Empowerment – Schlagwort oder realistische Perspektive?


Hausarbeit, 2007

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. geistige Behinderung
2.1. Definitionsversuche
2.2. „Begriffsgeschichte“ und der Wandel in der Heilpädagogik

3. Empowerment – Definition

4. Die Entwicklung der sozialpädagogischen Hilfe bis hin zum Empowermentgedanken

5. Chancen und Risiken des Empowerment-Kozeptes
5.1. Aus Sicht der „Assistenten“
5.2. aus Sicht der Betroffenen selbst
5.3. im gesellschaftlichen Bereich

6. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der pädagogischen Arbeit mit geistig behinderten Menschen werden oftmals Entschei-dungen „über die Köpfe der Betroffenen hinweg“ gefällt, zu denen sie eigentlich selbst in der Lage wären. Häufig werden sie nicht nach ihrer Meinung, ihren Wünschen, Vorstellungen, Lebensentwürfen und Zielen gefragt. Auf Seiten der Assistenten fehlt der Mut, ihnen die Übernahme von Verantwortung zuzutrauen. Nicht selten aber können sie aufgrund von Zeitmangel nicht in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Verhalten wir uns dadurch aber nicht respektlos und entmündigend? Denn auch Menschen mit Behinderungen haben Rechte, die es nicht zu verletzen gilt. Sie haben Anspruch auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ein selbst- und eigenständiges Leben ohne Bevormundung und ohne sich den Vorstellungen von Organisationen, Heimen und einzelnen Pädagogen unterzuordnen.

Bei der Umsetzung dieser Gedanken in die Praxis kann das Empowerment-Konzept die Antwort sein, das in dieser Hausarbeit vorgestellt werden soll.

Dabei dürfen wir den Blick nicht nur auf die Betroffenen richten, sondern werden auch anschauen müssen, was von uns Pädagogen beim Empowermentansatz im Umgang mit diesen Menschen verlangt wird. Welche Einstellungen und Menschenbilder sind dann auf keinen Fall mehr möglich? Was muss ich bei mir selbst überdenken? Als drittes sind noch die Organisationen und Einrichtungen Ziel von Empowerment, denn auch sie müssen sich verändern, um ein erfolgreiches Gesamtkonzept zu erhalten.

Ich werde in dieser Hausarbeit auch versuchen, die Stärken und Schwächen dieses Konzeptes darzustellen. Denn jemanden in die Selbständigkeit entlassen, heißt auch, ihm die Verantwortung für sein Handeln zu übertragen. Viele unserer Klienten sind vielleicht gerade dadurch überfordert. Wie wir noch sehen werden ist auch Empowerment ein schwieriger Grad zwischen Förderung/Unterstützung und „loslassen“ können. Sich als Helfer überflüssig machen, ist einer der Grundgedanken dieses Konzeptes. Ob das immer so funktioniert, welche Voraussetzungen ich als Pädagoge dafür brauche, werden wir sehen.

2. geistige Behinderung

In meiner Hausarbeit wird immer wieder die Bezeichnung „geistig behindert“ auftauchen, deshalb muss zuerst einmal geklärt werden, was man darunter versteht.

Dazu sei kurz angemerkt, dass laut People First Deutschland e.V., dem Netzwerk von geistig behinderten Menschen im Internet, eben diese Bezeichnung respektlos ist. Sie sagen: „Wir sind Menschen, die nicht „geistig behindert“ genannt werden wollen. Wir benutzen den Begriff „Menschen mit Lernschwierigkeiten“.[1]

2.1. Definitionsversuche

Es ist nicht ganz einfach genau eine Definition zu finden, da man „Behinderung“ wissen-schaftlich, humanitär, ethisch oder philosophisch betrachten kann. Aus medizinischer Sicht, wird geistige Behinderung oftmals als Krankheit gesehen, sie wird also auf biologische Fak-toren (die Schädigung des Gehirns und die daraus folgenden Einschränkungen der Körper-funktionen usw.) reduziert. Die am Defekt, Defizit und Mangel orientierte Typisierung und Generalisierung ist auf der einen Seite für die betroffenen Menschen äußerst diskriminierend und inhuman, auf der anderen Seite „produziert“ sie die Hilfsbedürftigkeit der Betroffenen und schafft Handlungsbedarf im Feld der sozialen Arbeit.

Die Psychologen sehen in „geistiger Behinderung“ einen Intelligenzrückstand, oder auch eine Entwicklungsstörung.[2] In diesem Zusammenhang sind Intelligenztest (IQ-Tests) zu erwähnen, mit deren Hilfe versucht wurde, Intelligenz zu messen.

