einen ersten Grundstein für die filmwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Themen­komplex Alter im Film zu legen. Dabei möchte ich mich ausschließlich auf fiktionale Langspielfilme konzentrieren, die primär für den Kinoverleih produziert wurden und die aus dem europäischen, nordamerikanischen oder australischen Kulturraum stammen. Ich werde eine Auswahl von Filmen, in denen ältere Menschen oder das Alter(n) im Zentrum der Handlung stehen, einer qualitativen Inhaltsanalyse unter­ziehen, um zu ergründen, wie diese Filme ihre alten Protagonisten und deren Umwelt inszenieren, welche Themen und Probleme des Alter(n)s sie dabei anschneiden, welche sie vermeiden und welche Konfliktlösungen sie am Ende bereithalten. Dabei berücksichtige ich Filme von 1945 bis heute[2], um zusätzlich einen historischen Blick auf mögliche Veränderungen zu werfen. Ziel dieser Arbeit ist es, zu zeigen, dass sich Kinofilme unter den oben genannten Einschränkungen dem Thema Alter differenziert annehmen und somit stereotype Darstellungen[3] vermieden werden. Dieses Ziel begründet sich vor allem darin, dass die Mehrheit der bisher durchgeführten Studien in Soziologie und Psychologie belegen, dass alte Menschen im Fernsehen häufig stereo­typisiert dargestellt werden und – insbesondere alte Frauen – generell unterreprä­sentiert sind. Die logische Folge daraus ist, dass in den wissenschaftlichen Lagern eine Grundstimmung entsteht, die den verzerrten medialen Altersbildern entgegenzuwirken versucht. Auch wenn dies keine Medienvergleichsstudie werden soll, so möchte ich durch meine Analyse trotzdem den deutlichen Unterschied zwischen den beiden Medien Fernsehen und Film in dieser Hinsicht betonen, damit Filme nicht unter die vorherrschende Meinung über mediale Altersdarstellungen subsumiert werden, ohne dass sie einer ausreichenden Prüfung unterzogen wurden. Somit kann diese Arbeit auch eine Grundlage für solche Untersuchungen schaffen, schließlich gilt es, eine große Menge an bisher unbearbeitetem Material zu analysieren.

Theoretische Abhandlungen aus dem filmanalytischen Bereich finden, soweit vorhan­den, im ersten Teil dieser Arbeit ihre Berücksichtigung. Ich werde dabei die wenigen wissenschaftlichen Artikel, die es zu dieser Thematik bisher gibt, vorstellen und auf die raren Schnittstellen mit anderen Teilbereichen der Medienwissenschaft eingehen, die eventuell nützliche Ansätze liefern können. Dazu kommt eine ausführliche Darstellung von entsprechenden Studien aus den benachbarten Wissen­schaften Soziologie und Psychologie, die interdisziplinär im Zusammenspiel mit der Medien­wissenschaft auf diesem Sektor eine bessere Chance hätten, das Thema adäquat und systematisch zu erforschen. Im zweiten Teil der Arbeit folgen dann die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse, gebündelt nach fünf verschiedenen Themen­komplexen, die bei der Untersuchung zu Tage traten. Der dritte Teil fasst die Ergebnisse der Analyse noch einmal zusammen und präsentiert den Ausblick auf eine mögliche interdiszi­plinäre Forschungszukunft. Im Anhang befinden sich ausführliche Recherchelisten, weiterführende Hinweise und diverse Abbildungen der analysierten Filme, die zum Abschluss noch einmal die Ergebnisse der Arbeit unterstützen.

2 Hauptrolle: Alte(r).
Die Darstellung des Alters im fiktionalen Film

2.1 Forschungsmethodik und Analysematerial

Ein neu zu bearbeitendes Forschungsgebiet zwingt den Wissenschaftler, zu Beginn grundlegende Fragen zu klären. In diesem Fall muss zunächst bestimmt werden, welche Studien überhaupt als theoretische Grundlagen dienen können. Da ein über­wiegender Teil der Literatur aus anderen Fachbereichen stammt, verfolgen diese in der Regel ein anderes Ziel als die Filmwissenschaft. Es müssen also innerhalb der Studien tendenzielle bzw. übergeordnete Nuancen herausgefiltert und nach Schnitt­stellen mit der Medienwissenschaft gesucht werden. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich die Mehrheit dieser Arbeiten mit Altersrepräsentationen im Fernsehen beschäf­tigen. Aber lassen Erkenntnisse über das Medium Fernsehen überhaupt Rückschlüsse auf das Medium Film zu? Diese und noch weitere Fragen sind der Ausgangspunkt für den ersten Teil dieses Kapitels, der sich mit dem Forschungsstand in Medienwissen­schaft, Soziologie und Psychologie auseinander setzt.

