Emotionen als gesellschaftliche Notwendigkeit


Hausarbeit, 2007

22 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Emotionen und Soziologie

2. Die Klassiker der Soziologie und Emotionen
2.1 Georg Simmel
2.2 Max Weber
2.3 Emile Durkheim

3. Luhmann und Emotionen

4. Luc Ciompi und die fraktale Affektlogik

5. Emotionen und Systemtheorie

6. Affekte und Gesellschaft

7. Kommunikation und emotionale Ansteckung

8. Affektive Operatorwirkungen und Konflikte

Fazit

Einleitung

In der Soziologie wurden Emotionen weitestgehend stiefmütterlich behandelt. Sie kommen zwar vor aber spätestens seit Luhmann sie als soziologisch für nicht relevant erklärt hat, werden sie nicht in gesellschaftliche Entwicklungsprozesse einbezogen oder als soziale Phänomene betrachtet und daher nicht als integrale Bestandteile allen sozialen Geschehens gesehen. Die Beteiligung von Emotionen an eklatanten Ereignissen unserer gesellschaftlichen Entwicklung lässt sich meiner Meinung nach aber nicht abstreiten. Die Propagandamaschinerie des 3. Reiches war sehr affektiv geprägt. Zusammengehörigkeitsgefühl, mitreißende Reden, all dies war unter anderem dafür verantwortlich, dass dieses Regime so mächtig werden konnte. Ebenso ist es ein gängiges Mittel von Diktatoren, Angst und Schrecken zu schüren als Manifestierung von Herrschaft. Wie kann es dann sein, dass Emotionen nicht als gesellschaftlicher Gegenstand gesehen werden können? Luc Ciompi sah sie als „blinden Fleck“ bei Luhmann und begründete anhand seiner fraktalen Affektlogik, dass Emotionen durchaus eine Bedeutung für gesellschaftliche Entwicklung haben. Hat Luhmann Emotionen nur aus systemtheoretischer Sicht „außer Acht“ gelassen, oder sind sie wirklich unrelevant? Natürlich kommen sie auch bei ihm vor jedoch unter anderen Gesichtspunkten. Kann man dies so trennen oder müssen sie doch mit einbezogen werden? Meiner Meinung nach, sind Emotionen und Affekte das, was eine Gesellschaft aufrechterhält, eine Art systemimmanente (psychisches System) Kontrollinstanz die gesellschaftliches interagieren erst möglich werden lässt. Religion und damit das gesamte Religionssystem, basiert auf Erzeugung von Emotionen wie Vertrauen und Glauben.

In dieser Arbeit möchte ich untersuchen, inwiefern Ciompi und Luhmann Emotionen gesellschaftlichen bzw. soziologischen Stellenwert geben um dann herauszufinden, welchen gesellschaftliche Stellenwert Emotionen haben bzw. haben können.

Dazu möchte ich zunächst einmal auf die Klassiker Simmel, Weber und Durkheim, die sich mit Emotionen auseinandergesetzt haben, eingehen um dann anschließend Luhmanns und Ciompis Standpunkt darzustellen. Abschließend versuche ich diese Standpunkte auszuwerten und zu vergleichen um bei einem Resümee den gesellschaftlichen Stellenwert von Emotionen meiner Meinung nach zu erläutern.

1. Emotionen und Soziologie

Dadurch, dass sich die Soziologie als eigenen Gegenstandsbereich erst von anderen Wissenschaften stark abgrenzen musste, wurden die Emotionen mehr der Psychologie zugeordnet und angeblich kamen sie auch bei den Klassikern der Soziologie nicht so zum Tragen. Dem steht entgegen, dass Emotionen durchaus auch schon bei Durkheim, Simmel und Weber erwähnt und beachtet wurden. Laut Ciompi (2004) verstand schon Durkheim „kollektive Gefühle als grundlegende Organisatoren des sozialen Raums“. Simmel „seinerseits differenzierte zwischen Primäremotionen, die Wechselwirkungen zwischen Individuen in Gang setzen, und Sekundäremotionen, die aus solchen Effekten hervorgehen“. Bei Weber findet Ciompi die „sozial destruktive(…) Wirkung von ungehemmten Affekten“.

