Sam Shepard – The Tooth of Crime. Kommentar zum ästhetischen Stilwandel unter Berücksichtigung der Inszenierung von Richard Schechner


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Gliederung

1. Einleitung

2.The Tooth of Crimeund seine Hauptcharaktere
2.1 Handlung
2.2 Charakterisierung von Hoss
2.3 Charakterisierung von Crow

3. Verwendung von Sprache und Musik
3.1 Sprache
3.2 Musik

4. Inszenierung von Richard Schechner und der Performance Group
4.1 Schechners Performance Theory
4.2 Inszenierung vonThe Tooth of Crimeunter Beachtung der Einwände Shepards

5. Schlusswort

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Gegen Ende der Sechziger Jahre zeichnet sich ein Wandel in der Ästhetik des Theaters ab: das klassische Sprechdrama verliert an Bedeutung, statt dessen rückt das non-verbale Theater in den Vordergrund, ein ’total theatre’, das den Charakter eines Gesamtkunstwerkes besitzt mit einer Gleichwertigkeit von Sprache, Musik und Tanz, visuellen und auditiven Effekten und einer spezifischen Raumgestaltung. Die konventionelle Dramenstruktur löst sich langsam auf. In diesem Zusammenhang verliert auch der Autor an Bedeutung, denn Texte werden oft nur noch als lose Vorlagen verwendet, mit denen der Regisseur sehr frei umgehen kann.

Zu dieser Zeit entsteht Sam Shepards The Tooth of Crime, eines seiner meistgespielten Stücke, das am 17. Juli 1972 am Londoner Open Space Theatre von Charles Marowitz uraufgeführt wurde. Die amerikanische Erstaufführung fand durch Richard Schechner und seine Performance Group in New York statt, eine Aufführung, die den Widerspruch Shepards hervorrief, worauf in Kapitel 4 dieser Arbeit näher eingegangen wird. Shepard trifft genau den Geschmack der Zeit, da er kein Sprechtheaterstück, sondern ein Zusammenspiel von Text, Musik und tanzartigen Elementen konzipiert, in dem der nicht-kommunikative, klangliche Aspekt von Sprache gleichwertig, wenn nicht wichtiger ist als der rein kommunikative.

Auch wenn es bei der Uraufführung noch heftig umstritten war, zähltThe Tooth of Crimemittlerweile zu den besten Dramen nicht nur des Autors, sondern der siebziger Jahre überhaupt, wie auch Charles Bachman in seinem Essay über Shepard verdeutlicht:

„For several years Sam Shepard has been acknowledged as the most talented and promising playwright to emerge from the Off-off Broadway movement. Now, more than a decade after his work was first performed, he is increasingly recognized as one of the more significant dramatists in the English-speaking world.”1

Problematisch wird der Zugang zu dem Stück jedoch aufgrund seiner Sprache. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Stars läuft als ein Sprechgesang in unterschiedlichen Dialekten und Jargons ab. Verschiedene Stile werden hier kombiniert, sowohl auf musikalischer als auch sprachlicher Ebene. In der englischen Uraufführung wurde der Text angeglichen, indem man englische Dialekte benutzte; in Deutschland wurde das Stück 1975 für die „Münchner Szene“ in bayrischen Dialekt übertragen.

Die Arbeit gliedert sich in drei Abschnitte: in Kapitel 2 wird die Handlung kurz zusammengefasst und eine Charakterisierung der beiden Hauptcharaktere vorgenommen; in Kapitel 3 werden Sprache und Musik des Stückes untersucht; Kapitel 4 stellt eine Analyse der Schechner-Inszenierung und den daraus resultierenden Konflikt mit Sam Shepard dar.

2.The Tooth of Crime und seine Hauptcharaktere

2.1 Handlung

The Tooth of Crimebehandelt ein eigentlich sehr altes Thema: die Ablösung eines alten Herrschers durch einen neuen, in diesem Fall zwei Rockstars, die sich einen harten Wettkampf liefern, aus dem schließlich der Nachfolger als Sieger hervorgeht. Shepard selbst hat gegenüber Schechner geäußert, dass der Plot an den FilmHigh Noonerinnert2: zwei böse Jungs treffen aufeinander und es gibt den Showdown, zu dessen Ende einer stirbt. Hier sind es der alternde Rocker Hoss und sein stürmischer junger Konkurrent Crow, die um ihr Ansehen und ihre Stellung im Showgeschäft kämpfen. Dieser Kampf der Worte wird wie ein sportlicher Wettkampf von einem Schiedsrichter überwacht, der oft zugunsten Crows entscheidet. Hoss unterliegt am Ende und erschießt sich. Seine Freunde hadern nicht lange und schließen sich dem neuen König Crow an. Lange Zeit lässt das Stück aufgrund seiner Sprachverwendung den Leser bzw. den Zuschauer im Unklaren, ob es sich hier um den Kampf rivalisierender Rockstars oder Gangster handelt. Die beiden Kontrahenten benutzen ein Vokabular, das eher in das Umfeld eines Bandenkrieges passt als ins Showgeschäft.

