Wer sind die Nichtwähler?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

22 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Typologie der Nichtwähler
2.1 Unechte bzw. Technische Nichtwähler
2.2 Grundsätzliche Nichtwähler
2.3 Konjunkturelle Nichtwähler

3 Einflussfaktoren für Wahlenthaltung
3.1 Sozialstrukturelle Einflussfaktoren
3.1.1 Alter
3.1.2 Geschlecht
3.1.3 Sozio-ökonomischer Status
3.1.4 Konfession
3.2 Sozialpsychologische Einflussfaktoren
3.3 Kosten-Nutzen-Ansatz von Downs

4 Erklärungsversuche für steigende Wahlenthaltung
4.1 Wertewandel und Postmaterialismustheorie
4.2 Realignment/Dealignment
4.3 Individualisierung und die Entfremdung von der Politik

5 Krise oder Normalisierung der deutschen Demokratie?
5.1 Normalisierungsthese
5.2 Krisensymptome

6 Fazit

7 Literatur und Internetquellen

1 Einleitung

Seit Anfang der 1980er Jahre sieht sich die deutsche Wahlforschung mit einem Phänomen konfrontiert, dass bis dahin für die Bundesrepublik Deutschland eigentlich als vernachlässigbar galt. Dem Phänomen sinkender Wahlbeteiligung und der immer größer werdenden Gruppe der Nichtwähler. Seit bestehen der Bundesrepublik befand sich die Wahlbeteiligung auf einem konstant hohen Niveau das als vollkommen normal angesehen wurde und in der Wahlforschung keine besondere Erwähnung fand. Zwar hielt der Begriff von der „Partei der Nichtwähler“[1] durch Eugen Würzburger schon 1907 Einzug in die Literatur, doch erst seit der Bundestagswahl 1980, bei der die Zahl der Nichtwähler um 2,1% dramatisch anstieg[2], ließ sich diese Entwicklung auch in der Forschung nicht weiter ignorieren.

In den Mittelpunkt der verschiedenen Untersuchungen rückte vor allem die Frage, wer die Nichtwähler eigentlich sind. Welche Faktoren für die Stimmenthaltung liegen vor und damit gleichzeitig auch für die Tatsache, dass sie dadurch freiwillig ein wichtiges Instrument der politischen Partizipation aus der Hand geben. Auch die Bewertung der Nichtwahl führt in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen zu kontroversen Diskussionen. Bedeutet die steigende Zahl der Wahlverweigerer eine Normalisierung und die Anpassung an einen internationalen Trend und kann eine zu hohe Wahlbeteiligung sogar eine Gefahr für ein demokratisches System darstellen, oder sind die sinkende Wahlbeteiligung und deren Gründe, gar die Symptome für eine bereits bestehende Systemkrise und Ausdruck wachsender Partei- und Politikverdrossenheit und zunehmender Skepsis gegenüber traditionellen Formen der politischen Willensbildung[3].

Mit der folgenden Arbeit soll nun versucht werden, sich der Frage nach der Identität der Nichtwähler zu nähern und einige der vielfältigen Gründe und Einflussfaktoren zu beschreiben, welche verantwortlich für die sinkende Wahlbeteiligung in der Bundesrepublik Deutschland sein können. Auch einige Argumente, die im Rahmen der Diskussion über die Bedeutung der steigenden Anzahl von Nichtwählern von den jeweiligen Parteien ins Feld geführt wurden, sollen vor dem Hintergrund dieses Aufsatzes vorgestellt werden.

2 Typologie der Nichtwähler

Auch wenn in der Literatur häufig von der „Partei der Nichtwähler“ zu lesen ist, so steht doch außer Frage, dass es sich um eine äußerst heterogene Gruppe handelt. So wie es die unterschiedlichsten Motive für Wahlverweigerung geben kann, hat sich die Wahlforschung bemüht, verschiedene Nichtwähler-Typen herauszuarbeiten. Deshalb wird in der wissenschaftlichen Literatur meist zwischen den klassischen Nichtwähler-Typen und den modernen Nichtwählern unterschieden.[4] Die unechten oder technischen Nichtwähler und die als grundsätzliche Nichtwähler bezeichnete Gruppe, bilden die traditionellen Nichtwähler-Typen. Die so genannten konjunkturellen Nichtwähler bilden den neuen, modernen Typus.

