Orpheus, der Nicht-Held: Der Wandel der Oper anhand Monteverdis „La favola d’Orfeo“ und die beiden verschiedenen Schlüsse des Werkes


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1 Entstehungsgeschichte der „Favola d’Orfeo“ und Einführung in die Thematik

2 Der Wandel der Oper in der Zeit Monteverdis
2.1 Die beiden verschiedenen Schlüsse
2.1.1 Der Librettoschluss
2.1.2 Der Partiturschluss
2.2 Libretto-Schluss vs. Partitur-Schluss
2.3 Orpheus, der Nicht-Held
2.3.1 Der ursprüngliche Mythos
2.3.2 Die Ausgangssituation bei Monteverdi
2.3.3 Das Versagen Orpheus’
2.3.3.1 Orfeo vor Caronte
2.3.3.2 Orpheus in der Unterwelt
2.3.3.3 Orpheus nach dem Tod Eurydikes
2.3.3.4 Die Ohnmacht der Musik Orfeos
2.3.4 Monteverdis Musik „mächtiger“ als die Figur Orfeo

3 Die „Favola d’Orfeo“ als absolute Apotheose der Musik

Bibliographie

Orpheus, der Nicht-Held: Der Wandel der Oper anhand Monteverdis
„La favola d’Orfeo“ und die beiden verschiedenen Schlüsse des Werkes

1 Entstehungsgeschichte der „Favola d’Orfeo“ und Einführung in die Thematik

In der Tradition der Operngeschichte spielte der Orpheus-Mythos seit jeher eine große Rolle. Die Vorlagen von Ovid und Vergil wurden stofflich immer wieder in verschiedenen Texten und Textarten verwendet. In Bezug auf die Oper nehmen hier besonders Poliziano, Rinuccini, Landi, Gluck und Claudio Monteverdi (1567-1643) zusammen mit seinem Librettisten Alessandro Striggio (ca. 1540- ca. 1592) eine gewichtige Position ein. Die beiden Letzteren wurden Anfang des 17. Jahrhunderts wohl von Francesco Gonzaga beauftragt, den Orpheus-Stoff in ein musikalisch-dramatisches Werk umzuarbeiten. Dafür spräche zumindest die Widmung, die dem Partiturdruck von 1609 vorsteht, und in der Monteverdi Gonzaga das Werk widmet. Die ursprüngliche Librettoversion, wie sie Striggio vorschlug, wurde 1607 vollendet. Aus Gründen, über die die heutige Wissenschaft nur noch spekulieren kann, wurde diese Schlussfassung Striggios jedoch von Monteverdi geändert. Der Partitur-Schluss war es schließlich auch, der für die letztendliche Duckfassung übernommen wurde. Die Uraufführung wurde im Palazzo Ducale gegeben, anwesend waren wahrscheinlich nur die Mitglieder der „Accademia degli Invaghiti“, der sowohl Gonzaga als auch Monteverdi angehörten. Nicht bekannt ist jedoch, welcher Schluss tatsächlich bei der Uraufführung vorgetragen wurde, zudem fehlt zum Libretto-Schluss die Vertonung.[1]

Neben diesen beiden unterschiedlichen Schlüssen, die jeder für sich den ursprünglichen „Orpheus“-Mythos veränderten, ist auch der musikalische Wandel der Oper, den Monteverdi als Komponist des Orfeo vollzog, zu erwähnen.

So war es bis zu diesem Werk die Regel, dass die Musik dem Text, der dem Publikum dargeboten werden sollte, lediglich zur Untermalung dienen sollte. Eine Musik, die dem Text gleichwertig war oder die ihn gar überbieten könnte, war damals unüblich. Monteverdi widersetzte sich dieser Tradition, indem er nicht nur seine Madrigaltechnik ausbaute, sondern überdies hinaus den „parlar cantando“ entwickelte, was für die damalige Zeit eine musikalische Errungenschaft bedeutete.

Doch Monteverdi stellte die Musik nicht nur über den Text, er hob sie gleichzeitig über den Protagonisten des Werkes, Orfeo. So veränderte Monteverdi mit seiner Komposition nicht nur die Bedeutungslage der Musik für die Oper, sondern gleichzeitig wandelte er auch auf eine subtile musikalische Art und Weise den „Orpheus“-Mythos um. Durch diese Veränderungen wurde Orpheus, der ursprünglich mit seinem Gesang die Macht über die Natur hatte, förmlich zu einem Nicht-Helden degradiert – gleichzeitig tritt der Komponist Monteverdi an dessen Stelle.

Im Folgenden gilt es, die Unterschiede der beiden Schlüsse und deren Folgen für das gesamte Werk herauszuarbeiten. Daneben sollen die musikalischen Veränderungen Monteverdis und deren Auswirkungen auf den Stoff beziehungsweise auf die Konzeption der Orfeo- Figur aufgezeigt werden. Zudem wird dargelegt, wie sich Monteverdis Orpheus von seiner ursprünglichen Position als mächtiger Sänger zu einem Nicht-Helden wandelte.

2 Der Wandel der Oper in der Zeit Monteverdis

2.1 Die beiden verschiedenen Schlüsse

Es ist nicht bekannt, ob die ursprüngliche Fassung des fünften Aktes des Orfeo, die aus der Feder des Librettisten Striggio stammte, jemals zur Aufführung kam. Da keine Vertonung vorliegt, bleibt es auch ungeklärt, wie deren Umsetzung ausgesehen haben könnte. Sicher ist, dass es der Partitur-Schluss war, der auch für die Druckversion 1609 übernommen wurde.

