Großbritanniens Ministerialbürokratie im Wandel

Reformen und ihre Auswirkungen auf den Einfluss der Zentralverwaltung


Seminararbeit, 2007

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Einflusspotenziale von Ministerialbürokratien
2.1. Phasen möglicher Politikbeeinflussung
2.1.1. Vorpolitische Phase
2.1.2. Politische Phase
2.1.3. Implementationsphase
2.1.4. Zusammenfassung

3. Der Reformprozess in Großbritannien
3.1. Strukturen und Begrifflichkeiten
3.2. Analyse der Reformschritte
3.3. Der Fulton-Report und seine Folgen ( 1968 – 1979)
3.3.1. Die Reformen
3.3.2. Analyse
3.4. Die Thatcher Jahre – Zeit der radikalen Schritte (1979 – 1990)
3.4.1. Reformen
3.4.2. Analyse
3.5. John Major und Tony Blair (Ab 1990)
3.5.1. Die Reformen
3.5.2. Analyse

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

“Notwithstanding the analysis by Max Weber at the beginning of the century, which sought to depict bureaucracy as a necessary phenomenon of developed societies, founded on a ‘rational legal’ form of authority, the pejorative usage of the word has proved very resilient.

The usage paints an image of self-serving officials, given to obstructing the longsuffering public (whose taxes pay their salaries) with unnecessary red tape, and frustrating the will of elected ministers.”[1]

Dawn Oliver / Gavin Drewry

1. Einleitung

Die öffentlichen Verwaltungen in den Industriestaaten befinden sich in einem Wandlungsprozess. Die klassische Bürokratie, definiert von Max Weber, wird zurückgedrängt und zunehmend treten auch in den Ministerialbürokratien Managementmethoden, wie Zielvereinbarungen oder Evaluationen in den Vordergrund. Unter dem Schlagwort „New Public Management“ zusammengefasst, werden diese Veränderungen u.a. von der OECD als effizienz-steigernde Alternative zum klassischen Beamtentum empfohlen. Dieser Wandel wirkt sich zunehmend auch auf die Möglichkeiten bürokratischer Politikbeeinflussung aus. Besonders in Großbritannien scheint sich ein völlig neuer Civil Service zu etablieren. Der Einfluss der Ministerialbürokraten auf die Politik der Regierung wird geringer eingeschätzt, als dies noch in den 70er Jahren der Fall war.[2] Da in jeder Demokratie das Ziel besteht, die Macht von nicht demokratisch legitimierter Bürokratie auf ein nötiges Maß zu beschränken[3], stellt sich die Frage, wie die Politik in Großbritannien es schaffte den Einfluss ihrer führenden Beamten einzuschränken und warum die Ministerialbürokratie in Großbritannien so geringe Chancen hat, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen.

Zweck der Untersuchung soll somit ein tiefergehendes Verständnis der Civil Service Reformen in Großbritannien sein, wobei das Augenmerk gezielt auf die Veränderung des Einflusses der Ministerialbürokratie auf politische Entscheidungen gerichtet ist. Mit den Ergebnissen dieser Prüfung können Rückschlüsse auf die Wirkungsweisen ähnlicher Reformen in anderen Staaten geschlossen werden. Ausgehend von einer Studie von Kai-Uwe Schnapp werden zunächst die theoretischen Grundlagen und wichtige Begriffe vorgestellt, um den Einfluss von Ministerialbürokratien zu bestimmen. Dabei werden (1) Phasen der Politikbeeinflussung und (2) die Indikatoren für das Politikbeeinflussungspotenzial betrachtet. Die politischen Maßnahmen des Reformprozesses werden dabei vorgestellt, anschließend werden diese Erkenntnisse angewandt, um anhand der verschiedenen Reformen - beginnend mit dem Fulton-Report (1968) zu analysieren – wie sich der Einfluss der Ministerialbürokraten in Großbritannien entwickelt hat.

