Ein Unterrichtsentwurf zu Achim von Arnims "Der König ohne Volk"


Unterrichtsentwurf, 2001

43 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Analytischer Teil
1.1 Sachanalyse
1.1.1 Die Ballade
1.1.2 Die Stellung der Ballade im heutigen Literatur- und Medienbetrieb
1.1.3 „Der König ohne Volk“ (Text s. 3.1, Abb.5)
1.1.4 Veränderung der Herrschaftsformen
1.1.5 Der Autor „Carl Joachim (Achim) Friedrich Ludwig von Arnim” (s. 3.2, Abb.10)
1.1.6 Von Klassik zur Romantik
1.1.7 Die Wirkung der Ballade vom König ohne Volk
1.1.8 Vergleichstexte
1.2 Die Situation der Schülerinnen und Schüler
1.2.1 Allgemeine entwicklungspsychologische Aspekte
1.2.2 Bezug der SchülerInnen zur Ballade

2. Entscheidungsteil
2.1 Auswahl der Bildungsinhalte
2.1.1 Lehrplanbezug
2.1.2 Didaktische Reduktion
2.1.3 Richtziele
2.1.4 Schüler- Sachanalyse
2.1.5 Literaturdidaktische Konzeptionen
2.1.6 Feinziele
2.2 Methodische Überlegungen
2.2.1 Einleitende Maßnahmen
2.2.2 Weitere Gelenkstellen
2.2.3 Vermittlungshilfen
2.2.4 Medien
2.2.5 Arbeits- und Sozialformen
2.3 Verlaufsplanung
2.3.1 Einleitungsphase / Motivationsphase
2.3.2 Erarbeitungsphase
2.3.3 Vertiefungsphase
2.3.4 Wiederholungsphase
2.3.5 Schlussphase
2.3.6 Strukturskizze

3. Materialien
3.1 Unterrichtsmaterialien Des Kaisers neue Kleider

4. Literaturliste

1. Analytischer Teil

1.1 Sachanalyse

1.1.1 Die Ballade

Balladen sind fiktionale Texte in Versen, die oft nur geringen Umfang haben. Trotz des fiktionalen Charakters des Balladentextes dienen ihm jedoch oft reelle historische Geschehnisse zur Grundlage. (vgl. www.gwdg.de)

Die italienisch- provencalischen Begriffe „Ballata/ Balada“ werden als ursprüngliche Form des europäischen Wortes „Ballade“ angesehen. Es handelt sich bei diesen Wörtern um ehemalige Bezeichnungen für Tanzlieder mit einem Refrain, die zum Ketten- und Reihentanz gesungen wurden. Sowohl die Tänze als auch die Ballade selbst wurden aufgrund der Ausbreitung ritterlicher Kultur von Nordfrankreich nach Deutschland (1770: Bürger, Goethe, Herder, Schiller), England, Schottland und Skandinavien gebracht, wo man deren lyrische Form mit epischen Inhalten verknüpfte. Das Produkt dieser Verknüpfung war die sogenannte „anonyme Volksballade“, die erstmals die drei Grundarten der Poesie in sich vereinte (Ur- Ei- These Goethes, 1821). Zur bereits genannten lyrischen Form und den epischen Inhalten trat hier zur Ballade noch die dramatische Gestaltung hinzu. Der Refrain hat in der Volksballade auch eine tragende Bedeutung. Er ist streng vom eigentlichen Erzähllied getrennt und dient zur Bekundung subjektiver Anteilnahme der Singenden an der objektiven Handlung des Erzähltextes. Durch den Refrain soll die Ballade des Weiteren einen weichen und eleganten Ton erhalten. (vgl. Schweikle 1990, S. 37)

