Amt- und Amtsverständnis in Kolosser- und Epheserbrief


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

42 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

Einige erste Worte

1. Amt und Amtsverständnis in einem weiten Horizont
1.1. Allgemeine Gedanken zum deutschen Begriff „Amt“
1.2. eine religionswissenschaftliche Annäherung
1.3. ein neutestamentlicher Überblick

2. Die Einordnung der Briefe an die Kolosser und Epheser
2.1. Verfasserschaft des Kolosserbriefes
2.2. Verfasserschaft des Epheserbriefes
2.3. Das Verhältnis von Kol und Eph zueinander
2.4. Die Stellung von Kol und Eph im Corpus Paulinum
2.4.1 Stellung zu einzelnen Protopaulinen
2.4.2 Abgrenzung zu 2 Thess
2.4.3 Abgrenzung zu den Pastoralbriefen
2.5. Zusammenfassung der bisherigen Punkte

3. Exegetische Untersuchungen von Amt und Amtsverständnis in Kol und Eph
3.1. Die in Kol und Eph auftauchenden Amtsbegriffe
3.1.1 Die Begriffe für Dienst und Amt
3.1.1.1 oivkonomi,a
3.1.1.2 diakoni,a
3.1.2 Die konkreten Amtsbezeichnungen
3.1.2.1 avpo,stoloj
3.1.2.2 profh,thj
3.1.2.3 euvaggelisth,j
3.1.2.4 poimh,n
3.1.2.5 dida,skaloj
3.1.3. Ämter ohne Erwähnung in Eph und Kol
3.1.3.1 presbu,teroj
3.1.3.2 evpi,skopoj
3.2. Die einzelnen Textstellen in Kol und Eph mit Bezug auf Amt und Amtsverständnis
3.2.1 Von Paulus, Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes - Kol 1,1 und Eph 1,
3.2.2 Vom Dienen des Apostels und dem Amt Gottes - Kol 1,23b-25 und Eph 3,2
3.2.3 Von Aposteln und Propheten - Eph 2,20 und 3,
3.2.4 Von den Dienern – Kol 1,7; 4,17 sowie 4,7 und Eph 6,
3.2.5 Von den Gemeindeämtern - Eph 4,11.12

4. Über das Amt – Conclusio
4.1. Die Gemeindesituation
4.2. Beschreibung des Amtsverständnisses
4.2.1 Positive Einordnung – Was wollen die Autoren von Eph und Kol
4.2.2 Negative Einordnung – Was kennen bzw. wollen die Autoren von Eph und Kol nicht
4.3. Anfragen von Kol und Eph an die römisch-katholische Amtsstruktur

Einige schließende Worte

Einige erste Worte

„…jede der 27 Schriften im Neuen Testament ist ein Fenster, welches einen Blick auf Jesus Christus ermöglicht.“[1] In Anbetracht der Verknüpfung des auferstandenen Christus mit der Kirche in Kolosser- und Epheserbrief könnte diese Aussage auch folgendermaßen umformuliert werden: Jede der 27 Schriften des Neuen Testaments ist ein Fenster, welches einen Blick auf Kirche ermöglicht. Die Autoren beider Schriften schreiben nicht im luftleeren Raum sondern haben ihre Gemeinden, die Empfänger ihrer Schreiben und eben auch ihr Bild von Kirche vor Augen. Ziel dieser Arbeit ist es, einen besonderen Aspekt von Kirche ins Zentrum zu rücken: das Verständnis von Amt und Dienst. Gleichwohl beide Schriften einen Blick darauf zum Vorschein bringen, müssen aber zweierlei Dinge beachtet werden. Zum einen ist die Vorstellung von Kirche in diesen beiden Episteln nicht das maßgebende Wort. Evangelisch gedacht muss sich heutige Kirche sowohl an diesen zwei Schriften als auch an den restlichen 25 ausrichten.[2] Römisch-katholisch gedacht hingegen erklärt sich das Bild aller 27 Schriften nur im Zusammenhang mit kirchlicher Lehrtradition. Die zwei Fenster sind dementsprechend also nur partikulär. Zum anderen muss bei einer zentrierten Untersuchung zweier Schriften darauf geachtet werden, dass auch vor allem anderen diese Schriften zu Wort kommen. Versuchungen bestehen darin, beide Briefe mit den eigenen konfessionellen Augen zu vereinnahmen oder andere neutestamentliche Schriften in einem zu hohen Maße in sie hineinzulesen. Beide Gefahren vor Augen will diese Arbeit den Blick durch ihre zwei Fenster wagen.