2.1 Unechte bzw. Technische Nichtwähler

Dieser Typus Nichtwähler lässt sich in den meisten Fällen auf fehlerhafte Wahllisten zurückführen. Oft tauchen in den Wahlverzeichnissen weiterhin Namen von Wählern auf, die unbekannt verzogen oder bereits verstorben sind. Briefwähler die es versäumt haben ihren Stimmzettel rechtzeitig abzuschicken, werden ebenfalls als Nichtwähler gezählt. Jeder Wahlberechtigte, der am Wahltag aus welchen Gründen auch immer, kurzfristig verhindert ist an der Wahl teilzunehmen, wird ebenfalls zu dieser Kategorie Nichtwähler gezählt.

2.2 Grundsätzliche Nichtwähler

Bei dieser Gruppe handelt es sich um Wahlberechtigte, die sich grundsätzlich jeder Wahl entziehen und bewusst kein Teil des politischen Systems sein möchten. Sei es nun aus politischen Gründen oder als Mitglied einer anderen Minderheit, wie zum Beispiel den Zeugen Jehovas, die aus religiösen Motiven die Teilnahme an einer politischen Wahl ablehnen.

Die als die klassischen oder als traditionell bezeichneten Nichtwähler-Gruppen haben nur sehr wenig Einfluss auf den Ausgang einer Wahl. Ihre Größe bewegt sich seit den Anfängen der deutschen Demokratie auf einem relativ konstanten Niveau. Selbst bei einer quasi-totalen Mobilisierung in der Bundesrepublik Deutschland, würde die maximal erreichbare Wahlbeteiligung wahrscheinlich nur so um die 95% liegen.[5] Auch sind sie für die Parteien vergleichsweise uninteressant, da sie über keinerlei weiteres Wählerpotenzial verfügen.

Anders sieht es bei dem modernen Nichtwähler-Typus aus.

2.3 Konjunkturelle Nichtwähler

Sie stellen in der gesamten Nichtwähler-Typologie mit Abstand die attraktivste Gruppe dar. Nicht nur weil ihre Anzahl in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Sondern auch weil sie für die Politik und die Parteien von besonderem Interesse sind. Die Möglichkeit Mitglieder dieser Gruppe doch zur Stimmabgabe zu motivieren, kann den Ausgang einer Wahl entscheidend beeinflussen. Diese neue Art Nichtwähler hat laut Meinung der Wissenschaft in den meisten Fällen genau zwei Optionen, die als Voice-Exit-Modell (Protest und Ausstieg) in die Literatur eingegangen sind. Zum einen kann er bei Unzufriedenheit mit den Parteien oder der aktuellen Politik seine Stimme zugunsten einer Partei am rechten oder linken Rand des Parteienspektrums abgeben, quasi als einen „Denkzettel“ für die etablierten Parteien („voice“). Zum anderen hat er die Möglichkeit bewusst die Wahlenthaltung zu nutzen, um seiner Kritik Ausdruck zu verleihen („exit“).[6] Bei den konjunkturellen Nichtwählern geht die Wahlforschung also davon aus, dass die Wahlenthaltung das Ergebnis einer bewussten Entscheidung von politisch informierten und interessierten Bürgern ist, die sich ihrer Stimme aus aktueller Unzufriedenheit enthalten. Außerdem lassen sie sich über besondere politische Ereignisse mobilisieren und tendieren dann, meist durch die fehlende Parteibindung, oft zum Wechselwählen.

