Diebstahlverhalten in Unternehmen

Eine empirische Studie zu psychologischen Determinanten von Mitarbeiterdiebstahl - oder „Wenn der kleine Hunger kommt“


Diplomarbeit, 2006

175 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Hintergrund und Problemstellung
1.2. Ziel und Aufbau der Arbeit

2. Theoretische Perspektiven
2.1. Verhalten in Organisationen
2.1.1. Arbeitszufriedenheit
2.1.2. Verbundenheit mit dem Unternehmen
2.2. Abweichendes Verhalten in Organisationen
2.2.1. Kontraproduktives Verhalten
2.2.2. „Dunkles Verhalten"
2.2.3. Diebstahlverhalten
2.2.3.1. Diebstahlbegriff
2.2.3.2. Individualistische Erklärungsansätze
2.2.3.3. Sozialpsychologische Erklärungsansätze
2.3. Fairness in Organisationen
2.3.1. Fairness als Heuristik
2.3.2. Dimensionen der Fairness
2.3.2.1. Distributive Fairness
2.3.2.2. Prozedurale Fairness
2.3.2.3. Informationelle Fairness
2.3.2.4. Interpersonelle Fairness
2.3.3. Bedeutung von Fairness für Einstellungs- und Verhaltensänderung
2.4. Theorie des geplanten Verhaltens
2.4.1. Einstellung
2.4.2. Normativer Druck
2.4.3. Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

3. Stand der Forschung
3.1. Methoden der Erfassung von Diebstahlverhalten
3.1.1. Nicht-reaktive Messverfahren
3.1.2. Selbstberichte und Fremdbeurteilungen
3.1.3. Schwere der Schäden und Häufigkeit des Auftretens
3.2. Determinanten von Diebstahlverhalten
3.2.1. Wahrgenommene Möglichkeiten
3.2.2. Formelle und informelle Normen
3.2.3. Unfaire Behandlung
3.2.4. Verbundenheit mit dem Unternehmen und Arbeitszufriedenheit
3.2.5. Einstellung zu Diebstahlverhalten
3.2.6. Persönlichkeitseigenschaften
3.2.7. Selbstkontrolle
3.3. Zielgerichtetes Verhalten
3.3.1. Zielgerichtetes Verhalten in organisationsexternen Verhaltenskontexten
3.3.2. Zielgerichtetes Verhalten im Unternehmenskontext
3.3.3. Zielgerichtetes Vergeltungsverhalten im Unternehmenskontext
3.4. Diskussion zum Stand der Forschung
3.4.1. Selbstkontrolle oder Selbstkonzept?
3.4.2. Diebstahlverhalten als zielgerichtetes Verhalten
3.4.3. Bildung der Einstellung gegenüber Diebstahlverhalten

4. Modelle und Hypothesen
4.1. Das Modell des geplanten Diebstahls
4.2. Hypothesen zu Normativem Druck
4.3. Das Modell der Bildung der Einstellung gegenüber Diebstahlverhalten
4.4. Weiterführende Hypothesen zur Bildung der Einstellung gegenüber Diebstahlverhalten
4.4.1. Rolle von Persönlichkeitseigenschaften
4.4.2. Aufenthalt im Unternehmen
4.4.3. Rolle verschiedener Fairnessdimensionen
4.4.4. Finanzielle Lage
4.4.5. Hierarchischer Status

5. Empirische Prüfung der Modelle und Hypothesen
5.1. Methodisches Vorgehen
5.1.1. Ablauf der Datenerhebung
5.1.2. Aufbau des Fragebogens
5.1.3. Stichprobe
5.1.4. Methoden der Datenauswertung
5.1.5. Instrumente und Skalen
5.2. Deskriptive Beschreibung
5.2.1. Unternehmensaktivitäten
5.2.2. Diebstahlverhalten in Unternehmen
5.3. Verfahren zur Prüfung der theoretischen Modelle
5.4. Das Modell des geplanten Diebstahls
5.4.1. Skalen und Messmodelle
5.4.2. Strukturmodell
5.4.3. Analyse
5.4.4. Ergebnisse
5.4.4.1. Messmodelle
5.4.4.2. Strukturmodell
5.4.4.3. Stabilität der Parameterschätzung
5.4.4.4. Beurteilung der Gesamtstruktur
5.5. Hypothesen zu Normativen Druck
5.6. Das Modell der Bildung der Einstellung gegenüber Diebstahl
5.6.1. Skalen und Voruntersuchungen
5.6.2. Ergebnis
5.7. Ergebnisse der Prüfung weiterführender Hypothesen zur Bildung der Einstellung gegenüber Diebstahlverhalten
5.7.1. Persönlichkeitseigenschaften
5.7.2. Aufenthalt im Unternehmen
5.7.3. Finanzielle Lage
5.7.4. Hierarchischer Status
5.8. Ein alternatives Modell zu Fairness und Diebstahl
5.8.1. Messmodelle und Strukturmodell
5.8.2. Analyse
5.8.3. Ergebnisse
5.8.3.1. Messmodelle und Strukturmodell
5.8.3.2. Stabilität der Parameterschätzung
5.8.3.3. Beurteilung der Gesamtstruktur
5.9. Zusätzliche Analysen

6. Diskussion der Ergebnisse
6.1. Bestätigung und Ergänzung des Forschungsstandes
6.1.1. Das Modell des geplanten Diebstahls
6.1.2. Das Modell der Bildung der Einstellung gegenüber Diebstahl
6.1.3. Rolle von Persönlichkeitseigenschaften, finanzielle Lage und hierarchischem Status bei der Einstellungsbildung
6.1.4. Fairness, Arbeitszufriedenheit, Commitment und Diebstahlverhalten
6.1.5. Bedürfnis nach Anerkennung, Identifikation, Verbundenheits­gefühle, informelle und formelle Normen
6.2. Probleme und Grenzen der Aussagefähigkeit der Ergebnisse
6.3. Ableitungen für theoretische Erklärungsansätze und zukünftige Forschung
6.4. Ableitungen für die unternehmerische Praxis
6.5. Schlussbetrachtungen

Literaturverzeichnis

Anhang A: Fragebogen

Anhang B: Tabellen und eine Abbildung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 4.1 Modell des geplanten Diebstahls

Abbildung 4.2 Modell der Einstellungsbildung

Abbildung 5.1 Messmodelle der latenten exogenen Variablen des Modells des geplanten Diebstahls

Abbildung 5.2 Messmodelle der endogenen Konstrukte des Modells des geplanten Diebstahls

Abbildung 5.3 Theoretisches Strukturmodell des geplanten Diebstahls

Abbildung 5.4 Empirisches Strukturmodell des geplanten Diebstahls

Abbildung 5.5 Modell des geplanten Diebstahls, standardisierte Pfadkoeffizienten (alle stabil signifikant auf dem 5 %- Niveau; N=104)

Abbildung 5.6 Ein alternatives Modell zu Fairness und Diebstahl-verhalten, standardisierte Pfadkoeffizienten (alle stabil signifikant auf dem 5%-Niveau; N=101)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 5.1 Kategorisierung von Diebstahlverhalten

Tabelle 5.2 Zusätzliche Angebote bezüglich Unternehmenswerten und

Verhaltensrichtlinien (N=101)

Tabelle 5.3 Anteile der Befragten, die zugaben Diebstahlhandlungen innerhalb der letzten 12 Monate begangen zu haben (N=101)

Tabelle 5.4 Anteile der Befragten, die zugaben Diebstahlhandlungen innerhalb der letzten 12 Monate begangen zu haben und die Auftretenshäufigkeit (N=101)

Tabelle 5.5 Anzahl der Items, interne Konsistenzen, korrigierte Trennschärfen der verwendeten Skalen der Messmodelle für das Modell des geplanten Diebstahls (N=104)

Tabelle 5.6 Standardisierte Pfadkoeffizienten und bootstrap-Schätzer (200) des Modells des geplanten Diebstahls (N=104)

Tabelle 5.7 Erklärte Varianzanteile der endogenen Variablen Absicht und Verhalten und bootstrap-Schätzer (200) des Modells des geplanten Diebstahls (N=104)

Tabelle 5.8 Gütemaße des Strukturgleichungsmodells des geplanten Diebstahls (N=104)

Tabelle 5.9 Anzahl der Items, interne Konsistenzen, korrigierte Trenn­ schärfen der verwendeten Skalen der Messmodelle für das alternative Modell zu Fairness und Diebstahlverhalten (N=101)

Tabelle 5.10 Standardisierte Pfadkoeffizienten und bootstrap-Schätzer (200) des alternativen Modells zu Fairness und Diebstahl­verhalten (N=101)

Tabelle 5.11 Gütemaße des Strukturgleichungsmodells des alternativen Modells zu Fairness und Diebstahlverhalten (N=101)

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

1.1. Hintergrund und Problemstellung

Im Oktober 2005 sorgten Führungskräfte eines deutschen Automobilkonzerns für Schlagzeilen in der Presse. Die Staatsanwaltschaft ermittelte aufgrund des Vorwurfes der Veruntreuung von Firmengeldern gegen Manager, Mitglieder des Personalvorstands und des Betriebsrats. Den Berichten zufolge wurden mehrfach und über Jahre hinweg die Kosten von Freizeitaktivitäten der Personen illegal von Firmengeldern ersetzt. Zu diesen Aktivitäten gehörten die Inanspruchnahme der Dienste von Prostituierten, einzeln und bei gemeinsamen Feiern. Dazu wurden Appartements gemietet und umgebaut. Auf Kosten des Konzerns wurden Potenzsteigerungsmittel benutzt, Urlaubsreisen auf ferne Inseln gemacht und sogar Schmuck für die betrogene Ehefrau bezahlt. So wurden innerhalb weniger Jahre systematisch Gelder in Höhe von mehreren hunderttausend Euro auf Kosten von Mitarbeitern, Aktionären und Kreditgebern missbraucht. Schadensersatzforderungen und Kündigungen waren die Folge (vgl. Späte Rechnung, 2005; Viagra auf, 2005). Aber nicht immer wird Firmeneigentum in solchem Ausmaß missbraucht. Ende 2004 wurde eine Gruppe von Mitarbeitern einer Berliner Flughafengesellschaft überführt, die systematisch Sanitärmaterial wie Rohre, Armaturen und Schrauben in großem Stil für private Zwecke und zum Weiterverkauf entwendet sowie Material­bestellungen gefälscht hatten. Teilweise wurden Materialien auch über das Internet-Auktionshaus Ebay versteigert. Kündigungen waren die Folge (Flughafengesellschaft ertappt, 2005). Mitarbeiter gehen bei Diebstahl auch nicht immer in Gruppen oder systematisch vor. Während meines Praktikums bei einem Automobilzulieferer erfuhr ich von einem Diebstahlvorfall, welcher wohl weniger gut geplant wurde. Ein gewerblicher Mitarbeiter der Produktion stahl eine schwere Wasserpumpe aus einer Fertigungslinie. Er verriet sich einige Tage später selbst, indem er im Ersatzteillager nach Gummidichtungen fragte, welche nur für die von ihm gestohlene Wasserpumpe gebraucht wurden. Die Wasserpumpe wurde gefunden und zurückgebracht und ihm wurde gekündigt. Selbst kleinere Diebstähle am Arbeitsplatz rechtfertigen eine Kündigung. Das Landesarbeitsgericht Thüringen wies die Klage einer Verkäuferin eines Einzelwarengeschäftes zurück, die sich gegen Ihre fristlose Kündigung zur Wehr setzte. Sie wurde dabei gefilmt, wie sie während der Arbeitszeit drei Geleebananen einer Tüte entnommen und aufgegessen hatte (Wenn der kleine, 2004).