1. Amt und Amtsverständnis in einem weiten Horizont

1.1. Allgemeine Gedanken zum deutschen Begriff „Amt“

Der Umgang mit Worten einer vergangenen Zeit, einer fremden Sprache und eines anderen kulturellen Umkreises bietet genügend Raum für abweichende Konnotationen. So ist die Bezeichnung von Mitarbeitern der frühen Kirche mit dem deutschen Begriff „Amtsträger“ und den damit verbundenen Bedeutungen innerhalb der deutschen Kultur nicht völlig stimmig. So leitet sich der deutsche Begriff aus dem mittelalterlichen Lehnswesen ab und bezeichnete zuerst das Lehen (Amtslehen), später dann die Aufgabe und Würde des Lehensverwalters an sich. Die folgenden Jahrhunderte zeigen die Ausweitung der Verwendung auf weitere Bereiche des Rechts und der Verwaltung (z. B. die Worte Amtmann, Amtsgewalt und Amtspflichten).[3] Die Unterschiede zwischen der Institution eines „Amtes“ in hellenisch-frühchristlicher Umwelt und westeuropäisch-mittelalterlichen Kultur dürften somit zumindest ansatzweise vor Augen geführt sein.

Trotz dessen umschreibt der Begriff ein gesellschaftliches Phänomen, welches sich zwar in unterschiedlicher Ausprägung, aber mit einigen gemeinsamen Grundzügen in jeder Form von Gesellschaft findet. Aus diesem Grund wird der Begriff Amt in dieser Arbeit Verwendung finden, wenn auch nicht in einer engen, sondern in einer weiten Fassung als Beschreibung einer Aufgabe.

1.2. Eine religionswissenschaftliche Annäherung

So diffus der Beginn einer Religionsgemeinschaft auch sein mag, bei ihrer weiteren Entwicklung wird es erfahrungsgemäß zu einer Organisierung religiösen Lebens kommen. „In den allermeisten, vielleicht in allen Religionen hat es immer schon Ämter gegeben."[4] Religionswissenschaftliche Untersuchungen versuchen aufzuzeigen, dass sich sowohl weniger komplexe Naturreligionen als auch die komplexeren monotheistischen oder östlichen Religionen einem gewissen Maß an Organisation nicht verschließen können. Bei jeder Form von „Wachstum der kultischen Ausdrucksformen, wie zum Beispiel der Praktiken der Verehrung, des Rituals, des Kalenders der Feste“[5] spielen die Einführung oder die Differenzierung verschiedener Funktionen oder Ämter eine gewisse Rolle. Joachim Wach[6] unterscheidet zwischen Maximum- und Minimumtypen kirchlicher Organisationen.[7] Im Idealfall nimmt ein Maximumtyp die Tradition aus prinzipiellen Gründen an, kodiert und normiert die Ausdrucksformen religiöser Erlebnisse. Die Entwicklung von Ämtern dient diesen Charakteristika. Der Minimumtyp vergeistigt den Begriff der Gemeinschaft. Dies führt zu einer „teilweisen oder völligen Verwerfung von Organisation, Gesetz und Disziplin innerhalb der Körperschaft“[8]. Eine Entwicklung von Ämtern auf dauernder Basis ist hierbei wenig wahrscheinlich. Der Spannungsbogen zwischen diesen beiden Typen von Organisation ist bei der frühchristlichen Gemeinde nachvollziehbar.

