"Mozart auf der Reise nach Prag" - Mörikes Novelle und das Problem der Ökonomie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

25 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Mörikes Beziehung zu Mozart und seine Mozart-Kenntnis

2. Die historische Realität um Mozarts Pragreise

3. „Mozart auf der Reise nach Prag“
3.1 Mozart und die Unvereinbarkeit zweier Lebensformen
3.2. Mörikes Novelle und die Ökonomie der Verschwendung
3.2.1 Mozart und die feudale Ökonomie der Verschwendung
3.2.2 Verschwendung – Mozarts Kunstprinzip
3.2.3 Mozart und Don Giovanni – zwei erotische Verschwender
3.3 Mozarts Sehnsucht nach einem bürgerlichen Leben
3.4 Constanze – die Bürgerliche

4. Mörike - Mozart und das Problem der Ökonomie

5. Der Einfluss von Mörikes Biographie auf die Novelle

6. Mörikes unökonomische Schreibweise

7. Mozart als Bürgerlicher. Gäbe es seine Musik?

8. Literaturverzeichnis

Einleitung

Im Rahmen des Hauptseminars: „Der Erzähler Eduard Mörike“ habe ich mich eingehend mit der Novelle „Mozart auf der Reise nach Prag“ beschäftigt und dabei vor allem den Aspekt der Ökonomie betrachtet.
Im Folgenden möchte ich Mörikes Beziehung zu Mozart darstellen und veranschaulichen, wie wichtig der Komponist im Leben des Autors war und welchen Einfluss das Leben Mörikes auf die Novelle hatte. Anschließend folgt eine ausführliche Betrachtung des Charakters von Wolfgang Amadeus Mozart und dessen Bewusstsein für Ökonomie. Der Schwerpunkt soll hierbei auf die Unvereinbarkeit zwischen Schein und Sein in seinem Leben gelegt werden, sowie auf Mozarts Ökonomie der Verschwendung, die er sich zum Lebens- und Kunstprinzip macht. Dabei wird auch eine Parallele zu Don Giovanni, dem Protagonisten seiner wohl bekanntesten gleichnamigen Oper gezogen. Beide - Mozart und Don Giovanni- sind erotische Verschwender. Dieser Sucht nach Verschwendung und Rausch steht jedoch Mozarts Sehnsucht nach einem einfachen, bürgerlichen Leben gegenüber, das auch seine Frau Constanze verkörpert.

Nach dieser Analyse wird nochmals Mozarts Ökonomieproblem mit dem Leben Eduard Mörikes verglichen, in dem sich einige Gesichtspunkte entsprechen, bevor im Schluss der Arbeit der Frage nachgegangen wird: Gäbe es Mozarts wunderbare Musik überhaupt, wenn er nicht dieses verschwenderische, schon nahezu wahnsinnige Wesen gehabt hätte?

1. Mörikes Beziehung zu Mozart und seine Mozart-Kenntnis

Das Dasein Mörikes war zeitlebens von Mozart und seiner Musik geprägt. Von frühester Kindheit an, beschäftigt sich Mörike mit Musik im Allgemeinen und mit Mozart und seinem Werk im Besonderen[1]. Die Wirkung dieser Musik auf Mörike kann man beinahe schon als existentiell bezeichnen, wie einem Brief Mörikes an seinen Studienkollegen Friedrich Wilhelm Waiblinger zu entnehmen ist:

„Da versink ich in die wehmütigsten Phantasien, wo ich die ganze Welt küssend voll Liebe umfangen möchte, wo mir das Kleinliche und Schlimme in seiner ganzen Nichtigkeit und wo mir alles in einem andern verklärten Lichte erscheint. Wenn die Musik dann abbricht, möchte‘ ich in meiner Empfindung von einer hohen Mauer herabstürzen , möchte‘ ich sterben.“[2]