Das Entwenden von Firmeneigentum in Form von Diebstahl, Betrug und Unterschlagung ist die am häufigsten auftretenden Deliktform der Wirtschafts­kriminalität in Deutschland und Westeuropa. Ein Großteil der gefassten Täter ist nicht unternehmensextern. Eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young ermittelte bei einer Befragung von 203 deutschen Unternehmen, dass 54 % der bei wirtschaftskriminellen Handlungen gefassten Täter aus den eigenen Reihen kam (Ernst & Young, 2003). Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) kommt zu dem Ergebnis, dass in den Jahren 2002-2003 bei etwa 40% der gemeldeten Betrugs-, Diebstahl- und Unterschlagungsdelikte die Täter eigene Mitarbeiter der betroffenen Unternehmen gewesen sind (GDV e.V., 2003). Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PWC) berichtet, dass 49 % der wirtschaftskriminellen Täter in deutschen Unternehmen (50% Westeuropa) aus den eigenen Reihen kommen (PricewaterhouseCoopers [PWC], 2005). „Im Europa-Schnitt sind für 28,5 Prozent der Verluste... [durch Diebstahl] ... die eigenen Mitarbeiter der Handelsbetriebe verantwortlich", heißt es in einer Veröffentlichung der Einzelhandelsmesse Euroshop 2005 (Daten von 2004; Europäische Einzelhandelsbetriebe, 2005). Die materiellen Schäden mögen dabei wie im Einzelfall (wie bei den Geleebananen) zu verkraften sein, erreichen im Aggregat betrachtet allerdings beachtliche Höhen. Nach Berichten des GDV entstanden durch Diebstahl und Unterschlagung von eigenen Mitarbeitern im Jahr 2002 bei deutschen Firmen Schäden in Höhe von rund 3 Milliarden Euro (GDV e.V., 2003). Die Studie von PWC kommt zu dem Ergebnis, dass der bei deutschen Unternehmen durch Mitarbeiterbetrug (38 Mill. €) und Unterschlagung durch eigene Mitarbeiter (48 Mill. €) entstandene Schaden im Zeitraum von 2003 bis 2005 insgesamt 86 Millionen € betrug.1 Ungeachtet der jeweiligen Datenbasis solcher Berichte (branchenspezifische Unterschiede; Stichwort: „Versicherungs­betrug") lässt sich feststellen, dass die finanziellen Schäden von Mitarbeiter­diebstahl immens sind und darüber hinaus in den letzten Jahren zugenommen haben. Wie kann es zu solchen Tatbeständen und Schadensentwicklungen durch Diebstahl, Betrug und Unterschlagung der eigenen Mitarbeiter kommen? Das Manager Magazin spricht von einer anwachsenden Misstrauenskultur in Unternehmen, welche die Motivation der Mitarbeiter schädigt, sich für den Erfolg des Unternehmens einzusetzen (Buchhorn & Werle, 2004). Demnach bestimmen die flexible Anpassung an eine schwache Konjunktur und an den Wettbewerb in globalen Märkten immer stärker die Entscheidungen der Arbeitgeber. „Immer mehr Firmen gestalteten Beschäftigungsverhältnisse ausschließlich nach kurzfristigen ökonomischen Marktprinzipien." (Buchhorn & Werle, 2004). Die Probe- und die Wochenarbeitszeiten werden länger und Laufzeiten der Arbeitsverträge werden kürzer. Mitarbeitern wird gekündigt, obwohl die Unternehmensführung Rekordgewinne verkündet. „Über alle Hierarchieebenen, vom Topmanager bis zum einfachen Angestellten, erleben die Mitarbeiter tagtäglich, wie Unternehmen unter dem Eindruck der anhaltenden Konjunkturschwäche frühere Loyalitäten aufkündigen." (Buchhorn & Werle, 2004). Die „Mitarbeiter wehren sich auf ihre Art. Sie kündigen ebenfalls ihre Verpflichtungen auf; manche üben Rache. Motto: Nach mir die Sinflut." Und „die Schwelle zur Straftat sinkt, sei es aus Not oder Unersättlichkeit. Wer morgen vielleicht schon auf der Straße steht, sorgt heute dafür, dass er nicht zu kurz kommt." (Buchhorn & Werle, 2004). Die Unternehmen können mit einer Verschärfung von Sicherheitskontrollen reagieren. „Insgesamt gaben europäische Händler im Jahr 2003 fast 6,4 Milliarden Euro für Sicherheit und Prävention aus - gegenüber dem Jahr 2002 eine Erhöhung um 13 Prozent." (Europäische Einzelhandelsbetriebe, 2005) Die Verlustrate durch Diebstahl kann dadurch teilweise gesenkt werden. Ein Ansatz mit psychologischem Hintergrund ist die Verschärfung der Kontrolle der Persönlichkeit der zukünftigen Arbeitnehmer vor dem Eintritt in das Unternehmen. Dafür werden in Deutschland vermehrt sogenannte integritäts­diagnostische Instrumente bei der Bewerberauswahl verwendet. Personen, bei denen eine mangelnde Integrität diagnostiziert wird, können so nicht in das Unternehmen gelangen und dort Firmeneigentum missbrauchen, veruntreuen oder entwenden. Obwohl Diebstahldelikte auch dadurch reduziert werden können, reicht die Kontrolle der Persönlichkeit vor dem Eintritt in die Organisation und die Kontrolle der Diebstahlgelegenheiten in der Organisation aber nicht aus. Eine Befragung zeigt, dass Unternehmen, die eine kontrollorientierte Präventionspraxis betreiben, häufiger Opfer von wirtschafts­kriminellen Delikten sind (Dtl.: 56%, Westeuropa: 50%, Global: 48%), als Unternehmen, die eine vertrauensorientierte Prävention praktizieren (Dtl.: 45%, Westeuropa: 35%, Global: 40%; PWC, 2005). Kriminologen und Psychologen sind sich darüber einig, dass Vertrauen und Bindung an die Gemeinschaft, zu Kollegen, Führungskräften und dem Unternehmen nicht nur die Basis einer erfolgreichen Zusammenarbeit sind, sondern vertrauens- und bindungs­bildendende Maßnahmen auch eine wirksame Strategie der Prävention von Wirtschaftskriminalität darstellen. Aber welche Bedingungen führen dazu, dass das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern von Vertrauen geprägt ist, obwohl doch beide Parteien Vereinbarungen (z.B. Arbeitsverträge) über die Ausgestaltung der Zusammenarbeit abgeschlossen haben? Warum zeigen Arbeitnehmer unternehmensschädigendes Verhalten und entwenden, veruntreuen oder missbrauchen Eigentum der Firma, für die sie arbeiten? Wie kann es zu einer konkreten Diebstahlhandlung eines Mitarbeiters kommen?

1.2. Ziel und Aufbau der Arbeit

Ziel dieser Diplomarbeit ist es, zu versuchen, für diese Fragen anhand psychologischer Modelle Antworten zu finden und diese möglichen Antworten empirisch zu überprüfen. Um Diebstahlverhalten2 oder eine bestimmte Diebstahlhandlung verstehen und erklären zu können, bedarf es einer Theorie menschlichen Verhaltens. Die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 2002) ist als eine allgemeine Verhaltenstheorie konzipiert, welche prinzipiell auf beliebige Situationen und Verhaltenweisen angewendet werden kann. Die verschiedenen Komponenten dieser Theorie, wie die Einstellung gegenüber dem Verhalten, die subjektive Norm, die wahrgenommene Verhaltenskontrolle und die Verhaltensabsicht weisen beachtliche Schnittmengen zu speziellen Theorien abweichenden und Diebstahlverhaltens in Organisationen auf. Insofern ist sie deshalb theoretisch als Rahmenkonzept im Kontext von Mitarbeiterdiebstahl in Organisationen geeignet. Um dies zu überprüfen und damit einen Erklärungsbeitrag zu leisten, wird die Theorie in den Kontext von Diebstahlverhalten übertragen und ein Modell des geplanten Diebstahls erstellt. Theorien zu Fairness in Organisationen postulieren, dass erlebte ungerechte Behandlung am Arbeitsplatz negative Gefühlszustände hervorruft, welche die Grundlage der Motivation für organisationsschädigendes Verhalten bilden kann. So unterstellt z.B. die „Equitiy" Theorie (Gerechtigkeitstheorie) von Adams (1965), dass Mitarbeiter, die ihre Bezahlung als ungerecht empfinden, dazu tendieren, ihre Arbeitserträge durch Diebstahl von Firmeneigentum aufzubessern. Gleichermaßen indizieren Studien zu Arbeitszufriedenheit und zu Verbundenheit mit dem Unternehmen, dass mangelnde Identifikation und Unzufriedenheit zu Verringerung der Leistungsmotivation und zu abweichendem Verhalten führen kann. Die Komponente der Einstellung in der Theorie des geplanten Verhaltens umfasst eine zusammengefasste Bewertung einer bestimmten Handlung und dessen Ergebnis. Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Bewertung von anderen theoretisch postulierten und empirisch gefundenen Faktoren des Diebstahlverhaltens wie z.B. der erlebten Fairness beeinflusst werden könnte. Deshalb wird mit einem zweiten Modell überprüft, welchen Einfluss die erlebte Fairness am Arbeitplatz, die Arbeitszufriedenheit und die Verbundenheit mit dem Unternehmen auf die Einstellung gegenüber dem Entwenden von Firmeneigentum haben kann. Das Modell des geplanten Diebstahls und das Modell der Einstellungsbildung werden im Rahmen einer Fragebogenstudie u.a. mit Strukturgleichungsmodellen (SGM) empirisch überprüft. Darüber hinaus werden aus dem Stand der Forschung abgeleitete Einzelfragen empirisch untersucht.

2. Theoretische Perspektiven

Zunächst werde ich kurz theoretische Ansätze zu Leistungsverhalten und Verbundenheitsgefühlen mit dem Unternehmen skizzieren. Danach werden Ansätze zu abweichendem Verhalten in Organisationen und die Theorie des geplanten Verhaltens vorgestellt.

2.1. Verhalten in Organisationen

Die Mitarbeiter eines Unternehmens tragen durch ihre Arbeitsleistung zum Erreichen der Unternehmensziele und damit zum Erfolg der Organisation bei. Neben dem Arbeitsertrag, der zur Sicherung des Lebensunterhaltes dient, motivieren verschiedene Arbeitsinhalte, Arbeits- und Rahmenbedingungen und das soziale Umfeld im Unternehmen die Arbeitnehmer dazu, die entsprechende Arbeitsleistung zu erbringen und ihre Rolle im Unternehmen auszufüllen. Das Erreichen individueller Ziele wird dabei als Bedingung für die Bereitschaft der Mitarbeiter betrachtet, die Arbeitsleistung im Rahmen der vereinbarten Rolle zu erbringen (vgl. Semmer & Udris, 2004). Arbeitszufriedenheit (AZ) dient als Maßstab für die Zielerreichung durch die Arbeit. Das Erreichen von Zielen am Arbeitsplatz motiviert dazu, stabile und zufriedenstellenden Austausch­beziehungen aufrechtzuerhalten und produziert zudem Verbundenheitsgefühle. Im Folgenden werden theoretische Ansätze zu AZ und zu Verbundenheit mit dem Unternehmen kurz vorgestellt.