Nichtsdestotrotz behauptet auch Ciompi, dass „Emotionen im soziologischen Diskurs bloß eine marginale Rolle“ spielen (Ciompi, 2004, 22). Er führt dies auf die vielen Unklarheiten zurück, die „bezüglich des Stellenwerts von Emotionen ebenfalls im psychologischen und biologischen Bereich existieren“ (ebd, 22). Bevor ich dazu übergehe, die soziologische Relevanz von Emotionen anhand von Ciompis Argumentation darzustellen, möchte ich noch etwas näher auf die Klassiker und deren Bedeutung für die Emotionssoziologie eingehen.

2. Die Klassiker der Soziologie und Emotionen

2.1 Georg Simmel

Simmel untersucht die soziologische Bedeutung von Gefühlen anhand ihrer Logik, ihren sozialen Voraussetzungen und ihrer sozialen Wirkung. Er bezeichnet sie als „individual-psychologische Motive“, grenzt sie aber in der Untersuchung von der Psychologie ab. Für ihn sind die „bindende und kontrollierende Kraft“ der Gefühle wichtig, denn er ist der Ansicht, „dass Emotionen Individuen facettenreich aneinander binden“ dadurch seien Interaktionen überhaupt erst möglich (Vgl. Flam, 2002, 16f.). Sein Hauptaugenmerk legt er auf folgende Kategorien:

- Treue und Dankbarkeit
- Scham und Moral
- Die launischen Gefühle
- Hass
- Takt
- Freundschaft und Liebe

Bei Treue und Dankbarkeit handelt es sich für Simmel um Emotionen von besonderer Bedeutung da sie in den verschiedensten Interaktionsformen und Gruppierungen vorherrschen. Sie können zwischen Gleichgesinnten, in Freundschaften, sowie in hierarchischen Abstufungen, sowie im familiären oder politischen Raum existieren. Für Simmel garantiert die Treue, dass die „die Gesellschaft nicht zusammenbricht und dass ihre Institutionen eine gewisse Kontinuität besitzen“ (Flam, 2002, 18). Ebenso verhält es sich bei der Dankbarkeit, denn „in unzähligen Beziehungen ist es unmöglich, Äquivalente gegeneinander zu tauschen. Die Dankbarkeit wird als Ergänzung des Ausgetauschten dort eingesetzt, wo das Äquivalent fehlt“ (ebenda, 19).

Weil man sich durch Dankbarkeit freiwillig oder unfreiwillig verbunden fühlt und man sich mitunter gar nicht dagegen wehren kann, diese Austauschbeziehung aufrecht zu erhalten, trägt sie zu einer Stabilisierung von sozialen Beziehungen bei.

Scham stellt eine Instanz der sozialen Kontrolle dar. Mit oder durch Scham werden soziale Normen aufrecht erhalten, man wird durch die eigene Scham auf die Verletzung einer sozialen Norm aufmerksam „Indem man sich schämt, fühlt man das eigene Ich in der Aufmerksamkeit anderer hervorgehoben und zugleich, dass diese Hervorhebung mit der Verletzung irgendeiner Norm (sachlichen, sittlichen, konventionellen, personalen) verbunden ist“ (Simmel 1992:141 in Flam 2002, 21).

Scham und Moral sind eng verbunden. Simmel trifft Unterscheidungen zwischen gesellschaftlichen und personalen Normen die bei Verletzung ein Schamgefühl auslösen können und ein moralisches Benehmen zur Folge haben.

