Einfachheit (simplicitas) der Sprache in "Povesti Belkina"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Einfachheit
2.1 Simplicitas - Qualität, die göttlich ist
2.2 Zur Einfachheit der Signifikatebene
2.3 Zur Einfachheit der Signifikantebene
2.3.1 Der Beitrag des Genres zur Einfachheit
2.3.2 Funktionalität der Landschafts-, Interieur- und Personenbeschreibungen
2.3.2.1 Neutralität und Informationsgehalt der Beschreibungen
2.3.2.2 Sachlicher Charakter der Epithetons und Metaphern
2.3.2.3 Verben
2.3.3 Dialog als realistisches Mittel

3 Quantitative Untersuchung
3.1 Untersuchungsergebnisse:
3.1.1 Parameter Satzlänge
3.1.2 Parameter Satzkomplexität
3.1.3 Parameter „logische“ Satzordnung

4 Zusammenfassung

Bibliographie

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Der Satzlängeprofil der 3 untersuchten Texten

Abbildung 2: Gemitteltes Satzlängeprofil

Tabelle 1 :Untersuchungsergebnisse für den Parameter Satzkomplexität

Tabelle 2: Anteile der einfachen Hypotaxe

Tabelle 3: Anteile der mehrfachen Hypotaxe

Tabelle 4: Untersuchungsergebnisse für den Parameter„logische“ Satzordnung

Tabelle 5: Prozentuelle Untersuchungsergebnisse für den Parameter„logische“ Satzordnung

„Simplex sigillum veri”

Lateinisches Sprichwort

“ Изящная проза предпологает свободу и в расположении слов и в течении мыслей: но сия мнимая свобода ,

сия простота и непринуждённость есть такое

высокое искусство , до которого с великим усилием достигают немногие .“

N. Košanskij

1 Einleitung

„Повести покойного Ивана Петровича Белкина“ („Erzählungen des verstorbenen Ivan Petrovič Belkin“) ist eins der ersten abgeschlossenen Puškins Prosawerke, das erstmals anonym im Jahre 1831 erschienen ist.

Es besteht aus fünf Erzählungen: „Vystrel“, „Metel’“, „Grobovščik“, „Stacionnyj smotritel’“, „Baryšnja – krest’janka“ und einem Vorwort.

Manche Leser wie Kjuchelbeker, fanden die Geschichten sehr lustig; auch deren erster Leser E. Baratynskij „ржёт и бьётся“[1], viele aber, wie V. Belinskij, kritisierten sie:„... они не художественные создания, а просто сказки и побасёнки“[2], die man nicht in die schöne Literatur miteinbeziehen kann.

N. Polevoj bezeichnet die Erzählungen als „...фарсы затянутые в корсет простоты безо всякого милосердия“[3] und F. Bulgarin vermisst eine Grundidee, ein Ziel, eine Philosophie und Erfindungsgabe[4].

M. Katkov erkennt die Erzählungen als „вялы и бесцветны“ und als „простые рассказы“, deren Sprache trocken und Darstellungen zu detailliert sind. Puškins Prosa bezeichnet er als „стыдливая“, „сжатая“, „холодная“[5].

„Повести Пушкина голы как-то“[6] schrieb L.Tolstoj 1853. Etwas später erkannte er die vollkommene Harmonie und lobte die seines Erachtens wichtigsten Tugenden der Prosa Puškins: „умеренность“ und „простота“.[7]

Somit haben diese Kritiker unbeabsichtigt die bedeutenden Züge der neuen Prosa Puškins, und zwar Kürze, Genauigkeit[8] und Einfachheit, negativ interpretiert.

Trotz kritischer Rezensionen wurden seine Erzählungen als „...факт большой литературной важности“[9] angenommen.

2 Einfachheit

2.1 Simplicitas - Qualität, die göttlich ist

Aus dem Lateinischen übersetzt bedeutet „simplicitas“ Einfachheit, Offenheit, Unschuld, Unbefangenheit, Arglosigkeit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit[10]. Alle diese Bedeutungen sind als Merkmale in Puškins Prosa vorhanden.

In der christlichen Interpretation der Antike verlor der Mensch nach dem Sündenfall das „Auge der Einfalt“ und „...sieht seine Nacktheit mit perversen Augen“[11]. Hier ist die Einfachheit eine christliche Tugend. Auf die Sprache von „Povesti Belkina“ bezogen, erscheint die Einfachheit der Sprache Puškins als eigenartige dichterische Tugend, die von vielen Kritikern als trocken und nackt interpretiert wurde.

Noch im Lizeum haben sich die entscheidenden Merkmale seines Prosastils gebildet[12] ; aus den Mitschriften Puškins Mitschülers Gorčakov: „Первое достоинство слога – ясность... Ясность соблюдается четырьмя способами: 1. твёрдым знанием предмета. 2. внутреннею связью мыслей. 3. естественным порядком слов. 4. точностью слов и выражений.“[13]

Благородная простота ( edle Einfachheit ), краткость ( Kürze ), точность ( Genauigkeit ) sind die drei wichtigen Komponenten der realistischen Prosa Puškins, die den Verzicht auf die voluminöse Periphrastik mit vieldeutigen Bildern und Metaphorik, Schmuckmitteln ( rhetorischen Figuren ) bedeuten und an die klassizistischen Begriffe[14] erinnern.