1.3. Ein neutestamentlicher Überblick

Ein einheitliches Amtsverständnis ist im NT nicht feststellbar. Es sind unterschiedliche Formen von Ämtern im NT zu finden, die aufgrund der unterschiedlichen Autoren und Verfassungszeiten differenziert zu betrachten sind. Der bereits erwähnte Spannungsbogen zwischen einem Minimum- und einem Maximumtyp kann allerdings gewisse Eckpunkte markieren. Als markante Beispiele eines Minimumtypen können die Schriftbelege Mt 23,8-10 (Gedanke der Egalität, Ablehnung eines Lehreramtes) oder I Joh 2,27 (der Geist als einziger Lehrer) dienen. An diesen exemplarischen Stellen ist sichtbar, dass Teile des Frühchristentums zugunsten des „prophetisch-pneumatischen Elements“[9] die Einführung bestimmter Ämter ablehnen. Als Beispiele des Maximaltypen hingegen dienen Act 14,23 (Einsetzung von presbu,teroi) oder die Pastoralbriefe. Zu nennen wären hier zum Beispiel I Tim 3,2 (Beschreibung des idealen evpi,skopoj) oder II Tim 1,6 (Ordination durch Handauflegung, vgl. I Tim 4,14). Erkennbar ist hier die Tendenz Ämter der Umwelt zu übernehmen (z. Bsp. das Amt des presbu,teroj aus dem Judentum[10]) und eine Unterscheidung zwischen Gemeinde und deren Leitung zu etablieren. Die Extreme dieser zwei Klassifizierungen sind in ihrer Reinform nicht allzu oft vertreten. So stellen sich die Protopaulinen mit einem eigenen Amtsverständnis zwischen die Etablierung von Ämtern und die Beibehaltung einer geistgeleiteten Gemeinde und wahren damit das „Verhältnis von geregelten Leistungsaufgaben und charismatischen Fähigkeiten“[11]. Unterschiedlich im Kanon des NT ist ebenfalls die Favorisierung einzelner Ämter. So bevorzugen I Petr und Act die presbu,teroi (Act 14,23; 20,17, I Petr 5,1), die Pastoralbriefe hingegen die evpi,skopoi (I Tim 3,1-7; Tit 1,6-9)[12]. Innerhalb dieses Rahmens wird es das Ziel dieser Arbeit sein, die Einstellungen gegenüber und die Begrifflichkeiten bezüglich Ämtern in den Briefen an die Kolosser und Epheser herauszuarbeiten.

2. Die Einordnung der Briefe an die Kolosser und Epheser

2.1. Verfasserschaft des Kolosserbriefes

Sowohl Kol als auch Eph sind pseudepigraphische Schriften. Unterschiede in Argumentation, Stil und Wortwahl zeigen, dass Kol „nicht von Paulus geschrieben oder diktiert worden sein“[13] kann. Exemplarisch für die argumentativen Unterschiede gegenüber den Protopaulinen ist der Begriff pneu/ma. Während Paulus des Öfteren seine Aussagen mit Hinweisen auf den Geist verknüpft wird in Kol auf anderes verwiesen, häufig auf Christus.[14] Des Weiteren begegnen 28 in den Protopaulinen nicht vorkommende Wörter, welche im restlichen NT Verwendung finden. Für Paulus typische Worte wie dikaiosu,nh oder no,moj finden sich hingegen in Kol nicht.[15] Die Mehrzahl wissenschaftlicher Untersuchungen[16] schließt sich der negativen Bestimmung an, dass Kol eine pseudepigraphische Schrift ist. Eine positive Bestimmung der Verfasserschaft hingegen kann nur auf spekulativem Wege erlangt werden. Davon ausgehend, dass Kol nicht von Paulus geschrieben worden ist,[17] stellt sich die Frage, welcher Zeitraum zwischen der Abfassung der letzten Protopaulinen und Kol verstrichen ist. Phil und Phlm als späte Briefe Pauli weisen durch einige Übereinstimmungen stilistischer wie auch theologischer Art auf eine zeitliche Nähe des Kol zu den Protopaulinen.[18]