Darüber hinaus stellt sich aber auch das Problem, zu bestimmen, welche Filme in einer solchen Arbeit berücksichtigt werden sollen. Wie definiert sich 'Alter'? Ab wann hat ein Film einen Altersbezug? Gibt es Geschlechterdifferenzen? Im zweiten Teil werden diese und andere Einschränkungen näher erläutert. Die dadurch entstandene Recher­che­liste weist bereits erste tendenzielle Erkenntnisse auf. Durch weitere Restriktionen verkleinert sich diese Liste, um am Ende eine angemessene Anzahl an Filmbeispielen für die qualitative Inhaltsanalyse bereitzustellen. Aus Gründen der Flexibilität habe ich mich für diese Methode entschieden. So können die Angebote an Alterdarstellungen aus den Filmen die spätere Gruppierung der Ergebnisse bestimmen. Eine empirische quantitative Analyse[4] ist zu diesem Zeitpunkt nicht empfehlenswert, denn bisher mangelt es an eindeutigen Definitionen zu entscheidenden Gesichts­punkten der Thematik und es stellt sich zusätzlich das Problem der Vollständigkeit und der Repräsentativität. Für eine solche Behandlung in der Zukunft dienen die zu Tage getretenen Ergebnisse dieser Untersuchung als gute Ausgangslage.

2.1.1 Die interdisziplinäre Kontexterschließung

Betrachten wir zunächst das Forschungsgebiet, auf dem sich diese Arbeit im Folgen­den bewegen wird. Wie bereits erwähnt, ist es aus filmwissenschaftlicher Perspektive gesehen extrem mangelhaft bearbeitet worden. In der Regel wäre es an dieser Stelle üblich, auf die Historie des gewählten Problemkomplexes einzugehen. Man würde bereits herausgearbeitete Erkenntnisse sammeln und gebündelt präsentieren, um im Anschluss den eigenen Ansatz innerhalb dieses Diskurses besser verorten zu können. Aber all dies gestaltet sich bei der Darstellung des Alters im fiktionalen Film schwie­rig. Anstatt eine Fülle von Sekundärliteratur zu bearbeiten, gilt es nun eher, das vorhandene Defizit zu beheben.

Dieses Defizit ist umso bemerkenswerter, als sich anverwandte Wissenschaften wie die Psychologie und die Sozialwissenschaft bereits seit Langem mit gerontologischen Themen beschäftigen und ihnen eine angemessene Stellung innerhalb der jeweiligen Forschungsbereiche zuteil werden lassen: Beispielsweise die Alter(n)ssoziologie bzw. Soziologie des Alter(n)s innerhalb der Sozialwissenschaft oder die Geronto­psycho­logie[5] in der Psychologie. In der Medienwissenschaft fehlt ein entsprechender Terminus, der Ausdruck einer Schwerpunktsetzung wäre. Dabei ist 'Alter' – genauso wie 'Geschlecht' – ein strukturelles Element zur "Naturalisierung von Gesellschaft" (Kohli 2001, S.1), um nicht zu sagen ein soziales Konstrukt (vgl. Doing Gender[6]). Vielleicht ist es an der Zeit, neben Gender Studies auch eine Art interdisziplinäre 'Ageing Studies'[7] einzuführen, um sich einmal intensiv mit Rollenbildern in diversen Altersstrukturen zu beschäftigen.

