Die theologischen Dimensionen der Insel Felsenburg


Hausarbeit, 2006

22 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. ) Allgemein zur Literaturproduktion und zur Zeit
1.1 ) Historisch-politischer Hintergrund
1.2 ) Kulturgeschichtlicher Hintergrund
1.3 ) Literaturgeschichtlicher Hintergrund

2. ) Zum Roman
2.1 ) Robinsonade und Utopie
2.2 ) Abenteuerliches und Utopisches
2.3 ) Inhalt

3. ) Pietistisches - Aufklärerisches Vernunftsdenken

4. ) Charaktere
4.1 ) Monsieur van Leuven
4.2 ) Kapitän Lemelie
4.3 ). Albert Julius und Concordia Plürs

5. ) Fazit

Bibliographie

Die theologischen Dimensionen der Charaktere in der Insel Felsenburg

Einleitung

Der Roman „die Insel Felsenburg“ von Johann Gottfried Schnabel ist ein Zwitterprodukt aus Abenteuerroman und Utopie; eine Robinsonade, die sich mit einem utopischen Problem auseinandersetzt. Sie stellt einen pietistisch, idealisierten Staat dar, in dem sich alle Bürger redlich, gottesfürchtig und vernunftsorientiert verhalten und miteinander umgehen. Die Fragestellung wirft sich auf, warum gestaltet Schnabel eine solche Utopie und was wollte er damit darstellen, aus didaktischer Hinsicht vermitteln? Mein erster einleitender Arbeitsschritt wird die Eingliederung in die historisch-politischen, kulturgeschichtlichen und literaturgeschichtlichen Kontexte sein, in denen sich Schnabel bewegte. Im zweiten Arbeitsschritt gehe ich kurz auf die utopische Konzeption Schnabels ein, mit dem Ziel die im Schriftstück innewohnende Intention adäquat darzustellen und mögliche literaturwissenschaftliche Methoden, die während Schnabels Schaffungsprozesses aktuell waren, folgerichtig zu analysieren. Das Augenmerk wird dann anschließend auf das Werk an sich gerichtet. Mit einer kurzen Inhaltsangabe werde Ich den Roman zusammenfassen, um dann auf den eigentlichen Punkt, der Charakterkonzeption Schnabels, anzukommen. Die theologischen Dimensionen der einzelnen Charaktere sind ausschlaggebend um die soziale Kompatibilität der jeweiligen Person in dem komplexen Gesellschaftsgefüge der Insulaner zu veranschaulichen. Meine Beobachtungen werden sich analytisch auf die vier Hauptcharaktere Albert Julius, van Leuven, Concordia Plürs und Kapitän Lemelie konzentrieren. Ich werde gravierende, aber auch nur ganz feine Unterschiede in der Mentalität, der immanenten Disposition des Charakters aufzeigen. Insbesondere das empfindsame Gefühl, aber auch in dem jeweiligen Verhalten in überraschenden Situationen, der Religiosität und der Präsenz in der Gemeinschaft sind zu untersuchen. Diese Unterschiede im Verhalten gestalten den Handlungsverlauf derart konzeptionell, dass man Rückschlüsse auf die Absichten und grundlegende Idee des Autors, also des idealen Verhaltens in einer Gesellschaft ziehen kann. Deshalb möchte ich diese Schlussfolgerungen vor einem Hintergrund präsentieren, der nicht nur den Autor, sondern den Autor in seiner Zeit darstellt, um möglichst wirklichkeitsgetreu die Motivation darzustellen, die ihn dazu veranlasste sein Werk zu verfassen.

1. ) Allgemein zur Literaturproduktion und zur Zeit

1.1 ) Historisch-politischer Hintergrund

„Aufklärung“ bedeutet, Licht in das Dunkel der Unvernunft zu bringen. Aber unter welchen Umständen entwickelte sich dieser gesellschaftliche Prozess in Deutschland, der ja eben durch das Bürgertum seine soziale Schlagkraft und seinen hohen Stellenwert erlangte? Vernünftig und tugendhaft zu handeln war ein Befreiungsakt der bürgerlichen Welt sich aus den Zwängen der ihnen auferlegten Herrschaft des Adels zu lösen. Ein entscheidender Faktor der Entmachtung der Adelsgeschlechte in Europa war der Spanische Erbfolgekrieg (1701-1713/14). Der Aggressor war Frankreich in Person Ludwig des XIV, der versuchte Europa unter der Blutlinie der Bourbonen zu vereinen. Aufgrund der Nachfolgevakanz des spanischen Throns marschierte er in Spanien, Italien und den Spanischen Niederlanden ein, um seinen Enkel Philipp von Anjou zu legitimieren. Durch diesen Anspruch auf die Hegemonialmacht in Europa provozierte Frankreich die Allianzmächte, den Kaisers des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation und England, denen Frankreich nach zehnjährigem Kampf schließlich unterlag. Gleichzeitig entwickelte sich der Nordische Krieg (1700-1721), in dem sich Dänemark, Russland und Sachsen-Polen gegen die Expansionspolitik Schweden unter Karl XII verbündeten.[1] Diese Konflikte waren sehr markante Beispiele für die Konfliktpotentiale des frühen 18. Jahrhunderts, mit denen sich der Bürger der damaligen Zeit konfrontiert sah. Somit war der Bürger den autonomen und willkürlichen Ansprüchen und Interessen der adeligen, regierenden Herrschaftsschicht ausgeliefert. Die wachsende Distanz des Bürgers zur Politik ist leicht nachzuvollziehen. Da sich eine nationale Identität, aufgrund der unsicheren und ständig wechselnden Form ihres politischen Gebildes, schwerlich entwickeln ließ, da eine äußere Handlungsgewalt extrem von der Einigkeit der Interessengruppen des Staatenverbundes abhängig war, mangelte es Verbünden wie dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation an einer gemeinsamen Verteidigung gegen die Großmächte[2]. Eine nationale Identität entwickelt sich aus dem Vertrauen des Bürgers in das Staatswesen, dies war nicht gegeben.

