Das Milet-Dekret und seine Stellung im ersten athenischen Seebund


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


GLIEDERUNG

1 Einleitung

2 Zur Überlieferung und Quellenlage

3 Die Binnengliederung des Dekrets
3.1 Das Präskript
3.2 Bestimmungen über Opferleistungen, Schiffsstellungen und Verfassungsregelungen

3.4 Eidesleistung und weitere Befugnisse der Archonten
3.5 Sonderregelungen für Arnasos und Stationierung einer Garnison in Milet

4 Fragen der Datierung
4.1 Die Frühdatierung auf 450/49 n.Chr
4.2 Die Spätdatierung auf 425/24 n.Chr
4.3 Datierung nach 450/49 auf ca. 442 n.Chr

5 Das Dekret im Kontext des athenisch-milesischen Verhältnisses

6 Die Stellung des Dekrets innerhalb der athenischen Seebundspolitik

7 Fazit

8 Literaturverzeichnis.

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Inschriften zählen zu den wichtigsten und interessantesten Quellen, mit denen die Geschichtswissenschaft zu tun hat. Sie sind Teil unmittelbarer Geschichte und geben häufig faszinierende Einblicke in die antike Gesellschaft. Zu den wichtigsten und gleichwohl aussagekräftigsten Inschriften gehören die Dekrete, die insbesondere für die Erforschung der Geschichte des ersten athenischen Seebundes von elementarer Bedeutung sind. Die vorliegende Seminararbeit setzt sich nun mit einem dieser Dekrete, dem Volksbeschluss über die Regelung der Verhältnisse in Milet (HGIÜ 65), auseinander. Neben einer detaillierten Aufschlüsselung der Quellenaussagen soll innerhalb dieser Arbeit der Versuch einer Binnengliederung des Inschriftentextes unternommen werden. Zudem soll die Arbeit einerseits einen Überblick über die wichtigsten Forschungsdiskurse zu diesem Dekret leisten und zum anderen seine Stellung in einem größeren historischen Kontext ermitteln, wobei besonders der Einfluss des Dekrets auf das milesisch-athenische Verhältnis im Zentrum der Untersuchung steht.

Die Bearbeitung der Quellenaussagen erfolgt vergleichend, auf der Grundlage der drei wichtigsten Edititionen, von J.H.Oliver[1], C.W.Fornara[2] und K.Brodersen u.a.[3], wobei besonders die erstgenannte, weil älteste, auf dem Prüfstand steht.

Der Großteil der Untersuchungen, die dieser Arbeit zu Grunde liegen ist älteren Ursprungs. Die jüngere Forschung, die hier Berücksichtigung findet geht bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Auf Grund des Mangels an neuesten, aktuellen Untersuchungen, was wohl auf die anhaltende Datierungsproblematik zurückzuführen ist, bildet diese auch den abschließenden Forschungsstand meiner Arbeit.

2 Zur Überlieferung und Quellenlage

Zu Beginn meiner Hausarbeit möchte ich kurz darlegen, um welche Quelle es sich beim so genannten Milet-Dekret handelt und in welcher Form sie uns überliefert ist, sowie welche Quellen über den Inhalt des Dekrets Aussagen treffen.

Bei der Inschrift über die Regelungen für Milet handelt es sich um eine epigraphische Quelle, die in äußerst fragmentarischer Form auf einer Marmorstele überliefert ist. Sie stammt ursprünglich vom Südhang der Akropolis. Die Stele ist ca. 1,47m hoch, ca. 12 cm dick und bis zu 72 cm breit.[4]

Die Marmorstele besteht aus acht Fragmenten, wobei die sechs unteren Fragmente zusammenpassen. Die Position der beiden oberen Fragmente konnte auf Grund der „Beschlussformel“ recht genau rekonstruiert werden. Eine Abbildung der Stele ist dem Anhang beigelegt. Die Eingravierungen sind in attischer Schrift, ab der zweiten Zeile in stoichedon.