Der Autor arbeitet in diesem Stück mit der Metapher der ‚Welt als Bühne’: jeder spielt nur eine Rolle, und es ist nicht möglich, die wahre Identität dahinter zu erkennen. Formal wahrt das Stück die aristotelische Einheit von Ort, Zeit und Handlung, auch wenn es nur aus zwei Akten besteht. Der erste Akt steigt direkt in die Handlung kurz vor dem Höhepunkt ein und schildert Hoss’ Situation und seine Vorbereitungen auf den Kampf. Crow wird schon sehr bald eingeführt als der gefährliche Gypsy, der gekommen ist, um Hoss herauszufordern. Im Mittelpunkt des zweiten Aktes steht der Wettkampf zwischen den beiden.

Shepard beschreibt eine Art Teufelskreis, der das Leben dieser Stars bestimmt: Um an die Spitze zu kommen, musste Hoss nicht nur Opfer bringen, sondern auch Konkurrenten ausschalten: „But that’s how we started ain’t it. We went up against the Dudes. Wiped ’em out.“3Aber auch Crow ist sich, nachdem er seinen Vorgänger besiegt hat, bewusst, dass er eines Tages ebenso verdrängt werden wird: „Now the power shifts and sits till a bigger wind blows. Not in my life run but one to come. And all the ones after that. Changin’ hands like a snake dance to heaven.”4

2.2 Charakterisierung von Hoss

Hoss wird bei seinem ersten Auftritt beschrieben als „a mean Rip Torn but a little younger“, „in black leather rocker gear with silver studs and black kid gloves“5. Er tut alles, um seinem Image als harter Rocker gerecht zu werden, sei es durch die Kleidung, seine Wortwahl oder die Bewunderung seiner rebellischen Vorbilder „the big ones“ Bob Dylan und Mick Jagger6.

Zu Beginn des Stückes befindet sich Hoss in einer Krise, da er mit dem Rockgeschäft nicht mehr zu Recht kommt. Er ist ruhelos, fürchtet um seine Vormachtstellung und will um jeden Preis an der Spitze bleiben. In dieser Situation wird er jedoch mit der Gefahr konfrontiert, die von der Konkurrenz ausgeht, und muss sich auf den unvermeidlichen Kampf mit seinem Nachfolger vorbereiten. Shepard zeigt, dass sich unterschiedliche Stile durch ihre Reproduktion vermischen und etwas Neues kreieren können. Hoss zumindest ist überzeugt, dass er in einer Stiltradition steht, die er aber genutzt hat, um seinen eigenen Stil zu entwickeln. Er imitiert andere Stile, um ihre Verfügbarkeit zu zeigen. Dennoch ist er überzeugt, „original“7zu sein. Selbst in seinem Versuch, Crow zu imitieren, sieht er sich immer noch als jemand, der seinen eigenen Stil entwickeln kann: „Just help me into the style. I’ll develop my own image. I’m an original man. A one and only. I just need some help.“8Zu seinem Image gehören auch die Personen, die ihn umgeben: seine Freundin Becky, die der Prototyp der blonden Rockerbraut ist; der Astrologe Star- Man, der ihm sein Horoskop erstellt und offenbar ein Spezialist für ‚Stars’ in jedem Sinn ist; Cheyenne, sein Chauffeur und eine Art Highway- Indianer, der beim Fahren keine Angst zeigt und so zu Hoss’ Vorstellung eines wilden, furchtlosen Rockers passt; und - für einen echten Rockstar unvermeidlich - der Doc, der ihn mit Drogen versorgt. Tatsächlich sind diese Personen für sein Image stärker verantwortlich, als Hoss selber bewusst ist, da sie seine Natur zu unterdrücken versuchen und ihn erst zu dem gemacht haben, was er ist:

„That’s what we saved you from, your nature. Maybe you forgot that. When we first landed you, you were a complete beast of nature. A sideways killer. Then we molded and shaped you and sharpened you down to perfection because we saw in you a true genius killer. A killer to end them all. A killer’s killer.”9

Obwohl ihm im Verlauf des Stückes klar wird, dass er zu einem Spielball im System des Showgeschäfts geworden ist und kein eigenes „self“ mehr hat10, identifiziert Hoss sich mit seiner Rolle und ist nicht in der Lage, sich an neue Moden anzupassen. Nach seiner Niederlage bittet er Crow noch, seinen Stil nachmachen zu dürfen. Da ihm das aber nicht gelingt, begeht er Selbstmord in der Annahme, dass wenigstens sein Kopfschuss eine originelle Handlung ist: „I couldn’t take my life in my hands while I was alive but now i can take it in death. [...] Now stand back and watch some true style. The mark of a lifetime. A true gesture that won’t never cheat on itself ‚cause it’s the last of its kind. It can’t be taught or copied or stolen or sold. It’s mine. An original. It’s my life and my death in one clean shot.“11