2.1.1. Arbeitszufriedenheit

Es handelt sich bei der AZ „um eine für die Person kennzeichnende Einstellung der Arbeitssituation gegenüber, um eine aus der Erfahrung kommende Wertung." (Rosenstiehl, 1995, S.183) AZ setzt subjektive Bewertungen der wahrgenommenen Umwelt voraus, welche zum einen von den Persönlichkeitseigenschaften der wahrnehmenden Person und zum anderen von den Merkmalen der wahrgenommenen Situation abhängen. Die allgemeine AZ wird als zeitlich stabile Einstellung angenommen, welche nur geringen Schwankungen unterliegt. Um differenzierte Aussagen zu treffen, werden verschiedene Bezugssysteme (Facetten) der AZ berücksichtigt (z.B. soziale Beziehungen zu Kollegen, Untergeben und Vorgesetzten, Möglichkeiten für berufliche Weiterbildung, Arbeitserträge, Arbeitsplatzsicherheit oder die Tätigkeit selbst). Das Modell des Anspruchsniveaus von Agnes Bruggemann (Bruggemann, Groskurth, & Ulich, 1975) postuliert verschiedene Formen der AZ als Resultat einer Motivationsdynamik. So kann z.B. aus einem negativen Ist- Soll-Vergleich eine diffuse Unzufriedenheit resultieren, die unter Beibehaltung des Anspruchniveaus Versuche der Problembewältigung auslösen, und damit zu „konstruktiver" Unzufriedenheit werden kann. Theorien der Arbeitsmotivation werden auch als Theorien der AZ betrachtet. Dabei wird unterstellt, dass eine hohe Arbeitsmotivation und das Erreichen von Arbeitszielen eine hohe AZ erzeugen kann. (vgl. Semmer & Udris, 2004) Der Wert-Erwartungs-Ansatz von Vroom (1964) beschreibt die Entstehung von Arbeitsmotivation als das Ergebnis der Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines (wünschenswerten) Handlungsergebnisses, die Wahrscheinlichkeit des Eintretens instrumenteller Folgen der Handlung und deren Bewertungen. Nach der Gerechtigkeitstheorie von Adams (1965) kann eine hohe AZ auch durch die Bestätigung von Gerechtigkeitserwartung bzgl. des Arbeitsbeitrag-Arbeitsertrag-Verhältnisses entstehen (vgl. Abschnitt 2.3.2.1.). Andere Theorien der Arbeitsmotivation betonen die Bedeutung von Motivinhalten der Arbeit.3 AZ weist starke Zusammenhänge u.a. zu Leistungsverhalten, freiwilligen, zusätzlichem Engagement („organizational citizenship behavior" [OCB]4 ), Verbundenheits­gefühlen zum Unternehmen aber auch zu kontraproduktivem Verhalten, Absentismus und freiwilligen Kündigungen auf (z.B. Judge, Thoresen, Bono & Patton, 2001; vgl. Semmer & Udris, 2004).

2.1.2. Verbundenheit mit dem Unternehmen

Meyer und Allen (1991) beschreiben die Verbundenheit mit einem Unter­nehmen (Unternehmensbindung, Commitment) als einen psychologischen Zustand, der die Beziehung zwischen Mitarbeiter und Unternehmen kennzeichnet. Sie gehen in ihrem Modell davon aus, dass dieser Zustand anhand von 3 Dimensionen beschrieben werden kann. Demnach stellt die emotionale/affektive Verbundenheit das Ausmaß dar, in dem Personen 1. sich mit den Werten und Zielen der Organisation identifizieren können, 2. sich für diese Ziele einsetzen wollen und 3. den Wunsch haben die Mitgliedschaft in der Organisation aufrechtzuerhalten. Es wird dabei angenommen, dass emotionale Verbundenheit sich aufgrund von positiven Erfahrungen am Arbeitplatz entwickelt. Es kann deshalb als psychologische Summe von erfüllten Wert-, Ergebnis- und Gerechtigkeitserwartungen in zufriedenstellenden Austausch­beziehungen beschrieben werden (vgl. Meyer & Allen, 1991; Schmidt, Hollmann & Sodenkamp, 1998). Die 2. Dimension, das fortsetzungsbezogene Commit­ment, beschreibt die Notwendigkeit, in der Organisation zu bleiben und die Beziehung aufrechtzuerhalten. Es wird durch die Wahrnehmung von Beschäftigungsalternativen und das Abwägen der potentiellen Kosten gekennzeichnet, die mit einem Stellenwechsel verbunden sind. Das normative Commitment - die 3. Dimension - beschreibt Gefühle moralischer Verpflichtung und/oder Loyalität, welche entweder durch unbewusste Sozialisationsprozesse oder durch bewusstes Aneignen von Reziprozitätsvorstellungen vor oder nach dem Eintritt in die Organisation internalisiert wurden. Commitment als Aggregat weist Zusammenhänge zu AZ, Arbeitsleistung und OCB aber auch zu Absentismus, kontraproduktivem Verhalten, Kündigungsabsicht und Kündigungsverhalten auf (z.B. Dalal, 2005).

Hohes Commitment und eine hohe AZ tragen dazu bei, dass Mitarbeiter die vereinbarte Leistung erbringen und zusätzlich Verhalten zeigen, welches über die vereinbarte Rolle hinaus die Effektivität und Effizienz der Organisation aufrechterhalten und erhöhen kann. Mangelndes Commitment und mangelnde AZ können gleichermaßen die Bereitschaft verringern, sich rollengerecht zu verhalten. So lässt sich ableiten, dass Diebstahlverhalten als Problem­bewältigungsstrategie im Sinne einer „subjektiv konstruktiven" Arbeits­unzufriedenheit bei mangelndem allgemeinen Commitment gewählt werden könnte. Gleichermaßen könnten Mitarbeiter aber auch versuchen, ihre Unzufriedenheit z.B. durch ein Gespräch mit Kollegen oder Vorgesetzten zu bewältigen oder das Unternehmen einfach verlassen. Insofern liefern diese Ansätze keine konkreten Argumente, warum Mitarbeiter dem eigenen Unternehmen aktiv und zielgerichtet mit bestimmten Handlungen schaden sollten. In folgenden Abschnitten werden Theorien zu abweichendem und Diebstahlverhalten am Arbeitsplatz vorgestellt.

2.2. Abweichendes Verhalten in Organisationen

Den Erklärungsansätzen abweichenden bzw. kriminellen Verhaltens in Organisationen werden u.a. allgemeine Handlungstheorien und allgemeine Theorien abweichenden Verhaltens zugrundegelegt. Im Folgenden wird zunächst ein individualistischer Ansatz abweichenden Verhaltens am Arbeits­platz skizziert. Des weiteren stelle ich den sozialpsychologische Ansatz „dunklen Verhaltens" in Organisationen vor und gehe dann im Speziellen auf theoretische Ansätze zu Diebstahlverhalten in Organisationen ein.

2.2.1. Kontraproduktives Verhalten

Marcus (2000a) versteht abweichendes Verhalten in Organisationen als kontraproduktives Verhalten (KV). Kontraproduktivität wird hierbei als Arbeits­leistung oder Produktivität mit negativen Vorzeichen interpretiert. Es muss dabei nicht notwendigerweise ein Schaden für die Organisation entstehen. Entscheidend ist, dass zumindest mittelbar, z.B. über die Sanktionsgewalt der Geschädigten wie auch über psychische und physische Prozesse, die Schädigung auf die handelnde Person zurückfallen kann, und dass diese Folgen zum Zeitpunkt der Handlung absehbar sind (Marcus, 2000a).5 Damit wird Verhalten auch als kontraproduktiv beschrieben, wenn es nach der Handlung nicht tatsächlich sanktioniert wird. Demnach besteht für das Individuum ein unmittelbarer Anreiz, gleich welcher Art, sich kontraproduktiv zu verhalten. Der Anreiz (Nutzen) wiegt aber die (absehbaren,) möglichen Konsequenzen (Kosten) der Handlung nicht auf. Menschen mit einer geringen Selbstkontrolle tendieren dazu dem Anreiz nachzugeben. Diese aus dem Persönlichkeitsmerkmal Selbstkontrolle resultierende Verhaltenstendenz ist prinzipiell gegenüber allen Handlungsmotiven offen (Marcus, 2000a, 2001b).

2.2.2. „Dunkles Verhalten“

Auf der Basis des Konzeptes des abweichenden Verhaltens von Robinson und Bennett (1995, 2003) führen Griffin und O’Leary-Kelly (2004) das Konzept „dark side behavior" (dunkles Verhalten) ein.6 Dunkles Verhalten umfasst demnach jedes Verhalten, welches außerhalb des Bereiches von normativ akzeptablem Verhaltens gezeigt wird. Normen werden dabei als formelle und informelle Regeln und Prozesse verstanden, die von einer spezifischen, sozialen Gruppe (der Organisation) definiert werden. Normen können somit von gesamtgesellschaftlich akzeptierten, moralischen Standards abgrenzt werden (vgl. Robinson & Bennett, 1995). Diese Argumentation steht im Einklang mit der Anomietheorie.7 Wie Robinson und Bennett (2003) weisen auch Griffin und O’Leary-Kelly (2004) auf Unterschiede der sozialen Wahrnehmung hin. Sie gehen davon aus, dass auch intraorganisationale Normen sozial konstruiert sind. Dies bedeutet, dass sie durch eine geteilte Wahrnehmung der Mitglieder einer Gruppe geschaffen sowie über interindividuelle Kommunikation aufrechterhalten und verändert werden. Soziale Wahrnehmungen können sich interindividuell unterscheiden. Daher kann auch die Beurteilung eines bestimmten Verhaltens davon abhängen, wer die Beurteilung vornimmt. Es kann vorkommen, dass das gleiche (abweichende) Verhalten von verschiedenen Mitgliedern einer Organisation aufgrund von Wahrnehmungs Verzerrungen unterschiedlich beurteilt wird. Griffin und O’Leary-Kelly (2004) argumentieren somit im Einklang mit einem weiteren Ansatz zur Erklärung abweichenden Verhaltens, dem Labeling-Ansatz.8 Dunkles Verhalten wird hierbei als intentional verstanden. D.h., dass eine Erwartung an potentielle Auswirkungen oder Konsequenzen des Verhaltens besteht und somit auch eine Motivation, ein Bewusstsein oder eine Absicht, eine bestimmte Handlung auszuführen. Die Verhaltensabsicht ist dabei das entscheidende Merkmal zur Abgrenzung des dunklen Verhaltens von Zufällen, Unfällen und Fehlern. Griffin und O’Leary-Kelly (2004) gehen davon aus, dass in manchen Fällen das gleiche Verhalten entweder funktional oder disfunktional für die Betroffenen sein kann. Die Beurteilung des Verhaltens ist deshalb abhängig von der Verhaltensabsicht, dem Kontext in dem das Verhalten auftritt und den daraus folgenden Konsequenzen. Insofern inkorporieren die Autoren damit den Ansatz des Funktionalismus.9