2.1.1 Der Librettoschluss

Der Librettoschluss wie ihn Striggio verfasste, war, so viel mag historisch gesichert sein, der ursprüngliche Schluss, wie er auch zur Aufführung kommen sollte. Orfeo, der gerade seine Euridice zum zweiten Mal verloren hatte, kehrt aus der Unterwelt zurück und ruft klagend das Echo an, woraufhin Bacchantinnen erscheinen und Orpheus vor ihnen flieht. Die Bacchantinnen beschließen die Oper mit einem großen Fest. Dieses Finale orientiert sich doch deutlich an der Orpheus-Version Ovids, bei dem Orpheus am Ende den Bacchantinnen zum Opfer fällt, auch wenn er hier zerrissen wird.

Striggios Version erscheint folgerichtig: Orfeo versagt und kann die Auflagen Plutones nicht erfüllen. Dadurch, dass er sich im Zweifel nach seiner Euridice umdreht, verliert er sie abermals – die daraus logische Konsequenz ist, dass er zurück an die Erdoberfläche muss. Damit aber die Form, die von seinen Grundstrukturen her dem fünfaktigen Drama entspricht, eingehalten wird, muss das Ende wenn nicht tödlich, so doch wenigstens tragisch für Orpheus enden. Die Folge ist, dass Orpheus allen Frauen abschwört und die Bacchantinnen erscheinen. Einen Tod des Orfeo hätten die Zuschauer damals allerdings nicht akzeptiert, wurde das Werk doch während der Karnevalszeit aufgeführt.

Daher singen die Bacchantinnen auch, anstatt Orpheus zu töten, einen canto carnescialesco, der zwar nicht so recht in die Tragik des abermaligen Verlustes der Geliebten passen mochte, gleichzeitig jedoch dem Publikum einen nahtlosen Übergang in Tanz und Fest ermöglichte. Das Tanzlied ist zweifelsohne Bacchus gewidmet, singen die Bacchantinnen ja „Evoè, Padre Lieo, Bassareo, Te chiamiam con chiari accenti“[2]. Der Schluss, wie ihn Striggio vorschlug, weist zurück auf die erste Orpheus-Dramatisierung in Italien, Angelo Polizianos Ende des 15. Jahrhunderts ebenfalls am Manutaner Hof aufgeführte „Fabula d’Orfeo“. Striggio bleibt mit diesem Schluss dem strengen Fünf-Akt-Schema, wie er es auf das Werk anlegte, treu. So nähert sich die Oper der Form der Tragödie, nicht nur, weil das Happy ending letztendlich ausbleibt, sondern auch, weil Orfeo aus eigener Kraft seine Chance, Euridice wiederzuerlangen, wieder verspielt. Das Ende Striggios wäre daher, um die Tragödienform zu erhalten, unbedingt notwendig, wenn es auch nicht in letzter Konsequenz tragisch gewesen wäre.

2.1.2 Der Partiturschluss

Wer tatsächlich den ursprünglichen Librettoschluss umschrieb, ist nicht bekannt. Die Wissenschaft schreibt die Version entweder Monteverdi selbst oder dem als schreibgewandt geltenden Francesco Gonzaga zu[3], Striggio wird nahezu einheitlich ausgeschlossen. Die Partiturversion weicht erst relativ spät im fünften Akt, bei Orpheus’ Klage an das Echo, vom Libretto ab. An Stelle der Bacchantinnen erscheint Apollo als Deus ex machina auf einer Wolke und erhebt Orfeo in den Himmel. Diese Apotheose Orpheus’ erreicht hier nahezu christliche Tendenzen, denn das Angebot Apolls an Orpheus, mit ihm zusammen in den Himmel aufzusteigen, erinnert sehr an die Erlösung des Sünders durch die Gnade Gottes.

[...]


[1] Entstehungsgeschichte nach W. Osthoff: „Monteverdi“, Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Oper, Operette, Musical, Ballett, hg. von C. Dahlhaus und dem Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth unter Leitung von S. Döhring, Band 4/8, (München /Zürich 1991) 241-245.

[2] A. Striggio: „La favola d’Orfeo“, Libretti d’opera italiani dal Seicento al Novecento, a cura di G. Gronda / P. Fabbri (Mailand 1997) 47.

[3] Vgl. I. Fenlon: „The Mantuan Orfeo“, Claudio Monteverdi: Orfeo, hg. von J. Whenham (Cambridge 1986) 16.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Orpheus, der Nicht-Held: Der Wandel der Oper anhand Monteverdis „La favola d’Orfeo“ und die beiden verschiedenen Schlüsse des Werkes
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Italienische Philologie)
Veranstaltung
Hauptseminar "Orpheus in der Oper"
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V73529
ISBN (eBook)
9783638780971
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit kann auch Fächerübergreifend unter musikwissenschaftlichen Aspekten gelesen werden.
Schlagworte
Orpheus, Nicht-Held, Wandel, Oper, Monteverdis, Schlüsse, Werkes, Hauptseminar, Orpheus, Oper
Arbeit zitieren
Alexander Strathern (Autor:in), 2006, Orpheus, der Nicht-Held: Der Wandel der Oper anhand Monteverdis „La favola d’Orfeo“ und die beiden verschiedenen Schlüsse des Werkes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73529

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