Der englische Begriff „ballad“ bezeichnet den dramatisch- düsteren Zweig der Ballade, der im Nordischen (im dänischen Kaempeviser) vorherrschte und der südlichen und episch- helleren Romanze gegenüberstand. In Deutschland wurden die Begriffe „Ballade“ und „Romanze“ lange fast synonym gebraucht, bis letztere später eine andere Bedeutung erhielt. Unser heutiger Balladenbegriff umfasst im Allgemeinen sowohl die nordische als auch die südliche Ballade. Die Bezeichnung „Erzählgedicht“ für modernere Formen der Ballade wurde erst 1964 von Piontek eingeführt. Eine genaue Bestimmung der Ballade ist nicht leicht, so war auch Goethe der Meinung, dass die Ballade weder inhaltlich noch national noch zeitlich noch strukturell genau festlegbar sei. Diese Strukturen hingen im Allgemeinen mehr davon ab, ob sie eher episch, dramatisch oder lyrisch geprägt sei beziehungsweise heldische, ideenhafte, numinose, schicksalshafte, historische, psychologische, sozialkritische [...] Inhalte habe.

(vgl. Nündel 1979, S. 36 ff.)

In Balladen wird Spiel und Ernst vermischt, was oft durch furchterregenden Inhalt, liedhafte Gestaltung und sanghaften Vortrag besonders gut zum Vorschein kommt.

(vgl. Ulshöfer 1994, S. 124)

Grundsätzlich geht es in Balladen meist um Auseinandersetzungen des Menschen mit der Welt. Als Grundlage dieser Balladen dienen Heldentaten, dämonisch-spukhafte Stoffe aus dem Bereich von Märchen, Mythen, Sagen und historische Themen. Bei zeitgenössischen Balladen beobachtet man jedoch zunehmend die Hinwendung zu anderen Themengebieten aus der Trivialität des Alltags und den menschlichen Grundbefindlichkeiten. Daneben ist auch Kritik und politisches Engagement immer öfter in Balladentexten zu finden.

Die schriftliche Überlieferung von Balladen begann erst im Spätmittelalter. Balladenstoffe, meist Heldenlieder, zogen auf verschiedenen Wegen durch Europa und wurden dort unterschiedlich ausgestaltet. Diese Balladen, die als volkstümlicher Gemeinbesitz galten und mündlich tradiert wurden, nennt man Volksballaden. In der Zeit des Sturm und Drang (Herder, Goethe) und der Romantik (Arnim, Brentano) begann man solche Volksballaden zu sammeln und zu verschriftlichen. Balladen anderer Völker wurden aufgezeichnet und nachgedichtet

(z. B. Herder, Uhland u.a.). Obwohl sich in der literarischen Oberschicht allmählich die Kunstballade durchsetzte, bestand die Volksballade in anderen Kreisen weiter.

(vgl. Nündel 1979, S. 38)

Die Kunstballade wurde von August Bürger in Deutschland eingeführt. Sie übernahm wesentliche Stilmerkmale der Volksballade. So war sie zum Beispiel ebenfalls zwischen den Gattungen anzusiedeln, hatte eine strophische Gliederung, Reime und verzichtete weitestgehend auf besonders kunstvolle Formen wie freie Rhythmen. Vor allem Goethe ist einer der wichtigsten Vertreter des darauf folgenden naturmagischen und von Geistergeschichten geprägten, numinosen Balladentyps. 1797, im Balladenjahr, in dem in einer Art Wettstreit zwischen Goethe und Schiller unzählige Balladen entstanden, setzten eben diese einen neuen Standart mit dem klassischen Typus der Ideenballade. In der Romantik wurde dieser Standart jedoch kaum mehr anerkannt. Man kehrte zu schlichteren Formen der Volksballade zurück. Die vaterländische Ballade breitete sich weiter aus. Im 19. Jahrhundert des poetischen Realismus wurde die Tradition naturmagischer und numinoser Balladen fortgesetzt (Droste-Hülshof u.a.). Charakteristisch war für diese Zeit allerdings eher die historische Ballade mit vorwiegend mittelalterlichen Stoffen. Hier beginnt im Zeichen des Vormärz auch die Auseinandersetzung mit sozialen Themen (Heine u.a.) und der Technik (z.B. Fontane: Die Brück`am Tay). (vgl. Schweikle 1990, S. 37)