In der Forschung existiert also eine relativ genaue Vorstellung davon, wie ein moderner Nichtwähler handelt. Umso stärker stellt sich jetzt natürlich die Frage, welche Faktoren und Gründe vorliegen müssen, um aus einem gewöhnlichen Wahlberechtigten einen konjunkturellen Nichtwähler zu machen und warum ihre Zahl seit einigen Jahren kontinuierlich steigt.[7]

3 Einflussfaktoren für Wahlenthaltung

Die Fraktionsstärke der „Partei der Nichtwähler“, würde sie wirklich als Partei bei den Bundestagswahlen antreten, hätte auch nach der Wahl im September 2005 mit 22,3% wieder die drittstärkste Kraft nach den zwei großen Volksparteien im Plenum erreicht.[8]

Der Begriff „Partei“ ist in diesem Fall natürlich irreführend. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei den Nichtwählern keinesfalls um eine homogene Gruppe, sondern vielmehr sind für deren „Parteimitglieder“ die unterschiedlichsten Faktoren maßgeblich, sich für die Wahlenthaltung zu entschließen. Die Wahlforschung versucht nun diese uneinheitliche Masse von potentiellen Nichtwählern zu erfassen und zu analysieren. Allerdings ist dies mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Nicht nur die Fülle der Einflussfaktoren auf das Wahlverhalten werden zum Problem, sondern auch das Faktum, dass in weiten Teilen der Gesellschaft immer noch eine allgemeine Norm vorherrscht sich am demokratischen Prozess zu beteiligen, dass heißt seiner Pflicht nachzukommen und wählen zu gehen, dies macht es schwer die Zahl der Nichtwähler zu ermitteln. Die bewusste Nichtwahl wird in der Bevölkerung tabuisiert und so verhalten sich in den durchgeführten Interviews viele der Befragten lieber gesellschaftskonform, als zuzugeben eine Wahlenthaltung zu planen oder bereits einer Wahl ferngeblieben zu sein.[9]

Auch die Perspektive des Betrachters und sein wissenschaftlicher Hintergrund spielen eine gewichtige Rolle. So können zur Erklärung von Wahlverweigerung eher sozialstrukturelle Faktoren im Mittelpunkt stehen, wie sie es vor allem in den bundesdeutschen Untersuchungen tun, oder die Konzentration kann ebenso gut auf sozialpsychologischen Begründungen liegen. Ein weiterer interessanter Erklärungsversuch ist auch der aus der Rational-Choice-Theorie abgeleitete Ansatz von Downs, der das Verhalten der politischen Akteure mit dem Instrumentarium der Wirtschaftswissenschaften zu erklären versucht.[10]

3.1 Sozialstrukturelle Einflussfaktoren

3.1.1 Alter

Die Untersuchungen zur Rolle des Alters für die Wahlenthaltung stimmen im Großen und Ganzen miteinander überein. Jürgen W. Falter und Siegfried Schumann halten den Altersfaktor sogar für den bedeutsamsten zur Erklärung der Nichtwahl. Unzweifelhaft ist, dass es eine Art „Lebenszyklus der Wahlbeteiligung“ gibt. Das bedeutet, dass die Bereitschaft sich über Wahlen am politischen System zu beteiligen mit steigendem Alter zunimmt und bei Menschen über 60 Jahren wieder nachlässt. Gerade bei den Jungwählern bis 25 Jahren ist der Nichtwähleranteil sehr hoch. Diese These bestätigte auch das Ergebnis der Bundestagswahl von 2005.[11]

3.1.2 Geschlecht

Obwohl die Zahl der Frauen die an Wahlen teilnehmen immer noch unter dem der Männer liegt, ließ sich in den letzten Jahren beim Faktor des Geschlechts eine Veränderung beobachten. Lag der Unterschied zwischen den Geschlechtern bei der Bundestagswahl 1990 noch bei 1,3%, so sank er bei der Wahl von 2005 auf 0,4%. Diese Entwicklung spricht für die These, dass sich durch die Emanzipation der Frau die weibliche Meinungsbildung der des Mannes angeglichen hat und noch weiter angleicht. Sicherlich ist dies durch den höheren Bildungsgrad und dem damit verbundenen besseren sozialen Status und das verbesserte Einkommensniveau der Frauen zu erklären. Der Geschlechter-Faktor hat durch diese Entwicklungen an Aussagekraft für die Wahlenthaltung verloren.[12]

[...]