2.2. Verfasserschaft des Epheserbriefes

Die Authentizität des Eph als protopaulinische Schrift ist in höherem Maße sogar als Kol in Zweifel zu ziehen. Neben die bei Eph wie bei Kol auftretenden Unterschiede in Argumentation, Stil und Wortwahl tritt eine deutlich weiterentwickelte Ekklesiologie. Zugunsten derer wurde die Christologie, welche in den Protopaulinen eine deutliche Rolle spielt, zurückgedrängt bzw. umgewandelt (z. B. 1,22f).[19] Des Weiteren ist die Parusieerwartung der Schriften Pauli einer präsentischen Eschatologie gewichen (z. B. 2,6).[20] Diese und weitere klaren Unterschiede erweisen Eph ebenfalls als pseudepigraphische Schrift und werfen die Frage nach der Verfasserschaft auf. Diese sind, ebenso wie bei Kol, rein spekulativer Natur.[21] Eine Verortung wäre nur in Bezugnahme auf protopaulinische Schriften und die Nähe zum Kolosserbrief als Ansatzpunkte möglich.

2.3. Das Verhältnis von Kol und Eph zueinander

„Der Verfasser des Eph benutzte den Kol offenbar als Vorlage.“[22] Für die Abhängigkeit des Eph vom Kol sprechen mehrere Punkte: Der Aufbau beider Schriften verläuft annähernd parallel. Besondere Vergleichspunkte hierfür sind die Wortwahl der Präskripte (z. B. die Adressierung an toi/j a`gi,oij in Eph 1,1 bzw. Kol 1,2) oder auch die Anlehnung der Haustafel Eph 5,21-6,9 an jene in Kol 3,18-4,1. So sehr sich beide Briefe in Stil und Wortwahl von den Protopaulinen unterscheiden, so nahe liegen sie einander hierbei.[23] Neben den Gemeinsamkeiten in Stil und Theologie existieren allerdings auch Unterschiede, die auf eine chronologische Folge von Eph auf Kol schließen lassen. So ist beiden Briefen eine räumliche eschatologische Vorstellung gemeinsam. Unterschiedlich aber ist die Verortung der Christen in Kol 3,1f und Eph 2,6. Sind Christen bei Kol auferweckt und aufgerufen nach Himmlischem zu streben, so sind sie bei Eph sowohl auferweckt als auch suneka,qisen evn toi/j evpourani,oij. Die Eschatologie des Kol wird somit weiterentwickelt bzw. überboten. Die oben bereits genannten Haustafeln unterscheiden sich ebenfalls in ihrem Inhalt, besonders jedoch in ihrer Ausführlichkeit. Auffällig ist die Erläuterung der geschlechtsspezifischen Ermahnungen (vgl. Kol 3,18f mit Eph 5,22-33) und deren Parallelisierung mit dem Verhältnis zwischen Kirche und Christus (Eph 5,32). Zusammenfassend gesehen scheint Eph somit auf Kol aufzubauen, geht aber streckenweise eigene theologische Wege.[24]

2.4. Die Stellung von Kol und Eph im Corpus Paulinum

Ausgehend davon, dass beide Briefe pseudepigraphischen Ursprungs sind, ist bereits eine (zeitliche) Abgrenzung zu den Protopaulinen markiert. Bei der Annahme, dass weitere Schriften pseudepigraphischen Ursprungs sind (II Thess, Pastoralbriefe[25]), stellt sich auch die Frage nach der Abgrenzung zu diesen.

2.4.1 Stellung zu einzelnen Protopaulinen

Das Verhältnis von Kol[26] und Eph ist geprägt von Übereinstimmungen und der Übernahme diverser Punkte aus einzelnen Protopaulinen. Kol wird besonders mit Phil und Phlm in nahe Verbindung gebracht, so wird wie „in Phil. 2,10f.; 3,21 u. a. […] im Kolosserbrief die Erhöhung Christi und seine Souveränität über die ganze Schöpfung einschließlich der übermenschlichen himmlischen Mächte betont“[27]. Eph schließt sich dem in vollem Umfang an. Die beiden Paulusbriefe Phil und Phlm verbindet mit dem Kol ebenfalls der gemeinsame Absender Paulus und Timotheus (Phil 1,1; Phlm 1; Kol 1,1), Phlm hat eine ähnliche Grußliste wie Kol (Phlm 23.24; Kol 4,10-18). Da beide Briefe in die Spätzeit des Paulus datiert werden[28] ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass sowohl Kol als später auch Eph auf diesen aufbauen. In Kol finden sich Anlehnungen an Protopaulinen[29], dem Autor des Eph scheinen 1/II Kor und Röm vorgelegen zu haben[30].