Im Lauf der Zeit wurde die Ballade zum Namen für allgemein menschliche Aussagen, zur Bezeichnung für lyrische Stimmabläufe und letztlich zum Sammelname allgemeinster Art. Aufgrund der Auflösung dieses Gattungsverständnisses griff vor allem Münchhausen wieder auf ursprüngliche Formen der Heldenballade zurück. Vor und nach dem Ersten Weltkrieg häuften sich die Balladensammlungen. Das Jahr 1975 wird als weiteres Balladenjahr betrachtet, da hier umfangreiche, besonders engagierte Balladensammeltätigkeit zu beobachten war.

(vgl. Nündel 1979, S. 40 f.)

Brecht gilt in der Moderne als Schöpfer der politischen beziehungsweise neuen sozialkritischen Ballade, die einen der ausgeprägtesten Balladentypen unserer Zeit darstellt. Daneben steht noch der Typ der sogenannten „modernen Ballade“, die durch ihre parodistischen Züge gekennzeichnet ist. Im 20. Jahrhundert und bis heute wurde jedoch auch immer wieder auf die ältere Volksballade zurückgegriffen. Als ihre neuzeitlichen Nachfahren sieht man Zeitungslieder und Moritaten des Bänkelsangs an. (vgl. Schweikle 1990, S. 37 f.)

Als Bänkelsang bezeichnet man balladenartige Gedichte, die von einem Sänger auf einer erhöhten Bank stehend vorgetragen werden. Der Vortrag wird durch große Bildtafeln unterstützt, auf denen die besungenen, aufsehenerregenden Geschehnisse künstlerisch dargestellt werden. (s. Deckblatt, Abb. 1) (vgl. Bertelsmann 1957, S. 154)

1.1.2 Die Stellung der Ballade im heutigen Literatur- und Medienbetrieb

Viele Autoren und Leser haben heute Schwierigkeiten mit der Ballade, da sie versucht allem einen transzendenten Sinn zu verleihen. Irrationalismus, magisches Weltbild, Darstellung dämonischer Einbrüche in die menschliche Welt, Glaube an Schicksal, Verhängnis, Schuld und Sühne machen die Ballade dem rationalistisch denkenden Menschen unserer Zeit fremd.

(vgl. Baumgärtner 1964, S. 34)

Die Ballade ist jedoch sehr vielfältig (s. 1.1.1) und deshalb auch bis auf den heutigen Tag lebendig. Obwohl sie von vielen nach dem ersten Weltkrieg als tot oder der Vergangenheit zugehörig erklärt wurde, besteht sie bis heute. Die Krise nach dem ersten Weltkrieg war für Kayser schon damals nur eine „Scheinkrise“. Den pathetischen Charakter der Vorkriegsjahre hat die Ballade zwar verloren, ihre Geschichte ist jedoch dadurch nicht beendet.

Die Behauptung, dass die Ballade überholt sei, bezog sich tatsächlich oft ausschließlich auf diese eine, typisch „deutsche“ Balladenform. (vgl. Köpf 1976, S. 45 ff.)