Von all den Werken Mozarts fühlt sich Mörike der Oper „Don Giovanni“ am innigsten verbunden. Der 20jährige Mörike besucht im Jahre 1824 zusammen mit seinen Geschwistern, darunter sein Lieblingsbruder August, die Vorstellung des „Don Giovanni“ in Stuttgart. Nur vier Tage später stirbt August unter nicht völlig geklärten Umständen. Dieses Ereignis, das Mörike sein ganzes Leben nicht verarbeitet hat, ist wohl der Hauptgrund für die große Bedeutung, die diese Oper für ihn spielt.[3]
In vielen seiner Briefe ist immer wieder die Rede von „Don Juan“ und Mörike nutzt jede Gelegenheit eine Inszenierung dieses Oper zu sehen oder sich Teile daraus von Freunden vortragen zu lassen. So zum Beispiel an seinem 21. Geburtstag, als er sich von seinen Freunden Wilhelm Hartlaub am Klavier und Christian Käferle am Cello aus „Don Giovanni“ vorspielen lässt.
Für Mörike ist es das Größte, Kompositionen des von ihm hochverehrten Mozart zu hören. Zuweilen verbinden sich für ihn heftige Naturereignisse und Mozarts Musik zu einem Ganzen.[4] Man sieht, wie sehr dieser Komponist das Leben des Dichters beeinflusst hat:

„Da sah ich am Fenster ein Gewitter von der Teckseite herziehen, eine Minute drauf rollte der erste Donner, und alle meine Lebensgeister fingen an, heimlich vergnüglich aufzulauschen. [...] Breite, gewaltige Blitze, wie ich sie nie bei Tage gesehen, fielen wie Rosenschauer in unsere weiße Stube und Schlag auf Schlag. Der alte Mozart muß in diesen Augenblicken mit dem Kapellmeissterstäbchen unsichtbar in meinem Rücken gestanden und mir die Schulter berührt haben, denn wie der Teufel fuhr die Ouvertüre zum Titus in meiner Seele los [...].“[5]

Die Vermutung, dass Mörike vor allem durch seine Don-Giovanni-Erlebnisse zu seiner Novelle „Mozart auf der Reise nach Prag“ inspiriert wurde, liegt nahe. So wurde also der Tod des Bruders zu einem Initial seiner Erzählung, die er erst 30 Jahre nach diesem Schlüsselerlebnis verfasst.

Fest steht, dass sich Mörike schon lange mit dem Gedanken getragen hat, Mozart und sein Leben literarisch zu verarbeiten. So erinnert ihn sein Freund Hartlaub im Jahre 1847, anlässlich der Erscheinung einer Mozart-Biographie des Russen Alexander Oulibicheff, an dieses Vorhaben.[6]

Mörike setzt sich immer mit der Person Mozarts auseinander. Er liest Zeitschriften, Aufsätze und Bücher über ihn, er verinnerlicht ihn sozusagen.[7] Nur so ist die anschauliche und lebendige Beschreibung Mozarts zu erklären. Mörike hält sich dabei nicht an e i n e literarische Quelle, aber er kennt mit Sicherheit drei Biographien Mozarts: um Daten und Fakten zu recherchieren benutzt Mörike das Werk von Georg Nikolaus von Nissen und ebenso das Buch von Alexander Oulibicheff, aus dem er vor allem Charakterzüge der Person Wolfgang Amadeus Mozart entnimmt. Die dritte bekannte Biographie von Franz Xaver Niemetschek hatte Mörike zwar gekannt, aber wahrscheinlich weder gelesen, noch als Quelle für seine Erzählung genutzt.[8]
Um die Umgebung Mozarts zu beschreiben bedient sich Mörike Stadtplänen von Wien, Reisebüchern, bildlichen Darstellungen von Österreich und Südböhmen und den Prager Jahrbüchern. Als Vorlage für das Schloss des Grafen von Schinzberg dient Mörike wohl das „Neue Schloß“ bei Gratzen.

Man sieht, Mörike hat nicht einfach geschrieben, sondern sich eingehend über die lokalen und zeitlichen Bedingungen informiert.

Die Ereignisse der Erzählung, wie zum Beispiel der Besuch auf dem Schloss, sind frei erfunden. Mörike wollte auch ausdrücklich keine weitere Biographie Mozarts schreiben, vielmehr wollte er ein Charakterbild des Komponisten zeichnen.[9]

2. Die historische Realität um Mozarts Pragreise

Allerdings ist die Novelle „Mozart auf der Reise nach Prag“ nicht komplette Fiktion. Mozart unternahm tatsächlich im Herbst des Jahres 1787 „in Begleitung seiner Frau eine Reise nach Prag, um „Don Juan“ daselbst zur Aufführung zu bringen.“[10]?