Ich möchte hier nicht auf all die oben genannten Emotionskategorien eingehen, mir ist nur Wichtig, dass auch schon hier deutlich wird, in welcher gesellschaftlichen Relevanz Emotionen stehen können und dass sie durchaus wie im späteren noch deutlicher erläutert wird System bestimmend beziehungsweise bildend oder erhaltend wirken können. Hier bei Simmel wird meiner Meinung nach schon deutlich welche tragende und verknüpfende gesellschaftliche Relevanz Emotionen zukommt.

2.2 Max Weber

Wenn man sich Webers protestantische Ethik anschaut kommt man nichts sofort auf den Gedanken, dass gerade dieses doch oberflächig der rationalistisch, calvinistisch geprägte Weltbild auch durch Emotionen gefestigt sein soll. Geht man jedoch tiefer in die Materie dann findet man gerade in den Kapiteln über die Religiosität diverse Hinweise auf Emotionalität. Denn wen man die Geschichte der Religionsmanifestation und Legitimation näher betrachtet sieht man dass sie zunächst auf Ausnutzung von Unwissenheit (Mittelalter) und Angst begründet ist (Ablassbriefe etc). Weber zeichnet nun in seiner „protestantischen Ethik“ ein Bild, welches auch auf Angst vor Verdammung gebaut ist. Weshalb ein jeder „gottgerecht lebt“ um nicht in die Verlegenheit zu kommen, nicht zu den von vornherein Auserwählten zu gehören, denen die Erlösung im Himmel gewährt ist. Dieser Erlösungsgedanke zeiht sich durch diverse Religionen mit dem einzigen Zweck, die Menschen zu einer Lebensführung zu bringen, die im Interesse der jeweiligen Religion steht und sich an starren Normen orientiert um die Macht der Religion zu manifestieren. (Weber 1976, 321 f. ). Auch in seinen Abhandlungen über Herrschaft finden sich Aspekte der Emotionalität wieder. Ich möchte hier als Beispiel die „charismatische Herrschaft“ herausgreifen“. Bei der charismatischen Herrschaft handelt es sich um eine Herrschaftsform die durch „außeralltägliche“ Persönlichkeit bestimmt ist und die sich aufgrund einer herausragenden Persönlichkeitsstruktur legitimiert: „über die Geltung des Charisma entscheidet die durch Bewährung- ursprünglich stets: durch Wunder- gesicherte freie, aus Hingabe an Offenbarung, Heldenverehrung, Vertrauen zum Führer geborene, ANERKENNUNG durch die Beherrschten (…..) diese Anerkennung ist psychologisch eine aus Begeisterung oder Not und Hoffnung geborene gläubige, ganz persönliche Hingabe.“ ( Weber 1976, 140). Hier werden die emotionalen Faktoren zur Status und Machtsicherung sehr deutlich in einem weiteren Abschnitt kommt dann die Bestätigung, dass es sich um eine emotionale Vergemeinschaftung handelt: „ Der Herrschaftsverband Gemeinde: ist eine emotionale Vergemeinschaftung. Der Verwaltungsstab des charismatischen Herrn ist kein Beamtentum am wenigsten ein fachmäßig geschultes. (….) Es gibt keine „Anstellung“ oder „Absetzung“, keine Laufbahn und kein „Aufrücken“. Sondern nur Berufung nach Eingebung des Führers aufgrund der charismatischen Qualifikation des Berufenen.“ (ebenda, 141).

Hier zeigt sich eine Willkür, wo ohne messbare Qualifikationen ein Herrschaftsapparat aufgebaut wird, der nur auf Eingebung und in dem Sinne dann auf Emotionen basiert. Auch hier zeigt sich die gesellschaftliche Relevanz von Emotionen, denn es scheint anhand von Emotionen möglich zu sein, eine gesellschaftliche Herrschaftsform sowie ein Machtgebilde aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Selbstverständlich gibt es auch bei Weber noch viele Hinweise auf Emotionen jedoch soll für meine Untersuchung dies erst genügen.