1.2 ) Kulturgeschichtlicher Hintergrund

„Der Bürger kommt in der deutschen Klugheitslehre nur als Objekt und Ziel der ‚Staats-Klugheit’ vor, nicht aber als Subjekt und Ausgangspunkt des politischen Handelns und Willens“[3]. Der Bürger zur Zeit der Frühaufklärung wandelt den Begriff der ‚Staats-Klugheit, die ursprünglich ein höfisches Interaktionskonzept ist, in eine ‚Privat-Klugheit’ um, die „ lediglich […], die Fragen des Berufs, des Sozialen oder des Alltags im bürgerlichen Leben betreffen“[4]. ‚Klugheit’ nutzt dem Menschen des beginnenden 18. Jahrhunderts aufgrund seiner „Qualität hinsichtlich des Umgangs mit Menschen und des eigenen Fortkommens in der entstehenden frühkapitalistischen Gesellschaft“[5]. Dieser Klugheitsdiskurs entwickelt sich zur Alltagsethik. Johann Andreas Fabricus definiert die ‚Klugheitslehre’ 1752 in seinem Werk Abriß einer allgemeinen Historie der Gelehrsamkeit:

„Wissenschaft der Klugheit überhaupt, das ist die Fertigkeit weislich erwehlte Mittel wohl anzuwenden, in erlaubten und gleichgültigen Dingen seinen Nutzen [zu] befördern: oder die Wissenschaft der Mittel überhaupt, dadurch man seinen Nutzen auf eine erlaubte Art befördern kann“[6].

Dieser propagierte Gemeinnutzen funktionierte als System eines funktionierenden gemeinschaftlichen Gefüges, welches als Gott gegeben ausgefasst wurde und ein Verstoß an demselbigen kam nicht nur einer „Verletzung des Naturrechts gleich, sondern wäre […] zugleich auch als eine Sünde gegen Gott und somit abzulehnen[7] “. Somit galt ‚Klugheit’ als Stände übergreifendes Konzept, welches von geistigen Strömungen wie dem Pietismus getragen wurde. Der Pietismus, der seine Blütezeit zwischen 1690 und 1740 erlebte, ordnete dem sich entwickelnden Bürgertum einen weiteren Aspekt hinzu. Die religiöse Strömung distanzierte sich von den orthodoxen, hierarchischen Herrschaftsstrukturen der evangelischen Kirche, somit entfernte sie sich auch von dem starren Vernunftglauben, und propagiert einen „im Gefühl verankerte Herzfrömmigkeit […], mit deren Hilfe ein unmittelbarer, teilweise mystisch gefasster, im Moment der Versenkung möglicher Zugang zu Gott und Christus geschaffen werden soll“[8]. Ein weiterer Aspekt der im Bürgertum fruchtbaren Boden fand, stellt die Selbstbestimmung dar. Diese bestand aus in einer locker organisierten „Gemeinschaft der Gläubigen“. Der „Laiengedanke[n], der jedem Gemeindemitglied die Möglichkeit offenhält, liturgische Handlungen durchzuführen“[9], entsprach dem Wunsch des Bürgers nach Autonomie. Die Betonung der Gefühlsgemeinschaft, die das religiöse Gefühl als affektiv erfassbar und nicht vernunftstheologisch begründbar erachtet, ist ein grundsätzlicher Unterschied zur vernunftsorientierten Schriftexegese der Orthodoxie. Dies ähnelt der Opposition der ‚Privat-Klugheit’ zur ‚Staats-Klugheit’, da auch hier die Natürlichkeit des menschlichen Wesens, einer ästhetisierten, in diesem Fall, einer vergeistlichten, dem Bürger entfremdeten Kultur vorgezogen wird. Der Wandel, der sich im Beginn des 18. Jahrhunderts vollzieht ist ein bürgerlicher. Er entmystifiziert, entästhetisiert und entmachtet die hierarchischen Strukturen des Staates und der Kirche, und verändert sie insofern, dass sie vom Bürger erfassbar und erklärbar erscheinen. Der Wunsch nach Identifikation und Fassbarkeit äußerte sich insofern, als dass eine eigene bürgerliche Kultur erschaffen und repräsentierte eine Selbstbestimmung eines Standes.