2. Einflusspotenziale von Ministerialbürokratien

Die Auswirkungen der Reformen in Großbritannien lassen sich nur adäquat beurteilen, wenn entsprechende „Werkzeuge“ zu Messung der Auswirkungen bereit stehen. Da es sich hierbei um eine theoriegeleitete Arbeit handelt, wird also eine entsprechende Konzept benötigt um eine wissenschaftlich fundierte Aussage über die Auswirkungen der Reformen des Civil Service treffen zu können. Dabei soll mein Augenmerk gerichtet sein auf die Änderung des Einflusses der Ministerialbürokratie auf politische Entscheidungsprozesse.

Um dies beurteilen zu können, wird also zunächst eine Theorie benötigt, die eine Systematik herstellt und so erst das Einordnen der unterschiedlichen Reformphasen erlaubt. In Kai-Uwe Schnapps Werk „Ministerialbürokratien in westlichen Demokratien“ findet sich genau diese Systematik, die nun zunächst in diesem Abschnitt vorgestellt und für die Analyse der britischen Zentralverwaltung angewandt wird.

Zunächst ist aber festzuhalten, dass es sich bei dem in dieser Arbeit als Einfluss bezeichneten Wert niemals um einen absoluten Wert handelt, sondern dass der tatsächliche Wert des Einflusses nicht zu bestimmen ist.[4] Wenn also von Einflusspotenzialen die Rede ist, wird damit die Möglichkeit der Zentralverwaltung, auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen gemeint sein. Wie stark diese Möglichkeit tatsächlich ausgeschöpft wird, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden.

2.1. Phasen möglicher Politikbeeinflussung

Um die im vorherigen Abschnitt angekündigte Einteilung vorzunehmen, soll in diesem Abschnitt zunächst der temporäre Aspekt betrachtet werden. Es stellt sich dabei die Frage, in welchen Phasen eines Gesetzgebungsprozesses die Ministerialbürokratie eingreifen kann.[5]

2.1.1. Vorpolitische Phase

Als die vorpolitische Phase wird jene Phase bezeichnet, in der sich eine konkrete Regelungsmaterie noch nicht im formalen Gesetzgebungsprozess befindet. In der vorpolitischen Phase ist also das sogenannte Agendasetting möglich und auch nötig. Agendasetting beschreibt dabei denjenigen Prozess, indem eine bestimmte Regelungsmaterie von einem Akteur als relevant erachtet und deshalb von ihm in den formalen Gesetzgebungsprozess eingebracht wird. Nur wenn es also zu einem bestimmten politischen Thema auch einen Akteur gibt, der es auf die politische Tagesordnung setzt (Agendasetting) kann überhaupt eine weitere politische Bearbeitung erfolgen. Im Regelfall wird dieses Agendasetting von den legitimierten politischen Akteuren vorgenommen. Exekutive und Legislative (und z.T. auch die Judikative)[6] bestimmen also normalerweise die zu regelnden Gesetzesvorhaben. Da aber jeder politische Akteur nur über eine begrenzte Kapazität - und auch nur begrenztes Interesse – verfügt, um mögliche Problemstellungen zu erkennen und auf die Tagesordnung zu setzen, bleiben weite Politikfelder von den politischen Akteuren unbearbeitet. Mit begrenzen Ressourcen ist zunächst einmal die knappe Zeit eines Ministers, um alle Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, gemeint. Selbst der direkte Mitarbeiterstab eines Ministers kann unmöglich alle wichtigen Aspekte vorfiltern und seinem Chef eine noch zu bewältigende Menge an zu bearbeitendem Material liefern. Also ist der Minister zwangsläufig auf seine Ministerialbürokratie angewiesen. Nur sie kann ihm ausreichend viele Informationen sammeln, diese vorfiltern, und bereits konkrete Handlungsalternativen erarbeiten. Der Grund dafür liegt in der ungleich größeren Ressourcenausstattung des Beamtenapparats. Durch diesen Punkt ergibt sich also ein Potenzial für die Ministerialbürokratie, Agendasetting zu betreiben. So kann die Ministerialbürokratie zu regelnde Materie als wichtig für den Minister deklarieren und so ein Gesetzesvorhaben auf einem bestimmten Gebiet forcieren.

