Soziale Kontrolle und Repression der Häresie in Südfrankreich


Seminararbeit, 2002

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Notwendigkeit eines neuen Strafverfahrens
1. Die rechtliche Ausgangssituation
a) Der Akkusationsprozess
b) Das Sendgerichtsverfahren
c) Das Infamationsverfahren
c) Zusammenfassung
2. Die Probleme der Kirche
a) Missstände innerhalb der Kirche
b) Die Verbreitung der Ketzerei

III. Der Gesetzgebungsprozeß
1. Die Regelungen unter Innozenz III
a) Anwendung der bestehenden Regeln
b) Das Verfahren per inquisitionem
c) Die Übertragung auf die Ketzerverfolgung

IV. Kontrolle und Verfolgung in Südfrankreich
1. Der Aufbau eines Überwachungsapparates
a) Die Synodalzeugen
aa) Die Konzilsbeschlüsse
bb) Die Anwendung in der Praxis
b) Die Eideslisten
c) Die Disziplinierung der Gemeindemitglieder
aa) Die Konzilsbeschlüsse
bb) Die Anwendung in der Praxis
2. Die Arbeit der Inquisitoren
a) Das Aufspüren von Ketzern
aa) Das tempus gratie
bb) Die systematische Sammlung von Registern
cc) Gefängnis als Bestandteil des Verhörs
b) Die Strafen
c) Grenzen der Inquisition

V. Schluss

I. Einleitung

Das Europa des 12. und frühen 13. Jahrhunderts war Schauplatz tiefgreifender gesellschaftlicher Wandelungsprozesse. Die in überschaubaren familiären Lebensbereichen organisierte Personengesellschaft löste sich auf[1]. Rationalere und effektivere Herrschaftstechniken wurden entwickelt. Wesentliche Lebensbereiche wurden zunehmend verrechtlicht. Weltliche und kirchliche Gesetzgebung gelangten zu neuer Bedeutung[2]. Das Erstellen und Aufbewahren von Dokumenten in großer Zahl wurde überall zu einem wesentlichen Aspekt der Regierung[3].

In diesem Zusammenhang entwickelten sich ausgehend von der katholischen Kirche neue Formen der Kontrolle und Repression der Bevölkerung[4]. In dieser Arbeit wird die Entwicklung derartiger neuer Herrschaftsmethoden und Institutionen anhand der Entstehung des Inquisitionsverfahrens, der Konzilsgesetzgebung des frühen 13. Jahrhunderts und der Ketzerverfolgung durch die Inquisition in Südfrankreich vorgestellt.

Die Quellenlage scheint für mittelalterliche Verhältnisse außerordentlich günstig zu sein. Durch das mit dem neuen Inquisitionsverfahren einhergehende Prinzip der Schriftlichkeit sind viele Prozessakten überliefert. Dies erlaubt einen Einblick in Entscheidungsabläufe, nicht nur in deren Ergebnisse. Problematisch ist hierbei jedoch, dass allein die Sicht der Inquisitoren überliefert ist[5]. Nützliche Erkenntnisse sind darüber hinaus aus den normativen Quellen zu ziehen, wobei hierbei das Problem besteht, dass meist nur die Regelung überliefert ist, nicht aber deren Anwendung in der Praxis. Auf dem Gebiet der narrativen Quellen ist besonders die Chronik des Guillaume Pelhisso zu nennen Da er selbst als Inquisitor in Toulouse tätig war stand er dem Geschehen zwar einerseits besonders nahe, war aber andererseits nicht dem Anspruch auf unparteiische und zuverlässige Überlieferung verhaftet[6].

Die Häretikerverfolgung und Inquisition gehört zu den beliebtesten Themen der Geschichtswissenschaft und auch der populärwissenschaftlichen Literatur[7], wobei der Begriff der Inquisition häufig als mit negativen Werturteilen besetzter Schlagbegriff gebraucht wurde[8]. Erst in neuerer Zeit wurden zum einen die Entstehungszusammenhänge des Inquisitionsverfahrens aufgedeckt[9] und zum anderen die wachsende Tendenz zur Strafverfolgung und Ausgrenzung von Abweichlern als frühe Formen sozialer Disziplinierung im 13. Jahrhundert am Beispiel der oberitalienischen Städte[10] und der Reichsstadt Nürnberg[11] nachgewiesen.

II. Die Notwendigkeit eines neuen Strafverfahrens

1. Die rechtliche Ausgangssituation

a) Der Akkusationsprozeß

Die dominierende Verfahrensform am Ende des 12. Jahrhunderts war der Akkusationsprozeß. Hierbei war zur Prozesseröffnung eine förmliche private Klage (accusatio) nötig. Anklage und Verteidigung basierten häufig auf dem Ruf der Parteien, der durch Leumundszeugen bewiesen wurde. Das Gericht verhielt sich stets passiv[12]. Der Beschuldigte konnte sich durch den Reinigungseid (purgatio) vom Vorwurf der Anklage befreien. Oft entschied auch der ritterliche Zweikampf oder das Gottesurteil über den Ausgang des Prozesses. Das Verfahren war wegen der Notwendigkeit der privaten Anklage und der irrationalen Beweisformen nicht zur wirksamen Verbrechensbekämpfung geeignet[13].