Die internationalen Klassifizierungssysteme (DSM und ICIDH) fassen „geistige Behinderung“ unter der Kategorie der „Entwicklungsstörung“ wie folgt zusammen:

- Hauptmerkmal ist die Auffälligkeit beim Erwerb von kognitiven, sprachlichen, motorischen und sozialen Fertigkeiten.
- geistige Behinderung zeichnet sich durch eine unterdurchschnittliche allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig gestörter oder eingeschränkter Anpassungsfähigkeit aus. Ein IQ von weniger als 70 und unangemessenes soziales Verhalten sind typisch.[3]

Dass die wirkliche Definition aber was „krank“ oder „gesund“, „normal“ oder „abnormal“ ist, „Ansichtssache“ ist und von gesellschaftlichen Normenvorgaben, wissenschaftlichen Krite-rien, persönlichen Erfahrungen, Standpunkten und vom jeweiligen Menschenbild was ich habe abhängt, zeigt sich, wenn wir uns gleich die „Begriffsgeschichte“ anschauen.

Auch heute noch gibt es unterschiedliche Auffassungen von geistiger Behinderung. Ein in unserer westlichen Gesellschaft als geistig behindert angesehener Mensch, gilt in einem anderen Kulturkreis vielleicht als besonders „ausgezeichnet und auserwählt“ und hat vielleicht eine besonders geachtete Stellung im gesellschaftlichen Gefüge.[4] Behinderungen gelten als Abweichung von der Norm. Es kommt also darauf an, wie „die Norm“ definiert wird. Leider schafft diese Definitionen aber Desintegration, Ausgrenzung, Stigmatisierung, soziale und individuelle Behinderung. „Abweichler“ der Norm werden abgesondert und ausgeschlossen, weil sie die gesellschaftliche Ordnung „stören“. Nach der Devise: „Wer stört…., ist gestört.“, also?[5]

Eine große „Macht“ geht dabei von der Medizin aus, denn diese stellt Diagnosen und definiert Krankheiten. Sie ist gesellschaftlich hoch angesehen und hat damit einen enormen Einfluss auf unser Verständnis von „Behindert- oder Normalsein“.

2.2. „Begriffsgeschichte“ und der Wandel in der Heilpädagogik

Da ich es für wichtig halte, zu wissen, wie geistig behinderte Menschen in früheren Zeiten in der Gesellschaft behandelt wurden, folgt nun ein kurzer historischer Diskurs. Wir werden leider sehen, dass sich erst in den letzten Jahrzehnten wesentliche Änderungen vollzogen. Außerdem leite ich aus der Geschichte ab, dass wir erst am Anfang eines humaneren Umgangs mit behinderten Menschen stehen.

Die traditionelle psychiatrische Sichtweise des frühen 19. Jahrhundert verwendete den Begriff „Oligophrenie“ und löste damit Bezeichnungen wie „Geistesschwäche“ oder „Schwachsinn“ ab. Unter Oligophrenie werden angeborene oder frühzeitig erworbene Intelli-genzdefekte verstanden. Je nach Schweregrad kann man noch zwischen „Idiotie“, „Imbe-zillität“ und „Debilität“ unterscheiden. Letztere stellt die leichteste Form der Oligophrenie dar. Dieses dreistufige Klassifizierungssystem stammt von dem Psychiater Kraepelin. Geistig Behinderte galten in dieser Zeit als bildungsunfähig und unheilbar. Die so genannten „Idioten“ oder „Blödsinnigen“ wurden in „Heil- und Pflegeanstalten“ untergebracht und ver-wahrt. Zwangsmaßnahmen wie sedierende Medikation, Isolierung und Fixierung blieben keine Seltenheit. Das diesen Maßnahmen zugrunde liegende nihilistische Menschenbild hielt sich sehr lange und führte in der Zeit des Naziregimes zu rassenhygienischer Vernichtung des „minderwertigen Erbgutes“. Ihr fielen bis zum Kriegsende Tausende betroffener Menschen, sog. „Ballast-Existenzen“ zum Opfer. Und auch nach Beendigung der NS-Zeit blieben einige menschenverachtende Gesetze noch bis 1992 in Kraft. So zum Beispiel das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Dies bildete die Grundlage der Unfrucht-barmachung minderwertigen Lebens, was die Zwangssterilisierung von geistig behinderten Frauen und Mädchen gegen ihren Willen legitimierte.

Erst in den 60-er Jahren kam es zu einem Paradigmenwechsel. Der Betroffene wurde zu-nehmend als Persönlichkeit mit eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Rechten gesehen. Aber noch 1975 brachte ein Gutachten des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit katastrophale, menschenunwürdige Wohn- und Betreuungssituationen ans Licht. In Folge dessen wurde versucht für Humanisierung vor allem der Wohnumstände zu sorgen. Es kam zu Auflösung der Großanstalten, Alternativen zur traditionellen Behindertenarbeit entwickelten sich. Behinderte Menschen sollten von nun an „normaler“ behandelt und in die Gesellschaft integriert statt ausgeschlossen werden.[6] Der bloßen Pflege und Verwahrung sollte nun ein Konzept folgen, das kooperative Maßnahmen beinhaltete und Strukturen so veränderte, dass ein möglichst selbst bestimmtes Leben mit Alternativen und Wahlmöglich-keiten für die Betroffenen realisierbar machte.[7]