Die Recherche innerhalb der soziologischen und psychologischen Literatur zu dem Problemkomplex Alter hat definitiv gezeigt, dass das Thema bezüglich einzelner Disziplinen schwer abgrenzbar ist. Die Soziologie beschäftigt sich mit dem Alter(n) zum einen auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene. Dabei stützt sie sich auf demosko­pische Daten und zeigt so die Probleme der Alterung unserer Gesellschaft auf (vgl. Kohli 2001, S.2f. und Backes 1997, S.368f.). Zum anderen wird das Alter(n) auch auf der Ebene des Individuums[8] betrachtet, zum Beispiel im Hinblick auf die Pluralisie­rung der Lebensformen oder Individualisierungsprozesse und deren Aus­wirkungen auf das Alter (vgl. Kohli 2001, S.2). Hierbei streuen aber andere Disziplinen stark in den gewählten Bereich. So stammen beispielsweise Debatten über den Arbeitsmarkt für alte Menschen, über Altersarmut oder Rentenproblematik eher aus der Sozialpolitik bzw. Ökonomik (vgl. S.7ff.), sind aber dennoch nicht aus dem gesamten Problem­komplex wegzudenken. Für diese Arbeit sind soziologische Betrachtungen der gesellschaftlichen Wahrnehmung von bzw. Einstellung gegenüber Alter relevant. Dazu kommt die Analyse von Fremd- und Selbstbildern älterer Menschen und wie diese in Wechselwirkung miteinander treten. Die Soziologie geht hierbei u.a. sehr ausführlich auf Stereotypisierung[9] und deren Auswirkungen[10] ein. An dieser Stelle überkreuzen sich nun Sozial- und Medienwissenschaften. Denn nicht selten werden Altersstereo­type in den Medien zum Analyseobjekt der Soziologie.

Jedoch ist eine fachliche Abgrenzung auch hier kaum möglich, denn sobald es um die Darstellung von Alter bzw. Alten in den Medien geht, überschneiden sich sozial­wissenschaftliche und psychologische Forschung[11]. Gerontopsychologie beschäftigt sich mit den Verhaltensweisen und biologischen Entwicklungen im Alter. Dazu zählen insbesondere Bewältigungsstrategien (coping) im Umgang mit den biologischen Prozessen (auch Krankheit) bzw. kognitiven Entwicklungen (Reduktion von Sinnes­leistungen)[12], psychologische Produktivität (z.B. Weisheit und Kreativität), Persön­lichkeits- und Selbstkonzepte sowie die Einflüsse durch das gesellschaftliche Alters­bild[13]. Dieses wird u.a. auch durch Mediendarstellungen geprägt, was wiederum Stereotype hervorbringen kann (vgl. Filipp/Mayer 1999, S.212f.). An dieser Stelle öffnet sich der Kreis wieder zur Soziologie und auch zur Medienwissenschaft.

Schon dieser kurze Überblick zeigt, wie problematisch Abgrenzungen und Zuord­nungen in diesem komplexen Themenfeld sind. Doch die drei eben erwähnten Wissen­schaftsdisziplinen, die sich mit dem Altersbild in Medienangeboten beschäftigen, arbeiten bisher nicht ausreichend eng zusammen:

"Vor allem ist zu bedauern, daß zu wenige Studien Anleihen bei den Medienwissen­schaften genommen haben. [...] Wenn man bedenkt, wie interessant das Befund­material zum face-ism in der Erforschung von Geschlechterstereotypen war [...], dann ist es umso bedauerlicher, daß man sich nicht auch dem Alterstereotyp auf diese Weise gewidmet hat" (S.238f.).

Diese Äußerung von Seiten der Psychologie gibt der Idee der Ageing Studies erneut Auftrieb. Im weiteren Verlauf stellen Sigrun-Heide Filipp und Anne-Kathrin Mayer treffend fest, dass viele Fragen bezüglich Altersbilder und Altersstereotypisierungen "wohl so lange offen bleiben, wie nicht im Konzert von Medien-, Kommunikations-, Sprach-, Literatur- und Verhaltenswissenschaften dazu eine theoretisch fundierte Diskussion geführt wird" (S.239). Das Potential der fachübergreifenden Zusammen­arbeit wird in der Literatur immer häufiger erkannt und von den Forschern auch so formuliert:

"While accepting that media scientists and sociologists of culture are best qualified to interpret the sources and the consequences of the revealed misrepresentations [gemeint ist die verzerrte Darstellung von alten Menschen in Fernsehsendungen der Hauptsendezeit, A.D.], psychological concepts and understanding can usefully contribute" (Kessler/Rakoczy/Staudinger 2004, S.545).

Die beste Methode, sich der Problematik auf theoretischer Ebene zu nähern, ist folglich die interdisziplinäre Herangehensweise.