2.4.2 Abgrenzung zu II Thess

Der II Thess wird von den meisten Exegeten nicht auf Paulus zurückgeführt.[31] Ein zwingender Grund hierfür ist die Tatsache, dass I Thess diesem Brief in Aufbau und Wortwahl zugrunde liegt, die theologischen Aussagen diesem hingegen aber entgegengesetzt sind. „Ein fundamentaler Unterschied besteht zwischen den eschatologischen Belehrungen in I Thess 4,13-18; 5,1-11 und II Thess 2,1-12; 1,5-10 […].“[32] Fraglich bleibt, ob es sich beim unbekannten Autor um einen Theologen einer Paulus-Schule handelt. Eine Verbindung zu Kol oder Eph ist sehr unwahrscheinlich. Dies auch, da beide Briefe paulinische Theologie aufnehmen und weiterentwickeln, II Thess jedoch nichts dergleichen erkennen lässt bzw. den Aussagen des Paulus widerspricht.[33]

2.4.3 Abgrenzung zu den Pastoralbriefen

Als Pastoralbriefe werden 1 und 2 Tim und Tit bezeichnet. Die Mehrheit der Exegeten sieht diese drei Briefe als pseudepigraphisch an. Gründe hierfür sind schwere Widersprüche zur Act (z. Bsp. 2 Tim 4,20 und Act 21,29), eine Widerspiegelung von Problemen der dritten urchristlichen Generation (z. Bsp. keine Bedeutung der für Paulus wichtigen Auseinandersetzung mit den Juden[34]) und sprachliche Eigentümlichkeiten.[35] Die Stellung zu Eph und Kol ist gekennzeichnet durch einige Unterschiede „und zwar im Stil, in dem Amtsverständnis, und besonders in der Eschatologie (vgl. Kol. 2,12f. mit 2. Tim 2,18).“[36]

Nach dieser kurzen Übersicht lässt sich festhalten, dass Kol und Eph einer, die Pastoralbriefe und II Thess einer oder mehreren anderen Schulen zuzurechnen sind. Letzterer ist nicht zwingend einer paulinischen Schule zuzuschreiben.

2.5. Zusammenfassung der bisherigen Punkte

Für die weitere exegetische Arbeit an Kol und Eph ergeben sich durch die unter 2 zusammengetragenen Punkte die nun folgenden Arbeitshypothesen. Diese Arbeitshypothesen liegen allen Betrachtungen des Amtsverständnisses zugrunde.

a) Kol und Eph sind pseudepigraphische Schriften, d. h., dass ein anderer Autor als der in den Briefen angegebene Paulus als Verfasser dieser Briefe zu gelten hat. Die Schriften sind demnach mit höchster Wahrscheinlichkeit erst nach dem Ableben des Paulus geschrieben worden (nach 64 u. Z.)
b) Beide Briefe sind durch ein besonderes Verhältnis zueinander geprägt, welches wahrscheinlich auf Autoren einer gemeinsamen paulinischen Schule deutet. Eph baut auf Phil auf und ist chronologisch nach Kol einzuordnen.
c) Der Vergleich mit anderen deuteropaulinischen Schriften ergibt eine Abgrenzung sowohl gegenüber II Thess als auch gegenüber den Pastoralbriefen. Dies deutet auf eine Herkunft dieser Schriften aus jeweils verschiedenen theologischen Schulen oder auf eine starke zeitliche Abfolge hin.