Die auf die Selbstbestimmung der Betroffenen abzielenden Betreuungsalternativen wurden stark vom Empowerment-Konzept beeinflusst, dass sich in den 70-er Jahren aus den Bürgerrechts- und Emanzipationsbewegungen der USA und den dortigen Selbsthilfegruppen entwickelte. Dem Betroffenen, der vorerst als hilflos, inkompetent und unfähig galt, sollte nun Vertrauen in die eigenen Ressourcen und Potentiale, Respekt und Akzeptanz seines Eigensinns, seines „Anders-Seins“ entgegengebracht werden. Er wurde aus der „Opferrolle“ herausgeholt und zum „Täter“ – in der Weise, dass er selbst etwas tut und somit sein eige-nes Leben nach seinen Wünschen gestaltet. Auch unkonventionelle Lebensentwürfe, die vielleicht von normativen Vorstellungen abweichen, sollten von nun an Akzeptanz seitens der Helfer und der Gesellschaft finden.[8] Die Charakteristika dieses Konzepts werde ich in einem späteren Teil der Hausarbeit noch vertiefen.

Im allgemeinen Sprachgebrauch hielt sich der Begriff des Schwachsinns als Bezeichnung für geistig Behinderte noch ziemlich lange. Diese defektorientierte, inhumane und für die Betroffenen sehr verletzende Bezeichnung wirkt auch heute noch nach. Noch bis in die 70-er Jahre des letzten Jahrhunderts tauchen auch in wissenschaftlichen Texten Beschreibungen wie „Gesamtseelenschwäche“, „Schwachsinnige seien Leute, in deren Gehirn nicht viel los ist“, „zur Kriminalität und Verwahrlosung neigend“, „von gesteigerter Sexualität besessen“, „emotional labil, ängstlich, feindselig“ und „unfähig zur Hemmung biologischer Grundtriebe (z.B. essen)“ auf, werden den Menschen mit geistiger Behinderung eine große Zahl von unerwünschten Persönlichkeitscharakteristika zugeschrieben.[9]

Aber gerade solche pauschalen Charakterisierungen der Personengruppe der geistig behin-derten Menschen sollte man unbedingt vermeiden. Denn eben diese sprachlichen Etikettie-rungen durch das Stellen einer Diagnose und den damit verbundenen Symptomen, kann für einen Menschen tragische Bedeutung erhalten. Es wird eine Wirklichkeit konstruiert, und zwar die Wirklichkeit desjenigen, der konstruiert. „Nomen est omen“ also. Aufgrund einer Definition werden dem Betroffenen gewisse Eigenschaften zugewiesen, ihm wird die Chance genommen, jemals anders sein zu können. Das Stigma haftet an diesem Menschen, meist ein Leben lang. Strubel spricht von der Chronifizierung der Behinderung mit schlimmstenfalls der Einweisung in eine entsprechende Einrichtung, aus der es kaum einen Weg heraus gibt.[10]

[...]


[1] http://www.peoplefirst.de/index.html vom 18.11.06

[2] Werner Strubel, Horst Weichselgartner (Hrsg.), „Behindert und verhaltensauffällig – Zur Wirkung von

Systemen und Strukturen“, Lambertus Verlag, Freiburg im Breisgau, 1995, S.69f

[3] Dieter Irblich und Burkhard Stahl (Hrsg.), „Menschen mit geistiger Behinderung – Psychologische Grundlagen, Konzepte und Tätigkeitsfelder, Hogrefe Verlag, Göttingen, 2003, S.15

[4] Werner Strubel, 1995, S.72

[5] Werner Strubel, 1995, S.74f

[6] Das sog. „Normalisierungsprinzip“ liegt dem in den 50-er Jahren in der Dänischen Gesetzgebung installierten Fürsorgegesetz zu Grunde. Es soll geistig Behinderten ein relativ normales Leben ermöglichen. Es ist seitdem Leitlinie und Orientierung der Arbeit mit geistig Behinderten. Seit dem orientiert sich die Behindertenarbeit an den Lebens- und Wohnbedürfnisse der Betroffenen.

[7] Manfred Gerspach und Dieter Mattner, „Institutionelle Förderprozesse von Menschen mit geistiger Behinderung“, Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 2004, S.15f

[8] Theunissen, Heilpädagogik online, S.53

[9] All diese Zuschreibungen fand ich bei Irblich und Stahl (S.479ff). Ich habe sie stichpunktartig und ohne zeitliche Zuordnung aufgeschrieben, um einen Eindruck zu vermitteln, wie das Bild geistig behinderter Menschen in der Gesellschaft war.

[10] Werner Strubel, S. 77f

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Empowerment – Schlagwort oder realistische Perspektive?
Hochschule
Fachhochschule Düsseldorf
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V73124
ISBN (eBook)
9783638633376
ISBN (Buch)
9783638793902
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Empowerment, Schlagwort, Perspektive
Arbeit zitieren
Kerry Herrmann (Autor:in), 2007, Empowerment – Schlagwort oder realistische Perspektive?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73124

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