Auf der Grundlage dieser Erkenntnis fällt es leichter, ein paar wegweisende Studien zu präsentieren, die nicht immer einer Wissenschaftsdisziplin eindeutig zuzuordnen sind. In ihnen finden viele Arbeitsmethoden und Sichtweisen Platz, die alle einen Beitrag zur Erschließung des Themas leisten können. Zu den frühen Studien zählt in jedem Fall Eva-Maria Boschs Dissertation Ältere Menschen und Fernsehen (1986), in der die Autorin ausführlich auf die Konstruktion und Rezeption von Alters­darstel­lungen in unterhaltenden Fernsehprogrammen eingeht. Diese Auftragsarbeit der Abteilung Medienforschung des Zweiten Deutschen Fernsehens gehört – trotz ihres Alters immer noch vielzitiert – zur Basisliteratur der Gerontologie, die sich mit Mediendarstellungen beschäftigt. Bosch nutzt hierzu die quantitative Inhaltsanalyse, ein Instrument der empirischen Sozialwissenschaft, das den meisten Studien dieser Art als Methode zu Grunde liegt. Sie diagnostiziert eine deutliche Unterrepräsentation von älteren Menschen bzw. Rollen im Weiteren und von älteren Frauen im Speziellen (vgl. Filipp/Mayer 1999, S.225f.). Aus der Beobachtung charakteristischer Persön­lichkeitseigenschaften (offene Kategorie) erarbeitet sie eine "Typologie der 'Fernseh-Alten'" (Bosch 1986, S.114) und zeigt damit unterschiedliche Akzentu­ierungen der Darstellungsweisen von Alten auf (vgl. S.115-121) anstatt sie als "homogene soziale Gruppe" (Filipp/Mayer 1999, S.226) zu betrachten.

In ähnlicher Weise verfahren Rochus Andreas Hagen (1985) und Richard H. Davis (1980) in ihren Arbeiten. Dabei stützt sich Hagen auf Beobachtungen aus Fernseh­sendungen von ARD und ZDF, während sich Davis auf Werbe- und Programm­angebote der amerikanischen TV-Sender bezieht. Auch das American Jewish Committee befasste sich in einer Konferenz 1978 mit dem Altersbild in den amerika­nischen Medien und veröffentlichte die Ergebnisse anschließend. 1995 brachten James D. Robinson und Thomas Skill ihre Studie bezüglich der quantitativen Häufigkeiten älterer Menschen in den vier großen Fernsehgesellschaften der USA heraus. Was die beiden in einem Zeitraum von vier Wochen untersuchten, hatten vor ihnen bereits George Gerbner, Larry Gross, Nancy Signorielli und Michael Morgan (1980) in einer Langzeitstudie von 1969 bis 1978 bewältigt. Im deutschsprachigen Raum bezieht sich die Forschung mittlerweile auch auf Programmangebote der privat-kommerziellen Sender, so zum Beispiel Hans Wilhelm Jürgens in seiner 1994 veröffentlichten Studie.

All diese Arbeiten resultieren in ähnlicher Weise: Sie weisen auf die Missrepräsen­tation und Stereotypisierung der Älteren hin, das vermittelte negative Altersbild und einen geschlechtsspezifischen Effekt zu Lasten weiblicher Figuren, "was die demo­graphische Verteilung der Geschlechter in der Gruppe der Älteren geradezu auf den Kopf stellt" (Filipp/Mayer 1999, S.227). Erst im Kontext von Modernisierungs­debatten und (sozial)strukturellem Gesellschaftswandel in den Neunzigern divergier­ten die wissenschaftlichen Zielsetzungen und neue Zugänge zur Thematik wurden gefunden:

"Eine zentrale Frage betrifft das Verhältnis von Altern und Modernisierung. In den frühen Debatten ging es hauptsächlich um Status und Statusverlust des Alters: Mit zunehmender Modernisierung, so wurde behauptet, nimmt der Status der Älteren ab (Cowgill/ Holmes [Aging and modernization, A.D.] 1972). Heute drängt sich eine andere Perspektive auf: Das Altern der Gesellschaft wird selbst zu einem Teil des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses" (Kohli 2001, S.2).

Von der Wissenschaft als Problem frühzeitig erkannt und diskutiert ist das Thema mittlerweile massen(medien)tauglich geworden und kursiert seit Monaten in Form von FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmachers Das Methusalem-Komplott (2004) auf der Spiegel -Bestsellerliste für Sachbücher[14]. Die taz stellt am 26. März 2004 in ihrem Kommentar zu der Veröffentlichung fest:

"Bücher über Alter und Generation haben derzeit Konjunktur. Die Klasse ist als Ordnungsmuster im Postindustriellen untergegangen, gender mainstreaming wurde inzwischen in die zuständigen Ausschüsse verwiesen. So bleibt das Alter als gesell­schaftliches Ordnungsmuster. Beim Alter kann jeder mitreden – offenbar ist dies ein Text, mit dem sich eine individualisierte Massengesellschaft mit sich selbst verstän­digt. Daher rührt die etwas rätselhafte Inflation von Generationsbüchern. Schirr­macher fügt sich in diesen Kontext. Er erweitert das flatterhafte, zum Ober­flächlichen neigenden Genre um das Ernste, allerdings nicht unbedingt Seriöse" (Reinecke 2004, S.17).