3. Exegetische Untersuchungen von Amt und Amtsverständnis in Kol und Eph

Zwei Wege der Annäherung an das Amtsverständnis der beiden Schriften stehen zur Wahl. Ersterer konstruiert eine Beschreibung für jeden Brief einzeln und vergleicht die Ergebnisse miteinander. Die Schwierigkeit besteht darin, dass Kol wenig zu diesem Thema beisteuern kann. Eine Beschreibung wäre demnach gegenüber der des Eph auffallend kürzer, möglicherweise auch spekulativer. Der zweite Weg versucht durch eine Art Synopse die relevanten Textstellen beider Briefe miteinander zu verbinden und ergänzend zu interpretieren. Die Gefahr hierbei ist, dass das Amtsverständnis des Eph das des Kol sozusagen erdrücken könnte. Die Nähe beider Schriften zueinander lässt diese Gefahr allerdings geringer scheinen. Das Amtsverständnis beider Briefe soll demnach nicht getrennt, sondern zusammen bzw. ergänzend untersucht werden.

Beide Schriften reflektieren über den Apostel Paulus. Obwohl Paulus als Apostel auch ein Amt innehatte, wird die Sicht der pseudepigraphischen Autoren auf seine Person hier nicht thematisiert werden, es sei denn die Sicht auf das Apostelamt als solches ist untrennbar damit verbunden.

Die Herangehensweise an die Beschreibung von Amt und Amtsverständnis orientiert sich an zwei aufeinander aufbauenden Schritten. Ein erster stellt den Befund von Amtsbezeichnungen in Kol und Eph sicher. Dies dient der Bestandsaufnahme einer Gemeinde(-amts-)struktur in den Gemeinden der Autoren bzw. des Autors.[37] Ein zweiter Schritt will die Amtsvorstellungen in ihrem konkreten Zusammenhang innerhalb beider Schriften beleuchten. Die anschließende Ergebnissicherung baut auf beiden Teilen auf.

3.1. Die in Kol und Eph auftauchenden Amtsbegriffe

Eine Dreigliederung dieser Darstellung erscheint notwendig. Es muss unterschieden werden zwischen allgemeinen Begriffen für das Amt (3.1.1), verschiedenen Amtsbezeichnungen (3.1.2) und, auch wenn es der Überschrift zuwiderläuft, zwischen Begriffen, die im NT eine wichtige Rolle spielen, auf welche allerdings in Kol und Eph verzichtet wird (3.1.3).

3.1.1 Die Begriffe für Dienst und Amt

Sowohl Kol als auch Eph verwenden die griechischen Begriffe oivkonomi,a und diakoni,a für Amt bzw. Dienst. Die Häufigkeit der Verwendung ist allerdings gering.

3.1.1.1 oivkonomi,a

Der Stellenbefund für oivkonomi,a ergibt folgendes Ergebnis: Kol 1,25; Eph 1,10; 3,2.9. Es handelt sich in allen vier Fällen um das Nomen oivkonomi,a, nicht um das dazugehörige Verb oder die Personenbezeichnung oivkono,moj.

Die Grundbedeutung in der Profangräzität ist mit dem breiten Spektrum von Anweisung, Verwaltung oder Fürsorge wiederzugeben.[38] Diese „dispositive Tätigkeit im Umgang mit [anvertrauten] Sachen“[39] ist in den meisten Fällen der Verwendung noch erkennbar.

Die Verwendung im Neuen Testament beschränkt sich auf eine kleine Anzahl von Textstellen. Die Bedeutung des Wortes ist jedoch stark verschieden. Hauptsächlich findet sich oivkonomi,a als Hausverwalteramt oder die Verwaltung dessen (Lk 16,2[40]). Paulus spricht vom apostolischen Amt (I Kor 9,17 wenn auch die Wendung hier nicht wortwörtlich gebraucht wird). Eine weitere Bedeutung des Wortes kann mit Heilsplan wiedergegeben geben (Eph 1,10), Heilserziehung im Glauben (oivkonomi,an qeou/ […] evn pi,stei, 1Tim 1,4) könnte eine dritte mögliche Verwendungsart des Wortes markieren.

3.1.1.2 diakoni,a

Der Stellenbefund für diakoni,a ergibt Folgendes: Kol 4,17; Eph 4,12.[41] Das davon abgeleitete Nomen dia,konoj findet sich in Kol 1,7; 1,23; 1,25; 4,7 und in Eph 3,7; 6,21.