Diese Reise hat eine Vorgeschichte. Schon im Januar des selben Jahres ist Mozart einer Einladung nach Prag gefolgt. Dort wird er als Pianist, Konzertdirigent und Komponist der Oper „Figaros Hochzeit“ gefeiert und verehrt. Mozart erlebt in Prag eine Hochachtung und Liebe , die er in Wien nicht erfährt. Aus Dankbarkeit möchte er ein neues Werk komponieren und sich so erkenntlich zeigen. Im Auftrag von Pasquale Bondini, dem Theaterintendanten von Prag, soll er gegen ein Honorar von 100 Dukaten eine Oper für Prag schreiben. Mozart entscheidet sich für den Don Juan-Stoff und für Lorenzo da Ponte als Textdichter. Dieser hatte auch schon den Text zu „Figaros Hochzeit“ verfasst.

Vor diesem Hintergrund bricht Mozart mit seiner Frau Constanze am 1. Oktober 1787 von Wien auf und kommt am 4. Oktober 1787 in Prag an, wo die Uraufführung des „Don Giovanni“ stattfinden soll. Mozarts wohnen in den „Drei Löwen“, halten sich aber meist im Landhaus der befreundeten Familie Dušek in Smichow, einer Vorstadt von Prag, auf. In dieser Landschaft hat der Adel seine Lustschlösser und die Sängerin Dušek ihr eigenes Tuskulum, in dessen Garten Mozart die Ouvertüre zum „Don Giovanni“ komponiert. Wenn man der Beschreibung von Egon Erwin Kisch glaubt, ist diese Umgebung das ideale Szenario für „Don Giovanni“:

„Jeglicher der Herren in diesem Bezirk war mehr oder weniger ein Don Juan, der eine Donna Elvira liebte und dem eine Donna Anna Rache spann, und an Smichower Zerlinchen gabs’s genug, die sich die Werbung der feinen Herren gerne gefallen ließen. Vom Hügel des Gartens blickte der Kompositeur auf den Friedhof „Malvazinka“ hinunter. [...] Sicherlich galt eines der Grabmonumente dem Komtur, der vom Verführer seiner Tochter erstochen ward und nun darauf sinnt, im steinernen Gewand beim Gastmahl des Mörders zu erscheinen.“[11]

Unter freudiger Anteilnahme der Prager Bevölkerung bereiten Mozart und da Ponte den „Don Giovanni“ vor und Mozart komponiert in der Nacht vor der Premiere die letzten Teile der Ouvertüre.

Am 29. Oktober wird die Uraufführung mit sehr großem Erfolg gegeben. Die „Prager Oberpostamtszeitung“ schreibt am 3. November 1787:

„Kenner und Tonkünstler sagen, daß zu Prag ihresgleichen noch nicht aufgeführt worden.“[12]

Auch Mozart formuliert nach Hause zu seinem Freund Gottfried von Jaquin:

„...den 29ten Oktober ging meine Oper Don Giovanni in scena, und zwar mit dem lautesten Beifall. [...]Ich wollte meinen guten Freunden wünschen, daß sie nur einen einzigen abend hier wären, u Anteil an meinem Vergnügen zu nehmen!“[13]

Vor diesem wahren Hintergrund spielt also Mörikes Novelle. Allerdings beschreibt sie nur einen Tag dieser Reise, aber, wie schon gesagt, Mörike möchte keine genaue Biographie Mozarts liefern, sondern uns ein Charakterbild vor Augen führen.