Doch bei allen Zugängen, die Soziologie und Psychologie auf die Altersthematik haben, soll nicht vergessen werden, dass sich das Interesse der Forschung primär um die älteren Menschen in unserer Gesellschaft dreht und nicht um deren Repräsentation in Zeitungen, Fernsehen, Werbung, Film etc. Der Einbezug der Medien in den Kontext der Debatten mag für diese Arbeit eine erkenntnisreiche Schnittstelle darstellen, die zudem die interdisziplinäre Behandlung des Themas begünstigt. Jedoch verfolgen hierbei Alter(n)ssoziologie bzw. Gerontopsychologie und die Filmwissen­schaft unterschiedliche Ziele. Für erstere sind Medienbilder von Älteren lediglich Dokumentationen von und einflussnehmende Faktoren auf gesellschaftliche Prozesse und Sichtweisen. In dieser Arbeit geht es jedoch um die Darstellung von Alter bzw. Alten als filmisches Phänomen. Zwar ist es interessant zu beobachten, wie stark sich mediale Darstellungen und gesellschaftliche Zustände ähneln[15], aber der Fokus liegt bei dieser relativ isolierten Betrachtung immer noch auf dem filmischen Umgang mit der Thematik, da selbiger in der Forschung bisher viel zu kurz gekommen ist.

Eine andere Tatsache, die das anfangs angesprochene Defizit nochmals unterstreicht, ist die nahezu ausschließliche Beschäftigung mit Fernsehen, Werbung und Printmedien in den entsprechenden Studien. Von den oben aufgeführten Analysen stellt sich keine dem Medium Film und auch die weitere Recherche innerhalb von Soziologie und Psychologie brachte keinerlei hilfreiche Resultate. Eine der wenigen Arbeiten, die sich einen populären Film zum Thema gemacht haben, stammt von Patrick McKee und Jennifer McLerran (1995). Die beiden untersuchten an Hand von The Treasure of the Sierra Madre (Der Schatz der Sierra Madre, John Huston, USA 1948) die Figur des alten Goldwäschers Howard (Walter Huston) hinsichtlich ihrer arche­typischen Qualitäten als weiser alter Helfer und Ratgeber. Die aus der Psychologie stammende Studie sucht dabei in der filmischen Darstellung nach Phänomenen, die bereits aus der Entwicklungs- und der Gerontopsychologie bekannt sind[16]. Es ist bemerkenswert, dass trotz umfassender Recherche keine weitere Arbeit zu Tage getreten ist, die nicht im Umfeld der Medienwissenschaft angesiedelt ist und sich dennoch mit Filmen als Lieferant für mediale Altersdarstellungen beschäftigt. Umge­kehrt ist es für die Medienwissenschaft genauso paradox, dass die Mehrheit der Studien, die sich mit der Repräsentation von Alter in Fernsehen, Zeitung und Werbung beschäftigen, aus anderen Fachrichtungen wie der Soziologie oder der Psychologie stammen.

[...]


[1] vgl. Statistisches Bundesamt 2003

[2] Die endgültige Auswahl umfasst schließlich 24 Filme von 1967 bis 2003 (siehe Anhang Nr.5, S.85).

[3] Als Stereotyp wird in der Filmtheorie eine stark vereinfachte Charakterisierung bezeichnet, die häufig reproduziert wird und dadurch breite allgemeine Bekanntheit erlangt. Ihre Kennzeichnung erfolgt vor allem über die Inszenierung der Figur durch ihr Verhalten und durch ihr äußeres Erscheinungsbild. Auch wenn es innerhalb der Medienwissenschaft einen spezifischen Diskurs zu dieser Thematik gibt, möchte ich den Begriff – ebenso wie 'Klischee' – lediglich als Bezeichnung für eindimensional dargestellte Filmcharaktere verwenden, die die gesellschaftliche Repräsentation verzerren.

[4] zu Vor- und Nachteilen der quantitativen sowie der qualitativen Inhaltsanalyse vgl. Filipp/Mayer 1999, S.214

[5] wird vereinzelt auch als Psychogerontologie bezeichnet

[6] bezieht sich auf die soziale Konstruktion von Geschlechterrollen (Überblick und weitere Inform-ationen bei Bontrup 1999).