Bei diakone,w und seinen verwandten Worten diakoni,a und dia,konoj handelt es sich um einen Wortgruppe, welche ursprünglich in der Profangräzität den Tischdienst zum Ausdruck bringt.[42] Die Bedeutung des „Dienstes“ teilt sich der diak-Stamm mit einer Reihe weiterer griechischer Stämme mit ähnlicher Bedeutung. Zur näheren Bestimmung ist die Bedeutungsähnlichkeit zu Worten des doul-Stammes (a), der Verben leitourge,w (b) und u`phrete,w (c) von Interesse. Im Unterschied zu (a) betont diakone,w den Dienst zugunsten von jemandem, nicht die Unterscheidung von dou/loj und ku,rioj; (b) bezeichnet den Dienst an Staat und Volk und unterscheidet sich somit in seiner Zielrichtung; (c) steht diakone,w am Nächsten, der Unterschied wird allerdings dadurch markiert, dass „… die Annäherung an den Begriff Liebesdienst bei diakone,w stärker[.]“[43] ist.

[...]


[1] Schnelle, Udo, frei zitiert in einer Vorlesung über den Römerbrief im Wintersemester 2002/2003 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

[2] An dieser Stelle abgesehen von den Schriften des Alten Testaments, welche eine weitere Anforderung an die biblische Orientierung von Kirche stellen.

[3] Vgl. BE, Band I A-APT, Mannheim19 1986, S. 515.519

[4] Hartmann, Sven S. in TRE II, Artikel: „Amt/Ämter/Amtsverständnis“ S. 500, Berlin, New York 1978, S. 500. Bei der Verwendung dieses Zitats sei darauf hingewiesen, dass eine Religionsgemeinschaft in ihrem Beginn nicht mit einer Religion zu verwechseln ist. Eine gerade erst entstehende Religionsgemeinschaft muss nicht zwingend sogleich Ämter hervorbringen.

[5] Wach, Joachim, Religionssoziologie, Tübingen 1951, S. 162

[6] A.a.O. S. 165

[7] Und, wie später ausgeführt, auch nichtchristlicher Organisationen

[8] A.a.O. S. 165

[9] Lips, Hermann von, Artikel „Amt; IV. Neues Testament“ S. 424-426 in RGG4 Band I

[10] Zeller, Dieter (Hrsg. und Autor), Christentum I: Von den Anfängen bis zur Konstantinischen Wende, Stuttgart, Berlin, Köln 2002, S. 187f

[11] Schnelle, Udo, Paulus: Leben und Denken, Berlin, New York 2003, S. 565

[12] Roloff, Jürgen in TRE II, Artikel: „Amt/Ämter/Amtsverständnis“ S.509-533, Berlin, New York 1978, S. 523

[13] Schweizer, Eduard, Der Brief an die Kolosser, Zürich, Einsiedeln, Köln 1976, S. 23

[14] A.a.O. S. 38

[15] vgl. Schnelle, Udo, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen5 2005, S. 332

[16] so z. Bsp. die Kommentare Pokorný, Petr, Der Brief des Paulus an die Kolosser, Berlin 1987, S. 4; Schweizer, Eduard, Der Brief an die Kolosser, S. 27; Ernst, Josef, Die Briefe an die Philipper, an Philemon, an die Kolosser, an die Epheser, Regensburg 1974, S. 150-152 (hier als eine Möglichkeit der Verfasserfrage)

[17] Demnach wahrscheinlich nach dessen Tod in Rom um 64 n.u.Z.