[1] Vgl. Hoffmann-Jaberg, Birgit/ Roth, Dieter: Die Nichtwähler, in: Bürklin, Wilhelm/ Roth, Dieter (Hrsg.): Das Superwahljahr, Köln 1994, S. 132; Eilfort, Michael: Die Nichtwähler. Bedeutung, Erfassung und Analyse eines andersartigen Wahlverhaltens, in: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.): Wahlverhalten, Stuttgart 1991, S. 227; Falter, Jürgen W./Schumann, Siegfried: Der Nichtwähler – das unbekannte Wesen, in: Hans-Dieter Klingemann/ Max Kaase (Hrsg.): Wahlen und Wähler, Opladen 1994, S. 162f

[2] Vgl. Falter, Jürgen W./Schumann, Siegfried: Der Nichtwähler – das unbekannte Wesen, S. 163

[3] Vgl. Eilfort, Michael: Sind Nichtwähler auch Wähler?, in: Starzacher, Karl (Hrsg.): Protestwähler und Wahlverweigerer, Köln 1992, S. 169

[4] Vgl. Feist, Ursula: Nichtwähler 1994. Eine Analyse der Bundestagswahl 1994, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B51-52/ 1994, S. 37f; Eilfort; Michael: Die Nichtwähler. Bedeutung, Erfassung und Analyse eines andersartigen Wahlverhaltens, S. 226f; Hoffmann-Jaberg, Birgit/ Roth, Dieter: Die Nichtwähler, S. 137f

[5] Vgl. Eilfort, Michael: Die Nichtwähler. Bedeutung, Erfassung und Analyse eines andersartigen Wahlverhaltens, S. 226

[6] Vgl. Wenzel, Eva/ Rattinger, Hans: Nichtwähler und Protestwähler – eine strategische Größe des Parteiensystems, in: Hans Zehetmair (Hrsg.): Das deutsche Parteiensystem, Wiesbaden 2004, S. 28ff; Falter, Jürgen W./ Schumann, Siegfried: Nichtwahl oder Protestwahl, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B11/ 1993, S. 37f

[7] Die Arbeit wird sich im Folgenden ausschließlich mit dem Typus des konjunkturellen Nichtwählers beschäftigen.

[8] Vgl. Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (2006): Einsichten und Perspektiven – Themenheft 1/06 – Bundestagswahl 2005

[9] Vgl. Hoffmann-Jaberg, Birgit/ Rotz, Dieter: Die Nichtwähler, S. 139f; Kleinhenz, Thomas: Die Nichtwähler. Ursachen der sinkenden Wahlbeteiligung in Deutschland, Opladen 1995, S.87f

[10] Vgl. Kleinhenz, Thomas: Die Nichtwähler, S. 26ff

[11] Vgl. Falter, Jürgen W./Schumann, Siegfried: Der Nichtwähler – das unbekannte Wesen, S. 172ff; Falter, Jürgen W./ Schumann, Siegfried: Nichtwahl oder Protestwahl, S. 45ff; Feist, Ursula: Nichtwähler 1994, S. 37; Kleinhenz, Thomas: Die Nichtwähler, S. 27; Eilfort, Michael: Die Nichtwähler. Bedeutung, Erfassung und Analyse eines andersartigen Wahlverhaltens, S. 232f; Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (2006): Themenheft 1/06, Bundestagswahl 2005

[12] Vgl. Falter, Jürgen W./Schumann, Siegfried: Der Nichtwähler – das unbekannte Wesen, S. 173ff; Kleinhenz, Thomas: Die Nichtwähler, S. 27f; Eilfort, Michael: Die Nichtwähler. Bedeutung, Erfassung und Analyse eines andersartigen Wahlverhaltens, S. 231f; Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (2006): Themenheft 1/06, Bundestagswahl 2005

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Wer sind die Nichtwähler?
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V72280
ISBN (eBook)
9783638621625
Dateigröße
463 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nichtwähler
Arbeit zitieren
Jasmin Gally (Autor:in), 2007, Wer sind die Nichtwähler?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72280

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