3. Mozart auf der Reise nach Prag

3.1 Mozart und die Unvereinbarkeit zweier Lebensformen

Mozart ist, wie oben beschrieben ein beliebter Künstler. Sowohl in Prag, als auch in Wien. Nun könnte man meinen, Mozart feiert viele Erfolge und sei somit auch finanziell unabhängig und wohlhabend. Das Ehepaar reist in einer geschmückten Kutsche. Der Wagen ist mit Blumen bemalt, mit feinen Goldleisten verziert und schwere Ledervorhänge schützen die Reisenden vor neugierigen Blicken.[14] Doch dies ist alles nur Schein und entspricht nicht den Tatsachen, wie man schon gleich zu Beginn der Erzählung erfährt; denn die Reisekutsche ist nur eine Leihgabe und die Mozarts könnten sie sich eigentlich nicht leisten. Dies wird auch an der Kleidung deutlich. Mozart trägt eine gestickte Weste „von etwas verschossenem Blau“[15] und einen braunen Überrock, den er täglich zu tragen pflegt. An diesem Rock befinden sich derartige Knöpfe, „daß eine Lage rötliches Rauschgold durch ihr sternartiges Gewebe schimmerte[...]“[16] Dieses sogenannte Rauschgold besteht aus feinem Messingblech und wird zu Dekorationszwecken benutzt. Es handelte sich also nicht um echtes Gold. Mozart täuscht hier Wohlstand und Reichtum vor, den er in Wirklichkeit nicht besitzt. Die edlen Kleider befinden sich im Koffer, damit sie geschont werden. Ähnlich verhält es sich mit seinen Schuhen. Der Erzähler hebt extra hervor, dass es sich beim Verschluss der Schuhe um „vergoldete Schnallen“[17] handelt. Auch hier ist es also nicht das echte Edelmetall, sondern wiederum nur die Vortäuschung eines solchen. Mozart erweckt einen Schein, der nicht der Realität entspricht. Er versucht den höfischen Ansprüchen Genüge zu tun, kann aber seine wirklichen Verhältnisse nicht verleugnen.
Nach außen hin gibt sich Mozart stets als Mann von Welt, als wohlhabender Komponist. Er liebt rauschende Feste, spielt Billard und genießt es sehr, der Liebling des Adels zu sein. Er kostet diesen Reichtum voll aus. So zum Beispiel auf dem Schloss des Grafen Schinzberg, an dessen reich gedeckter Tafel er sich niederlässt:

[...]


[1] Maync, Harry, Eduard Mörike, Cotta, 1944, S 445f.

[2] Pörnbacher, Karl, Erläuterungen und Dokumente, Eduard Mörike, Mozart auf der Reise nach Prag, Philipp Reclam jun., Stuttgart, 1995, S. 59

[3] Storz, Gerhard: Eduard Mörike, Klett, Stuttgart 1967, S. 375

[4] Wischer, Erika, Geschichte der Literatur, Band V., Propyläen Verlag, Berlin, 1988, S. 76

[5] Erläuterungen und Dokumente, S. 60

[6] Ebd. S. 61

[7] Wild, Inge, Wild Reiner, Mörike Handbuch, S. 193

[8] Erläuterungen und Dokumente, S. 48 – 58

[9] Mayer, Birgit, Eduard Mörike, Sammlung Metzler, S. 92

[10] Aus „Mozart auf der Reise nach Prag“ werde ich im Folgenden nur mit Angabe der Seitenzahl zitieren und zwar nach: Eduard Mörike, Werke in einem Band, Hrsg. Herbert G. Göpfert, Carl Hanser Verlag, München, Wien, Auflage 4, 1993, S. 910

[11] Dokumente und Erläuterungen, S. 46

[12] Ebd. S. 47

[13] Ebd. S. 47

[14] Mozart auf der Reise nach Prag, S. 910

[15] Ebd. S. 910

[16] Ebd. S.910

[17] Ebd. S. 911

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
"Mozart auf der Reise nach Prag" - Mörikes Novelle und das Problem der Ökonomie
Hochschule
Universität Augsburg
Veranstaltung
Hauptseminar
Autor
Jahr
2004
Seiten
25
Katalognummer
V73948
ISBN (eBook)
9783638728973
ISBN (Buch)
9783638903585
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mozart, Reise, Prag, Mörikes, Novelle, Problem, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Beate Sewald (Autor:in), 2004, "Mozart auf der Reise nach Prag" - Mörikes Novelle und das Problem der Ökonomie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73948

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