Dunkles Verhalten hat zudem negative Konsequenzen für die Betroffenen. Diese können entweder direkt (z.B. der durch Diebstahl entstandene Schaden in €), indirekt (z.B. bei Auftragsrückgang nach Rufschädigung der Organisation) oder nur rein subjektiv messbar sein (z.B. bei der Rufschädigung eines Mitarbeiters). Weiterhin kann das Verhalten nach dem verursachten Schaden differenziert werden. Dabei unterscheiden die Autoren zwischen Verhalten, welches Schaden primär bei Personen verursacht (z.B. Stress durch sexuelle Belästigung) und Verhalten, welches primär die Organisation als Ganzes schädigt (z.B. messbarer monetärer Schaden durch Diebstahl oder schwer messbarer Schaden durch „impression management"). Griffin und O’Leary-Kelly (2004) leiten vier verschiedene Verhaltensformen aus den negativen Konsequenzen ab: 1. Verhalten, welches anderen Mitarbeitern schadet (z.B. verbale und psychologische Gewalt, physische Gewalt, sexuelle Belästigung, unsichere Arbeitsweisen); 2. Verhalten, das dem Mitarbeiter selbst schadet (z.B. Alkohol- und Drogenmissbrauch oder auch spezifische, unsichere Arbeitsweisen); 3. Verhalten, welches der Organisation messbaren Schaden zufügt (z.B. unangemessener Absentismus, Diebstahlverhalten, Zerstörung von Firmeneigentum oder Verletzung von Gesetzen im juristischen Sinne) und 4. Verhalten, das der Organisation nur schwer messbaren Schaden zufügt (z.B. destruktives politisches Verhalten, unangemessene „impression management", Verletzung von Geheimhaltungspflichten oder anhaltende, absichtlich reduzierte Arbeitsleistung). Der Ansatz dunklen Verhaltens erweist sich als theoretisch umfassend und bietet darüber hinaus die Möglichkeit, Handlungsstrategien für die Managementpraxis abzuleiten.10

2.2.3. Diebstahlverhalten

In den bisher vorgestellten Ansätzen wird Diebstahl als eine Verhaltenform genannt. Im Folgenden werden entlang den allgemeinen Ansätzen abweichenden Verhaltens Begriffsbildungen und Erklärungsansätze zu Diebstahlverhalten in Organisationen abgeleitet und darüber hinaus spezielle Ansätze zu Diebstahlverhalten vorgestellt.

2.2.З.1. Diebstahlbegriff

In der deutschen Strafgesetzgebung wird Diebstahl wie folgt beschrieben: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." (Kühl, 2004, S. 982) Unter „Sachen" werden dabei grundsätzlich alle körperlichen Gegenstände verstanden. Forderungen und sonstige Rechte gehören nicht dazu. Dieser Diebstahlbegriff wird deutlich von einem unbefugten, vorübergehenden Gebrauch einer Sache ohne erhebliche Veränderung oder Wertminderung abgegrenzt. Ein unbefugter Gebrauch wird dann unterstellt, wenn ein Rückführungswille erkennbar ist. Demzufolge wird erst von Diebstahl gesprochen, wenn der Täter die angeeignete Sache nicht zurückgeben will. Insofern wird der Missbrauch von Rabattrechten und das Nutzen von Leistungen oder Sachen des Unternehmens für private Zwecke hier bedingt ausgeschlossen. Darüber hinaus muss der Täter bei der Wegnahme die Absicht haben, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Die Absicht wird als zielgerichteter Wille auf die Zueignung beschrieben.

Obwohl die oben beschriebenen Ansätze unterschiedliche Erklärungen für das Auftreten von dunklen bzw. kontraproduktiven Verhaltens liefern, wird Mitarbeiterdiebstahl als Handlung von allen fast identisch definiert. Marcus (2000a) versteht unter Mitarbeiterdiebstahl, genau wie Hollinger und Clark (1983b), das unautorisierte Entfernen, Kontrollieren oder Nutzen von Eigentum oder Geld des Unternehmens, in welchem der Täter arbeitet. Greenberg und Tomlinson (2004) beschreiben Diebstahl von Firmeneigentum - als Befürworter des Ansatzes des dunklen Verhaltens - knapp als absichtsvolle, unautorisierte Aneignung von Firmeneigentum zu privaten Zwecken. Der Missbrauch von Rechten (z.B. Rabattprivilegien) bleibt hier bei allen Autoren, wie im juristischen Sinne, unberücksichtigt. Hollinger und Clark (1983b) und Marcus (2000a) schließen, im Vergleich zur strafrechtlichen Begriffsdefinition, mit dem „Nutzen von Eigentum", den vorübergehenden Gebrauch einer Sache (z.B. Arbeitsmittel) ein. Dahingegen wird von Greenberg und Tomlinson (2004) der private Gebrauch von Firmeneigentum bei der Begriffbildung nicht berücksichtigt. Das Entwenden von Privateigentum anderer Mitarbeiter wird von allen genannten Autoren ausgeschlossen. Zusätzlich werden Diebstahldelikte von Greenberg und Tomlinson (2004) nach dem entstandenen Schaden in Bagatell- (leichten) und schweren Diebstahl differenziert.11 Firmeneigentum kann (nicht ausschließlich) Produkte, Rohstoffe, Materialien, Arbeitsmitteln, finanzielle Mittel, Daten, Informationen oder intellektuelles Eigentum umfassen (Greenberg, 1997). Im Folgenden wird für alle vorgestellten Konzeptuali sierungen der Begriff Diebstahlverhalten bzw. Entwenden von Firmeneigentum gebraucht.12

2.2.3.2. Individualistische Erklärungsansätze

Der sicherheitsorientierte Ansatz fokussiert insbesondere die Bedeutung von Kontrolle in Arbeitssituationen (Hollinger & Clark, 1983b). Demnach entwenden alle Mitarbeiter Firmeneigentum, wenn sich die entsprechende Möglichkeit bietet. Diebstahl ließe sich dann vermeiden, wenn Diebstahlmöglichkeiten durch Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen eingeschränkt würden. Kriminologen und Psychologen betrachten zudem interindividuelle Unterschiede. So wird unterstellt, dass insbesondere relativ junge Mitarbeiter mit finanziellen Schwierigkeiten Diebstahlverhalten zeigen. Entlang der individualistischen Sichtweise abweichenden Verhaltens werden Persönlichkeitseigenschaften wie Gewissenhaftigkeit oder negative Affektivität in psychologische Profile von Diebstahltätern integriert (z.B. Hollinger & Clark, 1983b). Marcus (2000a) liefert keine spezielle Erklärung für Diebstahlverhalten. Es lässt sich ableiten, dass er auch diese Form kontraproduktiven Verhaltens am Arbeitsplatz als Resultat einer Verhaltenstendenz ansieht, welche über Situationen hinweg stabil ist. Demnach besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter mit geringer Selbstkontrolle bei einer vorliegenden Diebstahlmöglichkeit dem Anreiz nachgeben und ungeachtet der daraus resultierenden langfristigen Kosten ein Bedürfnis befriedigen (Marcus, 2000a). Sicherheitsorientierte und individua­listische Ansätze unterstellen, dass Diebstahlverhalten durch Kontrolle bei Eintritt in die Organisation oder durch Kontrolle von Diebstahlmöglichkeiten am Arbeitsplatz geregelt werden kann (vgl. Greenberg, 1997; Hollinger & Clark, 1983a).

2.2.3.3. Sozialpsychologische Erklärungsansätze

Gemäß dem Ansatz von Griffin und O’Leary-Kelly (2004) unterliegt auch Diebstahlverhalten, als Facette dunklen Verhaltens, einer Verhaltensabsicht und kann formelle oder informelle Normen verletzen, funktional oder disfunktional für die Betroffenen sein und der Organisation messbaren Schaden zufügen. Dementsprechend fokussieren auch Greenberg und Tomlinson (2004) sozialpsychologische Faktoren. Sie bedienen sich dabei verschiedener, allgemeiner, sozialwissenschaftlicher Theorien und wenden diese auf den Diebstahlkontext an.

Der erste Erklärungsstrang der Autoren bedient sich zwei Theorien zu informellen, sozialen Prozessen. Die Theorie der sozialen Verstärkung (Keller, 1969) besagt, dass die soziale Anerkennung wichtiger anderer Personen ein individuell begehrtes Ziel ist. Deshalb zeigen Individuen eher Verhaltensweisen, die soziale Anerkennung hervorrufen. Solche Verhaltenweisen können durch die Wertschätzung positive Verstärkung erfahren.13 Die Autoren führen ihre Überlegungen hierzu nicht weiter aus. Dennoch lässt sich ableiten, dass insbesondere normkonformes Verhalten soziale Anerkennung und Wertschätzung wichtiger anderer Personen erzeugt, dadurch positiv verstärkt und somit auch eher erlernt wird.14 Des Weiteren wird die „social bonding theory“ (Hirschi, 1969) der Erklärung von informellen Prozessen am Arbeitplatz zugrunde gelegt. Diese besagt, dass die Verbundenheit zu einer sozialen Gruppe das Ausmaß der Orientierung des Verhaltens an Gruppennormen beeinflusst. Je mehr sich Individuen einer Gruppe verbunden fühlen, umso weniger werden sie vorhandene Gruppennormen verletzen. Beide Theorien setzen das Vorhandensein von Gruppennormen und eine individuelle Anpassungsfähigkeit voraus. Demnach verhalten sich Individuen normkonform, wenn sie sich mit einer Gruppe verbunden fühlen und erhalten durch sozial erwünschtes Verhalten soziale Anerkennung und Wertschätzung. Die Ausprägung einer Diebstahlnorm bleibt dabei prinzipiell offen. So kann es in einem Unternehmen durchaus eine akzeptierte und gelebte Norm sein, regelmäßig Firmeneigentum zu entwenden (im Sinne von funktionalen, dunklen Verhalten). Diebstahlverhalten wird somit als Resultat einer fehlenden sozialen Verstärkung von „Nicht-Diebstahl" und einer fehlenden Verbundenheit zu einer sozialen Gruppe, wie der Arbeitsgruppe oder dem Unternehmen angesehen. Der zweite theoretische Erklärungsstrang beruht auf der Gerechtigkeitstheorie von Adams (1965). Dieser und andere theoretische Ansätze zu Gerechtigkeit und Fairness in Organisationen werden in den folgenden Abschnitten genauer vorgestellt.

2.3. Fairness in Organisationen

Folger und Cropanzano (2001) gehen in ihrer Fairness-Theorie davon aus, dass durch die Verletzung von Fairnesserwartungen das materielle und/oder psychologische Wohlbefinden einer Person beeinträchtigt werden kann. Gleichermaßen geht auch Denise Rousseau (1989) in ihrer Theorie des psychologischen Kontrakts davon aus, dass Individuen bestimmte Erwartungen an Fairnessprinzipien haben, welche die Bewertungsgrundlage für Fairnessurteile bilden. Im folgenden Abschnitt wird eine Theorie vorgestellt, welche diese Gemeinsamkeit im Kontext von Beschäftigungsverhältnissen in einem grundlegenden Ansatz integriert.