2.3 Emile Durkheim

Durkheim postuliert Gefühle als soziale Tatsache. Soziale Tatsachen sind ein elementarer Grundstein seiner soziologischen Erklärungen und sind Bestandteile der Gesellschaft, die in jeder Gesellschaft vorhanden sind und als kollektive Phänomene äußere Zwänge auf das Individuum ausüben, sie existieren unabhängig vom einzelnen Individuum.[1] Seiner Meinung nach handelt es sich bei Kollektivgefühlen, wie Solidarität um soziale Tatsachen. Solidarität ist ein Gefühl, weil durch sie Bindungen zwischen Individuen entstehen, die dann in „Freundesgesellschaften“ übergehen (Durkheim 1999a: 102 in Flam, 2002: 62). Nach Durkheims Meinung lässt sich Solidarität aber nicht messen, dafür soll aber das kollektive Bewusstsein messbar sein: „Die Gesamtheit der gemeinsamen religiösen Überzeugungen und Gefühle im Durchschnitt der Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft bildet ein umgrenztes System, das sein eigenes Leben hat; man könnte sie das gemeinsame oder Kollektivbewusstsein nennen.“ (ebenda, 63). Dieses stellt er an dem Beispiel der Kriminalität dar, die seiner Meinung nach das kollektive Bewusstsein verletzt oder eine Handlung als kriminell eingestuft werden kann, wenn sie das kollektive Bewusstsein verletzt. Laut Flam 2002 meint Durkheim, dass „Kollektivbewusstsein als Indikator der Solidarität zumindest in komplexen Gesellschaften anwesend ist“ (Flam 2002: 63). Zudem behauptet er, dass wenn die allgemeinsten kollektiven Gefühle angegriffen würden, würden sich heftige emotionale Reaktionen regen, wie Wut oder Angst oder ähnliches. Hierbei würden zusätzliche emotionale Kräfte frei gesetzt, die andere Mitglieder der Gemeinschaft dazu animieren sollen, sich anzuschließen (Vgl. Flam 2002, 64).

Dadurch, dass Durkheim das Kollektivbewusstsein als soziale Tatsache darstellt, manifestiert er meiner Meinung nach Emotionen auch als Thema der Soziologie. Da die sozialen Tatsachen, durch den äußeren Zwang zum Beispiel, auf die Gesellschaft einwirken und emotionale Regungen zur Erhaltung der Solidarität oder gewisser Gesetzmäßigkeiten beitragen. Nimmt man zum Beispiel das Inzesttabu, so wird klar , dass in jeder Gesellschaft beim Verstoß gegen selbiges, emotional reagiert wird um einen weiteren Verstoß zu verhindern, zu vereiteln oder denjenigen der dagegen verstößt durch Drohungen, Sanktionen und Ausschluss (die ihrerseits wiederum Emotionen auslösen) zu bestrafen und die soziale Ordnung des Kollektivs beziehungsweise der (Solidar-)Gemeinschaft wieder herzustellen.

Diese kurzen Beispiele von Klassikern der Soziologie sollen genügen, um darzustellen, dass Emotionen in der Soziologie zu unrecht ein Nischendasein fristen und auch schon in den Anfängen der Soziologie von Bedeutung waren.

Wie kommt es nun, dass Emotionen trotz dem so wenig Beachtung in der Soziologie finden, und sogar von Luhmann als Gegenstand der Soziologie ausgeschlossen wurden?

[...]


[1] Beim Inzesttabu handelt es sich zum Beispiel um so eine soziale Tatsache. Es ist unabhängig vom einzelnen Individuum und übt einen äußeren Zwang aus der sich auf das individuelle Handeln der einzelnen Individuen auswirken, und es ist allgemein gültig.

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Details

Titel
Emotionen als gesellschaftliche Notwendigkeit
Hochschule
Universität Bielefeld
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V71817
ISBN (eBook)
9783638696081
Dateigröße
449 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Emotionen, Notwendigkeit
Arbeit zitieren
Anja Ragati (Autor:in), 2007, Emotionen als gesellschaftliche Notwendigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71817

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