Ironischerweise erweist sich auch das als Trugschluss, erfahren wir doch zu Beginn des Stückes, dass sich der Rockstar Little Willard auf eben diese Weise getötet hat.12

2.3 Charakterisierung von Crow

”The character of Crow inTooth of Crimecame from a yearning toward violence. A totally lethal human with no way or reason for tracing how he got that way. He just appeared. He spit words that became his weapons. He doesn’t “mean” anything. He’s simply following his most savage instincts. He speaks in an unheard-of tongue. He needed a victim, so I gave him one.”13

Diese ‘Gewaltsehnsucht’ und -bereitschaft zeigt sich in Crows gesamtem Auftreten: „He chews a stick of gum with violent chomps. He exudes violent arrogance and cruises the stage with true contempt.”14Crow ist nicht einfach nur ein Gegenspieler von Hoss, sondern verkörpert die Konsequenz, die sich nach Shepards Meinung aus der Vielfalt der verfügbaren Stile ergibt: er bedient sich der verschiedenen Images, schafft spielend den Wechsel zwischen ihnen. Das macht sich auch an seiner Kleidung bemerkbar, die sich nicht einem bestimmten Stil zuordnen lässt, sondern offenbar eine Mischung aus Rockstar, Hippie, Neonazi und Zigeuner ist: „He wears highheeled green rock and roll boots, tight greasy blue jeans, a tight yellow t-shirt, a green velvet coat, a shark tooth earring, a silver swastika hanging from his neck and a black eye-patch covering the left eye. He holds a short piece of silver chain in his hand and twirls it constantly, tossing it from hand to hand.“15

Crow versucht von Anfang an, Hoss zu imitieren - in seinem Gang, seiner Sprechweise, seinen Bewegungen - und macht damit deutlich, dass Hoss’ Stil auch schon wieder veraltet ist und so reproduzierbar wird. Crow versucht jedoch im Gegensatz zu Hoss nicht, ein ‚Original’ zu werden, sondern nimmt äußere Stilmerkmale an, ohne sich mit ihnen zu identifizieren: „I can switch to suit“16. Er verkörpert einen immer rasanteren Stilwandel. Für Crow gibt es keine Regeln, nach denen gespielt wird. Hoss versucht zwar, ihm einen Regelverstoß anzukreiden: „I call a foul. He can’t shift in midstream. […] He can’t do that“17. Aber der Schiedsrichter gibt Crow Recht und legitimiert dessen schlagartige Stilwechsel.

[...]


1Charles R. Bachman: „Defusion of Menace in the Plays of Sam Shepard“, in: Dorothy Parker (Hrsg.),

Essays on Modern American Drama. Williams, Miller. Albee, and Shepard,Toronta: University of Toronto Press, 1987, S.163.

2Siehe: Richard Schechner: “The Writer and The Performance Group. Rehearsing >The Tooth of Crime<”, in: Bonnie Marranca (Hrsg.):American Dreams. The Imagination of Sam Shepard, New York: Performing Arts Journal Publications, 1981, S.166.

3Sam Shepard: „The Tooth of Crime“, in: ders.,The Tooth of Crime and Geography of a Horse Dreamer.

Two Plays by Sam Shepard,London: Faber & Faber, 1974, S. 9-81, S.23. [im Folgenden abgekürzt mit TC]

4TC, S.75.

5ebd., S.11.

6ebd., S.16.

7TC, S.62.

8ebd., S.64.

9Becky wirkt hier Hoss’ natürlichem Verhalten entgegen, TC, S.17.

10vgl. TC, S.41: „…you’d be O.K., Becky, if you had a self. So would I”.

11TC, S.74.

12vgl. TC, S.28.

13ebd., S.56.

14ebd., S.44.

15ebd..

16ebd., S.48.

17TC, S.63.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Sam Shepard – The Tooth of Crime. Kommentar zum ästhetischen Stilwandel unter Berücksichtigung der Inszenierung von Richard Schechner
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
18
Katalognummer
V72670
ISBN (eBook)
9783638732536
Dateigröße
570 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Shepard, Tooth, Crime, Kommentar, Stilwandel, Berücksichtigung, Inszenierung, Richard, Schechner
Arbeit zitieren
Astrid Matron (Autor:in), 2004, Sam Shepard – The Tooth of Crime. Kommentar zum ästhetischen Stilwandel unter Berücksichtigung der Inszenierung von Richard Schechner, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72670

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