2.3.1. Fairness als Heuristik

Lind (2001) geht in seiner Theorie der Fairness als Heuristik davon aus, dass Fairnessurteile grundlegende Kognitionen in organisationalen Beziehungen sind, welche Einstellungen und Verhalten substantiell beeinflussen können. Mitarbeiter eines Unternehmens befinden sich nach Lind in einer fundamentalen Dilemmasituation. Zum einen gehen sie das Risiko ein, dass ihre Arbeitsleistung ausgenutzt werden könnte. Das bedeutet, dass sie für ihre Investitionen in die gemeinsame Unternehmung möglicherweise nicht den entsprechenden materiellen Ertrag erhalten könnten (z.B. im Falle einer Erhöhung der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Gehalt). Ein Beschäftigungs­verhältnis erweitert die persönliche Identität durch die Einbindung der Arbeitnehmeridentität (die sog. „corporate identity") in die soziale Identität (vgl. Mummendey, 1985). Dadurch besteht zum anderen aber auch gleichzeitig die Gefahr, dass die soziale und damit auch die persönliche Identität durch die negativen Konsequenzen von sozialer Ablehnung oder sozialer Exklusion beeinträchtigt werden kann (z.B. bei einer Kündigung oder bei „mobbing"). Beide Risiken hängen dabei voneinander ab. Die Sorge über die Möglichkeit der Ausbeutung der Arbeitsleistung kann sinken, wenn Individuen eine gemeinsame soziale Identität teilen.15 Auf der anderen Seite beinhaltet die Erfahrung, ausgenutzt zu werden auch die Aussage einer sozialen Ablehnung/Exklusion. Der Erhalt vorteilhafter Arbeitserträge impliziert hingegen gleichzeitig die Bestätigung der sozialen Einbettung/Inklusion. Um dieses soziale Dilemma zu lösen, benutzen Individuen deshalb Fairnessurteile als mentale Abkürzung. Wenn sie glauben, fair behandelt worden zu sein, tendieren Individuen demnach eher dazu, sich kooperativ zu verhalten und die Anforderungen der Gruppe zu erfüllen. Glauben sie hingegen, unfair behandelt worden zu sein, tendieren sie eher dazu, sich nicht kooperativ und den Gruppeninteressen entsprechend, sondern eigeninteressiert zu verhalten. Der Gesamteindruck der erlebten Fairness wird daher von Lind (2001) als Heuristik für interpersonelles Vertrauen angesehen.16 Er differenziert die dabei ablaufenden, kognitiven Prozesse in zwei Phasen. In der Beurteilungsphase wird jedwede verfügbare, fairnessrelevante Information benutzt, um ein generelles Fairnessurteil zu bilden. Dabei wird das Eigeninteresse geprüft, wie z.B. beim Eintritt in ein Unternehmen. In der Anwendungsphase wird das gefällte Fairnessurteil als mentales Schema angewendet, welches als Richtlinie bei der Wahl einer angemessenen Reaktion auf Gruppenanforderungen dient, bei denen der persönliche Vorteil nicht direkt erkennbar ist und/oder Gruppen­interessen im Vordergrund stehen. Auf diese Weise werden kognitive Kapazitäten freigesetzt. Darüber hinaus kann ein bereits gefälltes, generelles Fairnessurteil über den sog. Subsitutionseffekt für die Bewertung differenzier- terer Fairnessbereiche benutzt werden.17

Es stellt sich die Frage, welche Erwartungen Fairnessurteile beinhalten können und welche Prinzipien dabei unterstellt werden. Die im Folgenden vorgestellten Dimensionen der Fairness versuchen, dies zu beantworten und erweitern dabei das Verständnis der Bedeutung von fairer Behandlung in verschiedenen Situationen des Berufsalltags.

2.3.2. Dimensionen der Fairness

Die Sicherung des Lebensunterhaltes wird als eine Grundfunktion der Arbeit angesehen. Mitarbeiter eines Unternehmens sind daher u.a. durch die Entlohnung intrinsisch motiviert, die vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen. Die individuelle Bewertung der Bezahlung wird hierbei nicht zwingend nur durch die absolute Höhe der Erträge bestimmt.18

2.З.2.1. Distributive Fairness

Die Arbeitsmotivation kann auch von der Bewertung der wahrgenommenen, distributiven Fairness abhängen. Diese resultiert aus der Beurteilung des Vergleiches des persönlichen Einsatz-Ertrag-Verhältnisses mit dem anderer Mitarbeiter. Adams (1965) geht in der Gerechtigkeitstheorie davon aus, dass das eigene Verhältnis von Aufwand und Ertrag mit dem anderer Personen verglichen, und daraufhin die eigene Situation als mehr oder weniger gerecht wahrgenommen und bewertet wird. Das Verteilungsprinzip Gerechtigkeit (Jeder erhält den Ertrag, welcher dem individuellen Beitrag entspricht.) wird dabei vom Prinzip der Gleichheit (Jeder erhält das Gleiche ungeachtet des individuellen Beitrages.) und dem Prinzip des Bedürfnis (Jeder erhält das, was er benötigt.) abgegrenzt. Eine als ungerecht empfundene Entlohnung führt demnach zu unerwünschten, negativ empfundenen emotionalen Zuständen, wie z.B. Ärger (bei Unterbezahlung) oder Schuld (bei Überbezahlung). Diese können u.a. zu Verhaltensänderungen motivieren oder zu Verzerrungen der Kognitionen führen. Deshalb können Individuen versuchen, die Gerechtigkeitsbalance wieder herzustellen, indem sie entweder ihren Einsatz (input) verringern oder versuchen, ihre Erträge (output) zu erhöhen. Verhaltensänderungen (u.a. Diebstahl von Firmeneigentum) können das Resultat erlebter distributiver Unfairness aber auch von erlebter Unfairness auf anderen Dimensionen sein. Lind (2001) argumentiert dementsprechend, dass Arbeitserträge sehr wichtige Informationen über die Arbeitnehmer/Arbeitgeber-Beziehung beinhalten. Demnach sollten Gedächtnisinhalte zur Verteilungsfairness dann salient werden, wenn Ertragsveränderungen stattfinden und insbesondere dann, wenn die eigenen Erträge negativ bewertet werden.

2.3.2.2. Prozedurale Fairness

Arbeitnehmer erleben während ihres Aufenthaltes im Unternehmen verschiedene Geschäftsprozesse oder Wege der Entscheidungsfindung, von deren Konsequenzen sie direkt oder indirekt betroffen sind. Hierzu gehören neben der Entlohnung oder anderer finanzieller Erträge wie Bonuszahlungen z.B. auch die Bewertung der Arbeitsleistung, Auswahlverfahren oder Beförderungen. Werden Entscheidungsregeln als unfair wahrgenommen, kann dies zu negativen Gefühlszuständen führen, welche die Arbeitsmotivation senken und Anreize zu Verhaltensänderungen setzen können. Die Beurteilung der Prozesse hängt dabei zum einen davon ab, ob für Mitarbeiter die Möglichkeit besteht, ihre Ansichten, Argumente und Gefühle während den Geschäftsprozessen zu äußern und ob für sie die Möglichkeit besteht, das Ergebnis der Entscheidung durch einen individuellen Beitrag zu beeinflussen (Thibaut & Walker, 1975). Neben den individuellen Rechten und Kontroll- möglichkeiten spielt zum anderen auch die objektive Einhaltung fairer Entscheidungsregeln eine bedeutende Rolle. Dazu gehört nach Leventhal (1980) bzw. Leventhal, Karuza und Fry (1980), dass Prozesse konsistent in verschiedenen Situationen (bei unterschiedlichen Personen und zu verschiedenen Zeitpunkten) und ohne subjektive, persönliche Färbung (neutral) angewendet werden; dass Entscheidungsregeln auf genauen Informationen beruhen; dass die Möglichkeit besteht, Entscheidungen in Frage zu stellen; dass alle Personen, die von der Entscheidung betroffen sind, auch davon erfahren, und dass ethische und moralische Standards berücksichtigt werden. Bies und Moag (1986) ergänzten dieses Modell um die Dimension der Interaktions - Fairness, welche die Beurteilung des interpersonellen, persön­lichen Umgangs umfasst, die Mitarbeiter bei der Ausführung von Geschäfts­prozessen erleben (vgl. Bies, 2001). Interaktionsfairness kann in zwei Dimen­sionen differenziert werden, welche unabhängig voneinander Effekte auf die individuelle Beurteilung der erlebten Fairness haben können (z.B. Greenberg, 1993). Diese werden im Folgenden vorgestellt.

2.3.2.3. Informationelle Fairness

Mitarbeiter bewerten demnach die Güte der Information, welche die Grundlage für Entscheidungsprozesse und -ergebnisse bildet. Dabei spielen die Überprüfbarkeit (Wahrheitstreue) und Detailgenauigkeit der Information, die Angemessenheit der Erklärung oder der Argumente (Relevanz) und die Anpassung an spezifische, individuelle Informationsbedürfnisse eine Rolle (vgl. Colquitt, 2001; Greenberg, 1993). Theoretische Unterstützung erhält dieses Konzept durch das Kooperationsprinzip der Kommunikation des Linguisten Paul Grice. Demnach hängt der Erfolg jedweder interpersoneller Kommunikation von der Kooperation der Teilnehmenden auf vier verschiedenen Dimensionen ab. Die sog. Griceschen Kommunikationsmaximen der Konversation lauten: 1. Qualität: Die Information soll wahr sein. 2. Quantität: Die Menge der Information soll dem Bedarf entsprechen und damit zum (Vor-)Wissen des Empfängers passen. 3. Relation: Die Information soll relevant sein. 4. Deutlichkeit: Die Infor­mation soll klar und verständlich sein (Bless, 2004, S.128). Diese Dimensionen werden bei den Facetten der informationellen Fairness berücksichtigt.

2.3.2.4. Interpersonelle Fairness

Gleichzeitig kann auch die erlebte Sensitivität/Sensibilität im persönlichen Umgang eine entscheidende Bedeutung bei der Bewertung der Aus- und Durchführung von Geschäftsprozessen spielen. Insbesondere ein respekt-, takt- und würdevoller Umgang und die Wahrung der individuellen Privatsphäre können dafür sorgen, dass Prozesse und Entscheidungen als fair wahrge­nommen werden. Unter respektvollem Umgang versteht Bies (2001) die rechtzeitige Vermittlung von Information, den Verzicht auf Äußerungen oder Handlungen, die Personen öffentlich bloß stellen, öffentlich kritisieren oder unter psychischen oder physischen Druck setzen sowie den Verzicht auf vorurteilbehaftete (negativ gefärbte) Aussagen und Beleidigungen. Mitarbeiter können subjektiv negative Entscheidungsergebnisse eher akzeptierten, wenn sie ein hohes Ausmaß an informationeller und interpersoneller Fairness im persönlichen Umgang erfahren (Bies, 2001; Greenberg, 1993).

2.3.3. Bedeutung von fairer Behandlung für Einstellungs- und Verhaltensänderungen

Linds (2001) Theorie der Fairness als Heuristik beinhaltet Elemente, die deutlich im Einklang mit Postulaten des „social cognition“-Ansatzes stehen.19 Er liefert durch die Berücksichtigung der sozialen Identität auch theoretische Antworten auf die Frage, in welchen Situationen Fairness eine Bedeutung und damit einen Einfluss auf Einstellungen und Verhalten haben kann. Insbesondere Einstellungen, welche eine Gruppenmitgliedschaft und damit die Beziehung des Mitarbeiters zur Gruppe betreffen (z.B. Vertrauen in Kollegen und Vorgesetzte oder die Verbundenheit mit dem Unternehmen), können durch die Effekte von fairer Behandlung verändert werden. Denn Fairness­gedächtnisinhalte werden demnach dann salient, wenn Gruppen- und Eigeninteressen abgewogen werden. Dies kann in Situationen geschehen, in denen sich die Natur der Beziehung verändert, wie z.B. bei Eintritt in oder Austritt aus einer Organisation, bei Beförderungen, Arbeitsgruppen- oder Führungsspitzenwechsel, Lohnveränderungen oder bei Änderungen von Geschäftsprozessen (vgl. Greenberg, 2001a, S. 247; Lind, 2001, S. 77 ff.).