Puškins „neoklassische Stilideale“ und die spezifischen Qualitäten seines Stils bilden ein Antiprogramm zur empfindsamen Prosa vor seiner Zeit und offenbaren „die Schwachstellen des gealterten Sentimentalismus“[15].

Puškin hielt Karamzins Prosa für die beste in der damaligen russischen Literatur, aber in seinem Werk vereinigte er die Sprachpositionen sowohl der Neuerer als auch der Archaisten[16] genau so wie die Elemente der leichten und der erhabenen Stilarten; er suchte nach seiner eigenen metaphysischen und abstrakten Sprache in der erzählerischen Prosa[17].

2.2 Zur Einfachheit der Signifikatebene

„Если все достоинства прозы соблюдены, но нет внутренней связи, а только наружная... сочинение называется пустословием (галиматьею).“[18]

„Она (проза) требует мыслей...“[19], die ihrer Thematik, dem Bezeichneten und nicht dem schönen Ausdruck dienen sollen und die W. Schmid als das Verlangen nach Logik und Plausibilität interpretiert. Damit lege Puškin eine neue Gewichtung auf „res“.

Diesen Postulaten nachgehend, nämlich „просто, кратко и ясно...“[20] schrieb er seine „Povesti Belkina“. In diesen Erzählungen wurde der „paradoxe Zusammenhang“[21] zwischen Einfachheit und Sinnfülle, d.h. zwischen formalen und inhaltlichen Tugenden der Prosa hergestellt[22], die W. Schmidt durch die Begriffe Geschehen und Geschichte zusammenzubringen versucht. Indem das Geschehen in all seiner Unendlichkeit nur auf relevante Momente, Eigenschaften und Qualitäten reduziert wird, entsteht eine einfache und klare Geschichte :

„В 1816 году, в мае месяце, случилось мне проезжать через ***скую губернию, по тракту, ныне уничтоженному. Находился я в мелком чине, ехал на перекладных, и платил прогоны за две лошади. В следствие сего смотрители со мною не церемонились, и часто бирал я с бою то, что, во мнении моем, следовало мне по праву.“[23]

Mit dieser geschickten strukturellen „Punktier“-Technik[24] und verdichtetem Text überspringt er manchmal große zeitliche Räume, ohne jegliche Missverhältnisse im Text aufkommen zu lassen.

„Сильвио крепко сжал мне руку; мы поцаловались. Он сел в тележку, где лежали два чемодана, один с пистолетами, другой с его пожитками. Мы простились еще раз, и лошади поскакали“[25]

Der weitere Verlauf der Lebensgeschichte von Silvio scheint in diesem Moment abgebrochen zu sein. „Пушкин обрывает работу, доведя её до того момента, когда экспозиция задуманного повествования начинает переростать в завязку.“[26] Es scheint dem Zufall überlassen, ob der Leser die Fortsetzung der Geschichte erfährt. Dabei ist unklar, ob Silvios Schicksal in dieser Erzählung relevant ist, was L. Tolstoi als „недосказанность“ bezeichnet[27]. L. Tolstoi bemerkte auch, dass diese Geschichte sich nicht wiedergeben lasse[28]. Scheinbar zufällig taucht Silvio in der Erzählung vom Grafen auf und verliert sich schließlich wieder.

„Сказывают, что Сильвио, во время возмущения Александра Ипсиланти, предводительствовал отрядом этеристов и был убит в сражении под Скулянами.“[29]

[...]


[1] Puškin 1962, Bd. IX, S. 376

[2] Belinskij 1953, Bd I, S. 139

[3] Vgl. Schmid 1991, S. 19

[4] ebenda, S. 17-18

[5] ebenda, S. 21

[6] Tolstoj 1936-1964, Bd. XLVI, S. 187

[7] Vgl. Gol’denvejser 1959, S. 221

[8] Puškin 1962, Bd. 7, S. 15: « Точность и краткость – вот главные достоинства прозы »

[9] Ležnev 1966, S.18

[10] Langenscheidts Wörterbuch Lateinisch-Deutsch 1971, S. 1058

[11] Lexikon der christlichen Antike, S. 99

[12] Vgl. Petrunina 1987, S. 13

[13] Vgl. Petrunina 1987, S. 6

[14] Vgl.Lachmann 1994, S. 291

[15] ebenda

[16] Vgl. Uspenskij 1994, S.171

[17] Vgl. Lachmann 1994, S. 284

[18] Vgl. Petrunina 1987, S. 6

[19] Puškin 1962, Bd. 7, S. 15

[20] Schmid 1991, S. 15

[21] Schmid 1991, S. 26

[22] ebenda, S. 15-30

[23] Puškin 1982, Bd. 5, S.107

[24] Vgl. Schmid 1991, S. 28

[25] Puškin 1982, S. 70

[26] Petrunina 1987, S. 25

[27] L.Tolstoi 1936, Bd.VIII, S. 59

[28] Vgl. ebenda

[29] Puškin 1982, Bd. 5, S.78

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Einfachheit (simplicitas) der Sprache in "Povesti Belkina"
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Ostslavistik)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V72550
ISBN (eBook)
9783638629614
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einfachheit, Sprache, Povesti, Belkina, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Eleonora Adler (Autor:in), 2002, Einfachheit (simplicitas) der Sprache in "Povesti Belkina", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72550

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