Die Gattung ist nicht nur „noch“ vorhanden, sie kann auch als immer noch aktuell bezeichnet werden. So ist sie heute beispielsweise bei Liedermachern besonders beliebt. Seit Beatles, Bob Dylan und anderen kommt auch fast keine Musikgruppe und kein Sänger mehr ohne die verwandte Entwicklung, die ebenfalls den Namen „Ballade“ trägt, aus. Erzählende Texte, die von Gitarren begleitet werden, erinnern an die einst mündliche Überlieferung der Volksballade (s.1.1.1). Auch in Rezeptionen der Country- und Westernmusik, sowie in mittelalterlicher Volksliedtradition sind Balladenanklänge zu finden. Seit den siebziger Jahren ist auch wieder verstärkt die Sammeltätigkeit von Balladen, Moritaten, Bänkelsang und Erzählgedicht zu beobachten (Balladenjahr 1975, s. 1.1.1). Unser Begriff „Ballade“ umfasst heute die Volksballade des Spätmittelalters, Zeitungslied, historischen Bänkelsang, Kunstballaden, die Kabarett-Ballade des frühen 20. Jahrhunderts, Erzählgedichte, moderne Formen des Bänkelsangs, Protestsongs und Texte von Liedermachern. Kritiker sehen heute jedoch auch ein Problem der Ideologisierung und Einseitigkeit, da sich viele Balladen ausschließlich mit sozialen Problemen beschäftigen. (Henze u.a. 1979, S.14 f.)

1.1.3 „Der König ohne Volk“ (Text s. 3.1, Abb.5)

Die Ballade von Achim von Arnim erzählt in dritter Person von einem König, der rücksichtslos regiert. Er hört nie auf den auserwählten Rat des Volkes und missbraucht diesen sogar, um seine von ihm vergötterten Hunde zu bedienen. Doch eines Tages verlässt ihn sein ganzes Volk zu Pferde und er vereinsamt. Er hat niemanden mehr außer sich selbst und seine Hunde, über die er regieren kann, aber er bleibt optimistisch, da er eben diese noch zur „Verfügung“ hat, um sich die Zeit zu vertreiben. Da die Hunde jetzt allerdings nicht mehr bedient werden, stellen sie sich gegen ihren Herren. Sie zerreißen sein Hab und Gut einschließlich seiner Kleider. So steht er nackt vor seinen Handelspartnern, die bemerken, dass er einen Buckel hat. Zum Schluss der Ballade folgt noch eine Lehrformel, in der geschrieben steht, dass ein Herrscher den Verfall seiner Macht daran bemerkt, dass ihn die Besten verlassen.