Gleichermaßen sollten Fairnessurteile in Arbeitssituationen, in denen Vertrauen und Identifikation wichtig sind salient werden und damit einen Effekt auf das Verhalten haben (z.B. bei Arbeitstätigkeiten mit hoher Autonomie wie Gruppenarbeit). Skarlicki und Folger (2004) gehen davon aus, dass erlebte Ungerechtigkeit zielgerichtetes Vergeltungsverhalten von Mitarbeitern hervorrufen kann. Dieses unterliegt demnach der Motivation, eine soziale Einheit (Person oder Organisation) für den erlebten negativen emotionalen Zustand bezahlen zu lassen. Bevor Mitarbeiter Vergeltungsverhalten zeigen, wird demnach der sozialen Einheit die Schuld für die ungerechte Behandlung (entlang verschiedener Dimensionen der Fairness) zugeschrieben. Wenn Mitarbeiter einen negativen emotionalen Zustand aufgrund von unfairer Behandlung erleben, kann dadurch die Verhaltenabsicht entstehen, diesen aktiv durch die Wiederherstellung der Fairnessbalance zu beseitigen und/oder Vergeltung an der sozialen Einheit zu üben, welche für den negativen emotionalen Zustand verantwortlich gemacht wird. Diebstahlverhalten kann demnach als optionale Verhaltensreaktion auf erlebte Unfairness am Arbeitsplatz auftreten.

2.4.1. Theorie des geplanten Verhaltens

Die Theorie des geplanten Verhaltens (TPB; Ajzen, 2002; Ajzen, 1991) dient als Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens. Sie kann zur Erklärung der Entstehung von Verhaltensabsichten und beobachteten Verhalten beitragen und der Prognose von beobachtbarem Verhalten dienen. Sie ist dabei prinzipiell in jedem Kontext anwendbar, in dem zielgerichtetes Verhalten gezeigt wird.

Nach dem zugrundeliegenden Wert-Erwartungsmodell (vgl. Holling & Kanning, 2004, S. 72) haben Individuen (aufgrund erlernter Schemata) demnach die Erwartung, dass, wenn sie ein bestimmtes Verhalten zeigen, ein Handlungs- bzw. Verhaltensergebnis mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eintritt. Das Ergebnis der Handlung wird dabei automatisch und unbewusst mit einem subjektiven Wert verknüpft (Ergebnis- und Wertüberzeugung). Zudem besitzen Individuen auch Vorstellungen über die Erwartungen von wichtigen anderen Personen (einer sozialen Gruppe) bezüglich des Verhaltens (Normative Überzeugung). Es wird dabei unterstellt, dass Individuen motiviert sind, den Erwartungen wichtiger anderer Personen bezüglich des eigenen Verhaltens zu entsprechen. Darüber hinaus wird angenommen, dass Individuen Überzeugungen über das Vorhandensein und die Stärke von Faktoren haben, die das Ausführen des Verhaltens erleichtern oder erschweren könnten (Kontrollüberzeugung). Diesen verschiedenen Überzeugungen wird unterstellt, dass ihre Salienz (Bedeutsamkeit) in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit der verknüpften Gedächtnisinhalte variiert. Diese Verfügbarkeit kann dabei als eine Funktion aus der Häufigkeit der Aktivierung, des zeitlichen Abstands der letzten Aktivierung und der subjektiven Wichtigkeit der Gedächtnisinhalte beschrieben werden.20

Ergebnis- und Wertüberzeugung erzeugen im Aggregat eine positive oder negative Einstellung gegenüber dem Verhalten. Gleichermaßen produzieren zusammengefasste normative Überzeugungen einen wahrgenommenen normativen Druck (die sog. subjektive Norm), das Verhalten zu zeigen. Die Kontrollüberzeugung bildet die Grundlage für die wahrgenommene Verhaltenskontrolle. Die Einstellung gegenüber dem Verhalten, die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle können in Kombination zur Bildung einer Verhaltensabsicht führen. Je positiver die Einstellung und der normative Druck gegenüber dem Verhalten und je höher die wahrgenommene Verhaltenskontrolle ist, umso stärker sollte die individuelle Absicht sein, das Verhalten auszuführen. Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle kann dabei auch als Einschätzung der aktuellen tatsächlichen Kontrolle in einer Situation dienen. Wenn die Verhaltensabsicht und die aktuelle Verhaltenskontrolle in einer Situation vorhanden sind, wird das Verhalten ausgeführt.

2.4.1. Einstellungen

Eine Einstellung repräsentiert die zusammengefasste Evaluation eines Handlungsergebnisses, welche in bipolaren Dimensionen wie gut - schlecht, schädlich - vorteilhaft, angenehm - unangenehm und sympathisch - unsympathisch beschrieben werden kann (Ajzen, 2001). Es können auch mehrere Einstellungen bezüglich eines Verhaltens vorhanden sein. Die subjektive Bewertung eines erwarteten Handlungsergebnisses geschieht dabei automatisch, spontan und ohne bewusste Anstrengung. Affektive (auf Gefühls- zustanden basierend) und kognitive (auf der bewussten Verknüpfung von bewerteten Eigenschaften mit dem Einstellungsobjekt basierend) Prozesse können dabei gleichermaßen den Bewertungsprozess beeinflussen.21 Einstellungen sind dann besonders stark - d.h. sie sind über die Zeit hinweg stabil und schwieriger zu verändern - und können dann schneller aus dem Gedächtnis abgerufen werden, wenn Einstellungsobjekte eindeutig (univalent) bewertet werden. Gleichermaßen kann die Verhaltensabsicht (und damit auch das Verhalten) durch mehrdeutige (ambivalente22 ) Einstellungen schlechter als durch eindeutige Einstellungen prognostiziert werden.

2.4.2. Normativer Druck

Die soziale Identität ist ein Bestandteil der persönlichen Identität und des Selbstkonzeptes. Wenn die Mitgliedschaft in einer bestimmten sozialen Gruppe einen wichtigen Teil des Selbstkonzeptes darstellt, bestimmen deren prototypische Überzeugungen, Einstellungs- und Verhaltensmuster die subjektiv wahrgenommenen Erwartungen der anderen Gruppenmitglieder an eigene individuelle Überzeugungen, Einstellungen und an das eigene Verhalten (vgl. Mummendey, 1985). Wenn die soziale Identität einen wichtigen Bestandteil des Selbstkonzept darstellt und die Gruppenmitgliedschaft damit salient ist, sollten Individuen deshalb dazu tendieren, Verhalten zu zeigen, welches im Einklang mit den verhaltensrelevanten Normen der Gruppen­mitgliedschaft steht. Ist die Gruppenmitgliedschaft hingegen weniger salient, sollte Verhalten eher im Einklang mit persönlichen Merkmalen stehen als mit Gruppennormen (vgl. Terry, Hogg & White, 1999).

2.4.3. Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

Die Ausführung eines bestimmten Verhaltens hängt von der aktuellen Kontrolle in einer sich bietenden Situation ab. Die wahrgenommene (wahrg.) Verhaltenskontrolle kann deshalb theoretisch nicht nur die Absicht sondern auch die tatsächliche Durchführbarkeit von Verhalten in einer Situation bestimmen. Ajzen (1991) konzeptualisiert die wahrg. Verhaltenskontrolle als ein Aggregat aus aktueller Kontrolle in einer Situation und der Einschätzung der persönlichen Kompetenzen und Fähigkeiten (vgl. Ajzen, 2002; Conner & Armitage, 1998). Letzteres basiert auf dem Konzept der Selbstwirksamkeit, welche die Einschätzung der Fähigkeiten bezeichnet, Handlungen zu organisieren und auszuführen, die benötigt werden, um eine bestimmte Leistung zu erreichen (Bandura, 1982). Je realistischer die Selbstwirksamkeit eingeschätzt wird, umso eher sollte die Durchführung eines Verhaltens gelingen. Die aktuelle Kontrolle in einer Situation wird von Ajzen (1991, 2001, 2002) über die Überzeugung der vollständigen Kontrolle der Ausführung eines Verhaltens konzeptualisiert. Die vollständige Kontrolle über die Ausführung eines Verhaltens kann aber naturgemäß auch von den äußeren Rahmen­bedingungen abhängen, welche nicht immer realistisch wahrgenommen werden können. Armitage und Conner (2001) unterscheiden deshalb die konzeptuell zwischen internen und externen Faktoren der wahrg. Verhaltenskontrolle. Erstere bezeichnen das Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit und letztere betreffen die Wahrnehmung der Verfügbarkeit von Handlungsmöglichkeiten.

3. Stand der Forschung

In diesem Abschnitt werden zunächst Methoden der Erfassung von Diebstahlverhalten diskutiert. Dann werden Prädiktoren von Diebstahlverhalten anhand verschiedener empirischer Studien differenziert. Nach der Präsentation von Studien zu zielgerichtetem Verhalten werden Zusammenhänge, Ableitungen und offene Fragen diskutiert.

3.1. Methoden der Erfassung von Diebstahlverhalten

Diebstahlverhalten kann negative Konsequenzen für die gefassten Täter haben (z.B. soziale Benachteiligung, offizielle Verwarnung, eine Kündigung oder eine strafrechtliche Anzeige). Aufgrund des (vorwiegend) sozial unerwünschten Charakters dieses Verhaltens, können Reaktivitätseffekte bei Datenerhebungen ein Problem darstellen. Sofern sich Personen der Untersuchung ihres Ver­haltens bewusst sind (bei sog. reaktive Messverfahren), kann es zu Antwort­verzerrungen durch Differenzverhalten und „impression management" bei der Datenerhebung kommen (vgl. Bungard, Holling & Schultz-Gambard, 1996, Kap. 5).