[18] vgl. Pokorný, Petr, Der Brief des Paulus an die Kolosser, S. 4f

[19] vgl. Ernst, Josef, Die Briefe an die Philipper, an Philemon, an die Kolosser, an die Epheser, S. 259

[20] vgl. a.a.O.; Schnelle, Udo, Einleitung in das Neue Testament, S. 350

[21] vgl. Ernst, Josef, Die Briefe an die Philipper, an Philemon, an die Kolosser, an die Epheser, S. 262

[22] Schnelle, Udo, Einleitung in das Neue Testament, S. 355

[23] vgl. a.a.O. S. 356

[24] vgl. Pokorný, Petr, Der Brief des Paulus an die Kolosser, S. 8; Schnackenburg, Rudolf, Der Brief an die Epheser, Zürich, Einsiedeln, Köln 1982, S. 26-30

[25] vgl. Schnelle, Udo, Einleitung in das Neue Testament, S. 363-365 für II Thess, S. 375-379 für die Pastoralbriefe

[26] vgl. Pokorný, Petr, Der Brief des Paulus an die Kolosser, S. 4

[27] ebd.

[28] vgl. Schnelle, Udo, Einleitung in das Neue Testament, S. 153-156 für Phil, S. 166-168 für Phlm

[29] A.a.O. S. 340f

[30] A.a.O. S. 356

[31] ebd.; Köster, Helmut, Einführung in das Neue Testament, Berlin, New York 1980, S. 679f; Trilling, Wolfgang, Der zweite Brief an die Thessalonicher, Leipzig 1986, S. 27f

[32] Schnelle Udo, Einleitung in das Neue Testament, S. 364

[33] A.a.O. S. 372

[34] Bei Kol hingegen ist diese Problematik z. Bsp. in 2,13 (Beschneidung) oder in 2,16 (Sabbat), bei Eph in 2,11f erkennbar

[35] vgl. Schnelle, Udo, Einleitung in das Neue Testament, S. 376-377

[36] Pokorný, Petr, Der Brief des Paulus an die Kolosser, S. 5

[37] Wie in den Abschnitten 2.2. und 2.3. dieser Arbeit bereits erwähnt, ist die Zuordnung von Verfassern zu beiden Schriften rein spekulativer Natur. Dies schließt die Möglichkeit eines gemeinsamen Autors (wenn auch mit zeitlichem Unterschied) für beide Schriften nicht aus. Der größeren Einfachheit und Wahrscheinlichkeit wegen, wird von diesem Punkt an aber jeweils von „die Autoren“ die Rede sein. Die Offenheit des Befundes von 2.2. wird dadurch allerdings nicht aufgehoben.

[38] vgl. im Folgenden: Michel, Otto, Art: „oivkonomi,a“ in ThWNT, Band V, S. 154f; Kuhli, Horst, Art: „oivkonomi,a, oivkonome,w, oivkono,moj“ S. 1218-1222 in Balz, Horst, Schneider, Gerhard (Hrsg.), Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament: Band II evx-ovyw,nion, Stuttgart, Berlin, Köln² 1992

[39] A.a.O. S. 1218

[40] Die angegebenen Textstellen erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit sondern dienen nur der Veranschaulichung

[41] Hinzuweisen ist darauf, dass dieses Wort weder in Kol noch in Eph im Nominativ erscheint

[42] vgl. im folgenden: Michel, Otto, Art. „diakone,w, diakoni,a, dia,konoj“ S. 81-93 in ThWNT Band II; Weiser, Alfons, Art. „diakone,w, diakoni,a, dia,konoj“ S. 726-732 in Balz, Horst, Schneider, Gerhard (Hrsg.), Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament: Band I VAarw.n-~Enw.c, Stuttgart, Berlin, Köln² 1992, S. 726-732

[43] Michel, Otto, Art. „diakone,w, diakoni,a, dia,konoj“ S. 81-93 in ThWNT Band II, S. 81

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Details

Titel
Amt- und Amtsverständnis in Kolosser- und Epheserbrief
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Bibelwissenschaften )
Veranstaltung
Paulus in Nachpaulinischer Zeit
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
42
Katalognummer
V73197
ISBN (eBook)
9783638736282
Dateigröße
647 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Amt-, Amtsverständnis, Kolosser-, Epheserbrief, Paulus, Nachpaulinischer, Zeit
Arbeit zitieren
Torben Linke (Autor:in), 2007, Amt- und Amtsverständnis in Kolosser- und Epheserbrief, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73197

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