b) Das Sendgerichtsverfahren

Beim Sendgerichtsverfahren brachten ausgewählte Mitglieder einer Gemeinde (testes synodi) die Klagen des Volkes auf den regelmäßigen Visitationen eines Bischof vor. Das Urteil wurde von den Sendschöffen gefällt. Der Bischof leitete die Verhandlung, führte aber keine eigene Untersuchung durch. Der Prozessablauf und die Beweisformen entsprachen dem Akkusationsprozeß[14].

c) Das Infamationsverfahren

Die Sorge um den Ruf der Kirche führte schon früh zur Bemühung um effektivere Methoden der Strafverfolgung gegenüber Klerikern. Bei Gerüchten über Straftaten fand schon seit dem 8. Jahrhundert eine Untersuchung von Amts wegen statt. Bei Feststellung eines schlechten Rufs (mala fama) wurde dem Kleriker die p urgatio aufgegeben. Bei Nichtbestehen verlor er seine Position[15]. Über den Ausgang des Verfahrens entschied jedoch wiederum nicht die Faktenlage sondern die Fähigkeit des Klerikers, die geforderte Anzahl von Eideshelfern zu finden[16].

d) Zusammenfassung

Die bestehenden Rechtsinstitute waren hauptsächlich auf den Ausgleich zwischen Privatpersonen oder zwischen Klerikern und der Gemeinde ausgerichtet und begünstigten diejenigen, die aufgrund ihres gesellschaftlichen Einflusses keine Klage zu fürchten brauchten[17]. Prozesse wurden nicht auf Grund von öffentlicher Autorität geführt. Die Beweismethoden lagen jenseits der Kontrolle des Richters[18]. Es gab keine rechtlichen Möglichkeiten der Obrigkeit, gegen das Unrecht vorzugehen. Für eine wirksame Verbrechensbekämpfung waren die Prozessformen nicht geeignet. Dies war die rechtliche Situation, die Innozenz III. vorfand, als er im Jahre 1198 sein Pontifikat antrat.

2. Die Probleme der Kirche

a) Missstände innerhalb der Kirche

Besonders aus Südfrankreich erreichten den Papst Berichte über schlimme Zustände innerhalb der Kirche[19]. So wurde über die Erzbischöfe Berengar II. von Narbonne[20] und Bernhard von Auch[21] berichtet, dass sie oder die Kanoniker ihren Provinzen Konkubinen haben, Würfelspiel, Wucher, Jagd und inzestuösen Verkehr treiben. Weiterhin wurden Vorwürfe des Meineides, der Verschwendung und der Simonie erhoben.

b) Die Verbreitung der Ketzerei

Gleichzeitig wandte sich die Bevölkerung ganzer Landstriche von der katholischen Kirche ab. Besonders in Südfrankreich und Norditalien verlor sie immer mehr an Einfluss[22]. Die politische Machtstellung der Katharer wurde in Südfrankreich sogar so stark, dass ein Kampf mit rechtlichen Mitteln zunächst aussichtslos erschien. Erst ein jahrelanger kriegerischer Konflikt konnte die Machverhältnisse hier ändern[23].

III. Der Gesetzgebungsprozeß

Der Kampf um die Beseitigung der innerkirchlichen Missstände wurde jedoch mit rechtlichen Mitteln aufgenommen.

1. Anwendung der bestehenden Regeln

In den ersten Regierungsjahren versuchte Innozenz III., die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten konsequent zur Anwendung zu bringen. Den Legaten wurde immer wieder aufgetragen, ihre Aufgabe ohne Rücksicht auf das Ansehen der betroffenen Personen durchzuführen[24]. Jedoch traten gerade in dieser Phase die gravierenden Nachteile der bestehenden Prozessformen offen zu Tage. So konnten mehrere Male hochstehende Kleriker nicht verurteilt werden, weil der Ankläger es nicht wagte, eine förmliche accusatio vorzubringen[25] oder sich durch Drohungen eingeschüchtert von der Klage zurückzog[26].

2. Das Verfahren per inquisitionem

In der Dekretale „Qualiter et Quando“[27] aus dem Jahre 1206 lässt sich zum ersten Mal eine deutliche Veränderung in der Handhabung des kirchlichen Infamationsverfahrens feststellen[28]. Innozenz wies seinen Legaten an, die Wahrheit anhand von Zeugenbefragungen zu erforschen[29]. Nur wenn diese inquisitio veritatis keine sicheren Erkenntnisse bringe, sollte dem Beschuldigten die purgatio gestattet werden. Diese veränderte Prozessform wurde in den folgenden Jahren regelmäßig in den Verfahren angewandt, die päpstliche Legaten zur innerkirchlichen Disziplinierung durchführten[30].

1210 schickte Innozenz III. eine Zusammenstellung der entsprechenden Dekretalen an die Universität Bologna, wodurch die Entscheidungen über ihre konkreten Situationen hinaus zu allgemeinen Rechtsquellen erhoben wurden[31]. Kirchenrechtliche Allgemeinverbindlichkeit erlangten sie auf dem 4. Laterankonzil 1215[32]. Das Inquisitionsverfahren war nun als processus extraordinarius anerkannt[33].