[7] Der Begriff der Ageing Studies bzw. Aging Studies wird bereits im Ausland verwendet, um eine fachübergreifende Ausbildung und Forschung im Umfeld gerontologischer Themen zu beschreiben. (Etwaige Programme werden in den USA von der Drake University (Des Moines) und der University of Iowa sowie in Australien von der Flinders University (Adelaide) und in Hongkong von der Lingnan University angeboten; siehe Anhang Nr.3, S.83). Ich verwende den Begriff hier bewusst für einen eigenen, neuen Ansatz, der sich den sozialen Konstruktionen von Alter durch die Gesellschaft – und damit auch durch die Medien – annimmt. Das schließt nicht aus, dass mit den genannten Disziplinen Ähnlichkeiten oder Überlappungen bestehen können, da eine allgemein anerkannte und einheitliche Fachterminologie bisher fehlt.

[8] Die Soziologie betrachtet Alter(n) sowohl im Hinblick auf die ganze Gesellschaft (Makro-Ebene), als auch ihrer Teilsysteme, Organisationen und Kleingruppen bis hin zum Individuum (Mikro-Ebene). Für diese Arbeit ist aber vorrangig die Mikro-Ebene von Interesse, da sie am ehesten brauchbare Erkenntnisse für eine interdisziplinäre Erschließung des Themas bietet.

[9] Stereotypisierung bestimmt neben den Kategorien Disengagement, Aktivität, Subkultur und struktureller Abhängigkeit bis heute die theoretischen Debatten der Alternssoziologie (vgl. S.2).

[10] z.B. bei Schelsky 1965, Lenz 1971, Wesner 1980 oder Hanlon/Farnsworth/Murray 1997

[11] Auch die Psychologie analysiert beispielsweise Fremd- und Selbstbilder des Alters, bezeichnet sie aber als "Außen- und Innensicht auf das Alter" (Kruse 2002, S.986f.).

[12] siehe Lindenberger 2002

[13] siehe Staudinger/Schindler 2002

[14] Frank Schirrmacher, von Kollegen und Wissenschaftlern für sein Verhalten immer wieder kritisiert (vgl. Jakobs 2004, S.17 und Reinecke 2004, S.17), schildert in seinem Buch die drohende Sozialkatastrophe, die eintritt, falls sich die Gesellschaft nicht besser auf ihre eigene Vergreisung einstellt. Die Veröffentlichung des Buches wurde mit Pressekampagnen von Bild und Spiegel vorbereitet (vgl. Jakobs 2004, S.17). Nach seinem Promotion-Auftritt bei Beckmann (ARD, 22.03.2004) reagierte die Redaktion der Talkshow mit einer außerplanmäßigen Sondersendung am 14.04.2004, in der Schirrmacher einziger Gast war. Die Fakten, auf die sich der Journalist stützt, sind allerdings keine wissenschaftliche Neuerung, sondern der Demographie und Gerontologie (siehe Statistisches Bundesamt 2003, Kohli 2001 sowie Jyrkämä 2003) längst bekannt. (Auf meine schriftliche Anfrage zum Thema hat Schirrmacher bis dato nicht geantwortet.)

[15] Eva-Marie Kessler, Katrin Rakoczy und Ursula M. Staudinger beschäftigen sich in ihrer aktuellen Studie (Juli-Ausgabe von Ageing and Society 2004) mit der Übereinstimmung von Altersdar-stellungen im Fernsehen mit bewiesenen Erkenntnissen aus der Altersforschung. Sie vergleichen damit erstmals fiktionale Darstellungen mit evidenten Altersproblemen mit Hilfe von typischen psychologischen Verhaltensmustern.

[16] z.B. old age wisdom, life review, integrative understanding, transcendence (vgl. S.2f.)

Ende der Leseprobe aus 96 Seiten

Details

Titel
Hauptrolle Alte(r). Die Darstellung des Alters im fiktionalen Film
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
96
Katalognummer
V74056
ISBN (eBook)
9783638686242
ISBN (Buch)
9783638867054
Dateigröße
2444 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hauptrolle, Alte(r), Darstellung, Alters, Film
Arbeit zitieren
Axel Degenhardt (Autor:in), 2004, Hauptrolle Alte(r). Die Darstellung des Alters im fiktionalen Film, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74056

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