Die Ballade gliedert sich in acht Strophen, die alle jeweils aus einem Satz bestehen. Die letzte Strophe könnte man rein inhaltlich als Refrain bezeichnen, da sich der Text hier vom eigentlichen, objektiven Geschehen zu einer subjektiven Äußerung von Außenstehenden (des lyrischen Ich) abwendet. Da es sich dabei jedoch nicht um ein wiederkehrendes Element in der Ballade handelt, werde ich im Folgenden von der achten Strophe reden. Alle Strophen bestehen aus jeweils vier Versen. Diese werden in der Regel aus drei Jamben gebildet, wobei jeweils der erste und dritte Vers mit einer zusätzlichen Senkung und somit klingend auf eine weibliche Kadenz enden (xXxXxXx). Der zweite und vierte Vers enden stumpf mit einer Hebung und somit auf einer männlichen Kadenz (xXxXxX). Ausnahmen bilden lediglich der zweite Vers von Strophe 1 (xXxXxxX), der dritte Vers der dritten Strophe (xXxxXxXx), der vierte Vers der siebten Strophe (xXxxXxX) sowie die beiden letzten Verse der achten Strophe (xXxXxxXx/xXxXxxX). Es wäre durchaus denkbar, dass die vier abweichenden Stellen einen verkürzten Handlungsablauf wiedergeben. „Mit seinem Szepter von Gold” (Strophe 1, Vers 2) stellt die Macht und den Reichtum des Königs am Anfang der Geschichte dar, „Daß alle sind fortgeritten” (Strophe 3, Vers 3) deutet darauf hin, dass der König nun allein ist und sein Volk verloren hat, „Er hätt einen Buckel groß” (Strophe 7, Vers 4) zeigt, dass er nun sein Ansehen auch noch verloren hat und zur Schau gestellt wird. Die zwei letzten Verse der achten Strophe bilden dann eine zusammenfassende und ermahnende Schlusswertung. Jede Strophe besteht aus einem Kreuzreim. Der Ablauf der Ballade kann gegliedert werden in die einleitende Situationsbeschreibung mit den Gründen für die Auslösung des Konflikts in Strophe 1 und 2, in die eigentliche Handlung, die in der dritten und vierten Strophe einsetzt und sich in Richtung eines tragischen Endes hin steigert, in ein kurzes Innehalten in der fünften Strophe und in den tragischen Ausgang in Strophe 6 und 7. Alle drei literarischen Gattungen vermischen sich, wie es für Balladen im Allgemeinen üblich ist (s. 1.1.1). Epische Elemente sind durch den Inhalt der Ballade gegeben, da es sich um vergangene, abgeschlossene, erzählbare Stoffe handelt. Lyrisch ist diese Ballade durch den durchdringenden Stimmungston. Aber auch Dramatik ist klar erkennbar. Nach der oben genannten möglichen Gliederung ist sogar der Aufbau einer griechischen Tragödie in Exposition und erregendes Moment (Strophe 1 und 2), aufsteigende Handlung (Strophe 3 und 4), ein kurzes retardierendes Moment (Strophe 5) und die Katastrophe (Strophe 6 und 7) möglich. Lediglich die achte Strophe fällt meines Erachtens aus diesem Rahmen, da sie außerhalb der Handlung steht und ermahnende Tendenz hat, was allerdings in gewisser Hinsicht auch Ähnlichkeiten zur Rolle des Chores der attischen Tragödie aufweist. Auffällig ist des Weiteren, dass zweite und letzte Strophe im Präsens geschrieben sind, wohingegen die restliche Ballade, abgesehen von der wörtlichen Rede des Königs, in den Vergangenheitsformen (Präteritum und Perfekt) stehen. Neben dem Einmischen des „lyrischen Ich“ in der letzten Strophe stellt die zweite Strophe auf metaphorischer Ebene eine Besonderheit dar (s.u.).

Die Ballade ist meiner Meinung nach dem Typ der historischen / mittelalterlichen Ballade zuzuordnen (s. 1.1.1), da ein Geschehen aus der Vergangenheit beschrieben wird. Es sind jedoch deutliche Anklänge der sozialen oder sozialkritischen Ballade, die ebenfalls in der Romantik ihre Anfänge hatte, zu erkennen (s. 1.1.1). Die nun folgenden Interpretationsansätze spiegeln meine eigenen Gedanken wieder und beziehen sich auf keinerlei wissenschaftliche Literatur:

Bereits in der ersten Strophe wird ein Herrscher vorgestellt, der vollkommen alleine regiert und auf niemanden Rücksicht nimmt. Eine besondere Bedeutung kommt diesbezüglich der zweiten Strophe zu, die mit Metaphorik das behandelte Problem auf den Punkt bringt. Das Volk behandle der König schlechter als Hunde. Die Hunde könnten hier möglicherweise für seine Nutznießer (aufstrebendes Bürgertum) stehen (s.1.1.4). Das Symbol des Hundes ist ambivalent, es kann für Stärke und Schutz, aber auch für Verrat stehen. Als der König von seinem Volk verlassen wird, hofft er auf die Unterstützung seiner „Nächsten”. Da er ihnen nun allerdings nichts mehr bieten kann, fallen sie ihm in den Rücken und stürzen ihn. Hier wird deutlich, welche der symbolischen Bedeutungen gemeint ist. Des Weiteren wird auch sichtbar, welche Aufgabe der Rat hier erfüllt. Statt den König zu beraten, muss er ihn bedienen. Die Gegenüberstellung des hungernden Volkes mit den gefütterten Tieren, macht die Problematik deutlicher denn je, da hier an historische Vorkommnisse erinnert wird (z.B. Französische Revolution: „Paris hungert, Versailles schlemmt“). Die Nacktheit und Entblößung, die in der siebten Strophe beschrieben wird, könnte auch ein Symbol für den Verrat sein, den die „Hunde” an dem König begangen haben. Sein Buckel der zum Vorschein kommt, zeigt, dass er Schuld auf sich geladen hat. Zum Schluss wird nun die Lehre formuliert, dass man es nicht soweit kommen lassen darf, dass einen die Besten verlassen, da sonst keine Regierung mehr funktionieren kann. Auf diese Weise vermittelt die Ballade auf verschiedenste Weise Kritik. Sie kritisiert Herrscher in Anknüpfung an die Monarchen des Mittelalters, die für sich und nicht für ihr Volk regieren, und prophezeit ihnen, dass eine solche Herrschaft auf Dauer nicht bestehen kann, da nicht nur das Volk einen Herrscher (eine Regierung) braucht, sondern auch umgekehrt. Was ist nämlich ein „König ohne Volk”? Des Weiteren warnt die Ballade jedoch auch davor sich in guten Zeiten nur angenehmen Dingen und „nützlichen“ Menschen zu widmen und vielleicht weniger beliebte Aufgaben zu vernachlässigen. Hätte der König mit dem Volk regiert, wäre ihm ein Sturz vielleicht erspart geblieben. Die Ballade enthält also sowohl moralische Werte als auch Kritik an vergangenen Herrschaftsformen. Sie unterstützt meines Erachtens Herrschaftsformen, in denen das Volk Mitspracherecht hat. In Anbetracht der Entstehungszeit (vermutlich Anfang 19. Jahrhundert) ist zu vermuten, dass hier Kritik gegen absolute Monarchien geübt und für Formen wie zum Beispiel die konstitutionelle Monarchie, die das Volk stärker mit einbindet, plädiert wird. Mehr zu diesen unterschiedlichen Herrschaftsformen folgt im nächsten Abschnitt.

1.1.4 Veränderung der Herrschaftsformen

In der Staats- und Regierungsform der absoluten Monarchie geht der staatstragende Wille von nur einer Person aus, die Macht des Monarchen ist absolut. Im Mittelalter waren Monarchien über ganz Europa zerstreut. Thronfolger wurde in der Regel der nächste männliche Nachkomme des Monarchen (König oder Kaiser). Unterstützung erhielt der Monarch von den Feudalherren, die ihm Soldaten und Waffen zu Verfügung stellten. Nach dem Untergang des Feudalismus und dem Beginn der Alleinherrschaft wurde der Herrscher gewöhnlich vom aufstrebenden Bürgertum unterstützt, welche die Nutznießer einer zentralen Regierung waren, die Ordnung garantierte und Stabilität des Handels schuf. Durch häufigen Machtmissbrauch und die wachsende Unzufriedenheit der Bürger wurden die meisten absoluten Monarchien gestürzt. Meilensteine dafür waren die Revolution in England (17. Jahrhundert) und die französische Revolution (18. Jahrhundert). Nach und nach setzten sich konstitutionelle Monarchien durch. Hier stand der Monarch zwar noch an der Spitze des Staates, seine Rechte wurden jedoch durch Gesetze und Verfassungen eingeschränkt. In der konstitutionellen Monarchie sieht man heute den Übergang vom Absolutismus, zu dem auch die absolute Monarchie zählt, zur Demokratie, in der die Herrschaft im Willen des Volkes liegt. Die vereinzelten Monarchien, die heute noch bestehen, haben sich von konstitutionellen in parlamentarische Monarchien verwandelt, in denen die Funktion des Monarchen nur noch rein repräsentativ ist. Als erste konstitutionelle Monarchie gilt England (Glorious Revolution 1688/89). (vgl. Vierecke 1993-1998)