„Nichtwahrnehmung von oder Nichtbeschäftigung mit existierenden Problemen seitens der politischen Akteure eröffnet den Bürokratien die Möglichkeit, die Tagesordnung politischen Entscheidens teilweise zu bestimmen. Diese Art der Einflussnahme wird als bürokratisches Agendasetting bezeichnet.“[7]

Wenn also das Einflusspotenzial von Ministerialbürokratien in der vorpolitischen Phase bestimmt werden soll, muss das politische System auf das Agendasettingpotenzial hin geprüft werden. Dabei wird unterschieden zwischen Möglichkeitspotenzial und Effektivitätspotenzial.

Das Möglichkeitspotenzial gibt an, wie hoch die Chance auf bürokratisches Agendasetting ist. Empirisch messen lässt sich dieses Potenzial durch einen Ressourcenvergleich zwischen der Führungsebene der Ministerialbürokratie, dem Senior Executive Service (SES) und der Regierung. Dieselben Messungen lassen sich auch zwischen SES und Parlament vornehmen. Umso größer der Ressourcenvorteil der Ministerialbürokratie ist, desto größer ist auch deren Agendasettingpotenzial. Zusätzliches Potenzial kann sich dadurch ergeben, dass die Verbandskontakte der Ministerialbürokratie sehr eng sind. Dadurch kann der Informationsvorteil noch stärker zum Tragen kommen und es ergibt sich somit auch ein größeres Potenzial für die Bürokratie, die politische Tagesordnung zu bestimmen.

Erst durch die Messung des Effektivitätspotenzials lassen sich Rückschlüsse ziehen, ob bürokratisches Agendasetting überhaupt erfolgreich ist. So ist dieses natürlich wenig effektiv, wenn es der Ministerialbürokratie zwar gelingt die politische Tagesordnung zu bestimmen, aber andererseits das Thema von maßgeblichen politischen Akteuren anschließend abgelehnt wird. Das Effektivitätspotenzial gibt also an, wie groß die Chance ist, dass die Agenda der Ministerialbürokratie realisiert wird. Um dieses Potenzial zu bestimmen muss geprüft werden, wie wahrscheinlich die Realisierung eines Entwurfs ist, wenn er bereits vom Minister gebilligt wurde. Die weiteren politischen Hürden müssen also zunächst untersucht werden. Das Regierungssystem spielt dabei eine ganz zentrale Rolle. So stehen die Chancen der Realisierung in einer Einparteienregierung naturgemäß besser, als in einer Regierung, in der die Vorlage erst noch mit einem oder mehreren Koalitionspartnern abgestimmt werden muss. Auch das folgende Hindernis - das Parlament - kann sich als unterschiedlich groß erweisen.

Die Struktur der Ausschusssysteme, aber auch generell die formalen Rechte des Parlaments, stellen dabei Indikatoren dar, anhand deren man prüfen kann, ob das Effektivitätspotenzial eher zu- oder abgenommen hat. Möglichkeits- und Effektivitätspotenzial zusammen genommen ergeben das Agendasetting­potenzial.

2.1.2. Politische Phase

Unter der politischen Phase versteht man den Zeitraum, in dem in dem eine (Gesetzes-) Initiative im politischen System bearbeitet wird. Die Tagesordnung wird in diesem Fall - anders als beim bürokratischen Agendasetting - von einem demokratisch legitimierten Akteur vorgenommen (z.B. einem Minister). Konkret kommen die Gesetzesinitiativen also entweder aus dem Kabinett oder aus dem Parlament bzw. einer Parlamentskammer.[8] Um das Einflusspotenzial der Ministerialbürokratie in diesem weiter fortgeschrittenen Stadium bestimmen zu können, muss das Phänomen der „strategischen Interaktion“ genauer untersucht werden.

Die Ministerialbürokratie kann nun ein Gesetz nur noch beeinflussen, indem sie bei der Ausgestaltung des Gesetzes ihre eigene Sicht, die sogenannte „Sicht des Ministeriums“, in die Ausarbeitung der konkreten Gesetzesinitiative einfließen lässt. Da der Minister zumeist konkrete Vorstellungen von der Initiative hat, sind der Bürokratie bei der Abwandlung enge Grenzen gesetzt. Somit kann eine Änderung letztendlich nur in Bereichen stattfinden, die der Minister als weniger wichtig betrachtet und ihnen deshalb keine Beachtung zukommen lässt. Strategische Interaktion kann aber durchaus erfolgreich sein, da ein von verschiedenen Referaten oder Abteilungen zusammengestellter Gesetzentwurf kaum noch zu ändern ist.[9] Entscheidend dafür aber ist eine möglichst einheitliche „Sicht des Ministeriums“. Ist diese gegeben, so bestehen Netzwerke unter den Bürokraten, die es ihnen ermöglichen Entscheidungsvorlagen abzustimmen, bevor sie dem Minister vorgelegt werden. Damit können bestimmte Handlungsmöglichkeiten von den Ministerialbürokraten bereits von Anfang an ausgeschlossen werden. Umso abgestimmter das Agieren der Bürokraten untereinander ist, desto eher können sie auch in der politischen Phase Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen. Dieses Potenzial wird maßgeblich durch zwei Faktoren bestimmt:

(1) Die Homogenität des Personals spielt für die „Sicht des Ministeriums“ eine ganz entscheidende Rolle.[10] Personal und Karrieresystem bilden dabei eine empirisch zu beobachtende Größe, anhand der auf Homogenität des Personals geschlossen werden kann. Geschlossene Personal- und Karrieresysteme begünstigen eine homogene Belegschaft und erhöhen somit auch das Potenzial zur Politikbeeinflussung via strategischer Interaktion.[11]
(2) Die Politisierung der Ministerialbürokratie ist der andere Faktor, anhand dessen eine Aussage über das Potenzial zu strategischer Interaktion getroffen werden kann. Natürlich werden Bürokraten, die einem Minister politisch tendenziell nahe stehen, weniger die strategische Interaktion mit der Ministerialbürokratie suchen, da sie ihre Agenda eher verwirklicht sehen, wenn die politischen Ideen ihres Vorgesetzen umgesetzt werden. Umgekehrt verhält sich die Situation ähnlich. Weniger politisierte Beamte sind stärker an der „Sicht des Ministeriums“ orientiert und somit eher zu strategischer Interaktion bereit.[12]

[...]


[1] Oliver / Drewry 1996: 18.

[2] Vgl. Schnapp 2004: 328.

[3] Vgl. Ebd.: 63 - 67.

[4] Vgl. Ebd.: 20.

[5] Vgl. Jann 1983: 42.

[6] Vgl. Gellner / Glatzmeier 2004: 213f.

[7] Vgl. Schnapp 2004: 81.

[8] In der Bundesrepublik Deutschland können neben der Bundesregierung sowohl Bundestag als auch Bundesrat Gesetzesinitiativen in den Gesetzgebungsprozess einbringen: Art. 76 I GG.

[9] Vgl. Wagener / Rückwardt 1982: 79.

[10] Vgl. Rebenstorf 1997: 157.

[11] Vgl. Schnapp 2004: 94.

[12] Vgl. Ebd.: 94.

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Details

Titel
Großbritanniens Ministerialbürokratie im Wandel
Untertitel
Reformen und ihre Auswirkungen auf den Einfluss der Zentralverwaltung
Hochschule
Universität Passau
Veranstaltung
PS Politik und Bürokratie
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V73929
ISBN (eBook)
9783638678872
ISBN (Buch)
9783638794671
Dateigröße
463 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Großbritanniens, Ministerialbürokratie, Wandel, Politik, Bürokratie
Arbeit zitieren
Tobias Wolf (Autor:in), 2007, Großbritanniens Ministerialbürokratie im Wandel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73929

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