3. Die Übertragung auf die Ketzerverfolgung

Die theoretische Grundlage für die Übertragung des Inquisitionsprinzips auf die Ketzerverfolgung lag in der schon von Innozenz III. im Jahre 1199 durch die Dekretale „Vergentis in senium“[34] vorgenommenen Gleichsetzung der Häresie mit dem im römischen Recht verankerten crimen laesae majestatis[35].

Die Ketzerei wurde damit vom Irrglauben zum Verbrechen gegen Christus umgedeutet[36]. Der Häretiker wurde nun definiert als eine Person, die sich gegen die christliche Gemeinschaft gestellt hat[37]. Der Kampf gegen die mit dem Etikett der Häresie versehenen Bevölkerungsgruppen wurde zur wesentlichen Herrschaftsstrategie[38]. Das Zurückdrängen der Häresie lieferte die allgemein nachvollziehbare Rechtfertigung für den Aufbau von effektiveren Repressions- und Kontrollmechanismen[39].

Nach dem Friedensschluss 1229 versuchte man noch im selben Jahr, den Kampf gegen die Ketzer in Südfrankreich auf juristischem Wege voranzutreiben. Auf dem Konzil von Toulouse beschloss man ein Strafverfahren, das die Vorgehensweise des durch Innozenz III. eingeleiteten Verfahrens per inquisitionem übernahm. Die richterliche Funktion wurde zunächst noch ausschließlich von den Bischöfen übernommen, ab 1233 wurden dann hoch motivierte Dominikanermönche als Inquisitoren in Südfrankreich tätig, die über direkt vom Papst delegierte richterliche Autorität verfügten.

[...]


[1] Sellert, Bedeutung, S. 164.

[2] Vgl. Giordanengo, Pouvoir législatif, S. 290; Gourdon/Rigaudière, Renaissance, S. 11.

[3] Given Inquisition, S. 50.

[4] Moore, Formation, S. 146.

[5] Kolmer, Vulpes, S. 13.

[6] Duvernoy, Pelhisso, S. 8.

[7] Vgl. Kolmer, Vulpes, S. 15-22.

[8] Sellert, Bedeutung, S. 161.

[9] Hierzu maßgeblich Trusen, Inquisitionsprozeß; Ders., Anfänge; Oehler, Entstehung.

[10] Scharff, Schriftlichkeit, S. 241.

[11] Buchholz, Sozialdisziplinierung.

[12] Given, Inquisitors, S. 342.

[13] Vgl. Oehler, Entstehung, S. 860.

[14] Trusen, Inquisitionsprozeß, S. 174.

[15] Ebd. S. 175.

[16] Ebd. S. 201.

[17] Oehler, Entstehung, S. 860.

[18] Given, Inquisitors, S. 341.

[19] Vgl. Tillmann, Innozenz, S. 171.

[20] Reg. III, 24 (Migne, PL 214, Sp. 903-906); Reg. VII, 75 (Migne, PL 215, Sp. 355-357)

[21] Reg. XVI, 5 (Migne, PL 216, Sp. 789-790)

[22] Trusen, Inquisitionsprozeß, S. 203.

[23] Vgl. Wakefielt, Heresy, S. 96-129.

[24] Trusen, Inquisitionsprozeß, S. 208.

[25] Vgl. Reg. I, 277 (Migne, PL 214, Sp. 232)

[26] Vgl. Reg. II, 156 (Migne, PL 214, Sp. 711)

[27] Reg. VIII, 200 (Migne, PL 215, Sp. 777-781).

[28] Trusen, Inquisitionsprozeß, S. 206; Ders., Anfänge, S. 45.

[29] Migne, PL 215, Sp. 777: Si per clamorem et famam ejus excessus ad aures superioris pervenit […] debet coram Ecclesiae senioribus veritatem diligentius perscrutari.

[30] Trusen, Inquisitionsprozeß, S. 211.

[31] Möller, Innozenz III., S. 166.

[32] García y García, S. 54, cap. 8.

[33] Russel, Dissent, S. 61.

[34] Migne, PL 214, Sp. 537-539.

[35] Hageneder, Studien, S. 144-146; Russel, Dissent, S. 60.

[36] Hancke, Häresie, S. 63.

[37] Russel, Dissent, S. 60; Hancke, Häresie, S. 69.

[38] Hancke, Häresie, S. 60.

[39] Moore, Formation, S. 140; Hancke, S. 70.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Soziale Kontrolle und Repression der Häresie in Südfrankreich
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Proseminar: Albigenserkriege
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
23
Katalognummer
V7204
ISBN (eBook)
9783638145329
Dateigröße
560 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
174 KB
Schlagworte
Soziale, Kontrolle, Repression, Häresie, Südfrankreich, Proseminar, Albigenserkriege
Arbeit zitieren
Thomas Woelki (Autor:in), 2002, Soziale Kontrolle und Repression der Häresie in Südfrankreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7204

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