1.1.5 Der Autor „Carl Joachim (Achim) Friedrich Ludwig von Arnim” (s. 3.2, Abb.10)

Am 26. Januar 1781 wird Arnim in Berlin geboren. Seine Gymnasialzeit beginnt 1793, nach deren Beendigung er sich 1793 an der Universität Halle als Student der Rechtswissenschaft immatrikuliert. Des Weiteren studiert er dort Physik, Mathematik und Chemie. Am 20. Mai 1800 beginnt er ein Mathematikstudium an der Göttinger Universität. Am 8. Juni 1801 trifft er zum ersten Mal auf Goethe. Im gleichen Jahr geht er eine Freundschaft mit Clemens Brentano ein. Er wendet sich der Literatur zu und verfasst seinen Erstlingsroman „Hollins Liebeleben”. Im November begibt er sich auf eine Bildungsreise und nimmt den Künstlernamen „Achim von Arnim” an. 1804 erkrankt Arnim lebensgefährlich und kehrt nachhause zurück. Arnim plant mit Brentano das „Wunderhorn”. 1805 besucht Arnim Goethe in Weimar und 1807 kommt es zur ersten Begegnung mit den Brüdern Grimm. Im Januar 1908 reist Arnim nach Heidelberg um den Druck der „Wunderhorn”- Bände zu überwachen. Am 4. Dezember 1810 findet die Verlobung mit Bettina Brentano statt, die er am 11. März 1811 heiratet. Im gleichen Jahr gründet er die „Christlich- deutsche Tischgesellschaft”. In den folgenden Jahren bekommt das Ehepaar Arnim fünf Kinder. Aus Sparsamkeitsgründen ziehen sie 1812 nach Wiepersdorf um. Bettina zieht jedoch 1816 nach einer weiteren lebensgefährlichen Erkrankung Achims nach Berlin zurück. Der „Owen Tudor” erscheint. Arnim begibt sich 1828 wieder auf Reisen und verfasst 1829 die „Erinnerungen eines Reisenden”. Am 21. Januar 1831 stirbt Arnim plötzlich und unerwartet in Wiepersdorf. (vgl. Kastinger 1979, S. 135 f.)

Er zählte zu den führenden romantischen Dichtern. Der Verfall der Feudalordnungen sowie der Zusammenbruch Preußens erschütterten ihn schwer. Er hatte zwar sein Leben lang das Bestreben Deutschland zu erneuern und umzuwandeln, ohne dabei aber das Vorrecht des Adels wesentlich antasten zu wollen. Er war kein konservativer Vertreter des märkischen Adels, sondern plädierte viel mehr für eine Erhebung des gesamten Volkes in den Stand des Adels. In seinem Aufsatz „Von dem einzigen Rettungswege unseres Staates” kritisiert er vor allem die fehlende Kommunikation zwischen Staat und Volk. Er verlangt, dass der König das ganze Volk für adelig erklärt, denn Talent hebe hervor und nicht Geburt. Arnim wollte verschüttete Literaturdenkmäler bewahren und vermitteln, deshalb entstand auch die Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn” in Zusammenarbeit mit Brentano. Seine geistige Heimat war bei der deutschen Altertumswissenschaft, den Brüdern Grimm und Savigny. In der Pflege phantastischer Geschichten gilt er als Vorläufer E.T.A. Hoffmanns.

(vgl. www.gym-friederiken.bildung-1sa.de; Kastinger 1979, S. 60 f.)

Trotz recht umfangreicher Lyrikproduktion sind seine Gedichte bis heute kaum entdeckt und gewürdigt worden. Arnim verfasste, durch Brentano angeregt, vorwiegend Lyrik. In einem Register von 1980 zählt man insgesamt 1872 Titel unterschiedlichster Textarten von Gelegenheitslyrik über polemische Zeitkritik bis hin zu Miniaturen und Liedern, von Distichen bis zu Balladen, Szenen und Gebeten. Von der älteren Literaturwissenschaft wurde Arnims Werk entweder nicht beachtet oder abgelehnt, heute finden sich jedoch auch viele positive Wertungen. (vgl. Kindler 1988, S. 730 f.)