1.3 ) Literaturgeschichtlicher Hintergrund

Der Wandel der Leserschaft des angehenden 18. Jahrhunderts bedeutete auch einen Wandel der Literaturproduktion und die daraus resultierenden literarischen Strömungen. Da das Bürgertum mit seiner erstarkenden Finanzkraft einen bedeutenden Absatzmarkt für die Literatur bedeutete, hatte sich auch die Produktion an die Interessen des Publikums anzupassen. Peter Andre Alt beschriebt diesen Prozess als die Entstehung unterhaltender, fiktiver Romane, die gemäß der säkularisierten Geisteshaltung, inhaltlich weltbezüglich und programmatisch realitätsnah verfasst wurden, um an Fallbeispielen aktuelle Fragen nach der diesseitigen Bestimmung des Menschen zu diskutieren[10]. Der fiktive Raum, der durch die Aufweichung der rigiden barocken Muster aufgebrochen wurde, befriedigte einerseits die anthropologisch-psychologische Neugier der Zeit, schuf aber außerdem in den individuellen Erfahrungen der Protagonisten Raum für die moraldidaktische Botschaft der Aufklärung[11]. In Hinblick auf die Entwicklung der Literaturproduktion bedeutete dies die Möglichkeit der Konzeption fiktiver Welten, die Option des Hineinversetzens des Rezipienten in utopische Regionen und Phantasien, „wo der Mensch so vernünftig wie empfindsam, der Herrscher milde und tolerant, das Zusammenleben der Individuen idyllisch, die Liebe stets tugendhaft, die religiöse Ethik von ursprünglichem Gottesvertrauen geprägt ist“[12]. In dem immer populärer werdenden Literaturtypus ‚Abenteuerroman’ mischt sich die zuvor angesprochene Neugier mit dem puritanischen Lebensverständnis. Beispielhaft für diese Entwicklung steht der 1719 von Daniel Dafoe (1659–1731) verfasste Roman Robinson Crusoe. Dieser traf den ökonomischen und religiösen Geschmack seiner Leser, und initiierte eine Schwemme von ‚Robinsonaden’ auf dem Buchmarkt. Peter Andre Alt beschreibt die Entwicklung der Robinsonadenkultur, im Hinblick auf Werke von Gellert und Schnabel, als eine Verschmelzung der barocken Stilmuster, des Pikaro- und Schelmenromans. Diese präsentieren im Fall des Schelmenromans einerseits eine Aneinanderreihung von handlungsreichen Geschehnissen im Leben eines Protagonisten. Andererseits wird der Typus des höfisch, heroischen Romans genutzt, welcher von historisch belegten Fakten gespeist, eine Helden- oder Liebesgeschichte erzählt, und sich auf höherem Reflexionsniveau staatsphilosophische Räsonnements erlaubt. Bezeichnend für die große Anzahl von Zwitterformen, die in dieser Übergangszeit entstanden sind, steht Schnabels Insel Felsenburg, welche das ‚Robinson-’ und ‚Inselmotiv’ verwendet, sich aber mit einem utopischen Problem auseinandersetzt.

[...]


[1] Vgl., Stollberg-Rilinger, Barbara, Europa im Zeitalter der Aufklärung, Stuttgart 2000, S.34-35.

[2] Vgl. Stollberg-Rilinger, Europa, S. 25-28.

[3] Roidner, Jan, „‚Vorsehung Gottes’ und ‚Klugheit’ in Johann Gottfried Schnabels Romanwerk Wunderlich Fata einiger See-Fahrer “, Günter Dammann und Dirk Sangmeister (Hrsg.), Das Werk Johann Gottfried Schnabels und die Romane und Diskurse des frühen 18. Jahrhunderts, Tübingen 2004, S. 147.

[4] Ebd., S.147.

[5] Ebd., S.147.

[6] Vgl., Roidner, Vorsehung, S.148.

[7] Ebd., S.148.

[8] Alt, Peter-Andre´, Aufklärung, Stuttgart/Weimar 2001, S.41.

[9] Ebd., S.41.

[10] Vgl., Alt, Aufklärung, S.276.

[11] Vgl., Alt, Aufklärung, 276.

[12] Ebd., S.276.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die theologischen Dimensionen der Insel Felsenburg
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Veranstaltung
Romane der Aufklärung
Note
2,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V71608
ISBN (eBook)
9783638784047
ISBN (Buch)
9783638792202
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dimensionen, Insel, Felsenburg, Romane, Aufklärung
Arbeit zitieren
David Dierschke (Autor:in), 2006, Die theologischen Dimensionen der Insel Felsenburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71608

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