3.1.1. Nicht-reaktive Messverfahren

Ein nicht-reaktives Erhebungsverfahren von Diebstahlverhalten ist die Messung von des Schadens durch Inventurdifferenzen. Dabei kann allerdings meist nur sehr begrenzt unterschieden werden, ob die Differenz zwischen Soll- und Ist- Bestand von Firmengütern (wie Geld oder Inventar) auf das Konto von internen oder von externen Tätern (weder Personengruppen noch den einzelnen Täter) geht.23 Trotzdem können Inventurdifferenzen zur Messung von Diebstahl­verhalten im Aggregat benutzt werden, um Hypothesen zu überprüfen. Thoms, Wolper, Scott und Jones (2001) konnten zeigen, dass Kündigungsraten signifikant mit dem Auftreten von Diebstahl zusammenhing. Inventurdifferenzen wurden von Greenberg (1990) in einem Feldexperiment (Quasi-Experiment) zur Messung von Diebstahl genutzt. Er konnte zeigen, dass die Diebstahlraten in den Werken, in denen Gehälter gekürzt worden waren, signifikant höher waren als im Vergleichswerk. Auch bei Interventionen (z.B. mit dem Ziel der Reduzierung von Diebstahl von Organisationen) kann Diebstahlverhalten sinnvoll mit Hilfe von Raten gemessen werden (z.B. Latham, 2001). Verzerrungen bei der Messung von Diebstahlverhalten sollten dann geringer (oder nicht existent) sein, wenn Personen nicht wissen, dass sie diesbezüglich beobachtet werden (Bungard et al., 1996). Greenberg (1993; 2002) folgte diesem Grundgedanken nicht-reaktiver Messverfahren, indem er in verschiedenen Laborexperimenten Diebstahlverhalten über die Bezahlung der Studienteilnehmer operationalisierte.24 Obwohl Laborexperimente in der Organisationspsychologie starker Kritik ausgesetzt sind, können mit ihnen, durch die individuelle Zurechenbarkeit des Ausmaßes an gezeigtem Diebstahl­verhalten, theoretische Ansätze überprüft werden.25 Durch die Angst vor der individuellen Zurechenbarkeit können Angaben verfälscht und damit das Ausmaß von Diebstahlverhalten unterschätzt werden. Um eine genauere Schätzung der Basisrate von Diebstahl (Auftretenshäufigkeit) zu erhalten, schlagen Wimbush und Dalton (1997) die Anwendung sog. "masked-response- techniques“ (maskierte Antworttechniken) in Fragebogenerhebungen vor. Die Sicherung der Anonymität beim methodischen Vorgehen in ihrer Studie resultierte in ehrlicheren und damit valideren Antworten (Wimbush & Dalton, 1997). Die Forscher konnten zeigen, dass Personen, die mit dem „randomized- response-technique“-Protokoll (RRT) oder dem „unmatched-count-technique“- Protokolls (UCT) befragt wurden, im Durchschnitt mehr als doppelt so häufig angaben, in Diebstahl (monatliche Rate) verwickelt gewesen zu sein, als Personen, die mit einem konventionellen Item (direkte Frage) befragt wurden. RRT und UCT können sinnvoll zur Bestimmung von Basisraten von Diebstahl­verhalten (z.B. bei Interventionen, Feldexperimenten oder Laborexperimenten) eingesetzt werden. Der Nachteil solcher Methoden besteht darin, dass immer nur der relative Anteil (UCT) oder die Anzahl (RRT) von schuldigen Befragten einer Gruppe ermittelt werden kann und die individuelle Zurechenbarkeit damit nicht gewährleistet ist.

3.1.2. Selbstberichte und Fremdbeurteilungen

Individuell zurechenbares Diebstahlverhalten wurde in Fragebögen mit direkten Fragen zu vergangenem Verhalten (oft als Facette von abweichenden, kontraproduktiven und Vergeltungsverhalten) erfasst (z.B. Bolin & Heatherly, 2001; Hollinger & Clark, 1983a; 1983b; Marcus & Schuler, 2004). Diese Selbstberichte können trotz Zusicherung von Anonymisierung und der Einhaltung von Datenschutzrichtlinien sowie der Anwendung von anderen Fragebogenmethoden durch soziale erwünschte Antworten verzerrt sein (vgl. Mummendey, 2003). Darüber hinaus kann Diebstahlverhalten durch die Fremd­beurteilung anderer Mitarbeiter erfasst werden. Skarlicki und Folger (1997) bildeten zufällig gezogene Mitarbeiterpaare in einer Arbeitsgruppe. Die Partner beurteilten gegenseitig das gezeigte, abweichende Verhalten des anderen anhand einer Fragebogenskala. Solche Fremdbeurteilungen können durch andere Motivationen oder durch subjektive Fehlwahrnehmungen verzerrt sein. Letztlich kann nie sichergestellt werden, dass Befragte wahrheitsgemäß antworten.

3.1.3. Schwere der Schäden und Häufigkeit des Auftretens

Bei der Erhebung individueller Daten mit Selbstberichten wurde zum einen die Schwere des Diebstahlschadens mit Fragen nach dem Geldwert der gestohlenen Güter (Bolin & Heatherly, 2001; Wimbush & Dalton, 1997) erfasst. Zum anderen wurde in verschiedenen Studien nach der Häufigkeit des Auftretens von Diebstahlverhalten in einem bestimmten vergangen Zeitraum gefragt. Der Bezugszeitraum variierte dabei zwischen einem Monat (Skarlicki & Folger, 1997), 12 Monaten (Hollinger & Clark, 1983a) oder dem ganzen Leben (Marcus & Schuler, 2004). Dabei wurde die Auftretenshäufigkeit einer bestimmten Diebstahlhandlung (z.B. das Entnehmen von Waren ohne Erlaubnis) je nach Fragestellung dichotom (Wimbusch & Dalton, 1997), mit der absoluten Anzahl der Häufigkeiten (Skarlicki & Folger, 1997) oder einer Häufigkeitsrate, wie z.B. von „täglich" bis „1-3 mal pro Jahr" (Hollinger & Clark, 1983a) gemessen. In wissenschaftlichen Publikationen wird der Zusammen­hang zwischen der Schwere des durch Diebstahlverhalten entstandenen Schadens und der Auftretenshäufigkeit von Diebstahlhandlungen nicht diskutiert. Folgt man den Indizien vereinzelter Erklärungen (z.B. Greenberg & Tomlinson, 2004; PWC, 2005), könnte man davon ausgehen, dass Diebstahlhandlungen, die geringen Schaden erzeugen (Bagatelldiebstahl), häufiger auftreten als Diebstahlhandlungen, die schweren Schaden erzeugen.

3.2. Determinanten von Diebstahlverhalten

Entlang den theoretischen Ansätzen zu abweichendem und Diebstahlverhalten wurde eine Vielzahl von Determinanten empirisch untersucht.

3.2.1. Wahrgenommene Möglichkeiten

Marcus und Schuler (2004) untersuchten neben anderen Prädiktoren auch den Einfluss von individuell wahrg. Möglichkeiten KV (inkl. Diebstahlverhalten) am Arbeitsplatz zu zeigen auf selbstberichtetes KV. Dazu fassten sie die wahrg. Leichtigkeit, einen ähnlichen Arbeitsplatz in einem neuen Unternehmen zu finden, wahrg. Ausprägung der Gruppennormen bzgl. KV, wahrg. Gruppensanktionen bzgl. KV, wahrg. Sanktionen der Organisation und wahrg. Beobachtung durch die Organisation (Mittelwerte, gewichtet nach der Korrelation zu KV) zu der Variable externe Kontrolle zusammen. Dieses Aggregat konnte u.a. die Auftretenshäufigkeit von KV signifikant erklären.

3.2.2 Formelle und informelle Normen

Mitarbeiter können ihr Verhalten an der Ausprägung der im Unternehmen vorherrschenden, formellen und informellen Diebstahlnormen orientieren. Formelle und informelle Verhaltensregeln werden über soziale Austausch­prozesse zwischen Organisationsmitgliedern (zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern und zwischen hierarchisch gleichgestellten Kollegen) vermittelt (z.B. Masterson, Lewis, Goldman & Taylor, 2000). Darüber hinaus können (informelle) Rechtfertigungen für Diebstahlverhalten von erfahrenen Mitarbeitern an neu eingestellte Mitarbeiter weitergegeben werden (Greenberg & Tomlinson, 2004). Hollinger und Parilla (1983) untersuchten den Zusammenhang zwischen Diebstahlraten und formellen Normen in Form von Arbeitsverträgen, Unternehmensgrundsätzen und internen Verhaltensregeln.

Sie konnten zeigen, dass formelle Normen im Vergleich zu Sicherheits- und Kontrollsystemen den stärksten Zusammenhang zu Diebstahlraten aufwiesen.26 Fast 20 Jahre später konnte Greenberg (2002) in einem Laborexperiment empirisch belegen, dass Untersuchungsteilnehmer, die in Unternehmen arbeiteten, in denen ethisches Verhalten systematisch gefördert wird, signifikant weniger Diebstahlverhalten zeigten als Untersuchungsteilnehmer, die in Unternehmen ohne Ethikaktivitäten arbeiten.27 Hollinger und Clark (1982) belegten empirisch, dass Mitarbeiter sich eher durch informelle als durch formelle Sanktionen davon abschrecken ließen, Firmeneigentum zu entwenden.

Robinson und O’Leary-Kelly (1998) zeigten, dass das Ausmaß des antisozialen Verhaltens am Arbeitsplatz der Arbeitsgruppenmitglieder ein wichtiger Prädiktor für das selbstberichtete antisoziale Verhalten der Befragten war.28 Dementsprechend konnten verschiedene Studien belegen, dass informelle Normen spezielle Formen abweichenden Verhaltens am Arbeitsplatz wie Sabotage (Giacolone, Riordan & Rosenfeld, 1997), Aggression (Greenberg & Alge, 1998) und auch Diebstahlverhalten (Hollinger & Clark, 1982; vgl. Lau Au & Ho, 2003) beeinflussen können. Diebstahlaktivitäten können von Arbeitsgruppen koordiniert, individuell durchgeführt oder von Vorgesetzten geduldet werden. Es kann für die Beteiligten (Vorgesetze oder Kollegen) vorteilhaft sein, sich darüber zu verständigen, in welchem Ausmaß Diebstahlaktivitäten gerechtfertig sind. Denn Diebstahlverhalten eines Mitarbeiters kann die Diebstahlmöglichkeiten eines anderen Kollegen oder auch ein von Vorgesetzten geduldetes „unsichtbares Entlohnungssystem“ beeinflussen (Greenberg, 1997; Greenberg & Tomlinson, 2004).

3.2.3. Unfaire Behandlung

Ambrose, Seabright und Schminke (2002) stellten fest, dass erlebte Ungerechtigkeit am Arbeitsplatz häufiger der Grund von zerstörerischem Verhalten am Arbeitsplatz war als Machtlosigkeit, Frustration und andere Motiven.29 Dementsprechend konnte eine Vielzahl an empirischer Unter­suchungen den Einfluss erlebter Ungerechtigkeit am Arbeitsplatz auf Vergeltungsverhalten (VG; inkl. Diebstahlverhalten; z.B. Skarlicki & Folger, 1997), auf abweichendes Verhalten gegenüber der Organisation (AVGO; inkl. Diebstahlverhalten; Aquino, Lewis & Bradfield, 1999) und Diebstahlverhalten (Greenberg, 1990, 1993) erfolgreich belegen. Greenberg (1990) wies empirisch nach, dass Mitarbeiter, die eine (unfaire) Gehaltskürzung (distributive Ungerechtigkeit) erlebten, Gefühle von Unterbezahlung äußerten und signifikant mehr Diebstahlverhalten zeigten, als Mitarbeiter, die keine (unfaire) Gehalts­kürzung erlebten.30 Darüber hinaus konnte Greenberg (1993) in einem Labor­experiment nachweisen, dass Untersuchungsteilnehmer, die Informationen darüber erhielten, warum sie weniger für ihre Teilnahme an der Studie bekamen (informationelle Fairness) und denen Informationen rücksichtsvoll übermittelt wurden (interpersonelle Fairness), signifikant weniger Diebstahlverhalten zeigten als Untersuchungsteilnehmer, die keine Informationen über ihre unfair wahrgenommene Bezahlung erhielten und die nicht rücksichtsvoll behandelt wurden. Die Effekte beider Dimensionen fairer Behandlung traten dabei additiv auf. Greenberg führte 1999 eine Interventionsstudie durch, um den Einfluss von „interpersonal justice training" (IJT; Training zur Verbesserung der Kommuni­kationsfähigkeit bzgl. informationeller und interpersoneller Fairness) von Führungskräften auf die Diebstahlraten verschiedener Discountgeschäfte einer Unternehmenskette zu überprüfen.