1.1.6 Von Klassik zur Romantik

Die Klassik war die Blütezeit der nationalen Literaturen, die allgemein als künstlerisch- vorbildlich und weltanschaulich verpflichtend angesehen werden.

(vgl. Bertelsmann 1956/57, S. 951)

Klassiker waren ursprünglich römische Bürger der höchsten Steuerklasse, später stand der Begriff aber auch für Schriftsteller ersten Ranges. Heute bezeichnet man den Zeitraum, in dem einzelne Nationalliteraturen ihren Höhepunkt hatten, als Klassik. In der deutschen Literatur kommt es nach der weniger bekannten mittelhochdeutschen Klassik um das Jahr 1800 zu einer jüngeren und daher noch verstärkt nachwirkenden Klassik. Die sogenannte Weimarer Klassik steht in Verbindung mit der Klassik der Antike und ist gekennzeichnet von aufgeklärtem, rationalen Bewusstsein und der Selbstverantwortlichkeit des Menschen. Die Bemühungen der Klassik zielten auf ästhetische Harmonie und Vollendung sowie die Bildung des Menschen.

(vgl. Rothmann 1997, S. 107 f.)

Außerdem ist bezeichnend für die Klassik auch Kants Sittengesetz zur Achtung der Menschenwürde. Am Ideal klassisch- griechischer Menschlichkeit sollte sich eine sittlich freie Persönlichkeit bilden. (vgl. Kinder 1991, S. 310)

Grundsätzlich bezeichnet man als Klassik kunst- oder geistesgeschichtliche Epochen, Autoren oder Werke, die als vorbildlich oder normbildend angesehen werden können. Nach Goethes Klassikverständnis ist die Einheit einer Kultur- und Gesellschaftstradition mit dem Künstler selbst historische Bedingung des Klassischen. Goethe stellt der Klassik die Romantik entgegen, da sich diese an Zeit, Gesellschaft und Kunst des Mittelalters und nicht wie die Klassik an der Antike orientiert. Die Romantik beziehe sich nicht auf den diesseitigen Menschen der Klassik, sonder wecke eine transzendentale Sehnsucht. (vgl. Metzler 1999, S. 275 ff.)

In der älteren, rein literarischen Romantik strebte man nach Auflösung der Gegensätze Natur- Geist, Gefühl- Vernunft und Unendliches- Endliches. In der jüngeren Spät- oder Hochromantik hingegen, in welche auch Achim von Arnim (vgl. 1.1.5) einzuordnen ist, wandte man sich den Kräften des Volkes zu. Eine allgemeine, damit verbundene Geistesbewegung breitete sich aus.

(vgl. Kinder 1991, S. 310)

[...]

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Details

Titel
Ein Unterrichtsentwurf zu Achim von Arnims "Der König ohne Volk"
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg  (Institut für deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik)
Veranstaltung
Literaturdidaktisches Seminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
43
Katalognummer
V71587
ISBN (eBook)
9783638690485
ISBN (Buch)
9783638709347
Dateigröße
1143 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich mit Achim von Arnims Ballade vom "König ohne Volk" und der sozialpolitischen Brisanz der Thematik des "am Volk vorbei Regierens". In allen wissenschaftlich und didaktisch relevanten Aspekten werden Gehalt und schulischer Einsatz der Ballade reflektiert und beispielhaft dargestellt.
Schlagworte
Unterrichtsentwurf, Achim, Arnims, König, Volk, Literaturdidaktisches, Seminar
Arbeit zitieren
Ingo Stechmann (Autor:in), 2001, Ein Unterrichtsentwurf zu Achim von Arnims "Der König ohne Volk", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71587

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