Will man auf weitere Quellen zurückgreifen, welche Aufschlüsse über die näheren Entstehungsumstände des Dekrets geben, so fällt dies, nicht zuletzt durch unterschiedliche Datierungsmöglichkeiten, schwer. Wichtige Hilfen bei der Interpretation der Inschrift können andere Dekrete, wie etwa das Erythrai-Dekret oder die Bestimmungen für Chalkis sein. Auch wenn keinesfalls eine Schablonenhaftigkeit der athenischen Dekrete auszumachen ist (im Gegenteil, viele der Dekrete unterscheiden sich in ihren Bestimmungen trotz vermuteter zeitlicher Nähe oder ähnlichen Entstehungsumständen doch in hohem Maße) so können einige Parallelen wie etwa in der Ämterbezeichnung oder in den Strafbestimmungen gezogen werden. Was die erzählenden Quellen betrifft so wurde in der Forschungskontroverse um die Datierung des Dekrets maßgeblich auf Diodor verwiesen, der durch die Nennung von Archonten für diese Zeit als Argument zu Rate gezogen wurde. Des Weiteren gilt in den meisten Argumentationen das Argumento e silentio, indem das Schweigen bestimmter griechischer Autoren über bestimmte Verhältnisse in Milet zum Ansatzpunkt für einige Forscher wurde etwaige Thesen zu widerlegen. Auf einige Beispiele werde ich im Zuge dieser Arbeit noch eingehen.

3 Die Binnengliederung des Dekrets

3.1 Das Präskript

Da dieses Dekret nur äußerst fragmentarisch überliefert ist, fällt es besonders schwer eine inhaltliche Binnengliederung zeilengenau vorzunehmen. Die Inschrift beginnt mit einem Präskript, welches etwa die ersten 2½ Zeilen einnimmt und neben der häufiger gebrauchten Beschlussformel: „Beschlossen haben der Rat und das Volk“[5], vermutlich auch das Amt eines Schriftführers und Epistates nennt. Konkrete Namensnennungen der Amtsträger fehlen jedoch. Des Weiteren kann nur vermutet werden inwieweit innerhalb des Präskripts auch ein Archon mit Nahmen erwähnt wird. Die Editoren der HGIÜ und andere[6] ergänzten hier die Lücke mit der Nennung eines Euthynos als Archon. Aus dieser keinesfalls gesicherten Ergänzung ergeben sich für die Datierung des Dekrets ausschlaggebende Argumentationen, auf die ich im Laufe der Arbeit noch näher eingehen werde.

3.2 Bestimmungen über Opferleistungen, Schiffsstellungen und Verfassungsregelungen

Die folgenden Zeilen des Dekrets befassen sich zunächst mit den als üblich angesehenen Opferleistungen, die von den Milesiern zu erbringen sind. Des Weiteren wird bestimmt, dass das Volk von Milet ein Fünf Männer umfassendes Kollegium wählen soll, wobei keiner dieser Männer das Alter von fünfzig Jahren unterschritten haben soll. Die Zahl fünfzig ist hier nicht überliefert sondern von den Editoren der HGIÜ ergänzt. J.H. Oliver hat zunächst die Zahl dreißig (τρίάκοντα) an dieser Stelle angenommen.[7] Dem ist die neuere Forschung jedoch nicht

gefolgt. Weitere Bestimmungen verbieten eine Ablehnung der Wahl seitens des Gewählten und geben an, dass auch eine Ersatzstellung eines Anderen an Stelle des Gewählten nicht möglich sei.Weiterhin wird bestimmt, dass die fünf gewählten Männer als Archonten in Milet fungieren sollen.

Im Folgenden stellt uns der ausgeprägte Fragmentcharakter erneut vor Probleme. Die ältere Forschung stützt sich auch hier auf die Ergänzungen J.H.Olivers, der in diese Zeilen die Andeutung einer Zusammenarbeit der fünf gewählten Männer mit Mitgliedern einer milesischen Oligarchie (προσεταίροίς sowie άίσυμνέτο)[8] hineininterpretiert. Jüngere wissenschaftliche Interpretationen gehen nicht soweit und nehmen von Ergänzungen an dieser Stelle Abstand.[9] Dennoch sind die Ergänzungen Olivers Ausgangspunkt eines weitreichenden Forschungsdiskurses, der sich mit verfassungsrechtlichen Eingriffen Athens in Milet befasst und an anderer Stelle in dieser Arbeit noch thematisiert wird.

Die folgenden Zeilen geben Bestimmungen über Truppenleistungen und Abgaben wieder. Zunächst ist von zehn Trieren die Rede, welche mit Waffen ausgerüstet und mit Ruderern besetzt, bereitgestellt werden sollen. Zudem soll ein Betrag von vier Obolen pro Person bezahlt werden.[10] Hier ist nicht eindeutig zu erkennen ob es sich um eine militärische Unterstützung Milets für Athen handelt[11] oder ob die angeführten Truppen Teil einer nun in Milet stationierten athenischen Garnison sind.[12] Beide Interpretationen haben durchaus ihre Berechtigung.

3.3 Strafbestimmungen und Prozessregelungen

Der nächste, große, Abschnitt, in den sich das Dekret gliedert, befasst sich mit rechtlichen Bestimmungen, die Straftaten, Strafverfolgung und Prozessregelungen betreffen. Der Abschnitt beginnt in etwa mit der Zeile 26/27.

An den Anfang dieser Bestimmungen tritt eine Art Sanktionsklausel, die all jene Handlungen unter Strafe stellt, welche „den Athenern nicht gut erscheint.“[13] Als Strafandrohung wird die Atimie angeführt. Dieser Begriff kann in etwa mit „Vogelfreiheit“ oder etwas weiterführend mit Verlust der Bürgerrechte[14] interpretiert werden. Ein ähnliches Strafmaß findet sich auch in anderen Dekreten dieser Zeit.[15] Zudem soll der Besitz des Delinquenten eingezogen und der zehnte Teil dessen der Göttin (gemeint ist wohl die Göttin Athene) zugeführt werden. Die Prozesse sollen nach athenischem Vorbild stattfinden. Die Todesstrafe oder etwa die Möglichkeit der Verbannung fehlt gänzlich im Dekret.

Des Weiteren erfahren wir in diesem Abschnitt etwas über einige Aufgaben der Archonten, die auch gerichtliche Funktionen zu haben scheinen. Im Dekret selbst fehlt die Textstelle, in der die Adressaten der Gerichtsgebühren benannt werden. Jedoch gehen die meisten Interpretationen davon aus, dass die fünf Archonten diese Aufgabe übernahmen.[16] Weiterhin wird zwei der fünf Archonten die Funktion zugewiesen die Prozesse zu überprüfen. Zudem sind sie dafür verantwortlich diejenigen, die gegen Gesetze verstoßen haben oder sich Urteilen entziehen vor ein athenisches Gericht zu bringen.

Weitere Regelungen betreffen, das Berufungsrecht, welches bei Prozessen über hundert Drachmen eintritt oder etwa das Recht der Milesier Prozessen in Athen beizuwohnen. Zudem wird eine konkrete Publikation der Urteile bestimmt. Diese sollen nämlich auf einer Stele aufgeschrieben und in Milet aufgestellt werden. Zuwiderhandlung oder etwa der Versuch die Stelen zu beschädigen werden unter Strafe gestellt.[17]

Ein letzter großer Absatz widmet sich der Rehabilitation der aus der Verbannung heimkehrenden Milesier.[18] Hier wird angeführt, dass die Athener beschlossen haben, dass der ehemalige Besitz der Verbannten den neuen Eigentümern entzogen wird, Gesetz dem Fall, dass die aus der Verbannung zurückkehrenden die neuen Eigentümer zu fassen bekommen. Die Verbannten sollen so ihren Besitz zurückerlangen. Auch die Stadt Milet soll denjenigen Wert an Gold und Silber den „Rückkehrern“ zurückgeben, den sie zuvor in ihrem Besitz hatten. Zusätzlich erhalten die Verbannten die Beträge wieder, die vor ihrer Verbannung der Eisphora, einer Art Vermögenssteuer, die an Athen gezahlt werden musste[19], zufielen oder sie als Strafe zu zahlen hatten. Auch hier werden die fünf Archonten mit der Überwachung dieser Rechtsangelegenheiten beauftragt. Bei Verstoß gegen diese Bestimmungen erhalten sie das Recht einen Prozess gegen den Beschuldigten zu führen.

[...]


[1] Oliver, J.H., The athenian decree concerning Miletus in 450/49, In: Transactions and Proceedings of the american philological Association 66 (1935), S. 178f

[2] Fornarra, C.W., Archaic Times to the end of the Peloponnesian War, (= Translated Documents of Greece and Rome. Bd.1) Gateshead 1977; Ebenso Oliver, J.H., The Athenian Decree concerning Miletus in 450/49 (1935), S.178

[3] Brodersen, K., Günther, W., Schmitt, H.H.(Hrsg), Historische griechische Inschriften in Übersetzung, Bd.1. Die archaische und klassische Zeit (=Texte zur Forschung Bd.59) Darmstadt 1999.

[4] Oliver, J.H., The athenian decree concerning Miletus in 450/49, In: Transactions and Proceedings of the american philological Association 66 (1935), S. 184.

[5] Ebenso in HGIÜ 63, 69, 111 u. a.

[6] Fornarra, C.W., Archaic Times to the end of the Peloponnesian War, (= Translated Documents of Greece and Rome. Bd.1) Gateshead 1977; Ebenso Oliver, J.H., The Athenian Decree concerning Miletus in 450/49 (1935), S.178

[7] Vgl.: Oliver, J.H., The athenian decree concerning Miletus in 450/49, TaPhA 66 (1935), S. 178

[8] Vgl.: Oliver, J.H., The athenian decree concerning Miletus, In: TaPhA 66 (1935), S.178

[9] Vgl.: Fornarra, C.W., Archaic Times to the end of the Peloponnesian War (1977), S.92; HGIÜ 65, S.41, Z.7;

[10] Vgl.: HGIÜ 65, S.41, Z.9-15

[11] Vgl.: Oliver, J.H., The athenian decree concerning Miletus, In: TaPhA 66 (1935), S.190f; Mattingly, H.B., The Athenian Empire Restored. Epigraphic and Historical Studies, Michigan 1999, S.

[12] Vgl.: Meiggs, R., The Athenian Empire, 4.Auflage, New York, 1999, S.206

[13] HGIÜ 65, S.41, Z.27

[14] Vgl.: Fornarra, C.W., Archaic Times to the end of the Peloponnesian War (1977), S.92

[15] HGIÜ 63, 79

[16] Vgl.: HGIÜ 65, S.41, Z.31; Fornarra, C.W., Archaic Times to the end of the Peloponnesian War (1977), S.94

[17] Vgl.: HGIÜ 65, S.42, Z.45-47

[18] Es handelt sich vielleicht um die Milesier aus Teichioussa und Leros, die womöglich in der Zeit des oligarchisch regierten Milets verbannt wurden.

[19] Vgl.: Schmitz, W., s.v. Eisphora, DNP, Bd. 3, Sp.930

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Das Milet-Dekret und seine Stellung im ersten athenischen Seebund
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Veranstaltung
Hauptseminar: Der erste athenische Seebund
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V71818
ISBN (eBook)
9783638696098
Dateigröße
478 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Milet-Dekret, Stellung, Seebund, Hauptseminar, Seebund
Arbeit zitieren
Carsten Mogk (Autor:in), 2006, Das Milet-Dekret und seine Stellung im ersten athenischen Seebund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71818

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