[...]


1 Unter Betrug wird in dieser Veröffentlichung die Erlangung eines Vermögensvorteils durch Täuschung verstanden. Unter Unterschlagung wird Zueignung von Sachen, über die man Verfügungsmacht besitzt, verstanden. Die Zahlen beruhen auf eigenen Folgeberechnungen der Angaben (vgl. PWC, 2005).

2 Diebstahlverhalten bzw. Entwenden von Firmeneigentum wird im Folgenden als Sammelbegriff für Betrug, Unterschlagung, Missbrauch, Veruntreuung und Diebstahl von Firmeneigentum gebraucht.

3 So gehen z. B. Hackmann und Oldham (1980) im „Job-Characteristics-Modell" davon aus, dass die Kernmerkmale der Arbeit (Variabilität, Ganzheitlichkeit, Bedeutung, Autonomie und Feedback) kritische, psychische Zustände erzeugen (erlebte Sinnhaftigkeit, erlebte Verantwortlichkeit und Selbsterkenntnis) welche wiederum eine hohe intrinsische Arbeitmotivation und damit eine hohe AZ hervorrufen.

4 OCB wird als Verhalten beschrieben, welches nicht über die Arbeitsrolle definiert, nicht formal von der Organisation (im konventionellen Sinne) belohnt oder sanktioniert wird, aber trotzdem die Effizienz und/oder Effektivität der Organisation erhöht (Organ, 1988).

5 Diese Argumentation beruht auf der allgemeinen Theorie kriminellen Verhaltens, der Theorie der Selbstkontrolle von Gottfredson und Hirschi (1990; vgl. Lamnek, 1997).

6 Dunkles Verhalten wird dabei zu „hellem" (rollengerechtem) Verhalten kontrastiert, welches die Unternehmung am Leben erhält, die Arbeitsbedingungen, Arbeitsmotivation und/oder Arbeitsleistung/ Produktivität verbessert oder auch Arbeitskosten senkt (vgl. Griffin & O’Leary- Kelly, 2004).

7 Auch in der Anomietheorie (ein Ansatz kriminellen Verhaltens), wird abweichendes Verhalten als Verhalten definiert, welches sozialstrukturelle Normen verletzt (und einer individuellen Intention unterliegt). Dabei muss dieses Verhalten nicht unbedingt Schaden erzeugen, sondern kann auch im ursprünglichen Sinne als innovativ beschrieben werden (vgl. Lamnek, 1997, S. 134; Weitzer, 2002).

8 Der Labeling-Ansatz fokussiert die Unterschiedlichkeit in der sozialen Wahrnehmung. Verhalten wird dabei per se nicht als normal oder abweichend verstanden. Vielmehr lässt sich demnach zwischen Personen unterscheiden, deren Verhalten (fälschlicherweise) negativ beurteilt wird und Personen, deren Verhalten negativ beurteilt werden könnte (vgl. Weitzer, 2002).

9 Emile Durkheim (1966)1895 stellte fest, dass abweichendes Verhalten und dessen Sanktionierung durch die Gesellschaft funktional sind, weil dadurch die Grenzen zwischen akzeptablen und nicht akzeptablen Verhalten geklärt werden und somit gesellschaftliche Normen etabliert werden können. Abweichendes Verhalten trägt damit fundamental zur Entwicklung von Werte- und Moralvorstellungen und Gerichtsbarkeit bei (vgl. Weitzer, 2002).

10 Die Autoren argumentieren z.B., dass aufgrund der fließenden Grenze zwischen Funktionalität und Disfunktionalität von Verhalten, Verantwortliche Verhaltensformen umfassend beobachten sollten, bevor es als abweichend und unternehmensschädigend deklariert wird. Verhaltensformen sollte deshalb nicht nur kontrolliert werden.

11 Unter Bagatelldiebstahl wird das Entwenden von Firmeneigentum in kleinen Mengen und/oder mit geringem Wert verstanden. Im Allgemeinen werden Bagatelldelikte als solche Straftaten beschrieben, bei denen die Schuld des Täters gering ist und kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung besteht.

12 Um Modelle und Hypothesen zu überprüfen, wird der Begriff in Abschnitt 4.1. genau definiert.

13 Damit entspricht diese Theorie Aspekten lerntheoretischer Ansätze. Insbesondere operante Lerntheorien betonen den Zusammenhang zwischen positiver Verstärkung durch konsistente Belohnung bestimmten Verhaltens und der nachhaltigen Veränderung von Verhaltensweisen (vgl. z.B. Holling & Kanning, 2004).

14 Die eindeutige, empirische Bestätigung dieser Theorie im Kontext von Diebstahl in Organisationen steht allerdings noch aus (Greenberg & Tomlinson, 2004).

15 So tendieren Personen z.B. eher dazu, in Kollektivgüter zu investieren, wenn sie eine gemeinsame soziale Identität teilen.

16 Der Begriff Heuristik wird hier im Sinne einer Arbeitshypothese oder einer vorläufigen Annahme gebraucht.

17 So kann der Substitutionseffekt dazu führen, dass eine positive Bewertung der prozeduralen Fairness, z.B. die Beurteilung der Spielregeln einer Aufgabe in einem Assessment Center, die Grundlage einer generellen, positiven Fairnessbeurteilung bildet (vgl. Abschnitt 2.3.3.2.). Letztere kann sich auf die Bewertung der distributiven Fairness auswirken, wie z.B. auf die Bewertung eines negativen Ergebnisses bei der Lösung einer Aufgabe in einem Assessment Center als fair (vgl. Abschnitt 2.З.З.1.).

18 Diese Annahmen beruhen auf Herzbergs „Zwei-Faktoren-Theorie“ der Motivation und dem erweiterten Wert-Erwartungsansatz der Arbeitsmotivation (vgl. Semmer & Udris, 2004).

19 Lind berücksichtigt „priming“- und Reihenfolge-Effekte, die schemabasierte Verarbeitung neuer, fairnessrelevanter Information sowie die kognitive Kapazität und „spillover“-Effekte bei der schemabasierte Anwendung vorhandener Informationen (vgl. Lind, 2001, S. 71 ff.). Linds Fairness-Modell ließe sich durch das Inklusions/Exklusions - Modell schlüssig erweitern (vgl. Bless, 2004, Kap. 5).

20 Die subjektive Wichtigkeit einer Überzeugung und damit deren verknüpfte Gedächtnisinhalte können dabei über ein Reihenfolgeprinzip („die erstgenannte besitzen eine höhere Priorität“) oder durch das Bewerten der Wichtigkeit jeder einzelnen vorhandenen Überzeugung im Vergleich zu anderen konzeptualisiert werden (vgl. Conner & Armitage, 1998).

21 Dieser ist deshalb auch durch subliminales, affektives „priming“ beeinflussbar. Unter dem Begriff „priming“ wird der Einfluss visueller Stimuli verstanden, welche so kurz (z.B. 15 Millisekunden) präsentiert werden, dass diese nur unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, also unbewusst, wahrgenommen werden können. Korrespondierende Gedächtnisinhalte werden daraufhin unbewusst und automatisch aktiviert (vgl. Ajzen, 2001).

22 Ambivalenz entspricht hierbei der Koexistenz von negativen und positiven Bewertungen, welche aus einem Konflikt zwischen Gefühlen und Kognition oder einem Konflikt der Kognitionen resultieren kann (vgl. Ajzen, 2001).

23 Wimbush und Dalton (1997) schätzen, das deshalb ungefähr 75% des durch Mitarbeiterdiebstahl verursachten Schadens (in den USA) unentdeckt bleibt.

24 Dabei wurde die Höhe der Bezahlung für die Teilnahme gemeinsam vereinbart. Befragte hatten die Möglichkeit, sich eigenhändig und unbeobachtet den vereinbarten Betrag aus einem Haufen von Münzen und Geldscheinen zu nehmen. Aus dem zuviel entnommenen Geldbetrag wurde dann eine eindimensionale Diebstahlskala erstellt (vgl. z.B. Greenberg, 2002).

25 Zu Kritik an Experimenten in organisations-psychologischer Forschung (z.B. mangelnde Generalisierbarkeit) siehe Moser (2004).

26 Dies galt nur für die befragten Unternehmen der Branche Einzelhandel. Entlang des sicherheitstheoretischen Ansatzes wurde auch die Auswirkung von Bewerberauswahlverfahren, Durchführung von Inventurdifferenzen, Überwachung durch Sicherheitspersonal und Bestrafungsmaßnahmen auf Diebstahlraten untersucht. (vgl. Hollinger & Parilla, 1983).

27 Zur inhaltlichen Ausrichtung und Gestaltung von Ethikaktivitäten amerikanischer Unternehmen siehe Weaver, Trevino und Cochran (1999).

28 Darüber hinaus verstärkten die gegenseitige Abhängigkeit bei der Erreichung von Gruppenarbeitszielen, die individuelle Länge der Aufenthaltsdauer in der Arbeitsgruppe und die Zufriedenheit mit der Arbeitsgruppe diese Beziehung (vgl. Robinson & O’Leary-Kelly, 1998).

29 Langeweile und Bedürfnis nach Unterhaltung wurden in diesem Zusammenhang auch als Motive festgestellt (Ambrose et al., 2002).

30 Entlang der Theorie der Gerechtigkeitssensibilität („Equity Sensitivity Theory") konnten empirische Studien zeigen, dass Arbeitnehmer sich auch bzgl. der Empfindlichkeit gegenüber distributiver Fairness unterscheiden lassen (z.B. Allen & White, 2002).

Ende der Leseprobe aus 175 Seiten

Details

Titel
Diebstahlverhalten in Unternehmen
Untertitel
Eine empirische Studie zu psychologischen Determinanten von Mitarbeiterdiebstahl - oder „Wenn der kleine Hunger kommt“
Hochschule
Universität Mannheim  (Fakultät für Sozialwissenschaften, Lehrstuhl Psychologie 1)
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
175
Katalognummer
V73763
ISBN (eBook)
9783638681193
Dateigröße
1741 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit diplomnotenrelevant. Fragestellungen: Warum zeigen Arbeitnehmer unternehmensschädigendes Verhalten und entwenden, veruntreuen oder missbrauchen Eigentum der Firma, für die sie arbeiten? Wie kann es zu einer konkreten Diebstahlhandlung kommen? Stichworte: abweichendes Verhalten, Diebstahl, Commitment, Fairness, Arbeitszufriedenheit, Einstellung, Diebstahlmöglichkeit, Theorie des geplanten Verhaltens, Online-Fragebogen, Strukturgleichungsmodelle, Verkaufspreis: 54,90€
Schlagworte
Diebstahlverhalten, Unternehmen, Fairness, Commitment, geplantesVerhalten
Arbeit zitieren
Christian Richter (Autor:in), 2006, Diebstahlverhalten in Unternehmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73763

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Diebstahlverhalten in Unternehmen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden